Dass der sozioökonomische Status sich auf die Lebens-, Bildungs- und Gesundheitschancen auswirkt, ist längst bekannt und empirisch umfassend belegt. Da die Weichen für eine gesunde Entwicklung früh gestellt werden, ist die vulnerable Phase der Kindheit und Jugend von besonderer Bedeutung. Trotz vieler Bemühungen konnten dennoch Maßnahmen, die auf die Reduzierung dieser sozialen Ungleichheit in den Gesundheitschancen abzielen, die Zielgruppen kaum oder nur unzureichend erreichen. Hier bietet die partizipative Forschung neue Perspektiven, sodass Forschung nicht ÜBER, sondern MIT der Zielgruppe stattfindet. Die Partizipation am Forschungsprozess hat vielfältige Vorteile, hält jedoch gerade für die Zielgruppe der Kinder- und Jugendlichen einige Herausforderungen bereit.
Das Health Inequalities-Fachforum auf dem Kongress Armut & Gesundheit widmete sich 2019 der Frage, welche Potenziale und Herausforderungen mit partizipativen Forschungsansätzen für die gesundheitsbezogene Ungleichheitsforschung einhergehen. Das diesjährige Health Inequalities Fachforum 2020 setzt an dieser Vorarbeit an und möchte in Kooperation mit dem PartNet (Netzwerk Partizipative Gesundheitsforschung) den Fokus nun auf die Besonderheiten der partizipativen Forschung mit Kindern und Jugendlichen in Hinblick auf gesundheitliche Chancengleichheiten lenken.
14:05 Uhr
Partizipative Aktionsforschung mit Kindern und Jugendlichen: Besonderheiten und Handlungsempfehlungen
Dr. Veronika Wöhrer | Universität Wien | Germany
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Autor*in:
Dr. Veronika Wöhrer | Universität Wien | Germany
In diesem Vortrag wird die Anwendung partizipativer (Aktions-)Forschung mit Kindern und Jugendlichen vorgestellt. Dabei wird auf folgende Fragen eingegangen: Ob und inwiefern unterscheidet sich partizipative Forschung mit Kindern und Jugendlichen von der Forschung mit Erwachsenen? Was sind Potentiale, was sind (potentielle) Schwierigkeiten, die in der partizipativen Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen entstehen können? Wie können also Personen, denen gesellschaftlich weder großes Wissen noch große Erfahrung zugesprochen werden, in einem gemeinsamen Prozess zu Forschenden werden? Welche konkreten Methoden eignen sich besonders gut für diese Zielgruppe?
14:25 Uhr
Kinder partizipativ in Forschung einbeziehen – ein kinderrechtsbasiertes Stufenmodell
Prof. Dr. Petra Büker | Universität Paderborn | Germany
Prof. Dr. Birgit Hüpping | Pädagogische Hochschule Ludwigsburg | Germany
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Autor*innen:
Prof. Dr. Petra Büker | Universität Paderborn | Germany
Prof. Dr. Birgit Hüpping | Pädagogische Hochschule Ludwigsburg | Germany
Der Einbezug von Kindern und deren Perspektiven in Forschungsprojekte hat in den letzten Jahren international und national an Bedeutung gewonnen (vgl. Docket/Einársdottir/Perry 2019; Büker 2019; Büker/ Höke 2019; Mey/Schwentisius 2019, Wöhrer/Aztmann/Wintersteller/Harrasser/Schneider 2017, Heinzel/Kränzl-Nagl/Mierendorff 2012). Bezugnehmend auf Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention (1989) soll dadurch dem Recht des Kindes auf freie Meinungsäußerung in allen das Kind tangierenden Angelegenheiten Rechnung getragen werden.
Auf Basis der Annahme, dass das Recht auf Partizipation auch das Recht des Kindes beinhaltet, zu lernen wie demokratisch argumentiert, gehandelt und gestaltet werden kann, wurde ein didaktischer Ansatz entwickelt und erprobt, der Kinder befähigt, mit Hilfe von Forschungsmethoden systematisch eigenen Fragestellungen nachzugehen und mit deren Ergebnissen Einfluss auf Veränderung zu nehmen. Der hier geplante Beitrag fokussiert die Dimension des didaktisch-methodischen Handelns in der Grundschule im Bereich der kinderrechtebasierten Partizipation sowie die Sichtweisen der beteiligten Grundschulkinder
Im Rahmen der als Gestaltungs- und Handlungsforschung angelegten wissenschaftlichen Begleitung einer Partizipationsgrundschule wurde das mehrwöchige Lernangebot “Kinder als Forscher” in einem jahrgangsübergreifenden Setting mit n=20 Kindern (6-9 Jahre) durchgeführt und ethnografisch beobachtet. Wenige Wochen später wurden n=8 der teilnehmenden Schüler*innen leitfadengestützt interviewt, um retroperspektivisch Aussagen über die Beurteilung des Lernangebotes sowie über die Einschätzung der Relevanz von Forschungskompetenz für die Ausübung des Rechtes auf Mitbestimmung zu erhalten.
Über Beobachtung und die interviewbasierte kommunikative Validierung mit den Kindern sollte die qualitative Studie Aufschlüsse über die Tragfähigkeit der o.g. Annahme erbringen und zugleich das entwickelte didaktische Konzept zur Forschungsqualifizierung von Kindern evaluieren. Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch (Mayring 2010). Die Studie wurde unter sorgfältiger Berücksichtigung der internationalen Standards der Kinderforschung (Bertram 2014) konzipiert. Das didaktische Konzept fußt auf internationalen theoretischen Arbeiten im Bereich “Children as (co-) researcher“ (Lundy 2007, Kellett 2011, Murray 2018), wobei insbesondere das in Australien entwickelte (Mayne, Howitt & Rennie 2018) und für den deutschsprachigen Forschungskontext adaptierte (Büker, Hüpping, Mayne, Howitt & Rennie 2018) hierarchische Modell der rechtebasierten Partizipation von Kindern in der Forschung grundgelegt wurde.
Die beobachtbaren und von den Kindern berichteten Handlungen und Kompetenzen wurden unter Anwendung der Akeur Netzwerk Theorie sowie der Selbstbestimmungstheorie (Decy/Ryan 2000) erklärt. Die Ergebnisse zeigen, dass die involvierten Kinder das didaktische Konzept als eine Art Scaffolding nutzen konnten, um auf systematische Weise selbstdefinierten Problemen (hier: Unzufriedenheit mit der Schulkantine) nachzugehen, Daten zu erheben, perspektiventrianguliert auszuwerten sowie an die Schulleitung zurückzumelden. Forschungskompetenz wird von den Kindern als Möglichkeit selbstwirksamen Handelns erachtet; differenziert formulierte Ideen der interviewten Kinder geben Impulse für die Modifikation künftiger Lernarrangements zum Erwerb von Forschungskompetenz. Im geplanten Beitrag sollen das entwickelte didaktische Konzept „Kinder als Forscher“ und dessen theoretische Rahmung vorgestellt und das Design der Studie erläutert werden. Anhand ausgewählter Ergebnisse soll mit den Teilnehmenden mit Bezug auf das Tagungsthema diskutiert werden, wie neue, partizipationsorientierte didaktisch-methodische so gestaltet werden können, dass sie das Recht der Kinder auf Mitwirkung und Mitgestaltung ihrer Lebenswelt maximal berücksichtigen und dabei Persönlichkeitsbildung und gesellschaftliche Verantwortung fördern.