1) Sowohl psychiatrisch-therapeutische Regelstrukturen als auch die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge (PSZ) arbeiten in den 5 ostdeutschen Bundesländern unter Bedingungen, die sich vom übrigen Bundesgebiet unterscheiden. Die Angebotsdichte ist geringer, Wartezeiten auf Therapieplätze sind länger, psychiatrische Praxen sind weiter entfernt. Für Geflüchtete bestehen weniger Unterstützungsstrukturen. Das Risiko, Opfer eines Hassverbrechens zu werden, ist zehnmal so hoch. Die hohe Zustimmung zur AfD verängstigt viele Geflüchtete; Fachkräfte befürchten eine Beschneidung ihrer Handlungsmöglichkeiten.
2) Die Session soll Spezifika des Versorgungskontexts reflektieren und im Sinne von „Health in all Policies“ Interventionsmöglichkeiten in verschiedenen Politikfeldern diskutieren. Es werden Daten zur Versorgungssituation in Ostdeutschland sowie Praxiserfahrungen mit der Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und Annehmbarkeit der Strukturen vorgestellt.
3) Die spezialisierten Versorgungsstrukturen und Netzwerke mit Regelversorgung, Politik und Verwaltung wurden in Ostdeutschland erst Mitte der 90er oder später aufgebaut. Die Vermittlungszahlen im übrigen Bundesgebiet sind 10mal höher, während in den PSZ durchschnittlich fast doppelt so viele Personen auf der Warteliste stehen. Auch der Anteil der Klient*innen mit sehr langen Anfahrtswegen ist doppelt so hoch.
4) Die Umsetzung des Rechts auf Gesundheit als interdependentes Menschenrecht erfordert sowohl asyl- als auch gesundheitspolitische Maßnahmen. Der Lebenskontext Geflüchteter muss in der Versorgungsplanung berücksichtigt, Regelstrukturen geöffnet und Netzwerke auch angesichts der politischen Veränderungen erhalten werden.
09:00 Uhr
Ein Blick zurück – ein Blick nach vorn: Zur Entwicklung der Zugänglichkeit psychosozialer Versorgung für Geflüchtete in Thüringen
Bettina Kriese | REFUGIO Thüringen, Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge | Germany
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Autor*in:
Bettina Kriese | REFUGIO Thüringen, Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge | Germany
Am Beispiel Thüringens wird gezeigt, wie sich von 2004 bis 2020 die Zugangsmöglichkeiten zur psychosozialen Versorgung für Geflüchtete verändert haben und welche Faktoren dabei relevant waren. Im Fokus wird die Kostenübernahme für Psychotherapie mit Geflüchteten stehen. Insbesondere wird dargestellt, in welcher Form die Leistungsträger wie Krankenkassen, die Kommunen und die Landesregierung in Verantwortung genommen wurden und werden.
09:10 Uhr
Viele Standorte, lange Wege, wenig Spielraum: Zur Erreichbarkeit psychosozialer Versorgung für Geflüchtete in Brandenburg
Sanaz Fahimi | KommMit e.V., Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge im Land Brandenburg | Germany
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Autor*in:
Sanaz Fahimi | KommMit e.V., Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge im Land Brandenburg | Germany
Der Beitrag analysiert die Erreichbarkeit psychosozialer Versorgung für Geflüchtete im Flächenland Brandenburg. Es wird beschrieben, welche strukturellen und geographischen Barrieren Klient*innen im ländlichen Raum berichten und welche Bedeutung Einschränkungen von Mobilität und Autonomie durch die Unterbringungsform haben. Es werden Praxiserfahrungen mit dem Konzept aufsuchender Beratung vorgestellt und Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes im Unterbringungskontext diskutiert.
09:20 Uhr
Geflüchtete in der Regelversorgung aus der Perspektive von Migrant*innen und Fachkräften in Sachsen
Katja Eisenkolb | PSZ Dresden/Sachsen | Germany
Franziska Elias | PSZ Dresden/Sachsen | Germany
Anne Harbig | PSZ Dresden/Sachsen - das boot gGmbH | Germany
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Autor*innen:
Katja Eisenkolb | PSZ Dresden/Sachsen | Germany
Franziska Elias | PSZ Dresden/Sachsen | Germany
Anne Harbig | PSZ Dresden/Sachsen - das boot gGmbH | Germany
Der Beitrag gibt Einblick in Aspekte der Annehmbarkeit medizinischer, psychologischer und sozialer Versorgung aus der Perspektive geflüchteter Klient*innen sowie des Fachpersonals in Sachsen. Es werden die im Rahmen einer Befragung erhaltenen Erfahrungen beider Seiten bezüglich der Versorgung in Regelstrukturen und im Psychosozialen Zentrum Dresden berichtet sowie in den lokalen Kontext reflektiert.
09:30 Uhr
Asylum-seekers’ and refugees’ perspectives on improving access to mental healthcare
Razan Al Munjid | Berlin School of Public Health (BSPH) | Germany
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Autor*innen:
Razan Al Munjid | Berlin School of Public Health (BSPH) | Germany
Dr. Nora Gottlieb | Technische Universität Berlin | Germany
Background: Asylum-seekers and refugees (ASR) show high levels of mental distress. However, their use of mental healthcare (MHC) services is relatively low. Few studies focus on access to MHC and there is barely any research from ASRs’ perspectives. Our study begins to fill this gap by exploring the views of ASR on barriers and facilitators to MHC.
Methods: We conducted five group interviews with ASR in communal housing centers in Berlin and five individual interviews with Arabic-speaking ASR. Interviews were conducted in Arabic by a native speaker who is herself a refugee. They were transcribed and analysed applying deductive and inductive approaches.
Results: Based on the interview analysis and the first author’s experience we identified interrelated barriers on individual and community levels (communication difficulties, low awareness, stigma) and health system levels (eligibility restrictions, bureaucratic hurdles, lack of information, low availability). Participants further called attention to the role of contextual factors – e.g. legal instability, housing and work conditions, (fear of) xenophobia - as barriers to health and to MHC.
Lessons learnt: The study shows openness among ASR to address individual and community level barriers to MHC (rather than an expectation toward the health system to resolve obstacles), together with a claim for participation. This can serve as an impetus to make the health system accommodate social diversity, by involving communities on eye level and jointly improving MHC provision for all. Yet, the study also puts MHC in the wider context of restrictive migration policies and their health impacts.