Der Themenbereich untersucht Mehrdeutigkeit in Theorien der Sprachphilosophie, Rhetorik, Mediävistik, Linguistik, Literaturwissenschaft und Fachdidaktik. Dabei interessiert einerseits, wie sich die theoretischen Perspektiven auf Mehrdeutigkeit historisch gewandelt haben. Andererseits soll danach gefragt werden, wie sich theoretische Verhandlungen von Mehrdeutigkeit in den Teildisziplinen der Germanistik zueinander verhalten, wo es gegebenenfalls Spannungen und wo es Überschneidungen gibt.
Literaturtheoretisch zeichnet sich mit dem Moderne-Beginn eine veränderte Haltung zur Mehrdeutigkeit ab. Während sprachliche Mehrdeutigkeiten in der rhetorischen Tradition wegen des Verstoßes gegen das Klarheitsgebot (perspicuitas) in negativem Ruf standen, werden Vieldeutigkeit evozierende Stilmittel, Figuren und Gattungen seit dem 18. Jahrhundert aufgewertet und zu genuinen Merkmalen der poetischen Rede erklärt. Zielten Bibelexegese und Hermeneutik darauf ab, Techniken zu entwickeln, um ‚dunkle Stellen‘ zu entschlüsseln und zu vereindeutigen, gilt die Ambiguität literarischer (insbesondere ‚klassischer‘) Texte in der modernen Literaturtheorie als unhintergehbar. Mit der methodischen Ausdifferenzierung der Germanistik vervielfältigten sich die Kontexte und Bedeutungshorizonte (Biographik, Ästhetik, Geistesgeschichte, Sozialgeschichte, Diskursanalyse usw.), die zur Interpretation literarischer Texte herangezogen werden, beständig. Hierbei hat die Mediävistik wichtige Impulse geliefert und theoretische Konzepte generiert.
In der Sprachwissenschaft – je nach Forschungsgegenstand auch an der Schnittstelle zur Sprachdidaktik – werden Mehrdeutigkeiten nicht nur auf den traditionellen linguistischen Ebenen untersucht (z. B. Syntax, Semantik, Lexikologie, Pragmatik). Mit gesprächs-, text-, diskurs-, varietätenlinguistischen, psycho- und kognitionslinguistischen, schrift- und grammatiktheoretischen sowie informationsstrukturellen Ansätzen gibt es ein breites Spektrum an Zugängen zu Ambiguitätsfragen. Quer dazu liegend werden auch theoretische Aspekte mul-timodaler bzw. multicodaler Kommunikation in den Blick genommen (z. B. analoge/digitale Text-Bild-Interaktionen).
In schulischen Kontexten kommt Mehrdeutigkeiten bei der Interpretation literarischer Texte eine wesentliche Rolle zu. Prüfungsformate kreisen um die Textinterpretation als ‚Königsdisziplin‘ des deutenden Erschließens und der Entwicklung von Ambiguitätstoleranz. Der Umgang mit ambigen Informationen gilt als wesentlicher Teil der Kompetenzentwicklung im Kontext der Literarizität. Während der schulische Sprachunterricht in der Vergangenheit oftmals dem Erwerb von vermeintlich normativ-eindeutigem Regelwissen gewidmet war, hat die Kompetenzorientierung der Sprachreflexion und damit der Beschäftigung mit sprachlichen Mehrdeutigkeiten respektive deren theoretischer Fundierung einen größeren Stellenwert eröffnet.
Exemplarisch seien folgende Fragen für die Konzeption von Panels und Workshops genannt:
→ Panels und Workshops im Themenbereich 1: Theoretische und methodische Zugänge