Titel des Symposiums: Die Bedeutung pädagogischen Führungshandelns angesichts aktueller Herausforderungen im System Schule
Abstract des Symposiums :
Thema
Führungshandeln an Schulen stellt nach dem Unterrichtshandeln eine bedeutsame (indirekte) Einflussgrösse auf die Leistungen von Schülerinnen und Schülern dar (Bonsen, 2016). Während sich das Forschungsinteresse im Bereich pädagogischer Führung lange Zeit auf die Schulleitung als formale Führungsinstanz konzentrierte, so kam es spätestens in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Erweiterung: Neben der formalen Schulleitung ist das Führungshandeln als Prozess und Interaktion zwischen professionellen schulischen Akteuren in den Blick gerückt (z.B. Spillane & Mertz, 2015). Auch haben Lehrpersonen, die bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Schule tragen, oftmals unter dem Begriff «teacher leadership», verstärkt Aufmerksamkeit erfahren (z.B. Strauss & Anderegg, 2020). Dies – gemeinsam mit aktuellen Herausforderungen im System Schule wie beispielsweise die digitale Transformation (Voogt et al., 2018) – führt zu veränderten Rollenkonzeptionen, in welchen Schulleitungen beispielsweise angehalten sind, Führung zu «verteilen» und von Lehrpersonen verstärkt erwartet wird, an Führung und Organisation von Schule mitzuwirken. Dies zieht wiederum Fragen nach dazu notwendiger Professionalisierung und Einflussmöglichkeiten mit sich.
Zentrale Fragestellung und Diskussion sowie Organisation des Symposiums
Anhand von vier zusammenhängenden Beiträgen werden die Rolle pädagogischen Führungshandelns im Kontext aktueller Herausforderungen wie auch Instanzen der Professionalisierung pädagogischer Akteure mit Führungsverantwortung nachgezeichnet: Vorgestellt werden eine Deutschschweizer Befragung von Schulleitungen zu ihrer Weiterbildungs- und Wissensorientierung (Beitrag 1), eine Studie zu ihren Einflussmöglichkeiten und Einflussstrategien in Bezug auf die digitale Transformation von Schulen (Beitrag 2), die Nutzung von Vignetten zur Professionalisierung pädagogischen Führungshandelns bei Lehrpersonen (Beitrag 3) sowie eine Untersuchung verteilter Führung an Schulen in der Romandie und der Deutschschweiz im schulischen Alltag (Beitrag 4). Die Beiträge werden bereits im Vorfeld des geplanten Symposiums unter den Beitragenden geteilt, so dass während der Präsentationen Bezüge zwischen den Beiträgen hergestellt werden können. Eine Diskutantin und ein Diskutant erhalten vorab alle Präsentationen und werden gemeinsam eine kritische Verortung der Beiträge aus Deutschschweizer sowie Westschweizer Perspektive vornehmen, blinde Flecke und Herausforderungen für bzw. Anforderungen an künftige Forschung im Bereich pädagogischer Führung herausarbeiten.
Beitrag 1: Wissenshungrig und wissenschaftsaffin? Erkenntnisse zum Weiterbildungsverhalten, zur Professionalisierung und zur Wissensorientierung Deutschschweizer Schulleitungen
Abstract:
Veränderte Anforderungen im Kontext erweiterter schulischer Autonomie sowie gesellschaftlicher Veränderungen haben zu einer Erwartungshaltung der stetigen Professionalisierung und Weiterbildung schulischer Akteure geführt. Forschung zur Weiterbildung von Schweizer Schulleitungen stellt dabei bislang ein Desiderat dar. Zwar bestehen Einschätzungen, dass Schulleitungen «sich sehr unterschiedlich intensiv aus- und weiterbilden» (Anderegg & Breitschaft, 2020, S. 307), es mangelt jedoch an entsprechender empirischer Forschung.
Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Situation von Schweizer Schulleitungen rund um Weiterbildung und Professionalisierung zu beleuchten. Für den vorliegenden Beitrag standen folgende Fragestellungen im Zentrum: Welche Weiterbildungsbedarfe haben Schulleitungen? Welche Möglichkeiten der Weiterbildung und Professionalisierung nehmen sie wahr? Wie charakterisieren sie ihre Wissensorientierung und -nutzung?
Die Daten wurden 2022 mittels standardisierter Online-Fragebögen erhoben. 1‘095 von 2‘369 eingeladenen Schulleitungen aus allen Deutschschweizer Kantonen beteiligten sich an der Befragung. Diese bestand aus geschlossenen Fragen, die neben relevanten Skalen und Items auch demografische Angaben umfassten. Aus den Item-Blöcken werden im Rahmen dieses Beitrags Kennzahlen zu den folgenden Konstrukten berichtet: Arbeitszeit (Mang et al., 2018), Tätigkeitsverteilung (Schmich & Itzlinger-Bruneforth, 2019), Wahrgenommener Weiterbildungsbedarf (Eigenentwicklung), genutzte Weiterbildungsangebote (Schmich & Itzlinger-Bruneforth, 2019), wahrgenommener Nutzen von Weiterbildungsangebote (Eigenentwicklung), Rahmenbedingungen von Weiterbildungen (Eigenentwicklung), Wissensorientierung (Demski, 2017).
Die teilnehmenden Schulleitungen geben im Mittel ein Pensum in Höhe von 79% an. Schulleitungen mit einem Vollzeitpensum geben eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 55 Stunden an; Schulleitungen mit einem 60%-Pensum geben 42 Stunden an. Die befragten Schulleitungen geben an, dass Verwaltungstätigkeiten sowie Tätigkeiten im Bereich Personalführung und -entwicklung im Durchschnitt jeweils ca. 19% der Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Die eigene Weiterbildung (4%), die Arbeit an längerfristigen Zielen und Strategien (9%) und den Kontakt zu einzelnen Schüler:innen (6%) nehmen jeweils einen geringeren Teil der Arbeitszeit ein.
Zwei Drittel der teilnehmenden Schulleitungen geben an, in einem oder mehreren Bereichen einen Weiterbildungsbedarf wahrzunehmen. Die meistgenannten Bereiche sind Führung gefolgt von Schulentwicklung, Selbstmanagement und Konflikt- bzw. Krisenmanagement.
Grundsätzlich wird der Nutzen von Weiterbildungsangeboten (unabhängig vom spezifischen Format) als für die berufliche Weiterentwicklung nützlich erachtet (84% Zustimmung). Bezüglich der Formen genutzter Weiterbildungsangebote werden der informelle Austausch sowie das Lesen berufsbezogener Literatur oft genutzt und auch als nützlich angesehen. Vergleichsweise selten genutzt (von ca. 46 % der Befragten) werden hingegen Peer-Mentoring-Verfahren. Ähnlich selten werden Hochschul-Programme (z.B. Zertifikatskurse) genutzt; der Nutzen wird jedoch als (sehr) positiv bewertet. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass für Weiterbildungen ausreichende finanzielle Mittel (z.B. seitens Gemeinde) zur Verfügung gestellt werden.
Die rückgemeldete Wissensorientierung ist stärker an Praxiserfahrungen – insbesondere anderer Schulen in ähnlichen Kontexten – als an Wissensbeständen aus Forschung und Wissenschaft ausgerichtet; der Austausch mit Personen und Institutionen der Wissenschaft fällt sehr gering aus. Beispielsweise stimmen 65 % der befragten Schulleitungen der Aussage überhaupt nicht zu oder eher nicht zu, dass sie den direkten Kontakt zu Forschenden suchen, um ihre Entscheidungsqualität zu verbessern.
Zusammenfassend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass viele Schulleitungen an Weiterbildung interessiert sind, diese – im Rahmen z.T. sehr herausfordernder Rahmenbedingungen nutzen – und grösstenteils auch als nützlich empfinden. Das handlungsleitende Wissen scheint (dennoch) stark von Praxiserfahrungen geprägt zu sein.
Beitrag 2: Wie können Schulleitungen die digitale Transformation an ihren Schulen beeinflussen? Ergebnisse der DigiTraS II Studie
Abstract:
Bereits einige Studien fanden einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen transformationaler Führung der Schulleitung und Technologieintegration (zum Beispiel Ottestad, 2013; Vermeulen et al., 2017; Yamamoto & Yamaguchi, 2019). Allerdings lassen diese Studien einige Fragen offen: So ist transformationale Führung ein distaler Faktor für Technologieintegration (Vermeulen et al., 2017), allerdings sind differenzielle Effekte auf Mediatoren der Technologieintegration unklar. In diesem Zusammenhang könnten die unterstützenden Faktoren nach dem «Will, Skill, Tool, Pedagogy» Modell (WSTP-Modell; Knezek & Christensen, 2016) als Mediatoren dienen, da einige Studien gezeigt haben, dass transformationale Führung signifikante und positive Effekte auf die vier Faktoren dieses Modells hat (Ottestad, 2013; Vermeulen et al., 2017; Yamamoto & Yamaguchi, 2019). Weiterhin werden bei den Studien zu transformationaler Führung nur quantitative Indikatoren der Technologieintegration in den Blick genommen, wie die Häufigkeit oder das Ausmass der Technologienutzung. Jedoch zeigt die Studie von Fütterer et al. (2022), dass es in einigen Kontexten nicht mehr ausreicht, sich auf die bloße Häufigkeit des Technologieeinsatzes im Unterricht zu konzentrieren, um die Lernbemühungen der Schüler*innen zu erklären, sondern dass auch qualitative Aspekte der Technologieintegration einbezogen werden sollten, wie die Technologienutzung der Lehrpersonen, um bestimmte Lernaktivitäten bei Schüler*innen zu fördern. Besonders geeignet zur Messung eines qualitativen Indikators der Technologieintegration ist das ICAP Modell, welches die Lernaktivitäten der Schüler*innen in vier Modi unterteilt: Interaktiv, konstruktiv, aktiv und passiv, wobei angenommen wird, dass das Lernen von passiv über aktiv und konstruktiv bis hin zu interaktiv zunimmt (Chi & Wylie, 2014).
In einer nationalen Schweizer Online-Umfrage sollten Sekundarstufe II Lehrpersonen angeben, wie oft ihre Schulleitung typisches Verhalten eines transformationalen Führungsstils zeigt (7 Items; Skala von Carless et al., 2000). Zudem wurden sie gebeten ihre Einstellung gegenüber digitalen Medien („Will“, 4 Items; Skala von Petko et al., 2012), ihre technischen Fähigkeiten („Skill“, 3 Items; Skala von Schmid et al., 2020), die Qualität der technischen Infrastruktur ihrer Schule („Tool“, 3 Items; Skala von Petko et al., 2018) und ihre Fähigkeiten beim Unterrichten mit digitalen Medien („Pedagogy“, 3 Items; Skala von Schmid et al., 2020) einzuschätzen. Weiterhin sollten sie angeben, wie oft sie digitale Technologien nutzen, um passive, aktive, konstruktive und interaktive Lernaktivitäten der Lernenden zu fördern („Technologieintegration“, 12 Items; Skala von Antonietti et al., 2022).
Die finale Stichprobe bestand aus 2247 Lehrkräfte von 112 Schulen. Es wurden Multilevel-Korrelationen und ein Strukturgleichungsmodell mit clusterrobusten Standardfehlern berechnet.
Die Multilevel Korrelationen zeigen, dass transformationale Führung signifikant positiv mit allen vier unterstützenden Faktoren des WSTP Modells und der Technologieintegration zusammenhängt. Auch die vier Faktoren des WSTP Modells korrelieren signifikant positiv mit der Technologieintegration. Das Strukturgleichungsmodell zeigt, dass transformationale Führung keinen signifikanten direkten Einfluss auf die Technologieintegration hat, aber signifikant und positive Effekte auf alle unterstützenden Faktoren des WSTP Modells hat. Die Faktoren „Will“, „Skill“, „Pedagogy“ nicht aber „Tool“, beeinflussten signifikant positiv die Technologieintegration. Dabei konnten 28% der Varianz in der abhängigen Variable durch die anderen Variablen des Modells erklärt werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Lehrpersonen eine Schlüsselrolle bei der Technologieintegration spielen und ein transformationaler Führungsstil von Schulleitenden ein vielversprechender Weg ist, um sie in dieser Hinsicht zu unterstützen.
Beitrag 3: Führungswandel in der Professionalisierung? Teacher Leadership, Vignetten und die Stärkung der pädagogischen Praxis
Abstract:
Standen vor einigen Jahren noch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler und damit verbunden das Handeln von Lehrkräften und Schulleitungen im Fokus der Forschung, so beschäftigt sich die Forschung heute viel stärker mit der Frage der Professionalisierung der verschiedenen Akteure im Bildungssystem. Professionalisierung - verstanden als wissenschaftsbasierte berufliche Entwicklung der verschiedenen Akteure – vollzieht sich in unterschiedlichen Formen, bezieht sich jedoch letztlich immer auf das Lernen in einem pädagogischen Verständnis (Göhlich, Wulf & Zirfas 2007).
In dem vorgestellten Forschungsprojekt (Agostini & Anderegg 2021) werden Vignetten (Schratz, Schwarz & Westfall-Greiter 2012; Bauer & Peterlini 2016), die bisher als phänomenologisch orientiertes Forschungsinstrument eingesetzt wurden, neu als Mittel der Professionalisierung von Pädagoginnen und Pädagogen verwendet. Vignetten nehmen mögliche Lernerfahrungen auf und machen sie sichtbar und damit erfahrbar durch Verdichtung als eine besondere Form der Präzision. Sie erweitern den Blick auf das pädagogische Geschehen und ermöglichen so eine differenzierte Betrachtung des Lernens und des Handelns der Beteiligten.
Vignetten als Instrument zur Professionalisierung von Lehrpersonen zu nutzen bedeutet, dass Lehrpersonen Unterricht beobachten und ihre Miterfahrung der möglichen Lernerfahrungen von Schülerinnen und Schülern in Vignetten sprachlich verdichtet darstellen. Sie betrachten sie mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Perspektiven im Sinne einer Lektüre - einer Interpretation, die ins Offene geht (Gadamer 1967). Vignetten ermöglichen so individuelle und gemeinschaftliche Professionalisierung. Sie können in organisationale Professionalisierungsbemühungen eingebettet werden, unterstützt durch die Schulleitung aber verantwortet durch Teacher Leader, die aus ihrer Profession heraus Einfluss nehmen auf die kollektive Weiterentwicklung der pädagogischen Praxis (York-Barr & Duke 2002; Strauss & Anderegg 2020).
Diesem Ansatz folgend wurden in diesem Forschungsprojekt Lehr- und Fachpersonen geschult in der Nutzung von Vignetten – für die eigene Weiterentwicklung und die Lancierung von Professionalisierung im Team. In drei Gruppendiskussionen vor den Schulungen wurden die Teacher Leader zu ihren Erfahrungen mit den Vignetten und den Strategien und Entwicklungen im Team befragt. Erkenntnisse aus den Analysen der Gespräche und der Vignetten als Produkte der individuellen Entwicklung werden präsentiert und in Bezug zu den Möglichkeiten gemeinschaftlicher Professionalisierung zur Diskussion gestellt.
Beitrag 4: Distribuer le leadership à l'école, fiction ou réalité ? Premiers résultats d'une enquête visant à cartographier l’influence de tous les professionnels au sein des établissements scolaires
Abstract :
Depuis plus d’une décennie en Suisse romande et alémanique, des travaux de recherche sont publiés sur le travail des directions en éducation. Mais ils portent essentiellement sur le leadership exercé par les détentrices et détenteurs d’une autorité formelle, celle des directrices et directeurs d’école. C’est la raison pour laquelle nous nous intéressons à l’ensemble des professionnels de l’enseignement travaillant quotidiennement dans une école (directrices et directeurs, doyennes et doyens, enseignantes et enseignants) détentrices ou détenteurs ou non d’une autorité formelle mais susceptibles d’orienter réellement l’activité commune. En effet, il existe des signes clairs que d'autres actrices et acteurs que la direction d'école peuvent jouer un rôle significatif dans la gestion et l'organisation des écoles (Strauss & Anderegg, 2020).
A travers cette recherche soutenue par le Fonds national suisse de la recherche scientifique, nous souhaitons répondre aux questions de recherche suivantes : qui exerce de l’influence au sein des écoles ? Sur qui et/ou sur quoi exercent-elles/ils cette influence ? Quelles sont les ressources mobilisées pour le faire ? Quels rapports entretiennent les professionnels à l’influence qu’elles/ils exercent ou qui est exercé sur elles/eux ? Quels sont les principaux enjeux de pouvoir existant ? Quelles sont les convergences et les divergences entre établissements mais aussi entre cantons où ils se situent ?
Afin de répondre à ces questions, des données sont récoltées dans douze établissements primaires et secondaires dans le Canton de Vaud et dans le canton d’Argovie, au moyen d’observations, d’entretiens et d’analyses de documents. Au total, nous réalisons quarante-huit semaines d’observations et une centaine d’entretiens. Notre démarche d’enquête s’inspire des fondements de la Grounded Theory selon laquelle la recherche peut être considérée comme un processus où le travail théorique et le travail empirique sont étroitement imbriqués, dans un va-et-vient constant (Glaser & Strauss, 1967).
La communication portera sur les résultats de la phase exploratoire et de la phase principale de notre enquête. Ils seront structurés en fonction de nos principales questions de recherche. Nous identifierons notamment les actrices et acteurs et/ou groupes d’actrices et acteurs exerçant de l’influence ainsi que les points de convergence et de divergence à ce sujet en fonction des régions concernées (romande et alémanique). Au-delà des différences observées entre chaque établissement, nous formulerons des hypothèses sur les facteurs favorisant le développement d’une communauté d’apprentissage professionnelle (Bonsen & Von der Gathen, 2006 ; Hargreaves, 2008 ; Spillane, Shirrell & Hopkins, 2016) au sein des écoles. Plus généralement, les résultats pourront être réinvestis dans la formation afin de soutenir tous les professionnels contribuant quotidiennement au fonctionnement de leur école.