Hintergrund und Zielstellung
Der FIDA (Functional Independence in daily Activities) ist ein Instrument zur Messung der funktionellen Selbständigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens. Der FIDA wurde als Fremdeinschätzungsinstrument entwickelt. Die Items und die Art der Anwendung stehen in der Tradition von etablierten Assessments wie Barthel-Index (Mahoney, 1965), Functional Independence Measurement (FIM) (Granger et al., 1986) und SINGER (Funke et al., 2009). Ziel war es, ein Messinstrument zur Erfassung der funktionellen Selbständigkeit bei Alltagsaktivitäten zu entwickeln, das bezüglich der Anwenderfreundlichkeit möglichst nah an den Barthel-Index herankommt und dessen Messgenauigkeit an die des SINGER und des FIM heranreicht. Der FIDA lehnt sich an den Pflegebegriff des seit 1.1.2017 gültigen 2. Pflegestärkungsgesetz an. Danach ist eine Beeinträchtigung der Selbständigkeit begrifflich an die Notwendigkeit der Inanspruchnahme personeller Hilfe bei Aktivitäten gekoppelt. Der FIDA wurde mit dem Ziel entwickelt, die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit abzubilden, wie sie beispielsweise nach einem Akutereignis wie Sturz oder Schlaganfall und in der Folge bestehendem Rehabilitationsbedarf häufig festzustellen sind. Hauptanwendungsfelder sind:
• Klassifikation der Schwere der Beeinträchtigung bzw. des Unterstützungsbedarfs bei Aktivitäten des täglichen Lebens und
• Abbildung funktioneller Verbesserungen nach Intervention.
Für die Items wurde eine fünfstufige Skalierung gewählt, die zwischen der relativ groben Systematik des Barthel-Index und den sehr feinen Abstufungen von FIM oder SINGER liegt. Die fünf Antwortalternativen sind: (1) selbständig / Fähigkeit vorhanden - Tätigkeit kann auch ohne Hilfsperson verrichtet werden, ggf. mit Hilfsmittel die wenn zugänglich selbständig eingesetzt werden; (2) selbständig unter Beaufsichtigung / geringfügige Anregungen nötig - lediglich Beaufsichtigung oder verbale Hinweise / Anregung in geringem Umfang zur Unterstützung notwendig; (3) überwiegend selbständig - Selbständigkeit über 50 %, Hilfsperson übernimmt Teilhandlungen, Unterstützungsbedarf oder Aufsicht aber Hauptlast trägt Patient / Rehabilitand; (4) überwiegend unselbständig / Fähigkeit nur in geringem Maß vorhanden - Selbständigkeit unter 50 %, Übernahme von Teilhandlungen, ausgeprägter Unterstützungsbedarf, Hauptlast trägt Hilfsperson; (5) unselbständig / Fähigkeit nicht vorhanden - Tätigkeit / Verrichtung muss fast vollständig von Dritten übernommen werden, Mithilfe kaum möglich.
Die psychometrischen Eigenschaften wurden in der vorliegenden Studie geprüft.
Methoden
Zur psychometrischen Überprüfung wurde der FIDA in einer neurologischen Rehabilitationsklinik eingesetzt. Eingestuft wurden alle Rehabilitanden (N = 355; Alter 69,8±10,9 Jahre), die von Februar (Aufnahme) bis Juni 2020 (Entlassung) in Trägerschaft der gesetzlichen Krankenversicherungen dort rehabilitiert wurden. Parallel zum FIDA wurde der Barthel-Index (BI) nach dem Hamburger Manual erhoben. Die Einstufung erfolgte durch getrennte Teams. Zur psychometrischen Überprüfung wurden Itemschwierigkeiten (Fisseni, 1997), Trennschärfe und interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) berechnet. Die Faktorenstruktur wurde über eine Faktorenanalyse (PCA mit Varimaxrotation) evaluiert. Die Überprüfung der konvergenten Validität erfolgte durch Korrelation (Pearson) der Summenwerte des FIDA und des BI. Die psychometrische Überprüfung erfolgte mit den Werten zu Rehabilitationsbeginn. Die Veränderungen wurden durch Differenzbildung der Werte zu Beginn und am Ende der Rehabilitation berechnet, um zu prüfen, ob die funktionellen Veränderungen während der Rehabilitation durch FIDA und Barthel-Index unterschiedlich abgebildet werden.
Ergebnisse
Die Itemschwierigkeiten (p) lagen bei allen 20 Items im mittleren Bereich zwischen 0,39 ≤ p ≤ 0,77. Der Wert von 0,96 nach Kaiser, Meyer, Olkin (KMO) bestätigt die Eignung der Daten für eine Faktorenanalyse. Die Faktorenanalyse bestätigt die angenommene Zuordnung zu den beiden Skalen Motorik (16 Items) und Kognition (4 Items). Ungeachtet der zweifaktoriellen Struktur beträgt die interne Konsistenz des FIDA α=0,98 mit Item-Skalenkorrelationen zwischen (0,63 < rit < 0,93), sodass die Bildung des Summenwertes möglich ist. Das Item mit der niedrigsten Korrelation zum Gesamtwert war "Verbaler Ausdruck", das Item mit der höchsten Korrelation "Waschen untere Extremität, Füße". Die motorische Skala erreicht eine interne Konsistenz von α=0,98, die aus den kognitiven Items gebildete Skala α=0,93. Zu Rehabilitationsbeginn betrug die Korrelation von FIDA und BI r=0,94, zum Zeitpunkt der Rehabilitationsentlassung r=0,92. Funktionelle Verbesserungen bildeten sowohl FIDA als auch BI ab. Nach Skalenangleichung des FIDA [0-100] lagen die im Verlauf der Rehabilitation abgebildeten Verbesserungen beim FIDA im Durchschnitt bei 9,2±10,6 Punkten, im BI betrugen die Verbesserungen 8,3±12,5.
Diskussion und Fazit
Der FIDA ist ein reliables, valides und veränderungssensitives Assessment-Instrument zur Beurteilung der funktionellen Selbständigkeit. Den beteiligten Rehabilitationsteams war es möglich, die Einstufung auf Basis der Itemoperationalisierungen ohne aufwändige Schulungsmaßnahmen durchzuführen. Die Psychometrie und die Analysen zur Validität zeigen sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Perspektivisch ist die Prüfung der Eignung des FIDA zur Einstufung in Schweregradgruppen und neurologische Rehabilitationsphasen vorgesehen.
Literatur
Fisseni, H.-J. (1997): Lehrbuch der psychologischen Diagnostik. Göttingen: Hogrefe.
Funke, U.-N., Schüwer, U., Themann, P., Gerdes, N. (2009): Selbständigkeits-Index für die Neurologische und Geriatrische Rehabilitation. SINGER. Regensburg: Roderer.
Granger, C.V., Hamilton, B.B., Keith, R.A., Zielezny, M., Sherwin, F.S. (1986): Advances in functional assessment for medical rehabilitation. Topics in Geriatric Rehabilitation, 1. 59-74.
Mahoney, F.I., Barthel, D.W. (1965): Functional evaluation: The Barthel Index. Maryland State Medical Journal, 14. 61-65.
Hintergrund und Zielstellung
Übergeordnetes Ziel für die Rehabilitation ist die Verbesserung oder Aufrechterhaltung der Partizipation (privat und beruflich) und eine möglichst hohe Lebensqualität trotz chronischer Beeinträchtigung. Zur Erfassung der Lebensqualität bieten sich generische Instrumente wie der SF-36 oder krankheitsspezifische wie für die Multiple Sklerose (MS) z.B. der Mutiple Sclerosis International Questionnaire of Quality of Life (MusiQol). Erstaunlicherweise haben wir keine Studien gefunden, die die Änderungssensitivität beider Fragebogen für die Rehabilitation miteinander vergleichen. Ziel dieser Studie war es, die Änderungssensitivität dieser beiden Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) zu vergleichen.
Methoden
Zwischen dem 1.9.2019 und dem 4.10.2019 wurden konsekutiv alle MS Patienten, die in den Kliniken Schmieder Konstanz aufgenommen wurden, gefragt, ob sie bereit sind, an dieser Erhebung mittels Fragebogen teilzunehmen. Von 90 Patienten wurden 12 ausgeschlossen, weil sie Phase C waren, 2 Akutpatienten und ein tagesklinischer Patient. Von den 75 Phase D Patienten waren 10 nicht bereit teilzunehmen, sieben mußten ausgeschlossen werden, weil sie nur den SF-36 ausgefüllt hatten (n=7) und zwei, weil sie nur den MusiQoL ausgefüllt hatten. Es blieben 56 Patienten übrig, die den SF-36 und den MusiQoL innerhalb der ersten drei Tage und kurz vor der Entlassung ausfüllten.
Der SF-36 besteht aus 8 Dimensionen (1): körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, psychisches Wohlbefinden, Vitalität, emotionale Rollenfunktion, soziale Funktionsfähigkeit, körperliche Schmerzen und allgemeine Gesundheitswahrnehmung. Jede Frage wird auf einer Likert-Skala abgebildet und anschliessend in eine Skala von Null (schlechteste Lebensqualität) bis 100 (beste Lebensqualität) transformiert.
Der Multiple Sclerosis International Questionnaire of Quality of Life (MusiQol) wurde in Zusammenarbeit mit Betroffenen entwickelt und beinhaltet folgende Dimensionen (2, 3): Aktivitäten des alltäglichen Lebens, psychisches Wohlbefinden, Symptome, Beziehung zu Freunden, Beziehung zur Familie, Gefühls- und Sexualleben, Bewältigung, Abwehr und Beziehung zum Gesundheitssystem. Insgesamt 31 Fragen werden auf einer Likert-Skala von 1-6 beantwortet. Für beide Skalen wird jeweils der Gesamtindex berechnet und anschliessend die Effektstärke (nach Cohen) der Veränderung für jede einzelne Dimension und für den Gesamtindex.
Ergebnisse
Die Dimension „Gefühls- und Sexualleben“ aus dem MusiQol wurde bereits bei der Aufnahme von vielen nicht ausgefüllt, noch unvollständiger am Ende der Rehabilitation. Deshalb wird dieser aus der Auswertung weggelassen und der Gesamtindex des MusiQol ohne diese Dimension berechnet. Die Effektstärke für die Veränderung des SF36 liegt bei d=0,44, für den MusiQol bei d=0,71. Beim SF-36 liegt die größte Veränderung mit einer Effektstärke von 0,58 im Bereich der Vitalität (dem rezproken Wert der Fatigue). Beim MusiQol liegen die größten Effektstärken im Bereich Aktivitäten des täglichen Lebens (d=0,78), beim psychischen Wohlbefinden (d=0,64), bei der Bewältigung (d=0,56), bei der Abwehr (d=0,44) und bei den Symptomen (d=0,39).
Die Effektstärken waren bei einer Behandlungsdauer von 5 oder 6 Wochen größer als bei einer Rehabilitationsdauer von 3 oder 4 Wochen. Die Effektstärken waren nicht abhängig von dem Ausmaß der Beeinträchtigung (EDSS) und von der Verlaufsform (sekundär progredient oder schubförmig).
Diskussion und Fazit
Zum Nachweis der Effektstärker einer Rehabilitationsbehandlung bei MS erweist sich der MusiQol als änderungssensitiver als der SF-36. Es verbessern sich körperliche Funktionsfähigkeiten (SF-36), psychisches Wohlbefinden (MusiQol), emotionale Rollenfunktion (SF-36), Bewältigung und Aktivitäten des täglichen Lebens (beide im MusiQol). Da der MusiQol keine Dimension für den Schmerz beinhaltet, sollte ev. eine Schmerzskala ergänzt werden.
Literatur
1. Bullinger M. German translation and psychometric testing of the SF-36 Health Survey: preliminary results from the IQOLA Project. International Quality of Life Assessment. Soc Sci Med. 1995;41(10):1359-66.
2. Flachenecker P, Vogel U, Simeoni MC, Auquier P, Rieckmann P. [MusiQol: international questionnaire investigating quality of life in multiple sclerosis: validation results for the German subpopulation in an international comparison]. Nervenarzt. 2011;82(10):1281-9.
3. Simeoni M, Auquier P, Fernandez O, Flachenecker P, Stecchi S, Constantinescu C, et al. Validation of the Multiple Sclerosis International Quality of Life questionnaire. Mult Scler. 2008;14(2):219-30.
Hintergrund und Zielstellung
Partizipative Entscheidungsfindung oder shared decision making (SDM) ist ein attraktives und häufig propagiertes Ziel in der Betreuung von chronisch kranken Patienten. Shared decision making zielt darauf ab, die Verantwortung im Entscheidungsprozess gleichermaßen auf den behandelnden Arzt und den Patienten zu verteilen. Es beschreibt den Kommunikationsprozess zwischen behandelndem Arzt und Patienten, bei dem die beste Evidenz mit den persönlichen Präferenzen des Patienten kombiniert werden, um in Folge dessen zu möglichst guten gesundheitsbezogenen Entscheidungen zu gelangen (1).
Bei der Multiplen Sklerose finden sich im Krankheitsverlauf gehäuft kognitive Defizite, unter anderem Störungen der Aufmerksamkeit und der Merkfähigkeit (2). Hoffmann et al. bestätigten, dass die Entscheidungskompetenz bei Patienten mit MS mit der Gedächtnisleistung zusammenhängt, und wiesen nach, dass die Entscheidungskompetenz bei MS Patienten eingeschränkt ist (3). Vor allem fanden sich weniger Resistenz gegenüber Framing, eine Schwierigkeit in der Risikoeinschätzung und in der Fähigkeit, Entscheidungsregeln zu folgen (3).
Patienten mit MS und einem schubförmigen Verlauf werden überwiegend mit einem immunmodulatorisch wirksamen Medikament behandelt. Die Wahl der Immunmodulation sollte in erster Linie von der Krankheitsaktivität und den Prioritäten des Patienten abhängen und nicht von der Entscheidungskompetenz des Patienten beeinflusst werden. Die Frage der vorliegenden Studie ist, ob sich die Entscheidungskompetenz des Patienten auf die Wahl der Immunmodulation auswirkt.
Methoden
Patientenrekrutierung: Aus der Studie von Hoffmann et al. (3), deren Daten im Sommer 2017 an 137 MS Patienten in den Kliniken Schmieder Konstanz gesammelt wurden, wurden 85 Patienten mit schubförmigen Verlauf identifiziert. Die Immunmodulation wurde bei diesen 85 Patienten in 5 Gruppen eingeteilt: Gruppe 0 (keine Immunmodulation, n=23), Gruppe 1 (traditionelle „injectables“, Interferone und Glatirameracetat, n=18), Gruppe 2 (nicht so wirksame Tabletten mit geringem Nebenwirkungsprofil: Dimethylfumarat und Teriflunomid, n=20), Gruppe 3 (Fingolimod und Daclizumab, n=16) und Gruppe 4 (hochwirksame Medikamente mit entsprechendem Nebenwirkungsprofil: Alemtuzumab und Natalizumab, n=8).
Das Handicap der Patienten wurde mittels Expanded Disability Status Scale (EDSS) erhoben.
Entscheidungskompetenz: Aus der Studie von Hoffmann et al. (3) bzw. aus der Adult Decision Making Competence battery (A-DMC) wurden 2 der 5 Aufgaben zur Messung der Entscheidungskompetenz ausgewählt: Wie gut die Patienten Entscheidungsregeln anwenden können, Applying Decision Rules, und wie konsistent die Patienten Risiken einschätzen können, Risk Perception.
Ergebnisse
In den Gruppen 0 bis 3 nahm der EDSS mit zunehmender Wirksamkeit der Medikamente leicht zu.
Für die vier Medikamentengruppen fanden sich keine Unterschiede hinsichtlich der Einhaltung von Decision Rules (DR)(Abb.1) und hinsichtlich der Risikowahrnehmung (risk perception (RP)) (Abb.2). Dies galt auch für den Vergleich zwischen Patienten mit und ohne immunmodulatorische Medikation.
Diskussion und Fazit
Unsere Einteilung der Immunmodulatoren deckt sich mit der neuen Einteilung der Konsultationsfassung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit der Ausnahme, dass wir die Wirksamkeitskategorie 1 der DGN in 2 Untergruppen unterteilt haben: Unsere Gruppe 1 sind die lange erprobten Immunmodulatoren, deren Wirkung und Nebenwirkung seit über 20 Jahren bekannt sind („injectables“). In unserer Einteilung wird Gruppe 2 von 2 Tabletten gebildet, die noch nicht so lange auf dem Markt sind wie die Gruppe 1 und daher vielleicht auch eine gewisse Entscheidungsbereitschaft auf Seiten des Patienten voraussetzen. Ferner war im Sommer 2017 Daclizumab noch im Einsatz. Ocrevus, Siponimod und Ozanimod waren noch nicht zugelassen.
Die Tatsache, dass der EDSS von Gruppe 0 zu Gruppe 3 zunimmt, entspricht vermutlich der Versorgungsrealität, dass höher wirksame Medikamente bei stärker betroffenen Patienten (als Hinweis auf höhere Entzündungsaktivität) häufiger eingesetzt werden.
Wir haben diesen Daten bisher keinen Hinweis entnehmen können, dass sich die Entscheidungskompetenz der Patienten auf die Wahl der Immunmodulation auswirkt. Dies liegt möglicherweise an der kleinen Stichprobe. Ein Einfluss der Entscheidungskompetenz der Patienten wäre durchaus problematisch, da die Auswahl des immunmodulierenden Medikaments vor allem von der Krankheitsaktivität und den Prioritäten des Patienten, aber nicht von seiner Entscheidungskompetenz abhängen sollte.
Aufgrund der Studie von Hoffmann et al. (3) muss man bei der Betreuung und Beratung der Patienten berücksichtigen, dass aufgrund kognitiver Defizite die Entscheidungskompetenz beeinträchtigt sein kann. Das kann den Entscheidungsprozess hinsichtlich der Auswahl einer angemessenen Medikation und die Berücksichtigung der Prioritäten des Patienten verkomplizieren.
Wir planen, die Fragestellung mittels internetbasierter Umfrage und einer deutlich größeren Stichprobe zu wiederholen.
Literatur
1. Cocco E, Caoci A, Lorefice L, Marrosu MG. Perception of risk and shared decision making process in multiple sclerosis. Expert Rev Neurother. 2017;17(2):173-80.
2. DeLuca J, Chiaravalloti ND, Sandroff BM. Treatment and management of cognitive dysfunction in patients with multiple sclerosis. Nat Rev Neurol. 2020.
3. Hoffmann JA, Bareuther L, Schmidt R, Dettmers C. The relation between memory and decision-making in multiple sclerosis patients. Mult Scler Relat Disord. 2020;37:101433.
Hintergrund und Zielstellung
Introduction
Based on the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF; WHO, 2001), psychological capacities are described as specific activities which an individual is able to perform given specific context requirements (DIMDI, 2005; Linden, Keller, Noack, & Muschalla, 2018; WHO, 2001).
Capacity limitations are crucial in the context of socio-medical assessments. However, problems can arise if self-ratings differ from observer-ratings. Differences between self- and observer-ratings of psychopathological aspects have been examined for decades, whereas research on rating differences concerning capacity limitations is limited. Capacity limitations have been primarily investigated in patients with mental disorders, however not yet in patients with somatic diseases.
Thus, the aim of this study was to examine if capacity limitation self-ratings undertaken by neurological patients differ from observer-ratings.
Methoden
Methods
N = 328 neurological patients from a rehabilitation facility (55.8% male, mean age: M = 53.0 years, SD = 10.3 years) have been examined.
Capacity limitations were assessed in self- and observer-ratings by using the Mini-ICF-APP (Linden, Baron, & Muschalla, 2015) and the Mini-ICF-APP-S (Linden et al., 2018).
The Mini-ICF-APP is an observer-rating of capacity limitation according to the ICF. The degree of capacity limitation is rated by a trained observer from 0 = no limitation, 1 = mild (self-perceived) limitation, 2 = moderate (observable) limitation, 3 = severe limitation (assistance necessary) to 4 = full impairment. The rating is based on information gathered during a semi-structured interview through self-reports and observations.
The Mini-ICF-APP-S is a self-rating instrument which is equivalent to the Mini-ICF-APP. The perceived level of capacity limitation is self-rated by the patient.
Ergebnisse
Results
Paired-samples t-tests revealed significant differences between self- and observer-ratings in six out of 13 capacity dimensions (see Figure 1).
On average, the capacity dimensions adherence to regulations, planning and structuring of tasks, professional competency and endurance were rated as significantly less limited by the patients than by the observers, with small to medium effect sizes.
Self-rated impairments of contact with others and self-care were only marginally higher compared to observer-ratings.
No significant differences between self- and observer-ratings were found concerning the capacity dimensions flexibility, judgements, assertiveness, group integration, intimate relationships, spontaneous activities and mobility.
Diskussion und Fazit
Discussion
Similar ratings in some capacities imply an agreement between patients and observers. Lower self- than observer-rated limitations indicate a potential tendency for neurological patients to underestimate or deny their disability.
The revealed significant differences highlight the importance of taking into account both self- and observer-ratings of capacity limitations in order to get a comprehensive understanding of the patient’s limitations.
Conclusion
Psychological capacity limitations do not only occur in patients with mental, but similarly in patients with neurological diseases.
This study emphasizes that observer-ratings of capacity limitations are especially relevant in neurological patients who have a potential tendency to underestimate or deny their disability.
Literatur
References
DIMDI. (2005): ICF - Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Köln: DIMDI.
Linden, M., Baron, S., & Muschalla, B. (2015): Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen (Mini-ICF-APP). Ein Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (2 ed.). Bern: Verlag Hans Huber.
Linden, M., Keller, L., Noack, N., & Muschalla, B. (2018): Self-rating of capacity limitations in mental disorders: The “Mini-ICF-APP-S”. Behavioral Medicine and Rehabilitation Practice, 101, 14-22.
WHO (2001): International Classification of Functioning, Disability and Health: ICF. Geneva: WHO.
Hintergrund und Zielstellung
Schlaganfälle sind weltweit die zweithäufigste Todesursache und ziehen bei Überlebenden oftmals schwere funktionelle Einschränkungen nach sich (Busch & Kuhnert, 2017). Zur Überwindung dieser gesundheitlichen Folgen gilt es, die Motivation der Patienten auch nach der medizinischen Rehabilitation langfristig aufrecht zu erhalten. Vor diesem Hintergrund hat der Einsatz von digitalen Anwendungen im Gesundheitsbereich, beispielsweise in Form von Smartphone-Applikationen (Apps), in den letzten Jahren stark zugenommen (Gigerenzer et al., 2016).
Das Unternehmen „Rehappy GmbH“ hat speziell zur Unterstützung von Schlaganfallpatienten die App „Rehappy“ entwickelt. Die App umfasst drei zentrale Bereiche:
(1) Energie: Rückmeldung über die Aktivitäten in Kombination mit einem Armband als Aktivitätentracker
(2) Wissen: (psycho-)edukative Vermittlung von Know-How über das Thema Schlaganfall
(3) Plan: individuelle Zielsetzung und Erfolgskontrolle eigener Ziele
Ziel der vorliegenden Studie war es, die App „Rehappy“ aus Betroffenensicht zu evaluieren. Geprüft werden sollte dabei insbesondere, inwieweit Schlaganfall-Patienten die App als unterstützend für ihre Krankheitsbewältigung empfinden.
Methoden
Die Evaluation erfolgte in Form eines Online-Fragebogens. Einschlusskriterium in die Studie war, dass die Betroffenen in der Vergangenheit mindestens einen Schlaganfall erlitten hatten. Um den Befragten eine adäquate Bewertung zu ermöglichen, wurden für die Bereiche und Funktionen der App kurze Einführungs-Videos gedreht. Ziel war es, die grundsätzlichen Funktionen und das Bedien-Interface der App vorzustellen. Im Anschluss an die Videos beantworteten die Betroffenen jeweils Fragen zur Evaluation (z.B. Verständlichkeit, Sinnhaftigkeit, Akzeptanz, Unterstützungspotenzial).
Die Nützlichkeit wurde mit Hilfe der System Usability Scale erfasst (deutsche Version von Rummel, 2015). Zur Kontrolle entsprechender Einschätzungen wurde die Technikaffinität der Betroffenen erfasst (Skala zur interaktionsbezogenen Technikaffinität von Franke et al., 2019).
Die Akquise erfolgte über Facebook-Gruppen für Schlaganfallpatienten und einen E-Mail-Verteiler von Rehappy GmbH. Als Anreiz wurden drei Rehappy-Lizenzen unter allen Teilnehmenden verlost. Die Stichprobe (N = 51) setzte sich aus 36 Frauen (70,6%) und 15 Männern (29,4%) zusammen (mittleres Alter: 48,63 Jahre, SD = 10,94, Spanne: 23 – 73 Jahre). 32 Betroffene hatten einen Schlaganfall erlitten, 19 Personen hatten zwischen zwei und mehr als vier Schlaganfälle überlebt. Als häufigste Beschwerdengruppen nannten die Betroffenen neurologische Störungen (51%), Sprach- und Verständnisstörungen (49%) und Depressionen bzw. andere psychische Folgen (45,1%).
36 Teilnehmern waren Gesundheits-Apps bekannt, hiervon hatten 23 Personen schon einmal eine solche App verwendet. Nur zwei Personen verwendeten bereits eine App speziell für Schlaganfall-Patienten.
Ergebnisse
Die deskriptiven Statistiken der Evaluation sind in Tabelle 1 dargestellt. Es folgt die Zusammenfassung zentraler Evaluationsergebnisse.
- Tabelle 1 hier -
Die Schlaganfall-Patienten waren der Auffassung, dass die App „Rehappy“ sie dabei unterstützen würde, gesundheitsförderliches Verhalten umzusetzen. Die App wurde als nützlich bewertet und die Betroffenen gaben eine hohe Wahrscheinlichkeit an, die App auch tatsächlich verwenden zu wollen. Die verschiedenen Funktionen bzw. Bereiche der App wurden vergleichbar positiv beurteilt. Die App wurde als bedien- bzw. nutzerfreundlich eingeschätzt. Die Befragten würden Rehappy auch anderen Betroffenen empfehlen.
Es zeigte sich kein Zusammenhang (Nullkorrelation) zwischen der Nutzungsbereitschaft und der Technikaffinität. Hieraus lässt sich schließen, dass eine weniger ausgeprägte Technikaffinität kein Ausschlusskriterium zur Nutzung der App für die Betroffenen darstellte.
Diskussion und Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die App „Rehappy“ durch Betroffene wohlwollend bewertet wurde. Dies gilt sowohl für die einzelnen Bereiche bzw. Funktionen als auch für die App als solches. Somit erweist sich die App für Betroffene als attraktives Angebot. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die App im Aufbau und in der Funktionalität hinreichend niedrigschwellig ansetzt, um bei vergleichsweise weniger stark ausgeprägten Technikkenntnissen ebenfalls auf Akzeptanz zu stoßen.
Zu beachten gilt jedoch, dass die Betroffenen die App ausschließlich in Form von Videos kennen lernen konnten – eine tatsächliche Nutzung im Sinne einer Erprobung im Alltag fand nicht statt. Insgesamt war die Technikaffinität bei der vorliegenden Stichprobe darüber hinaus in einem eher hohen Bereich einzuordnen. Bzgl. einer Verbesserung der tatsächlichen Umsetzung und Anwendung der App in der Praxis sollten hier weitere Evaluationsschritte ansetzen, wie z.B. die Berücksichtigung wahrgenommener Unterstützung bei „realer“ Nutzung der App (weiche Kriterien) bzw. die Berücksichtigung einer Steigerung bzw. Aufrechterhaltung eines bestimmten Aktivitätsniveaus (hartes Kriterium).
Literatur
Busch, M. A., Kuhnert, R. (2017): 12-Monats-Prävalenz von Schlaganfall oder chronischen Beschwerden infolge eines Schlaganfalls in Deutschland. Journal of Health Monitoring. 2. 70-76. doi.10.17886/RKI-GBE-2017-010.
Franke, T., Attig, C., Wessel, D. (2019): A Personal Resource for Technology Interaction: Development and Validation of the Affinity for Technology Interaction (ATI) Scale. International Journal of Human-Computer Interaction, 35(6). 456-467. doi.10.1080/10447318.2018.1456150
Gigerenzer, G., Schlegel-Matthies, K., Wagner, G. G. (2016): Digitale Welt und Gesundheit: eHealth und mHealth - Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Berlin: Sachverständigenrat für Verbraucherfragen.
Rummel, B. (2015): System Usability Scale - jetzt auch auf Deutsch. SAP – User Experience Community. URL: https://experience.sap.com/skillup/systemusability-scale-jetzt-auch-auf-deutsch/, Abruf: 25.11.2020.