Keynotes

  • Prof. Dr. Franziska Felder, Professur Inklusion und Diversität am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich.
  • Prof. Dr. Andreas Zick, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld
  • Prof. Dr. Dora Lisa Pfahl, Professur Disability Studies & Inklusive Bildung der Universität Innsbruck
  • Prof. Dr. Andreas Köpfer, Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusionsforschung, Pädagogische Hochschule Freiburg

Prof. Dr. Franziska Felder

Fotoaufnahme Franziska Felder

Inklusion und demokratische Partizipation – Reflexionen aus der politischen Philosophie

Die bildungs- und erziehungswissenschaftliche Inklusionsdebatte mit ihrem starken Fokus auf schulische Kontexte tendiert (zumindest meiner Ansicht nach) dazu, den normativen Gehalt von Inklusion für ausserschulische, gesellschaftliche Teilhabe und insbesondere für demokratische Partizipation zu vernachlässigen. Dieser weiteren normativen Bedeutung möchte ich mich in meinem Beitrag widmen. Dabei möchte ich zeigen, dass und vor allem wie Ideen aus der politischen Philosophie genutzt werden können, um zentrale normative Leerstellen im Inklusionsdiskurs zu identifizieren und zu füllen. Im Besonderen im Blick habe ich die Theorien von Iris Marion Young und Kevin Olson zum Verhältnis zwischen Demokratie und Inklusion respektive zur Gestalt reflexiver, partizipativer Demokratie. Mit der Fokussierung auf diese normativen Theorien aus der politischen Philosophie verfolge ich zwei Ziele. Zum einen geht es mir darum, einen kritischen Blick auf die Debatte um Inklusion in der inklusiven Pädagogik zu werfen. Diese ist meiner Ansicht nach in zentralen Aspekten verengt. Der von mir gewählte Fokus wird angestossen durch die Art und Weise, wie der Gegenstand der Inklusion in politphilosophischen Theorien diskutiert wird, welche Fragen darin aufgeworfen werden und welche normative Bedeutung Inklusion darin zugewiesen wird – und in der kritischen Wendung wie eben gerade nicht im Kontext der inklusiven Pädagogik. Zum anderen geht es mir aber auch darum, konstruktiv Wege aufzuzeigen, wie sich die inklusive Pädagogik neu positionieren könnte, um den Argumenten, die eigentlich aus der normativen Forderung nach Inklusion entstehen würden, mehr Gewicht zu verleihen. Wie das geschehen könnte, dazu liefern die Theorien Iris Marion Youngs (v.a. 1990, 2002 und 2011) und Kevin Olsons (v.a. 2006) interessante Impulse.

Literatur

  • Olson, K. (2006). Reflexive Democracy – Political Equality and the Welfare State. Cambridge : MIT Press.
  • Young, I. M. (1990). Justice and the Politics of Difference. Princeton: Princeton University Press.
  • Young, I. M. (2002). Inclusion and Democracy. Oxford : Oxford University Press.
  • Young, I. M. (2011). Responsibility for Justice. Oxford: Oxford University Press.

Zur Person

Franziska Felder ist seit August 2022 Inhaberin des Lehrstuhls für Inklusion und Diversität am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Von 2020 bis Mitte 2022 war sie Professorin für Inklusive Bildung und Behinderungsforschung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. In ihrer Forschung interessiert sie sich für die normative Geltung unterschiedlicher Werte (u.a. Inklusion, Gerechtigkeit, Gleichheit, Anerkennung) und ihre Bedeutung für und die Anwendung in der inklusiven Pädagogik sowie für die theoretische Fundierung inklusionspädagogischen Wissens. Ihre jüngsten Publikationen widmen sich unter anderem der normativen Bedeutung inklusiver Bildung (Die Ethik inklusiver Bildung: Anmerkungen zu einem zentralen bildungswissenschaftlichen Begriff, Metzler 2022, auf Englisch bei Routledge unter dem Titel The Ethics of Inclusive Education – Presenting a New Theoretical Framework) sowie der Theorie und politischen Auslegung der UNBRK (Disability Law and Human Rights: Theory and Policy, zusammen mit Laura Davy und Rosemary Kayess, erschienen 2022 bei Palgrave).


Prof. Dr. Andreas Zick

Ausgrenzende Mitte – inklusive Demokratie: Eine sozialpsychologische Sicht auf Polarisierungen in Krisenzeiten

Viele Gesellschaften, in denen wir leben, sind in tiefe Krisen geraten. Der Coronapandemie und ihre Folgen, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel, die Inflation und viele andere Herausforderungen erzeugen sie. Krisen sind Momente und Zeiten, in denen die Zukunft ungewiss ist oder erscheint. Entscheidungen scheinen notwendig, aber sie scheinen auch nicht sicher. Zentral für Krisen ist, in welchem Maße Rituale nicht mehr greifen, Routinen abhandenkommen, Regeln und Normen nicht mehr einfach aufgerufen werden können oder gar nicht mehr greifen. Krisen sind – gesellschaftlich wie psychologisch betrachtet - Belastungen, für die keine einfachen Lösungen zu finden sind, bei denen es aber schnell gehen muss. Wenn Stabilitäten und Normalitäten sich auflösen, gibt es neue Inklusionschancen wie aber auch Gelegenheiten für neuen Populismus und Extremismus, der inklusive Orientierungen angreift. Seit mehr als 20 Jahren untersuchen wir vor allem in repräsentativen Studien für Deutschland menschenfeindliche, rechtspopulistische und rechtsextreme Überzeugungen in der Mitte der Gesellschaft. Die Studien zeigen, dass gerade jene Gruppen auf die sich inklusive Bemühungen der Demokratie richten, um die Demokratie stabiler zu machen, angegriffen werden. Ein neuer autoritärer, neurechter und vermeintlich rebellischer Extremismus in der Mitte versucht, radikale und ultrakonservative Normalitätsvorstellungen zu besetzen. Zugleich bewegt sich ein weiterer Teil der Mitte in einer Grauzone unklarer Einstellungen, wenn es um Höher- oder Minderwertigkeitszuschreibungen gegenüber Gruppen geht. Es ist also eine gute Zeit, die Inklusionsforschung und -praxis deutlicher in den Vordergrund auch der Debatten um die Frage nach der Zukunft demokratischer Gesellschaften zu stellen. Inklusionsforscher:innen wissen um das, was notwendig ist, um Gesellschaften in ihren Pfeilern zu stützen. Sie können beitragen zur Frage, welche Leitbilder in Krisenzeiten besonders relevant sein sollten. Ein paar Gedanken dazu, welche Leitbilder es sein können, sollen zur Diskussion gestellt werden, auch wenn der Vortragende kein Inklusionsforscher ist.

Zur Person

Andreas Zick ist seit 2013 Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. Das IKG, welches Zick leitet, ist eine drittmittelfinanzierte zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität mit Schwerpunkten zu den Themen Migration & Inklusion, Radikalisierung & Extremismus, Protest & kollektives Handeln sowie Ausgrenzung & Diskriminierung. Zu den Themen leitet Andreas Zick eine Reihe von Forschungsprojekten (www.uni-bielefeld.de/ikg). Andreas Zick seit 2008 Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Er ist Gründungsmitglied des Deutschen Zentrum für Migration und Integration (DeZIM), war bis 2022 Sprecher des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) am Standort Bielefeld, hat mit Prof. Silke Schwandt (Geschichte) und Prof. Dr. Herbert Dawid (Wirtschaftswissenschaften) in 2022 das Center for Uncertainty Research (CeUS) gegründet und gründet derzeit eine Konfliktakademie. Seit der Promotion an der Philipps-Universität Marburg zum Thema „Vorurteile und Rassismus“ im Jahr 1996 und der Habilitation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zur Akkulturationsforschung im Jahr 2009 beschäftigt er sich mit Vorurteilen, Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung von Minoritäten. Seit 2004 ist er an der Langzeitstudie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit beteiligt, und seit 2014 ist er für die sog. Mitte-Studien verantwortlich. Sie ermöglichen eine nunmehr 21jährige Beobachtung der Herabwürdigungen sowie anti-demokratischen Einstellungen in Deutschland (zuletzt Zick & Küpper, Geforderte Mitte, erschienen 2020 bei Dietz). 2006 hat Andreas Zick den Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) und des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft erhalten, 2022 hat er den Nevitt Sanford Life-Time Award der International Society for Political Psychology erhalten.


Prof. Dr. Dora Lisa Pfahl

Fotoaufnahme Prof. Dr. Dora Lisa Pfahl

Wie Demokratie durch partizipative Praktiken Inklusion verwirklichen hilft

Die Tagung verfolgt den Anspruch, den Stand und die Zukunftsaussicht von Inklusion in Gegenwartsgesellschaften zu verorten, aber gleichzeitig auch die Rolle und die Rückwirkung von Inklusion auf diese Gesellschaften zu verstehen. Im Beitrag wird die These vertreten, dass ein Bedarf danach besteht, die konkrete demokratische Ausgestaltung pädagogischer Beziehungen und Organisationen konzeptuell und praktisch zu bestimmen.

Eine Bestandsaufnahme der jüngeren Geschichte demokratischer und inklusiver Diskurse und Institutionen erlaubt es, die realisierten, latenten und unterdrückten Verweisungszusammenhänge von Demokratie und Inklusion ins Licht zu rücken. Insbesondere der Zusammenhang von Demokratie und Bildung zeichnet sich durch Diskurskonjunkturen und immer wieder abbrechende Initiativen und Suchbewegungen aus, die sich aus dem wechselhaften Prestige radikaler Demokratiekonzepte erklären lassen.

Anschließend soll ein Erklärungsversuch für das gegenwärtige Stagnieren der Umsetzung von Inklusion gewagt werden: Eine mangelhafte Verbindung demokratischer und demokratiepädagogischer Konzepte und Praktiken mit der Inklusion. Partizipation als kooperatives und zugleich konflikthaftes Prinzip wird dabei als Bindeglied zwischen Demokratie und Inklusion bestimmt: Partizipation heisst, Zugang zu Drittenpositionen erhalten oder zu erzwingen mit dem Ziel, diesen Zugang für alle zu sichern. Dabei soll auch deutlich werden, dass und wie die Disability Studies und inklusive Pädagogik zur Subjektivierung demokratischer Akteure beitragen kann und damit ihren gesellschaftlichen Auftrag erweitert. Aus diesem erweiterten Verständnis können Impulse für das pädagogische Kerngeschäft der inklusiven Bildung und Inklusionsforschung erwartet werden. Im Ausblick werden aus dieser Diagnose aktuelle Aufgaben und Entwicklungspotentiale der Inklusionsforschung abgeleitet. Dabei werden beispielhaft Initiativen und Organisationen benannt, die sich den Themenfeldern Demokratie und Partizipation bereits widmen.

Zur Person

Dr. Lisa Pfahl hat an der Freien Universität Berlin Soziologie, Philosophie und Politik studiert und am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zu den „Techniken der Behinderung“ (2011, transcript) promoviert. Sie fragt nach den Ursachen und Auswirkungen von Exklusion und Segregation und erforscht die gesellschaftliche Emanzipation behinderter Menschen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der wissenssoziologischen Ungleichheitsforschung, den Disability Studies und Gender Studies, Prozesse von Bildung und Subjektivierung. Seit 2015 ist sie Professorin an der Fakultät für Bildungswissenschaft der Universität Innsbruck.

Lisa Pfahl leitet die digitale Bibliothek bidok (behinderung – inklusion – dokumentation)  https://bidok.library.uibk.ac.at/ und organisiert die AG „Subjektivierungsforschung“ der DGS. Seit 2021 ist Mitherausgeberin Zeitschrift für Disability Studies https://zds-online.org/.

Aktuelle Publikationen

  • (2020) Multiperspektivische Optimierung. Umriss eines eigenständigen Optimierungskonzepts in den Bildungswissenschaften und der Sozialen Arbeit. In: Zeitschrift für Pädagogik 66(1), S. 36-47. (gemeinsam mit B. Traue)
  • (2020) A Global Monitoring Practice in the Making: Disability Measurement for United Nations Sustainable Development Goal 4 on Inclusive Education. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3/2020, S. 192–213. (gemeinsam mit J. Biermann) https://journals.univie.ac.at/index.php/oezg/article/view/5592
  • (2022) (Hrsg.) Following the Subject. Grundlagen und Zugänge empirischer Subjektivierungsforschung. VS Springer. (gemeinsam mit S. Bosančić, F. Broderson, L. Schürmann, T. Spies, B. Traue) https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-31497-2

Prof. Dr. Andreas Köpfer

Fotoaufnahme Andreas Köpfer

Zwischen Transformation und Delegation – international vergleichende Perspektiven auf schulische Inklusion(sforschung)

Vor dem Hintergrund des programmatischen Reformprozesses Inklusion zeigen sich im internationalen Kontext unterschiedliche Umsetzungsformen in Schule und Unterricht. Diese können zurückgeführt werden auf die je unterschiedlichen, kulturell eingebetteten, sozialen, politischen und schulischen Rahmenbedingungen.

In diesem Vortrag werden entlang von empirischen Beispielen, u.a. Interviewdaten zur Einführung und Praxis paraprofessioneller Rollen in unterschiedlichen europäischen Ländern (Fritzsche & Köpfer 2021), grundlegende Ambivalenzen bezogen auf die schulisch-unterrichtlichen Umsetzungsformen von Inklusion herausgearbeitet. Mittels einer Systematisierung von Inklusionsverständnissen im internationalen Fachdiskurs wird eine Einordnung der paraprofessionellen Praktiken vorgenommen zwischen einerseits transformatorischen, schulkulturellen und demokratischen Entwicklungen schulischer Inklusion und, auf der anderen Seite, ‚kosmetischen‘ Modifikationen unterrichtlicher Praxis zur individuumsbezogenen Integration, Platzierung und Delegation defizitär gerahmter Kinder. Grundlegendes Ziel ist es, herauszuarbeiten, welche (impliziten) Inklusionsbedingungen fortlaufend an die Schüler:innen vermittelt werden (Weisser 2017).

Abschließend werden hieraus Überlegungen abgeleitet, wie Inklusion international vergleichend erforscht werden kann (Köpfer, Powell & Zahnd 2021) und welche methodologischen Spannungsfelder hier zutage treten – mit spezifischem Blick auf den Umgang mit Kategorien und die Eingebundenheit der Forschenden in die Herstellung von Differenzen (Hummrich 2017).

Literatur

  • Fritzsche, B. & Köpfer, A. (2021). (Para-)professionalism in dealing with structures of uncertainty – A cultural comparative reconstruction of interviews with Teaching Assistants in inclusion-oriented classrooms. Disability & Society, 37(1), 1–21.
  • Hummrich, M. (2017). Rekonstruktive Inklusionsforschung als (rekonstruktive) Bildungsforschung im Anspruch einer reflexiven Wissenschaft. In J. Budde, A.Dlugosch & T. Sturm (Hrsg.), (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung (S. 165-180). Opladen: Verlag Barbara Budrich.
  • Köpfer, A.; Powell, J. J.W. & Zahnd, R. (2021): Entwicklungslinien internationaler und komparativer Inklusionsforschung. In dies. (Hrsg.), Handbuch Inklusion international. International Handbook of Inclusive Education (S. 11-41). Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, open access: shop.budrich-academic.de/wp-content/uploads/2021/01/9783847415770.pdf
  • Weisser, J. (2017). Konfliktfelder schulischer Inklusion und Exklusion im 20. Jahrhundert. Weinheim: Beltz Verlag.

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Köpfer ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusionsforschung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Allgemeine Erziehungswissenschaft. Er beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit Fragen von Inklusiver Bildung im internationalen Vergleich, Behinderungen/Benachteiligungen in Bildungsorganisationen, sozial- und raumtheoretischen Analysen zu Ein- und Ausschluss sowie Critical Autism Studies. In seinen empirischen Forschungsprojekten wendet er rekonstruktive sowie partizipative Forschungszugänge an.