Hintergrund und Zielstellung
Zwei Projekte – eine gemeinsame Vision
Mit der zunehmend voranschreitenden Digitalisierung von Arbeitsabläufen und ‑prozessen sowie der Nutzung digitaler Medien zu Kommunikations-, Dokumentations- und Weiterbildungszwecken verändern sich auch die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten Qualifikationsprofile („Arbeit 4.0“) (Dengler/Matthes 2015; Dengler/Matthes 2018). Aus diesem Grund bedarf es innovativer Konzepte, um die Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung auch im digitalisierten Arbeitskontext weiterhin zu gewährleisten. Im Bereich der beruflichen Rehabilitation müssen deshalb verstärkt technische neue Medien und moderne Lernformate in die Bildungslandschaft integriert werden. Allerdings verfügt noch nicht jede Einrichtung beruflicher Rehabilitation über die Ressourcen oder eine Strategie im Umgang mit diesen modernen Werkzeugen, wie Smartphones, Tablets, interaktive Whiteboards oder E-Learning-Tools. Gleichzeitig bedarf es auch einer Stärkung der Medienkompetenz des Bildungspersonals, um die notwendigen Kompetenzen an die Zielgruppe vermitteln zu können.
Aus diesem Grund muss die Medienkompetenzentwicklung nicht nur auf Seiten des Teilnehmenden, sondern auch auf Seiten des Bildungspersonals sowie auf organisationaler Ebene stattfinden. Im nachfolgenden Kurzbeitrag werden zwei Gestaltungsprojekte skizziert, die sich gleichermaßen dem Thema Medienkompetenzen im Bereich der beruflichen Rehabilitation widmen, dabei jedoch an zwei verschiedenen Stellen ansetzen.
Das Projekt DIGI-ComLAB setzt auf der Seite der Teilnehmenden an. Im Fokus stehen vor allem Menschen mit Lern- und seelischen Behinderungen, deren Sicherung der Arbeitstätigkeit im Zuge der Digitalisierung gefährdet ist (Engels 2016). Das Ziel des Projektes ist somit die Steigerung der Fach-, Medien- und Anwendungskompetenz von jungen Menschen mit Behinderung im Bereich „Arbeit 4.0“, um sie auf die veränderten Anforderungen der digitalisierten Arbeitswelt vorzubereiten.
Das Projekt meko@reha fokussiert den Aufbau von Medien- und medienpädagogischen Kompetenzen der in der Qualifizierungs- und Betreuungsarbeit Tätigen und unterstützt die Bereitstellung entsprechender förderlicher Rahmenbedingungen auf organisationaler Ebene. Hierzu wurde ein Rahmenkonzept zur Implementierung einer digitalen Lernkultur und der Stärkung rehabilitationsspezifischer (medien-)pädagogischer Kompetenz konzipiert und bei vier Leistungserbringern beruflicher Rehabilitation umgesetzt.
Methoden
DIGI-ComLAB und meko@reha in der Umsetzung
Im Projekt DIGI-ComLAB wurden mit Hilfe eines iterativen Entwicklungsprozesses digitale und analoge Lerneinheiten für Menschen mit Behinderung entwickelt und erprobt. Ein überfachlicher und drei fachliche Themenbereiche (Lagerwirtschaft/Transport, Fertigung/Montage im Metall- und Kunststoffbereich sowie Kaufmännischer Bereich/Verkauf) vermitteln Kompetenzen, die im Zuge der Digitalisierung für die Zielgruppe notwendig werden, um sie langfristig in den digitalisierten Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei fokussierte das Projekt einen ganzheitlichen Handlungsansatz mit dem Schwerpunkt auf Qualifizierung. Der Handlungsansatz umfasste sowohl die Entwicklung digitaler methodisch/didaktisch innovativer Lerneinheiten, die Erstellung eines zielgruppengerechten Lernsettings durch eine konstante Prozessbegleitung und Betreuung der Teilnehmenden sowie die Einbindung und Information verschiedener Akteure, um im Ergebnis ein in die Zukunft transferables Angebot bereitzustellen. Eine formative Evaluation lieferte Erkenntnisse aus der Erprobung, die direkt in die Weiterentwicklung der Lerneinheiten einfließen konnten.
Innerhalb des Projekts meko@reha werden neben strukturellen Rahmenbedingungen der Bildungseinrichtungen auch die individuellen Voraussetzungen und Bedarfe der Beschäftigten im Bezug auf ihre Klienten (Menschen mit verschiedenen Behinderungen) berücksichtigt. Basierend auf einer umfassenden Ausgangsanalyse, welche die oben genannten Aspekte umfasst, entstehen Qualifizierungsmaßnahmen und -einheiten, die den gezielten Medienkompetenzaufbau von Mitarbeitenden verfolgen. Zur nachhaltigen Verankerung dieser Personalentwicklungsmaßnahme und zur Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen wird das gesamte Projekt durch einen partizipativ angelegten Organisationsentwicklungsprozess flankiert.
Ergebnisse
Praxisrelevante Produkte für die Zukunft
Beide Projekte liefern Ergebnisse, die das System der beruflichen Rehabilitation positiv beeinflussen und in Zukunft weiterhin genutzt werden können.
Menschen mit Lern- oder seelischen Behinderungen können zukünftig von den niederschwellig angelegten, digitalen und analogen Lerneinheiten aus dem Projekt DIGI-ComLAB profitieren. Durch das Projekt wurden neuartige, pädagogische und didaktische Zugänge zur Zielgruppe eröffnet und didaktisch/methodisch innovative Wege des Lernens beschritten.
Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation erhalten durch den im Projekt meko@reha entstandenen Leitfaden eine Orientierungshilfe zur Implementierung einer digitalen Lernkultur. Gleichzeitig dient der Meko-OrgaCheck den Einrichtungen zur Überprüfung, inwieweit sie für die Digitalisierung gerüstet sind.
Diskussion und Fazit
Fazit
Zum Zeitpunkt des Reha-Kolloquiums sind beide Projekte nahezu abgeschlossen. Dadurch ist es möglich gute Praxisansätze beider Projekte gebündelt darzustellen und auf konkrete Handlungsfelder im Bereich Qualifizierung und Organisationsentwicklung sowie auf Anforderungen und Handlungsbedarfe im Bereich digitales Lernen für Menschen mit geistiger und seelischer Beeinträchtigung hinzuweisen.
Mit Hilfe der zusammenhängenden Betrachtung beider Projekte wird das Thema Digitales Lernen in der beruflichen Rehabilitation ganzheitlich unter Berücksichtigung verschiedener Ebenen und Zielgruppen beleuchtet und konkrete Handlungsansätze auf dem Weg ins digitale Zeitalter benannt. Durch die Verknüpfung verschiedener Zielgruppen und Handlungsebenen kann das nachhaltige digitale Lernen in der beruflichen Rehabilitation gefördert und punktuellen Maßnahmen, die langfristige Effekte vermissen lassen, entgegengewirkt werden.
Literatur
Engels, Dietrich (2016). Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeitswelt für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. In Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (Hrsg.) Forschungsbericht 467.
Dengler, K., & Matthes, B. (2018). Substituierbarkeitspotenziale von Berufen. Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt. IAB-Kurzbericht 4/2018.
Dengler, K., & Matthes, B. (2015). Folgen der Digitalisierung der Arbeitswelt. Nürnberg: IAB-Forschungsbericht.
Hintergrund und Zielstellung
Personen, die auf Grund einer gesundheitlichen Einschränkung nicht mehr ihren ursprünglichen Beruf ausüben können, haben die Möglichkeit, sich im Rahmen einer zweijährigen Umschulungsmaßnahme in einem Berufsförderungswerk (BFW) für den Arbeitsmarkt neu auszurichten. Tatsächlich stellt eine berufliche Umorientierung für die Betroffenen eine maßgebliche Zäsur in der Erwerbsbiografie und autobiografischen Lebensgeschichte dar (Habermas & Bluck, 2000). Für eine systematische Biografiearbeit mit Teilnehmern der beruflichen Rehabilitation stehen den entsprechenden Anwendern jedoch aktuell keine standardisierten Instrumente zur Verfügung.
Mit dem erwerbsbiografischen (Interview-)Leitfaden wurde von Knispel (2019) nun ein solches Verfahren auf Basis von fünf Studien speziell für die berufliche Rehabilitation (Reha-EBL) entwickelt. Dieser Leitfaden dient der Unterstützung von Teilnehmer und Anwender bzgl. einer systematischen Verarbeitung und Bewältigung bzw. Aufarbeitung beruflicher Vergangenheit. Als konkretes Ergebnis können individuelle Ressourcen und Potenziale zugunsten eines Rehabilitations- und Reintegrationsprozesses identifiziert werden.
Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, den Reha-EBL als Gesprächsleitfaden für die Biografiearbeit mit psychisch erkrankten Teilnehmern einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme zu erproben und zu evaluieren.
Methoden
Vorab werden im Reha-EBL konkrete Zielsetzungen für das Gespräch mit dem Teilnehmer vereinbart (z.B. Unterstützung des Bewältigungsprozesses, Identifikation von vorhandenen Ressourcen, Identifikation von Förderbedarfen, Zugang zur Selbstbewertung). Diese Zielsetzungen richten sich nach dem Bedarf des Befragten. Der Reha-EBL umfasst verschiedene erwerbsbiografische Themenbereiche (schulischer Werdegang, möglicherweise abgebrochene Ausbildungen, Ausbildungszeit, Etappen und Erleben der bisherigen Berufstätigkeit, berufliche Erfahrungen, Krankheitsgeschichte und die Beziehung von Ursprungs- und Umschulungsberuf). Mit Gesprächsabschluss werden Ergebnisse und Ziele im Reha-EBL in Abstimmung mit dem Teilnehmer erarbeitet. Im Rahmen der Studie waren die Teilnehmer nach Abarbeitung des Reha-EBL angehalten, einen Evaluationsbogen bzgl. Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Interviews, Passgenauigkeit zur eigenen Situation, wahrgenommener Nutzen etc. Alle Gespräche wurden schriftlich im Leitfaden dokumentiert (Mischform geschlossenes und offenes Format).
Insgesamt waren 29 Teilnehmer aus dem im Berufsförderungswerk Koblenz bereit ein Gespräch über ihre Erwerbsbiografie mit einer Psychologin zu führen (18 Männer, 11 Frauen; Alter: AM = 34,17 Jahre, SD = 7,91 Jahre, Spanne: 23-51 Jahre). 16 Teilnehmer besuchten aktuell einen Rehavorbereitungslehrgang für psychisch erkrankte Teilnehmer, zwölf Personen waren in einer Umschulungsmaßnahme, eine Person durchlief derzeit ein erweitertes Assessment für psychisch Erkrankte.
Ergebnisse
Im Schnitt dauerten die erwerbsbiografischen Gespräche eine Stunde und 24 Minuten (SD = 11,06 Minuten).
Die Auswertung der Gespräche ergaben, dass die Biografiearbeit mit Hilfe des Reha-EBL adäquat möglich war. Die schriftliche Dokumentation im Leitfaden zeigte, dass die Themengebiete und -schwerpunkte einen transparenten Einblick in die bisherige Erwerbsbiografie der Teilnehmer vor Inanspruchnahme der beruflichen Rehabilitation ermöglichte.
Die Evaluation durch die Teilnehmer bestätigte den positiven Eindruck (vgl. Tabelle 1 für die deskriptiven Statistiken): den Teilnehmern war der Nutzen des Gesprächs klar. Sie waren der Auffassung, dass das Gespräch alle relevanten Informationen zum beruflichen Werdegang berücksichtigte. Das Interview unterstützte die Teilnehmer (eher) bei der Aufarbeitung ihrer beruflichen Vergangenheit und half (eher) dabei, berufliche Ressourcen und Schwachstellen bzw. persönliche Hindernisse zu identifizieren. Die positiven Reaktionen spiegelten sich auch in der Gesamtbeurteilung wider: das mit Reha-EBL strukturierte Gespräch erhielt im Mittel eine (sehr) gute Schulnote.
- Tabelle 1 -
Diskussion und Fazit
Die Erprobung des Reha-EBL anhand einer Stichprobe psychisch erkrankter Teilnehmer einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme war erfolgreich. Hierfür spricht, dass der Reha-EBL auf geeignete Weise in der Lage ist, die verschiedenen erwerbsbiografischen Verläufe und Erfahrungen der Teilnehmer abzubilden. Die Evaluation durch die Befragten fällt positiv aus, der Reha-EBL stößt auf eine hohe Akzeptanz und wird als inhaltlich relevant empfunden.
Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse wird die Empfehlung ausgesprochen, dass Anwender den Reha-EBL als Instrument zur systematischen Biografiearbeit mit dem Teilnehmer einsetzen sollen. Der Reha-EBL zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch ein hohes Maß an Konkretheit aus (z.B. Anstoß von Selbstreflexionsprozessen, Identifikation von rehabilitationsrelevanten Ressourcen).
Im Sinne eines Ausblicks gilt die Frage zu klären, inwieweit die reha-begleitende Biografiearbeit mit Hilfe des Reha-EBLs über die Umschulung hinaus den Rehabilitations- und Reintegrationserfolg tatsächlich positiv beeinflussen kann.
Literatur
Habermas, T., Bluck, S. (2000): Getting a life: The emergence of the life story in adolescence. Psychological Bulletin, 126(5). 748–769.
Knispel, J. (2019): Die Vergangenheit im Kopf, die Zukunft im Blick – Die Relevanz der Erwerbsbiografie für die berufliche Rehabilitation (Dissertationsschrift, RWTH Aachen). doi: 10.18154/RWTH-2019-10080.
Hintergrund und Zielstellung
Hintergrund
Verschiedene Ansätze der beruflichen Rehabilitation psychisch kranker Menschen lassen sich anhand des Zeitpunkts der betrieblichen Integration (früh oder spät) charakterisieren. Während sie bei „klassischen“ Ansätzen am Ende des Rehabilitationsprozesses nach Training oder Umschulung steht, folgen bei Ansätzen des „supported employments“ dem Arbeitsplatz angepasste rehabilitative Maßnahmen erst nach der Betriebsintegration (Bond e.a. 1997, Burns e.a 2007). Das hier untersuchte Integrationsseminar, das Elemente beider Ansätze integriert und stark betrieblich orientiert ist, wurde erstmals 2013 auf der Basis der Daten bis 2009 vorgestellt. In diesem Beitrag wird die weitere Entwicklung von TeilnehmerInnenstruktur und Rehabilitationserfolg bis 2018 dargestellt.
Konzept
Das Seminar dauert ein Jahr und besteht aus zwei zeitlich flexiblen Modulen. Modul 1 dauert bis zu vier Monate und dient der Bestandsaufnahme, der Entwicklung einer Berufsperspektive und der Planung des individuellen Seminarverlaufs. Modul 2 dauert bis zu acht Monate und findet vor allem in Form betrieblicher Praktika statt. Während des gesamten Seminars finden wöchentliche Einzelgespräche mit einem/r BetreuerIn statt. Er/Sie entwickelt mit dem/der TeilnehmerIn eine Berufsperspektive und begleitet deren Umsetzung. Dabei kommen der Akquise betrieblicher Praktikumsmöglichkeiten und der kontinuierlichen Praktikumsbetreuung eine besondere Bedeutung zu. Eine wichtige Basis der betrieblichen Rehabilitationsphase bildet eine Praktikumsdatenbank mit aktuell 580 kommentierten Stellen in 139 Berufen, die auf der Basis der Praktikumserfahrungen ständig aktualisiert wird.
Methoden
Zur Auswertung wurden die Abschlussjahrgänge in Fünf-Jahres-Zeiträume aufgeteilt. Untersucht wurden die Entwicklung von TeilnehmerInnenstruktur und Rehabilitationserfolg (1994-2018, N=1.067). Eingeschlossen wurden alle TeilnehmerInnen, die den Lehrgang bis 2018 abgeschlossen haben mit Ausnahme von neun TeilnehmernInnen, die den Lehrgang alleine aus verwaltungsrechtlichen Gründen nicht abschließen konnten. Der Rehabilitationserfolg wurde am Maßnahmeende sowie sechs und zwölf Monate nach Maßnahmeende erhoben. Veränderungen von TeilnehmerInnenstruktur und Rehabilitationserfolg wurden je nach Datenniveau mit Kreuztabellen bzw. Varianzanalysen untersucht. Stabilität und Prädiktoren des Rehabilitationserfolgs wurden mit Korrelations- und logistischen Regressionsanalysen ermittelt.
Ergebnisse
TeilnehmerInnenstruktur. Das Durchschnittsalter lag insgesamt bei 38,2 Jahren und ist von 33 im ersten auf 41 Jahre im letzten Erhebungszeitraum angestiegen. Der Anteil der Frauen lag insgesamt bei 52,9% und hat sich im letzten Untersuchungszeitraum auf 60,4% erhöht. 94% aller TeilnehmerInnen verfügten über Schulabschlüsse, wobei der Anteil mit höheren Abschlüssen seit 2009 kontinuierlich zugenommen hat. 73,4% hatten einen Berufsabschluss, wobei seit 2009 der Anteil von TeilnehmernInnen ohne Berufsabschluss zurückgegangen und derer mit Hochschulabschluss angestiegen ist. Seit 2009 hat sich der Anteil von TeilnehmernInnen mit schwereren affektiven Erkrankungen deutlich erhöht und lag im letzten Untersuchungszeitraum bei 69,3%. Angestiegen ist auch der Anteil der nur eingeschränkt belastbaren TeilnehmernInnen, im letzten Untersuchungszeitraum lag er bei 43%. Insgesamt 66,6% waren langzeitarbeitslos, seit 2009 ist ihr Anteil zurückgegangen und lag im letzten Untersuchungszeitraum bei 58,9%.
Rehabilitationserfolg. Der Anteil erfolgreicher TeilnehmerInnen hat sich seit 2009 nicht wesentlich verändert und lag bei insgesamt 54% (65% ohne AbbrecherInnen). Bei der Nachbefragung 1 waren 60% (68,2% ohne AbrecherInnen) in Arbeit oder Ausbildung. In der Nachbefragung 2 waren es 63,8% (70,3% ohne AbbrecherInnen). Der Rehabilitationserfolg hat sich darüber hinaus als stabil erwiesen (rs=0,56–0,78).
Erfolgsprädiktoren. Prädiktoren des Rehabilitationserfolgs am Maßnahmeende waren Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit, Schulabschluss, Belastbarkeit und Teilnahmedauer. Für den Rehabilitationserfolg nach sechs Monaten waren Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit, Schulabschluss und Belastbarkeit signifikante Prädiktoren. Für den Rehabilitationserfolg nach 12 Monaten waren Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit, Schwerbehinderung, Belastbarkeit und Teilnahmedauer signifikante Prädiktoren.
Diskussion und Fazit
Trotz deutlich veränderter TeilnehmerInnenstruktur (ältere TeilnehmerInnen, vermehrt schwere depressive Erkrankungen, eingeschränktere Belastbarkeit) zeigte sich auch in den Daten bis 2018 ein relativ hoher und zeitlich stabiler Rehabilitationserfolg. Neben der positiven Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre und der insgesamt verbesserten Qualifikationsstruktur der TeilnehmerInnen ist für dieses Ergebnis vor allem die flexibel gestaltete und betrieblich orientierte berufliche Rehabilitation im Seminar verantwortlich.
Literatur
Bond GR, Drake RE, Mueser KT, Becker DR. (1997) An update on supported employment for people with severe mental illness. Psychiatric services 1997; 48: 335-346
Burns T, Catty J, Becker T, Drake RE, Fioritti A, Knapp M, Lauber C, Rössler W, Tomov T, v Busschbach J, White S, Wiersma D. (2007) The effectiveness of supported employment for people with severe mental illness: a randomised controlled trial. Lancet; 370: 1146-1152
Eichert HC. (2011) Ambulante berufliche Rehabilitation psychisch erkrankter Menschen. Die Rehabilitation (2011) DOI: 10.1055/s-0031-1273708
Eichert, HC (2013) Ambulante berufliche Rehabilitation psychisch kranker Menschen: Konzept, Teilnehmerstruktur und Rehabilitationserfolg eines beruflichen Integrationsseminars, in DRV-Bund (Hrsg.) 22. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium: Teilhabe 2.0 Reha neu denken? (Tagungsband) Berlin: DRV-Bund: 284–286
Hintergrund und Zielstellung
Hintergrund
Für die Verarbeitung beruflicher Anforderungen sind berufsrelevante Ressourcen von großer Bedeutung. Wo diese fehlen bzw. nicht wahrgenommen werden, kommt es zu Überforderungssituationen, die auch zum Verlust eines Arbeitsplatzes führen können. Für Menschen mit Schwerbehinderung besteht die Möglichkeit, bei drohendem Arbeitsplatzverlust Unterstützung in Form eines Arbeitstrainings bzw. Jobcoachings durch das Integrationsamt zu bekommen. Dabei handelt es sich um eine Leistung nach § 185 Abs. 3 Nr. 1f SGB IX i.V.m. § 25 SchwbAV. Das hier vorgestellte Konzept beruht auf stress- und ressourcentheoretischen Überlegungen (vgl. Lazarus 1978, Hobfoll e.a. 2004) und nimmt vor allem das Verhältnis zwischen Anforderungen und verfügbaren arbeitsplatzrelevanten Ressourcen in den Blick.
Konzept
Das Jobcoaching wird in Form einer individuellen Unterstützungsleistung durchgeführt. Ziel ist die Stärkung berufsrelevanter personaler, professioneller und sozialer Ressourcen um die Bewältigungsmöglichkeiten zu stärken. Ein Arbeitstraining gliedert sich in vier Phasen. Vor Beginn eines Arbeitstrainings wird mit dem/der MitarbeiterIn, dem Betrieb und dem Integrationsfachdienst der konkrete Bedarf ermittelt und beim Integrationsamt beantragt. Das Arbeitstraining beginnt dann zunächst mit einer diagnostischen Phase, in der eine Arbeitsplatzbeobachtung und ggfs. weitergehende Diagnostik durchgeführt wird. Ziel ist dabei die ganzheitliche Erfassung aller personalen, sozialen und organisationalen Determinanten eines Arbeitsplatzes. Auf Basis der Ergebnisse schließt sich dann das eigentliche Training an. Ein Arbeitstraining kann neben dem Training am Arbeitsplatz (personale Ressourcen) auch Schulungselemente (professionelle Ressourcen) und arbeitsorganisatorische Maßnahmen (soziale Ressourcen) enthalten. In der Abschlussphase steht die Sicherung des Trainingserfolgs im Mittelpunkt. Die zeitliche Dauer der einzelnen Phasen richtet sich nach dem individuellen Bedarf und kann im Laufe des Trainings angepasst werden.
Methoden
Untersucht wurden die Entwicklung von TeilnehmerInnenstruktur und Trainingserfolg (2008 - 2019, N=61). Eingeschlossen wurden alle TeilnehmerInnen, die das Training bis 2019 abgeschlossen haben. Zur Auswertung wurden die Abschlussjahrgänge in Drei-Jahres-Zeiträume aufgeteilt. Veränderungen von TeilnehmerInnenstruktur und Trainingserfolg wurden je nach Datenniveau mit Kreuztabellen bzw. Varianzanalysen untersucht.
Ergebnisse
TeilnehmerInnenstruktur. Das Durchschnittsalter lag insgesamt bei 41,6 Jahren und ist über die Erhebungszeiträume von 45,7 auf 37,6 Jahre zurückgegangen. Der Anteil der Frauen lag insgesamt bei 50,8% und ist über die Erhebungszeiträume von 37,5% auf 68,1% angestiegen. Der Anteil von TeilnehmernInnen ohne Schulabschluss lag insgesamt bei 20% und war im letzten Erhebungszeitraum mit 36,3% besonders hoch. Über Realschulabschluss oder Abitur verfügten 55%. 82% hatten einen Berufsabschluss, wobei 2017-2019 der Anteil ohne Abschluss mit 45,45% besonders hoch war. Insgesamt 50,82% hatten eine psychische Behinderung. Der Anteil von TeilnehmernInnen mit intellektueller Behinderung lag insgesamt bei 26,23% und ist im letzten Erhebungszeitraum stark angestiegen (50%). Die Arbeitstrainings fanden überwiegend im Büro- und Verwaltungsbereich statt (57,3%) statt, gefolgt vom handwerklich-gewerblichen Bereich (29,5%). Der Dienstleistungsbereich spielte nur im letzten Erhebungszeitraum eine Rolle (13,64%). Die durchschnittliche Dauer der Arbeitstrainings betrug 34,37 Stunden, die durchschnittliche wöchentliche Trainingsdauer lag bei 3,43 Stunden.
Trainingserfolg. In 11,4% der Fälle musste das Arbeitstraining vorzeitig abgebrochen werden. 81,9% konnten das Training erfolgreich abschließen und der Arbeitsplatz blieb erhalten. In 6,5% der Fälle konnte das Arbeitstraining zwar planmäßig abgeschlossen werden, führte aber nicht zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Unterschiede hinsichtlich soziodemographischer Variablen, Berufsbereichen oder Art der Behinderung zeigten sich beim Trainingserfolg nicht.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen - trotz deutlicher Veränderungen der TeilnehmerInnenstruktur im letzten Erhebungszeitraum - ein über die Zeit stabil erfolgreiches Trainingsformat. Individuell konzipiertes betriebliches Arbeitstraining, das den Focus auf die Stärkung berufsrelevanter Ressourcen legt, führt in den allermeisten Fällen und unabhängig von der Art der Behinderung zum Erhalt von Beschäftigungsverhältnissen. Bislang steht diese Form der Arbeitsplatzsicherung lediglich Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung zur Verfügung. Eine Ausweitung auch auf Menschen mit drohender Behinderung wäre sinnvoll, da insbesondere Menschen mit psychischer Erkrankung trotz Vorliegen der Voraussetzungen oft keinen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen.
Literatur
Lazarus, R.S., Launier, R. (1978) Stress related transactions between person and environment, in: Pervin, L.A., Lewis, M. (eds.) Perspectives in interactional psychology. New York: Plenum, 287-327
Hobfoll, S. E. & Buchwald, P. (2004) Die Theorie der Ressourcenerhaltung und das multiaxiale Coping- eine innovative Stresstheorie, in: Buchwald, Schwarzer, P., Hobfoll, S. (Hrsg.) Stress gemeinsam bewältigen. Ressourcenmanagement und multiaxiales Coping. Göttingen: Hogrefe, 11-26
Hintergrund und Zielstellung
Seit einigen Jahren weisen die Statistiken der Gesetzlichen Krankenversicherung einen enormen Anstieg von Arbeitsunfähigkeitstagen durch psychische Störungen auf. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) benennt psychische Störungen mit 43% als häufigste Bewilligungsdiagnose der Erwerbsminderungsrente. Trotz gesetzlicher Verankerungen, wie z.B. §27 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem Recht von Menschen mit Behinderung auf bezahlte Arbeit, der besonderen Berücksichtigung von Bedürfnissen vom Menschen mit seelischen Behinderungen am Leben in der Gesellschaft (zu dem auch der Teilhabebereich Arbeit und Beschäftigung zählt) im SGB IX und der Vorgabe zur Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes, bleibt der allgemeine Arbeitsmarkt Menschen mit psychischen Störungen häufig verschlossen. Dies gilt besonders für Frauen mit psychischen Störungen, die Aufgrund ihres Geschlechts, gepaart mit ihrer psychischen Störung häufig Diskriminierung erfahren. An dieser Stelle kommt der beruflichen Rehabilitation eine große Bedeutung zu. Frauen sind hier jedoch deutlich unter-repräsentiert. So stellt sich die Frage, welche Kontextfaktoren und deren Wechselwirkungen für Frauen mit psychischen Störungen in der beruflichen Rehabilitation von zentraler Bedeutung sind und sich auf die Teilhabe auswirken.
Methoden
Der geplante Vortrag beschäftigt sich mit den zentralen Ergebnissen der unten aufgeführten Dissertation, die sich mit bedeutenden Kontextfaktoren (ICF) und deren Wechselwirkungen für Frauen mit Schizophrenie im Teilhabebereich Arbeit und Beschäftigung auseinandersetzte. Ein Anliegen dabei war es, Empfehlungen für das Rehabilitationssystem und die Soziale Arbeit abzuleiten. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein komplexes Mixed-Methods-Design gewählt:
1. Identifizierung eines Personenkreises, dem häufig Leistungen zur Teilhabe an Arbeitsleben ver-schlossen bleiben auf Basis von Routinedaten der DRV (FDZ-RV-SUFRSDQJ14B) => Frauen mit Schizophrenie
2. 15 Problemzentrierte Interviews mit Frauen mit Schizophrenie in hessischen RPK-und BTZ-Institutionen
3. Fragebogenerhebung zum subjektiven Sinnverstehen der eigenen Psychose (n=13)
4. 5 Gruppendiskussionen mit Praxisexpert*innen aus hessischen RPK- und BTZ- Institutionen
Ergebnisse
Folgende Kontextfaktoren wurden identifiziert; berufliche Vorgeschichte, soziale Nahräume, Störungs-spezifische Einstellungen und Erfahrungen, Rehabilitationssystem und Perspektiven. Innerhalb dieser Kontextfaktoren existieren sowohl förderliche Aspekte (Förderfaktoren) als auch hinderliche Aspekte (Barrieren). Auf Basis dieser Analyse ließen sich drei zentrale Bereiche von Kontextfaktoren ableiten, die im Kontext der Rehabilitation zur Förderung der Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung für Frauen mit Schizophrenie wirken: Individuelle Kontextfaktoren, interaktionale Kontextfaktoren und strukturelle Kontextfaktoren. Individuelle Kontextfaktoren beziehen sich unmittelbar auf die Adressatinnen. Fachli-che Bearbeitung/ Unterstützung muss sich folglich als individuelle Interventionen umsetzen. Durch ge-zielte fachliche Interventionen von multiprofessionellen Teams sind personbezogene, individuelle Fä-higkeiten im Teilhabebereich Arbeit und Beschäftigung gezielt zu unterstützen. Interaktionale Kon-textfaktoren beziehen sich auf Strukturen, die durch Interaktionen mit anderen Menschen – auch im Kontext der Institutionen zur Förderung der Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung – entstehen. Die Be-arbeitung und Förderung von unterstützenden Kontextfaktoren bedarf der Anpassung der jeweiligen professionellen Strategien und Maßnahmen, wie sie z.B. in Empfehlungsvereinbarungen der Bundesar-beitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (2011) benannt sind. Hinzu kommt der Einfluss struktureller Rahmenbedingungen und Gesetzesnormen von Leistungsträgern und Leistungserbringern, die im Rah-men der Rehabilitationsmaßnahme zur Förderung der Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung nicht bear-beitet bzw. verändert werden können.
Diskussion und Fazit
All die aufgezeigten Barrieren haben in ihren Wechselwirkungen negative Auswirkung auf die Teilhabe an Arbeit der befragten Frauen. Um Barrieren zu reduzieren, benötigt es ein wirklich individuelles, auf die jeweilige Person ausgerichtetes Vorgehen. Strategien der Unterstützung müssen unabhängig von (Rehabilitations-)Einrichtungen, deren (ökonomischen) Zielsetzungen und den gesellschaftlich-sozialrechtlichen Rahmenbedingungen partizipativ geplant werden können. Es bedarf individueller, per-sonbezogener und manchmal auch situativer Interventionen direkt im Sozialraum der betroffenen Frau-en, die sich auf Basis der jeweiligen Rehabilitations- bzw. Teilhabeziele ableiten und nicht auf aus-schließlich einen Lebensbereich sowie einen bestimmten Zeitraum beziehen.
Literatur
Ommert, Judith (2020): Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung. Bedeutende Kontextfaktoren und deren Wechselwirkungen für Frauen mit Schizophrenie. Springer VS, Wiesbaden.