Verschiedene Gruppen von Migrant*innen haben in Deutschland aufgrund gesetzlicher Beschränkungen keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsversorgung. Betroffen sind Asylsuchende, erwerbslose EU-Bürger*innen und Menschen ohne Papiere. Sie werden notdürftig über zivilgesellschaftliche Anlaufstellen versorgt. Die aus dieser Praxis heraus geforderten gesetzlichen Änderungen zur Verbesserung des Zugangs wurden bisher politisch nicht umgesetzt. Die Podiumsdiskussion ist als Beratungsanfrage aus der BAG Gesundheit/Illegalität an eingeladene Wissenschaftler*innen konzipiert. Es wird der Frage nachgegangen, ob und wie unterschiedliche Forschungsansätze das fachpolitische Anliegen unterstützen könnten.
Der Forschungsstand zum Thema ist aus einer Reihe von Gründen begrenzt. Praktiker*innen und Betroffene verfügen über umfangreiches Wissen, haben selbst aber wenig Kapazitäten für eine systematische Aufbereitung. In statistischen Erhebungen zur medizinischen Versorgung gelten die Patient*innen oft als „schwer erreichbar“ (Sprachbarrieren, fehlende Meldeadressen) und bleiben so unerfasst. Teilweise werden Daten nur bedingt an externe Wissenschaftler*innen weitergegeben, weil die Gefahr besteht, dass Informationen politisch missbraucht werden. Gegenstandsangemessen könnten Ansätze partizipativer Sozialforschung sein, die Betroffene und praktisch Helfende in die Forschungsarbeit einbeziehen. Entsprechende Vorhaben sind oft nicht mit üblichen Fördermittelprogrammen kompatibel.
Die Veranstaltung dient als Impuls für eine gemeinsame Suchbewegung von Politik, Praxis und Wissenschaft zu methodischen und ethischen Besonderheiten der Forschung zur Gesundheitsversorgung für Migrant*innen.
Ablauf der Session:
1. Inputs
2. Diskussion und Fragen aus dem Publikum
3. Zusammenfassung und Ausblick auf Möglichkeiten des verstetigten Austauschs
16:00 Uhr
„Im Spannungsfeld von Kategorien und Zuschreibungen“ – Überlegungen zum Selbstbild/zu Haltungsfragen von Wissenschaftler*innen
Dr. Jens Hoebel | Robert Koch Institut | Germany
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Autor*in:
Dr. Jens Hoebel | Robert Koch Institut | Germany
In der epidemiologischen Forschung geht es um den Vergleich verschiedener Gruppen, wodurch wir zum einen Populationen identifizieren, die besondere (Versorgungs-) Bedarfe haben, aber auch gleichzeitig Zuschreibungen reproduzieren. Um in diesem Spannungsfeld verantwortlich zu forschen und zu kommunizieren, bedarf es einer stetigen Selbstreflexion und Hinterfragung bisher etablierter Fragestellungen und Begrifflichkeiten.
16:15 Uhr
"Die Daten geben es nicht her“ – Forschungsarbeit zwischen Advocacy und Unabhängigkeit
Dr. Maren Mylius | Medinetz Hannover e.V. | Germany
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Autor*in:
Dr. Maren Mylius | Medinetz Hannover e.V. | Germany
Forschungsergebnisse sind wichtig, um politische Entscheidungen zu bewirken. V.a. Quantifizierungen werden von Vertreter*innen der politischen Entscheidungsebenen eingefordert als Grundlage der politischen Durchsetzung und Ressourcenplanung. Gleichzeitig sind sie zumeist der Aufhänger in der Berichterstattung und damit mitunter Triebkraft für Entscheidungen. In der ehrenamtlichen NGO-Arbeit, die strukturelle Verbesserungen erzielen möchte, stellen sich damit häufig zwei Problemfelder ein: 1. die
16:30 Uhr
Migrationsforschung – die Gefahren des Otherings
Tanja Gangarova | Deutsche Aidshilfe e.V. | Germany
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Tanja Gangarova | Deutsche Aidshilfe e.V. | Germany
Prozesse des Othering und struktureller Rassismus manifestieren sich täglich im Feld der Gesundheitsforschung, -prävention und -versorgung von Migrant_innen und agieren oft als Legitimation von Interventionen, die gegen jede humanistischen Werte verstoßen, die Europa angeblich erst zu Europa machen. Besonders sichtbar werden sie am Beispiel der „Menschen ohne Papiere“. Durch ihr Othering wird Gesundheit zum einen weiteren Instrument staatlicher Kontrolle und ihre Beteiligung an Forschung fast unmöglich gemacht. Wie kann eine rassismus- und machtkritische Forschung und Praxis aussehen?
16:45 Uhr
„Durch die Wahl des Forschungsstils mit praktischen und politischen Anliegen verbunden bleiben“ – Wie kann Beteiligung (von Betroffenen und Helfenden) aussehen?
Dr. Dennis Odukoya | Ludwig-Maximilians-Universität München | Germany
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Autor*in:
Dr. Dennis Odukoya | Ludwig-Maximilians-Universität München | Germany
Die Forschung zur Gesundheit von Migrant/innen bzw. Geflüchteten stellt Wissenschaftler/innen vor spezifische forschungsethische Herausforderungen. Insbesondere im Zusammenhang mit Fluchtforschung gehen viele von einem „dualen Imperativ“ aus, nachdem die Forschung nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse generieren, sondern vielmehr auch einen praktischen Nutzen für alle Beteiligten erzielen soll. Verschiedene Ansätze partizipativer Forschung erscheinen dabei besonders vielversprechend. Partizipative Gesundheitsforschung bedeutet, marginalisierte Gruppen sowie Vertreter/innen der Zivilgesellschaft und des sozialen und gesundheitlichen Versorgungssystems als Ko-Forschende und Partner/innen aktiv und möglichst gleichberechtigt an allen Phasen des Forschungsprozesses zu beteiligen.