Hintergrund und Zielstellung
Die Digitalisierung und damit digitale Kompetenzen gewinnen in der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Gemäß dem „D21-Digitalindex 2019/2020“ (BMWI 2020) sind bereits 86% der Bevölkerung „online“, was laut der Umfrage besonders auf die Nutzung mobiler Endgeräte zurückzuführen ist. Es wird allerdings auch eine Gruppe „Digital Abseitsstehender“ identifiziert, die insbesondere durch eine niedrige Bildung gekennzeichnet ist. Außerdem wird die zunehmende Bedeutung von Digitalisierung in der Arbeitswelt hervorgehoben. Um Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen perspektivisch Teilhabe in der Gesellschaft und insbesondere am Arbeitsleben zu ermöglichen, sind also digitale Kompetenzen auch für sie von großer Bedeutung. Das hat sich in besonderem Maße bereits während des Lockdowns der COVID-19 Pandemie gezeigt, weil auch Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen im Home-Office arbeiten mussten.
Basierend darauf stellt sich die Frage, welche digitalen Kompetenzen Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen besitzen und inwieweit sich diese Kompetenzen nutzen lassen um durch den Einsatz von mobilen Anwendungen Teilhabe zu fördern. Dazu wurden ergänzend zu einer Studie, die motivationale Einflussfaktoren bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung im Vergleich von analogen und digitalen Arbeitsanweisungen untersucht hat (Leopold et al, 2021 under review), die erfassten Daten untersucht, um Hinweise auf die Nutzung digitaler Technologien und digitale Kompetenzen der Teilnehmer*innen zu erhalten.
Methoden
Basierend auf der Methode der Cultural Probes (Gisler et al. 2014) wurden in einer Pilotstudie mit 8 Teilnehmer*innen mit intellektuellen Beeinträchtigungen zwischen 20 und 22 Jahren jeweils eine Woche lang Aufgaben basierend auf Papieranleitungen und eine Woche basierend auf digitalen Anleitungen in Form einer mobilen Anwendung, der RehaGoal App (Müller et al. 2019) bearbeitet. Die Teilnehmer*innen nahmen an einem Programm zur beruflichen Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt teil und waren während der Studie aufgrund der COVID-19 Pandemie im Home-Office. Die Cultural Probes wurden durch Kommunikation über verschiedene Kanäle begleitet. Diese Kommunikation bestehend aus einem täglichen Telefonat, Text- und Sprachnachrichten der Teilnehmer*innen über einen Messenger und nach Ablauf jeder Woche einem Feedbackgespräch wurden protokolliert beziehungsweise transkribiert. Diese Datenquellen wurden zusammengeführt und mittels Grounded Theory (Strauss et al. 1996) analysiert. Aufbauend auf diesen Datenquellen und den Ergebnissen der Analyse wurden Hinweise auf die Nutzung digitaler Technologien und digitaler Kompetenzen in Form einer Meta-Analyse untersucht.
Ergebnisse
Zunächst kann festgestellt werden, das alle Teilnehmer*innen ein privates Smartphone nutzen. Außerdem haben sie zu Beginn des Programms zur beruflichen Eingliederung die Arbeit mit der RehaGoal App kennen gelernt, die auch im Rahmen der Studie genutzt wurde. Während der Zeit im Home-Office wurde zusätzlich zu Telefongesprächen innerhalb dieses Programms ein Messenger für Text- und Sprachnachrichten verwendet. Innerhalb der Studie haben die Teilnehmer*innen ergänzend ein Smartphone erhalten, auf dem die RehaGoal App mit den entsprechend benötigten Workflows installiert war.
Zusätzlich zu diesen digitalen Kompetenzen, die alle Teilnehmer*innen mitbringen, wurden innerhalb der Studie die folgenden Aussagen zu digitalen Technologien und digitalen Kompetenzen in den Protokollen identifiziert. Zunächst wird, wie in der Altersgruppe zu erwarten, von der Nutzung von Spielekonsolen und Streaming-Diensten berichtet. Außerdem berichten mehrere Teilnehmer*innen, das Sie mit dem Smartphone gerne spielen.
Neben dieser Nutzung von digitalen Anwendungen zur Unterhaltung berichten einzelne Teilnehmer*innen über Fähigkeiten, auf die sie selber stolz waren: Ein unbekannter Begriff wird über eine Suchmaschine gesucht und die Frage konnte selbstständig geklärt werden. Eine Person demonstriert dem Jobcoach, wie man die Sprachfunktion des Smartphones aktiviert und es wird vorgeschlagen, den Messenger auch auf dem Studien-Smartphone zu installieren. Digitale Technologien werden von allen bis auf eine Person als positiv bewertet: Es ist die Rede von „der lieben App“, auch in der Woche mit den Papieranleitungen fragen viele nach der App. Da die meisten Teilnehmer*innen zwar lesen können, es aber als anstrengend empfunden wird, beschreiben sie die Sprachausgabe der App als hilfreich um „schwierigere Sachen alleine zu schaffen“.
Diskussion und Fazit
Junge Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen wachsen in einer digitalisierten Welt auf, haben damit bereits digitale Basiskompetenzen und bewerten wie andere junge Menschen auch traditionelles Arbeiten statt digitalisiertem Arbeiten oft als „altmodisch“. Technik ist kein Allheilmittel, beim Kochen sollte je nach Kompetenz der Teilnehmer*innen z.B. kontrolliert werden, ob es anbrennt, der Herd oder der Backofen anschließend ausgeschaltet wird. Teilhabe kann durch digitale assistive Technologien gezielt gefördert werden. Dabei sind digitale Lösungen kein Ersatz für persönliche Interaktion, sondern eine Unterstützung zur Selbstständigkeit. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Usability digitaler Technologien und damit der Fokus auf die Bedürfnisse und Wahrnehmungen der Anwender*innen. Hier fehlen für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen Erfahrungen und Methoden zur Evaluation.
Literatur
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) et al. (2020). D21 –Digital-Index 2019 / 2020. https://initiatived21.de/publikationen/d21-digital-index-2019-2020/ (abgerufen am 27.11.2020)
Gisler, P., & Parpan, F. (2014). Kreativitätstechniken als Wissenstechniken – Sozialwissenschaftliche Methoden in der künstlerich.gestalterischen Forschung. Hochschule der Künste, FSP Kommunikationsdesign/FSP Intermedialität, Bern.
Leopold, M., Peters, L., Ertas, F., Schmidt, R., Lorenz, T., Schiering, I., & Müller, S. V., (under review). Motivationale Einflussfaktoren bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung im Vergleich von analogen und digitalen Arbeitsanweisungen. Tagungsband 30. Reha-Wissenschaftliches Kolloquium - Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung.
Müller, S. V., Ertas, F., Aust, J., Gabel, A., & Schiering, I. (2019). Kann eine mobile Anwendung helfen abzuwaschen? Zeitschrift für Neuropsychologie, 30(2), 123-131. https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000256
Strauss, A., & Corbin, J. (1996): Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz.
Hintergrund und Zielstellung
40% der Patienten geben visuelle Probleme nach einer Hirnschädigung an (Kerkhoff G., Marquardt C. 2009). Das Balint Syndrom ist selten jedoch besonders schwerwiegend. Es beschreibt eine Störung der räumlichen Orientierung, die gekennzeichnet ist durch das Vorliegen einer Simultanagnosie, optischen Ataxie und Blickataxie. Die Betroffenen bleiben mit ihrer Aufmerksamkeit nur auf einem einmal fixierten Gegenstand haften und nehmen nie mehr als einen Gegenstand auf einmal wahr. Sie können Gegenstände erkennen und benennen, jedoch nur ungenau und unsicher danach greifen (während sie zum Beispiel auf eigene Körperteilen rasch und zielsicher zeigen können). Die Blickataxie manifestiert sich einerseits mit einer freien Beweglichkeit der Augen in allen Richtungen aber großen Problemen von einem einmal erfassten Blickziel auf ein neues Blickziel zu wechseln. [Literatur Balint und Goldenberg]
Dieses Syndrom führt zu schwersten Einschränkungen der visuomotorischen Koordination.
Der naviGürtel stellt additive taktile Informationen zur Verfügung. Durch diese Informationen sollen die Orientierungsleistungen der Betroffenen verbessert werden.
Methoden
Das Hilfsmittel von feelSpace wurde als taktiler Kompassgürtel entwickelt. Über 16 ringsum gleich verteilte Vibrationselemente können Richtungen durch Vibrationen fühlbar angezeigt werden. In der Steuerungseinheit befindet sich ein Kompassmodul, welches es ermöglicht, die relative Ausrichtung des Gürtelträgers im Raum bei der Richtungsanzeige zu berücksichtigen, dadurch wird die Richtungsanzeige für den Nutzer intuitiv verständlich. Die Vibrationsstärke kann über die Bedientasten moduliert werden. Über eine Bluetooth-Verbindung (Low Energy 4.1) kann der Gürtel per App bedient werden und Wegrichtungen anzeigen. Die feelSpace Navigations-App macht nach einer Zieleingabe Wegvorschläge und der Gürtel weist mit Vibrationen rund um den Bauch den zu gehenden Weg.
Zwei Patienten mit einem kompletten bzw. inkompletten Balint Syndrom wurden mit dem naviGürtel versorgt. Sie mussten mehrere Orientierungsaufgaben sowohl innerhalb eines Gebäudes als auch im Umfeld bewältigen.
Auf Grund der geringen Fallzahl und der schwierigen objektiven Abbildbarkeit von schwer gestörten Orientierungsleistungen in messenden Verfahren, wurden diese Leistungen rein deskriptiv erfasst.
Ebenso wurde die Nutzerzufriedenheit erfasst.
Ergebnisse
Beide Patienten konnten sich mit diesem Hilfsmittel sowohl im Gebäudeinneren als auch im Gelände deutlich besser orientieren.
Neben diesem erfreulichen Ergebnis ist von besonderem neuropsychologischen Interesse, dass die Patienten offensichtlich abdominelle Vibrationsinformationen zur Navigation nutzen konnte, das heißt diese kompensatorisch in ihr zentrales-visuelle Explorationsnetzwerk integrieren konnte.
Es konnte eine hohe Nutzerzufriedenheit festgestellt werden.
Diskussion und Fazit
Das Balint-Syndrom führt zu schwersten Einschränkungen der visuomotorischen Koordination und damit auch der Orientierung. die Möglichkeiten der restitutiven und/oder kompensatorisch übenden Verfahren sind limitiert.
Der naviGürtel übermittelt additive taktile Informationen, die zur Verbesserung der Orientierungsleitung genutzt werden könnten.
Diese "Proof of Principle" Untersuchung legt nahe, dass dieses innovative Hilfsmittel bei Menschen mit einem Balint-Syndrom wirksam eingesetzt werden könnte. Die taktilen Informationen konnten bei den untersuchten Patienten in das zentrale-visuelle Explorationsnetzwerk integriert werden und die Nutzerzufriedenheit was groß. Selbstverständlich sind zur Erhärtung dieser Vermutungen weitere Untersuchungen mit deutlich höheren Teilnehmerzahlen notwendig.
Literatur
Kerkhoff G., Marquardt C. Eyemove – Standardisierte Diagnostik und Therapie visueller Explorationsstörungen. Der Nervenarzt 2009;80:1190-1204
Interessenkonflikt: Zwei Autorinnen arbeiten für die Herstellerfirma des benutzten Hilfsmittels.
Hintergrund und Zielstellung
Eine moderne pneumologische Rehabilitation umfaßt ein individuell angepasstes,
multidisziplinäres Programm mit Elementen der Atemphysiotherapie, Förderung der
körperlichen Aktivität, Ernährungslehre und Entspannungsinhalten (Zwick et al., 2013).
Dadurch kann gerade der Therapieerfolg obstruktiver Atemwegserkrankungen nachweislich gesteigert werden, um die bestmögliche Lungenfunktion und Lebensqualität von Patient*innen zu erreichen (Zeng et al., 2018). Aktuelle Studien zeigen diesen Effekt auch nach einer SARS-CoV-2-Pneumonie (Liu et al., 2020).
Zielstellung dieses Pilotprojektes ist es, eine telemedizinisch unterstützte Rehabilitation bei obstruktiven Atemwegserkrankungen mit einer Teletherapieplattform zu ermöglichen. Mit diesem Behandlungsansatz soll der Rehabilitationserfolg gesteigert, sowie eine zeitlich und örtlich flexible Nachsorge geboten werden. Darüber hinaus werden Patient*innen und therapeutisches Personal durch die kontaktfreie Therapie vor infektiösen Aerosolen geschützt.
Auch wenn Covid-19 als treibende Kraft für dieses Projekt gelten kann, so ist der Einsatz von Teletherapie explizit nicht nur auf diese Erkrankung beschränkt. Der Einsatz einer Teletherapie im Bereich der Atemwegserkrankungen ist auch im Bereich von COPD oder Rehabilitation nach Lungenerkrankung zu sehen.
Methoden
Zielgruppe der digitalen Intervention sind Patient*innen obstruktiver Atemwegserkrankungen. Ausschlusskriterien sind eine fehlende Internetverbindung oder ein fehlendes Endgerät, sowie fehlende digitale Kompetenzen. Schwerwiegende Komorbiditäten stellen ebenfalls ein Ausschlusskriterium dar.
Mit Hilfe von zwei standardisierten Therapieplanvorlagen werden die Patient*innen über einen Zeitraum von sechs Wochen teletherapeutisch betreut. Die Therapieplanvorlagen sind multimodal aufgebaut und beinhalten atemtherapeutische Übungen, Bewegungstherapie, Gesundheitsbildung, sowie Entspannungs- und Ernährungsinhalte.
Die beiden Therapieplanvorlagen unterscheiden sich in der Belastbarkeit der zu therapierenden Patient*innen: 1. Ein Plan für gut belastbare Patient*innen (TP1) und 2. ein Plan für weniger belastbare Patient*innen (TP2). Die Vorlagen können vom medizinisch-therapeutischen Personal vor Studienbeginn auf die jeweiligen Erfordernisse angepasst werden.
Die Belastbarkeit der Teilnehmer*innen wird vor Studienbeginn anhand des “Sit-to-Stand-Test” für eine Minute (STST-1m) evaluiert. Zur Durchführung des STST-1m wird die Anzahl des alternierenden Sitzens und Aufstehens von einem Stuhl innerhalb einer Minute gezählt. Weniger als oder gleich 11 Wiederholungen gilt als “gering belastbar”, 11-15 Wiederholungen als “belastbar” (Puhan et al., 2013). Ebenfalls vor Interventionsbeginn wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Teilnehmer*innen mit Hilfe des Fragebogens EQ-5D-5L (Nolan et al., 2016) erhoben.
Die vor Studienbeginn erhobenen Faktoren werden nach Abschluss der sechswöchigen Therapiephase erneut erhoben. In der statistischen Auswertung werden anschließend eventuelle Zusammenhänge erörtert.
Ergebnisse
Wir erwarten eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der subjektiven gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Diese Besserungen sollen durch die im Folgenden beschriebenen Faktoren erreicht werden.
3.1 Mobilitätsförderung
In der teletherapeutischen Atemtherapie wird die Mobilitätsförderung durch Inhalte wie Dehnübungen, eine tiefe Zwerchfellatmung und Atemlenkung in die Brustkorbdehnung erzielt und trägt zu einer tieferen und ruhigeren Atmung bei.
3.2 Wahrnehmungsschulung
Die Wahrnehmungsschulung wird in den Therapieplänen durch Übungen zur Atemlenkung repräsentiert. Dies fördert die Achtsamkeit der Patient*innen und schafft ein Bewusstsein für die Atmung in unterschiedlichen Situationen
3.3 Bewegungsförderung
Eine Verbesserung der kardiovaskulären Fitness verbessert die Lungenfunktion und steigert die Lebensqualität von Patient*innen. Gefördert wird die Mehrbewegung durch bewegungstherapeutische Inhalte sowie eine integrierte Schrittzählerfunktion.
3.4 Wissensvermittlung
Edukative Seminarinhalte werden mit Lernerfolgskontrolle über die Plattform realisiert. Vermittelt wird Hintergrundwissen über die Entstehung und Vorbeugung von Atemwegserkrankungen, Bewältigungsstrategien und einen gesunden Lebensstil.
3.5 Entwicklung krankheitsbezogener Bewältigungsstrategien
Als Bewältigungsstrategien gelten beispielsweise atemerleichternde Stellungen, Entspannungstechniken oder die Lippenbremse. Diese werden Patient*innen mit Hilfe verschiedener Schulungsvideos nahegebracht.
Diskussion und Fazit
Die teletherapeutische Betreuung von Rehabilitations-Patient*innen ist immer dann geboten, wenn sie über eine räumlich schlechte Erreichbarkeit der Rehabilitationsinstitution verfügen, zeitlich eingeschränkt sind oder wenn ein hohes Infektionsrisiko besteht. Hervorheben möchten wir auch die persönliche telemedizinische Patient*innenbindung, den langfristigen Präventionscharakter des vorgestellten Modells sowie den Einsatz zur Rehabilitation nach einer Lungenentzündung, bei Post Covid-19-Syndrom oder bei chronisch erkrankten COPD-Patient*innen.
Die Teletherapie bietet ein in der Einrichtung einfach implementierbares und skalierbares Therapieprogramm an. Durch den verbesserten Einsatz von Personalressourcen, die Fortführung der Gruppentherapien im digitalen Setting und Einhaltung der derzeit geltenden Hygienevorschriften ergeben sich für die medizinischen Einrichtungen weitreichende Optimierungen.
Literatur
Liu, K.; Zhang, W.; Yang, Y.; Zhang, J.; Li, Y.; Chen, Y. (2020): Respiratory rehabilitation in elderly patients with COVID-19: A randomized controlled study. Complementary Therapies in Clinical Practice,39. 101166.
Nolan, C.; Longworth, L.; Lord, J.; Canavan, J.; Jones, S.; Kon, S.; Man, W. (2016): The EQ-5D-5L health status questionnaire in COPD: validity, responsiveness and minimum important difference. Thorax, 71. 493-500.
Puhan, M.; Siebeling, L.; Zoller, M., Muggensturm, P., Riet,G.(2013) Simple functional performance tests and mortality in COPD, ERJ Express
Zeng, Y.; Jiang, F.; Chen, Y.; Cai, S. (2018): Exercise assessments and trainings of pulmonary rehabilitation in COPD: a literature review. International Journal of Chronic Obstructive Pulmonary Diseases, 13. 2013-2023.
Zwick, r. (2013): Pneumologische Rehabilitation - Warum? Wer? Wann? Wie? Wo?. Journal für Pneumologie 1 (1). 35-39.
Hintergrund und Zielstellung
Die in der medizinischen Rehabilitation oft erfolgreich eingeleiteten Verhaltens- und Lebensstiländerungen langfristig beizubehalten, stellt eine große Herausforderung für Rehabilitanden dar. An dieser Stelle setzen Nachsorgeangebote an, um das Erreichte dauerhaft zu erhalten und weiter auszubauen (Deutsche Rentenversicherung, 2019). Die Ergebnisse solcher Nachsorge-Angebote sind vielversprechend (z.B Briest & Bethge, 2016; Deck, 2020; Fittig et al., 2016), sie werden bisher jedoch vergleichsweise selten genutzt. Häufige Gründe sind weite Entfernungen zur nächsten (ambulanten) Rehaeinrichtung und die zeitliche Unflexiblität vieler Angebote. Vor diesem Hintergrund haben digitale Angebote sowie Kombinationen aus digitalen Interventionen und therapeutischem Kontakt (sog. blended care Interventionen) im Bereich der Reha- und Reha-Nachsorge ein hohes Potential, welches durch die Corona-Pandemie weiter verstärkt wird. Ziel ist es, auf Grundlage des Tele-Reha-Nachsorge Rahmenkonzeptes (Deutsche Rentenversicherung 2018), medizinische Konzepte für die Tele-Reha-Nachsorge, Hybrid-Nachsorge sowie Hybrid-Reha für orthopädische und kardiologische Patienten zu entwickeln, diese in digitale Therapieprogramme umzusetzen und in Modellprojekten zu evaluieren.
Methoden
In Zusammenarbeit zwischen den VAMED Rehakliniken und –zentren Deutschland und der Curalie GmbH wurden auf Basis von Leitlinien und wissenschaftlicher Evidenz verschiedene digitale Reha- und Rehanachsorge-Programme entwickelt, die Patienten während und nach der Rehabilitation angeboten werden. In verschiedenen Studien wird die Akzeptanz, Machbarkeit und vorläufige Wirksamkeit der Interventionen für orthopädische und kardiologische Patienten auf Basis von symptomspezifischen und generischen Patient Reported Outcome Measures (PROMs) in Kooperation mit dem Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf evaluiert.
Ergebnisse
Die entwickelten digitalen und hybriden Versorgungskonzepte werden vorgestellt und erste Ergebnisse aus der orthopädischen digitalen Reha-Nachsorge zur Akzeptanz auf Patienten- und Behandlerseite, Machbarkeit und Ergebnisqualität gezeigt. Gleichzeitig werden Herausforderungen in der Umsetzung diskutiert.
Diskussion und Fazit
Insgesamt stimmen die Erfahrungen und Pilot-Ergebnisse aus der Tele-Reha-Nachsorge bezüglich Machbarkeit, Akzeptanz und Ergebnisqualität zuversichtlich, dass durch die Verwendung digitaler Interventionen in der Reha und Reha-Nachsorge die Teilhabe orthopädischer und kardiologischer Rehabilitanden nachhaltig und effizient unterstützt werden kann. Gleichzeitig bringen diese Angebote das Potential für Kostenoptimierungen mit sich, die in weiteren Studien erfasst werden soll. Digitale Therapien für chronisch Erkrankte können flexibel in den beruflichen und privaten Alltag integriert und so die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung der Betroffenen nachhaltig sichergestellt werden.
Literatur
Deck, R., et al. (2020). Rehab Aftercare 'New Credo' in the Cardiac Follow-Up Rehabilitation. Rehabilitation, 59, 17-25.
Deutsche Rentenversicherung (2019). Rahmenkonzept zur Nachsoreg. Online verfügbar unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/konzepte_systemfragen/konzepte/rahmenkonzept_reha_nachsorge.html [Letzter Zugriff: 27.11.2020, 12.15 Uhr].
Deutsche Rentenversicherung (2018). Anforderungen an Tele-Reha-Nachsorge. Online verfügbar unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/nachsorge/nachsorge_tele_reha.html [Letzter Zugriff: 27.11.2020, 12.05 Uhr].
Briest, J., & Bethge, M. (2016). Intensivierte medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitationsnachsorge: Langfristige Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Multicenter-Studie [Intensified Work-Related Rehabilitation Aftercare: Long-term Results of a Randomized Controlled Multicenter Trial]. Rehabilitation, 55, 108-114. doi: 10.1055/s-0042-102998.
Fittig, E., Hickmann, M., Kunze, J. (2016). Damit die Wirkung nicht verblasst – IRENA-Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation. DRV-Schriften, 109, 131-132.
Hintergrund und Zielstellung
Das im Feld der Reha-Nachsorge (Boes 2016) angelegte Projekt zielt auf die Förderung der Selbstmanagementkompetenzen zur Verstetigung des Rehabilitationserfolgs im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation oder eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. In der Konzeptphase wurde eine Onlineplattform partizipativ entworfen, auf der Rehabilitanden nach der Reha miteinander in Kontakt treten und sich themenspezifisch austauschen sowie zusätzliche Informationen über Angebote verschiedener Träger entsprechend ihrer Bedarfe einholen können. Darüber hinaus bietet das Online-Portal die Möglichkeit, das in der Reha Gelernte durch gegenseitige Ermutigung und Unterstützung in Alltag und Beruf zu übertragen. Ergänzend zu bereits existierenden individuellen Onlinekontakten (Facebook, WhatsApp) soll mit der geplanten Onlineplattform den ehemaligen Rehabilitanden ermöglicht werden, neue Kontakte im Nachgang der Reha - und damit in einer Situation womöglich verstärkten Bedarfs an Peer-Support (Utaschowski 2013) - zu knüpfen und verloren gegangene Kontakte zu reaktivieren.
Als fachlich begleitetes, unabhängiges, für die Rehabilitanden kostenfreies und zeitlich unbegrenztes Angebot fügt sich die Onlineplattform in die erweiterte Nachsorge ein und ergänzt das bestehende Angebot mit der Möglichkeit zu selbstgesteuerter Eigenaktivität (Information, Kommunikation), das in der Reha angestoßene Lerneffekte aufgreift bzw. neue anstößt. Eine zusätzliche professionelle Begleitung und Moderation soll die Rehabilitanden bei Bedarf unterstützen und ggf. erforderliche Kontakte zu fachärztlicher/-psychologischer Information und Beratung vermitteln.
Vor diesem Hintergrund standen in der Konzeptphase drei zentrale Aspekte im Mittelpunkt:
1. die Ermittlung des Bedarfs und der Akzeptanz bei den Rehabilitanden,
2. die Frage der technischen Realisierung und Umsetzung und schließlich
3. die Frage einer verstetigten und verlässlichen Finanzierung.
Methoden
In der Konzeptphase konnten 879 Fragebögen von Rehabilitanden der onkologischen, kardiologischen, orthopädischen, psychosomatischen und beruflichen Rehabilitation erhoben und ausgewertet werden (Rücklauf: 17,6%). Weiter wurden nach den Prinzipien des Theoretical Samplings sechs Online-Fokusgruppen mit oben genannten indikationsgruppen durchgeführt. Die Analyse der Transkripte erfolgte nach der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015). Schließlich wurden 32 Interviews mit Experten aus Wissenschaft und Praxis geführt und themenbezogen ausgewertet (Meuser & Nagel 2005).
Ergebnisse
40% der Befragten aus der Fragebogenerhebung gaben an, dass sie die Onlineplattform für ehemalige Rehabilitanden nutzen würden, 40 % sind sich noch unschlüssig und 20 % sehen für sich keinen Bedarf. Die Antworten gleichen sich mit geringen prozentualen Abweichungen über alle Indikationen hinweg. Besonders interessieren sich die Rehabilitanden für Informationen über weitere Rehabilitationsmöglichkeiten (68,7%) und den Austausch über den Umgang mit Alltags- und Lebensproblemen (66,2%). Bei den Teilnehmern an LTA-Leistungen steht der Austausch über das Thema Arbeiten mit eingeschränkter Gesundheit im Vordergrund. Die Experten befürworten i.d.R. eine Erprobungsphase, weil aus ihrer Sicht der Austausch der Rehabilitanden als wichtiger Faktor für die Krankheitsbewältigung und die Rückkehr in Arbeit wahrgenommen wird und die Onlineplattform eine wichtige Ergänzung zu den vorhandenen Nachsorge-Apps (z.B. Trainingsapps) darstellt. Als herausfordernd werden von den Experten der Datenschutz, die Einbettung in die Praxis und eine nachhaltige Finanzierung angesehen. Eine Mitwirkungsbereitschaft bei der Zugangssteuerung und der Begleitung ist bei den Experten der Rehabilitationsnachsorge grundsätzlich vorhanden.
Von verschiedenen Anbietern wurde eine technische Umsetzbarkeit des Projekts auf Basis des IT-Lastenhefts bestätigt und die Kosten grob kalkuliert. Zur Präzisierung wird in der Erprobungsphase ein Workshop zur Priorisierung der Inhalte und ihrer Ausgestaltung empfohlen.
Zur Frage der Finanzierung signalisierten einzelne Rentenversicherungsträger, Krankenkassen, Unfallkassen, Rehabilitationskliniken und Stiftungen bereits Interesse und Bereitschaft.
Diskussion und Fazit
Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass eine Erprobungsphase von den Experten und Rehabilitanden begrüßt wird. Die Umsetzung als Webapplikation, auf allen Endgeräten nutzbar und partizipativ angelegt, ist technisch im Rahmen einer Modellphase möglich.
Aus Kostengründen empfiehlt sich zunächst die Bereitstellung von Kommunikationswegen und gebündelter Informationen über Rehabilitationsangebote. Erst im Nachgang erfolgt eine schrittweise Erweiterung der Plattform. Die in fast allen Experteninterviews mit Reha-Trägern angesprochene konkrete Kostenkalkulation für einen Regelbetrieb über die Erprobungsphase hinaus, kann erst im Modellbetrieb erfolgen. Gleiches gilt für das Nutzungsverhalten sowie den Personalaufwand, da diese Daten erst während des Betriebs aufgrund praktischer Erfahrungen konkretisiert werden können. Eine Mischkalkulation durch verschiedene Träger erscheint am wahrscheinlichsten und muss im Rahmen einer Modellphase über entsprechende Expertenrunden eruiert werden. Eventuell kommt eine Erprobung im Rahmen von Reha-Pro in Frage.
Entsprechend den Erkenntnissen unserer Studie empfiehlt sich die Durchführung einer Modellphase als Machbarkeitsstudie, in der die offenen Fragen geklärt werden können. Als mögliche Kooperationspartner würden dafür zunächst zwei Rehabilitationskliniken mit psychosomatischen und einem weiteren Schwerpunkt sowie eine Einrichtung der beruflichen Rehabilitation in Frage kommen, wobei die Moderation vorerst durch das wissenschaftliche Begleitteam übernommen wird.
Literatur
Boes, N. (2016): Nachsorge im Bereich der psychosomatischen Rehabilitation nach dem neuen Rahmenkonzept der Deutschen Rentenversicherung. In: Die Rehabilitation. Jg. 55, S: 369-373.
Mayring, P. (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz.
Meuser, M. & Nagel, U. (2005): Experteninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Bogner, A., Littig, B. & Menz, W. (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: Leske+Budrich, S. 71-94.
Utschakowski, J. (2013): Peer-Support: Gründe, Wirkungen, Ambitionen. In: Utschakowski, J, Gyöngyvér S. & Bock, T. (Hg.): Vom Erfahrenen zum Experten. Wie Peers die Psychiatrie verändern. 5. Aufl. Bonn: Psychiatrie-Verl., S. 14–21.