Raum:
H5 – Gesundheitsdienste II
Thema:
07. Gesundheitsberichterstattung/Soziale Determinanten
Präsentationsart:
Fachforum
Dauer:
90 Minuten
Seit Mitte März 2020 wütet eine bisher noch nie dagewesene Pandemie sowohl weltweit als auch in Deutschland. Neben den täglich in den Medien erscheinenden Berichten des Robert Koch-Instituts (RKI) gab es jedoch nur wenig öffentlichkeitswirksame Berichterstattung auf kommunaler oder Landesebene, weder zur Ausbreitung von Covid 19 noch in Bezug auf andere wichtige Themen der Gesundheitsberichterstattung, obgleich z.B. die Kommunen und die Länder über die entsprechenden Infektionszahlen verfügen, die zur Weiterleitung an das RKI gesammelt wurden.
Um dieses Phänomen zu erklären, muss in erster Linie die gegenwärtige Situation im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) der Kommunen unter die Lupe genommen werden. Hieraus zeigt sich, dass insbesondere das Personal aus nicht systemrelevanten Bereichen wie der GBE schon seit längerer Zeit zur Infektionseindämmung in den kommunalen Krisenstäben eingesetzt worden ist. Erschwerend kommt hinzu, dass wichtige Datenquellen für die Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler bzw. Landesebene, wie z.B. die Schuleingangsuntersuchung oder eigene Datenerhebungen, pandemiebedingt ausgefallen sind.
Im ersten Beitrag werden die Ergebnisse einer Befragung älterer Menschen im Bezirk Mitte von Berlin vorgestellt, die glücklicherweise noch im Herbst 2019 abgeschlossen werden konnte. Im zweiten Beitrag werden die ersten Ergebnisse eines bundesweiten kommunalen GBE-Monitorings präsentiert, das im weiteren Verlauf auch (aktuelle) Brüche und Entwicklungen im Bereich der GBE darstellen soll. Schließlich werden im dritten Beitrag die Ergebnisse einer „klassischen“ GBE-Analyse des Corona-Infektionsgeschehens in Berlin vorgestellt.
13:30 Uhr
Kommunale Gesundheitsberichterstattung (GBE) in Deutschland: Der GBE-Monitor als Forschungsdatenbank
Laura Arnold | Akademie fuer oeffentliches Gesundheitswesen | Germany
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Autor:innen:
Prof. Dr. Bertram Szagun | Hochschule Ravensburg-Weingarten | Germany
Prof. Dr. Dagmar Starke | Akademie fuer oeffentliches Gesundheitswesen | Germany
Laura Arnold | Akademie fuer oeffentliches Gesundheitswesen | Germany
Für die Steuerungsaufgaben des ÖGD spielt die GBE eine zentrale Rolle, da sie Datengrundlage und Ausgangsbasis für evidenzinformierte Planung stellt. GBE ist in nahezu allen Gesundheitsdienstgesetzen der Länder verankert, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung und Kopplung mit Planungsprozessen. Forschung zur kommunalen GBE ist rar und oft regional oder thematisch begrenzt.
Ende 2019 erfolgte ein systematisches GBE-Screening der Internet-Auftritte aller kommunalen Gesundheitsämter, ergänzt durch offene Stichwortsuche per Suchmaschine. Sofern möglich, wurden min. die letzten drei verfügbaren Berichte seit 2010 als Berichtspool abgelegt. Ebenfalls erhoben wurden Strukturinformationen zur kommunalpolitischen Anbindung des ÖGD in übergeordneten Dezernaten bzw. Abteilungen. Die Sensitivität des Screening-Verfahrens wurde telefonisch geprüft.
70% aller kommunaler ÖGD-Einheiten sind auf Landkreisebene angesiedelt, 18% auf Stadtkreisebene und 12% mehreren Stadt-/Landkreisen zugeordnet. Die Einwohnerzahl variiert von 35000 bis rund 1,5 Millionen Einwohnern. Erhebliche Variationen zeigen sich auch in der Zuordnung der kommunalen ÖGD-Einheiten z.B. zu den Planungsfeldern Jugend/Soziales bzw. Ordnung/Veterinärwesen. Städte und Landkreise unterscheiden sich zudem bzgl. GBE-Aktivität und Themenauswahl.
Assoziationen zwischen den heterogenen strukturellen Rahmenbedingungen und der kommunalen GBE-Aktivität bergen zahlreiche Praxisimplikationen. Der GBE-Monitor stellt zudem ein wertvolles Forschungsinstrument für die Weiterentwicklung der kommunalen GBE dar, auf dessen Basis u.a. Analysen zu verschiedenen Berichtstypen, Planungsbezügen der GBE sowie der Corona-Berichterstattung erfolgen werden.
13:45 Uhr
Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in Berlin – Zusammenhang mit Soziodemografie und Wohnumfeld
Marjolein Haftenberger | Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung | Germany
Dr. Jonas Finger | Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung | Germany
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Autor:innen:
Marjolein Haftenberger | Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung | Germany
Dr.in Sabine Hermann | Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung | Germany
Dr. Jonas Finger | Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung | Germany
Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in Berlin – Zusammenhang mit Soziodemografie und Wohnumfeld
M. Haftenberger, J.D. Finger, S. Hermann.
Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Abteilung I: Gesundheit, Referat I A: Gesundheitsberichterstattung, Epidemiologie, Gesundheitsinformationssysteme; Statistikstelle
Hintergrund und Ziel: Einige internationale und nationale Publikationen zeigen, dass sozialdeprivierte Regionen bzw. Individuen stärker von der Corona-Pandemie betroffen sind als sozialprivilegierte Regionen bzw. Individuen. Im Folgenden wird das Infektionsgeschehen in Berlin im Zusammenhang mit soziodemografischen Merkmalen und Indikatoren des Wohnumfeldes auf Bezirksebene betrachtet.
Methoden: Die Auswertung basiert auf den zwischen dem 1. März und 31. August 2020 von den Berliner Gesundheitsämtern gemeldeten laborbestätigten COVID-19-Fällen. Diese werden auf bezirklicher Ebene mit soziodemografischen Merkmalen und Indikatoren des Wohnumfelds aus dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2019 sowie mit Daten zur Einwohnerdichte und Flächennutzung des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg (Datenstand: 31.12.2018) und Information zum Haushaltsäquivalenzeinkommen des Mikrozensus 2018 zusammengespielt. Die Zusammenhänge werden anhand linearer Regressionen mit der COVID-19-Inzidenz als abhängige Variable und den soziodemografischen Merkmalen und Indikatoren des Wohnumfelds als unabhängige Variablen analysiert. Um für den Einfluss von unterschiedlicher Geschlechts- und Altersstruktur in den Bezirken zu kontrollieren, wurden die Analysen für Geschlecht und Alter adjustiert durchgeführt.
Ergebnisse: Im Zeitraum vom 1. März bis zum 31. August 2020 waren in Berlin 11.266 COVID-19-Erkrankungsfälle gemeldet. Die COVID-19-Inzidenz in den Bezirken variierte zwischen 179,2 und 458,1 COVID-19-Fällen je 100.000 Einwohner. Auf bezirklicher Ebene zeigen sich statistisch signifikant positive Zusammenhänge zwischen der COVID-19-Inzidenz und dem Anteil der Transferleistungsbezieher, den Anteilen der Einwohner mit einem Migrationshintergrund bzw. der Nicht-EU Ausländer, dem Anteil der Einwohner mit einfacher Wohnlage, der Einwohnerdichte und dem Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Hingegen zeigen sich statistisch signifikante negative Zusammenhänge zwischen der COVID-19-Inzidenz und den verfügbaren Frei- und Erholungsflächen pro Einwohner.
Schlussfolgerung: Bezirke, die eine ungünstigere Sozialstruktur aufweisen sowie dichter besiedelt sind und in welchen weniger Frei- und Erholungsfläche zur Verfügung steht, sind signifikant stärker von der COVID-19-Epidemie betroffen. Diese Zusammenhänge sollten bei der Planung von räumlicher Stadtstruktur, Infektionsschutzmaßnahmen und der Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes berücksichtigt werden.
14:00 Uhr
Die Befragung LISA II – Lebensqualität, Interessen und Selbstständigkeit im Alter – eine Befragung im Bezirk Mitte von Berlin
Jeffrey Butler | Bezirksamt Mitte von Berlin | Germany
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Autor:in:
Jeffrey Butler | Bezirksamt Mitte von Berlin | Germany
In der LISA-Studie wurde 2019 zum zweiten Mal eine tiefer gehende Befragung der über 60-jährigen Bevölkerung im Bezirk Mitte durchgeführt. Hierbei ging es insbesondere darum, fundierte Daten für die Gestaltung von Angeboten für diese Bevölkerungsgruppe sowie für eine Schwerpunktsetzung im Fachgebiet „Gesundheit im Alter“ zu erhalten. Da ein sehr großer Anteil der bezirklichen Bevölkerung eine Zuwanderungserfahrung (ZWE) vorweist, war eine angemessene Beteiligung dieser Bevölkerungsgruppe eine wichtige Vorgabe für diese Befragung. Um deren Beteiligung zu erhöhen, wurde der Fragebögen sowie die Anschreiben ins Türkische, Russische, Polnische, Arabische und Englische übersetzt und gezielt mitgeschickt. Ältere Menschen mit Zuwanderungserfahrung bekamen ebenfalls bei Bedarf Hilfe von muttersprachlichen Interviewern beim Ausfüllen des Fragebogens.
Neben Fragen zur Gesundheit, zur Inanspruchnahme gesundheitlicher Versorgung sowie zur Lebenssituation enthielt der Fragebogen auch standardisierte Instrumente, um gesundheitsbezogene Lebensqualität, soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeit, riskantes Trinkverhalten sowie Anzeichen von Depression bei der älteren Bevölkerung festzustellen. Darüber hinaus wurde einen großen Wert auf die Identifizierung von Barrieren zur körperlichen Bewegung in der näheren Nachbarschaft (Bezirksregionen) gelegt.
Es gab eine Reihe von aufschlussreichen Ergebnissen der Befragung, z. B. eine höhere Betroffenheit von älteren Menschen türkischer Herkunft bei Depression und Übergewicht – auch wenn die Ergebnisse nach der sozialen Lage differenziert wurden. Ebenfalls zeigte sich eine starke gesundheitsförderliche Wirkung von alltäglicher Bewegung. Interessant hinsichtlich des künftigen Bedarfs an Pflegeleistungen ist, dass die deutschen Befragten eher Pflege von ihren Partnern erwarteten als die Migranten. Diese erwarten wiederum die Unterstützung eher von ihren Kindern und Enkeln.