Kongresseröffnung
Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund
Grußworte
Dr. Andreas Philippi, Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen
Thomas Hermann, Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover
Jan Miede, Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
Prof. Dr. Thorsten Meyer, Präsident der Deutschen Geselschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW)
Verleihung Zarnekow-Preis 2023
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Keynote zum Thema:
Wandel und Veränderungskultur aus der Perspektive der Organisationsentwicklung: Wie können Veränderungsprozesse in Organisationen erfolgreich umgesetzt werden können? Und woran scheitern sie so häufig?
Schlagworte:
Change-Management, Innovationsmanagement, Transformationsprozesse, Unternehmenskultur
Zur Person:
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) – einer wissenschaftlichen Einrichtung der Hochschule. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Trends in der Arbeitswelt (z.B. Digitalisierung, Demografie, Diversität und gesellschaftlicher Wertewandel) und die Konsequenzen für Personalmanagement und Organisationsentwicklung sowie Führung. In zahlreichen Unternehmen und Institutionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Prof. Dr. Jutta Rump als Prozessbegleiterin tätig. Seit 2007 zählt sie kontinuierlich zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens und zu den 10 wichtigsten Professoren für HR im deutschsprachigen Raum. Aktuell ist sie zudem eine von vier Botschafterinnen und Botschaftern der Initiative „Neue Qualität der Arbeit - INQA“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die Unternehmen und Verwaltungen mit umfassendem Praxiswissen zu den Zukunftsthemen der Arbeitswelt unterstützt.
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Hintergrund und Zielstellung
Nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion sind viele Menschen von Long-COVID bzw. einem Post-COVID-Syndrom betroffen und leiden unter längerfristigen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Nittas et al., 2022). Wenn COVID-19 Krankheitsfolgen auch die Atmungsorgane (mit-)betreffen, wird eine pneumologische Rehabilitation (PR) empfohlen. Bislang liegen wenig Erkenntnisse zu Überzeugungen („Krankheitsrepräsentationen“) der Patient*innen über ihre Erkrankung vor, zum Beispiel über die angenommene Dauer, Beeinträchtigungen, Kontrolle und Behandelbarkeit. Nach dem Common-Sense Model (CSM, Leventhal et al. 2011) können Krankheitsüberzeugungen erheblichen Einfluss auf Coping und Compliance der Patient*innen und folglich auch auf den Verlauf der PR haben. In dieser Sekundäranalyse wurden Krankheitsrepräsentationen von Long-COVID Rehabilitand*innen am Beginn einer PR analysiert und Zusammenhänge mit Charakteristika der akuten COVID-19 Erkrankungen beleuchtet.
Methoden
Die Daten dieser Analyse stammen aus einer prospektiven Beobachtungsstudie zum Verlauf von Symptomen bei Post-/Long-COVID während und nach einer PR (Hayden et al., 2021; Hayden et al., under Review). Eingeschlossen wurden 69 Frauen und 89 Männer (N=158), die aufgrund anhaltender Symptome nach akuter COVID-19 eine PR an der Klinik Bad Reichenhall absolvierten. Krankheitsrepräsentationen wurden zu Beginn der PR mittels einer auf COVID-19 angepassten Version des Brief Illness Perception Questionnaire (BIPQ) erfasst. Höhere Werte deuten jeweils auf negativere Ausprägungen (z.B. schlimmere Konsequenzen, weniger Behandlungskontrolle). Berichtet werden deskriptive Kennwerte und 95%-Konfidenzintervalle. Zur Analyse der Zusammenhänge zwischen Aspekten von akuter COVID-19, wie intensivmedizinische Behandlung (ja/nein) oder Dauer der anhaltenden Symptomatik (≤12 Wochen/ >12 Wochen), wurden Pearson-Korrelationskoeffizienten, Cohen’s d und t-Tests berechnet. Der Einfluss von Alter und Geschlecht auf die ermittelten Zusammenhänge wurde durch multiple Regressionsanalysen überprüft.
Ergebnisse
Die höchsten Werte wurden bei den BIPQ-Items Konsequenzen (M=6.87, 95% KI [6.50, 7.24], Md=7, SD=2.37), Identität (M=6.77, KI [6.40, 7.24], Md=8, SD=2.69) und Sorgen (M=6.82, KI [6.40, 7.24], Md=8, SD=2.69) erzielt, die niedrigsten bei den Items Behandlungskontrolle (M=2.80, KI [2.48, 3.13], Md=2.50, SD=2.06) und Verständnis (M=3.64, KI [3.21, 4.07], Md=3, SD=2.77). Besonders hohe Korrelationen der BIPQ-Items untereinander zeigten sich zwischen Sorgen und Emotionale Repräsentation (r =.78), Konsequenzen und Identität (r=.78) sowie Sorgen und Identität (r=.69). Es zeigten sich diverse Zusammenhänge mit Charakteristika der Akutbehandlung, die deutlichsten mit Behandlungskontrolle. Diese hing sowohl mit einer erfolgten intensivmedizinischen Behandlung (d=0.47, p=.004) sowie invasiver Beatmung (d=0.47, p=.021), Sauerstofftherapie (d=0.47, p=.021) und COVID-Gruppe (anhaltende Symptomatik ≤12 Wochen/ >12 Wochen; d=-0.55 p < .001) zusammen. Die meisten Zusammenhänge blieben auch nach Kontrolle der Variablen Alter und Geschlecht stabil.
Diskussion und Fazit
Insgesamt zeigt sich im Mittel eine deutliche, aber keine extreme wahrgenommene Belastung der Rehabilitand*innen. Zudem halten sie ihre Symptome im Mittel für behandelbar, was für eine gute Therapiemotivation spricht. Rehabilitand*innen mit schwereren Akutverläufen berichten weniger bedrohliche Krankheitsrepräsentationen als Personen mit leichteren Verläufen. Rehabilitand*innen mit längerer Krankheitsdauer geben im Vergleich zu Rehabilitand*innen mit kürzerer Krankheitsdauer stärker wahrgenommene Auswirkungen der Long-COVID Erkrankung an. In künftigen Analysen sollten Veränderungen in Krankheitsrepräsentationen und deren Zusammenhänge mit dem Verlauf der Symptomatik betrachtet werden. Die Ergebnisse dieser und folgender Studien könnten dazu genutzt werden Rehabilitationsprogramme für Long-COVID Patient*innen noch besser auf die Betroffenen abzustimmen und Krankheitsrepräsentationen direkt adressieren, um belastende emotionale Reaktionen zu reduzieren und den Gesundheitszustand zu verbessern.
Take-Home-Message
Long-/Post-COVID-Rehabilitand*innen sehen sich zu Rehabeginn durch die Symptome stark belastet und machen sich Sorgen über die Folgen der Erkrankung, sind jedoch gleichzeitig davon überzeugt, dass ihnen die Behandlung helfen kann. Diese Krankheitsrepräsentationen hängen mit Charakteristika des Akutverlaufs zusammen.
Literatur
Hayden, M. C., Limbach, M., Schuler, M., Merkl, S., Schwarzl, G., Jakab, K., Nowak, D., & Schultz, K. (2021). Effectiveness of a three-week inpatient pulmonary rehabilitation program for patients after COVID-19: A prospective observational study. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(17), 9001.
Hayden, M. C., Schuler, M., Limbach, M., Schwarzl, G., Stenzel, N., Nowak, D., Schultz, K. (under Review). Patient-Reported Outcomes (PROs) 3 und 6 Monate nach pneumologischer Post-Covid-Rehabilitation.
Leventhal, H., Bodnar-Deren, S., Breland, J. Y., Hash-Converse, J., Phillips, L. A., Leventhal, E. A., & Cameron, L. D. (2011). Modeling health and illness behavior: The approach of the commonsense model. In A. Baum, T. A. Revenson, & J. Singer (Hrsg.), Handbook of Health Psychology (2. Aufl., S. 3–35). Routledge.
Nittas, V., Gao, M., West, E. A., Ballouz, T., Menges, D., Wulf Hanson, S., & Puhan, M. A. (2022). Long COVID through a public health lens: An umbrella review. Public Health Reviews, 43, 1604501.
Hintergrund und Zielstellung
Seit Beginn der Corona-Pandemie zeigen sich zunehmend die Folgeerscheinungen einer akuten COVID-19-Erkrankung. Diese äußern sich u.a. in verminderter Leistungsfähigkeit, funktionellen Beeinträchtigungen sowie Einschränkungen der Lebensqualität (Carfi et al., 2020). Halten die Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung über einen zwölfwöchigen Zeitraum an, spricht man vom post-COVID-19 Syndrom (Koczulla et al., 2021). Um die Genesung von post-COVID-19-Patient*innen zu unterstützen, kann eine multimodale pneumologische Rehabilitationsmaßnahme indiziert sein. Dabei soll basierend auf dem bio-psycho-sozialen ICF-Modell die Teilhabe der Rehabilitand*innen gefördert werden (Jarosch, Koczulla, 2021). Ziel dieser klinischen Beobachtungsstudie war es, Veränderungen der kardiovaskulären und pulmonalen Leistungsfähigkeit sowie unterschiedlicher Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und des selbstberichteten Gesundheitszustandes von post-COVID-19-Patient*innen in Folge einer dreiwöchigen multimodalen pneumologischen Rehabilitationsmaßnahme zu untersuchen.
Methoden
Anhand von monozentrisch im Routinebetrieb erhobenen Daten wurden sekundäre Datenanalysen durchgeführt. Insgesamt lagen zur kardiovaskulären und pulmonalen Leistungsfähigkeit, gemessen anhand des 6 MWT (Gehstrecke in Metern), Daten von 779 Patient*innen vor (♀ = 47.88 %; Malter = 56.56, SD = 13.16). Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (0 = keine Einschränkungen; 5 = extreme Einschränkungen) und der selbstberichtete Gesundheitszustand (0 = der schlechteste Gesundheitszustand, den man sich vorstellen kann; 100 = der beste Gesundheitszustand, den man sich vorstellen kann) wurden anhand des EQ-5D-5L operationalisiert. Der EQ-5D-5L wurde von insgesamt 679 Patient*innen ausgefüllt (♀ = 48.9%; Malter = 56.30, SD = 13.39).
Ergebnisse
T-Tests für abhängige Stichproben mit Bonferroni-Holm-Korrektur zeigten, dass Patient*innen vor der Rehabilitation (M = 415.26, SD = 128.75) eine kürzere Gehstrecke zurücklegen konnten als nach der Rehabilitation (M = 516.04, SD = 119.34). Diese Verbesserung erwies sich als statistisch signifikant (t(778) = -39.79, p < .001, d = 0.812). Bezogen auf die Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität konnte gezeigt werden, dass Patient*innen ihre Einschränkungen in der Mobilität vor der Rehabilitation (M = 1.66, SD = 0.96) als statistisch signifikant größer einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 1.25, SD = 0.59); t(587) = 11.16, p < .001, d = -0.525; dass Patient*innen ihre Einschränkungen in der Selbstversorgung vor der Rehabilitation (M = 1.15, SD = 0.47) als statistisch signifikant größer einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 1.05, SD = 0.27); t(588) = 5.44, p < .001, d = -0.245; dass Patient*innen ihre Einschränkungen in alltäglichen Tätigkeiten vor der Rehabilitation (M = 2.12, SD = 0.93) als statistisch signifikant größer einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 1.41, SD = 0.72); t(586) = 17.97, p < .001, d = -0.860; dass Patient*innen ihren Schmerz / ihr Unbehagen vor der Rehabilitation (M = 2.36, SD = 0.88) als statistisch signifikant größer einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 1.82, SD = 0.73); t(584) = 13.54, p < .001, d = -0.678; und dass Patient*innen ihre Angst / Niedergeschlagenheit vor der Rehabilitation (M = 1.76, SD = 0.93) als statistisch signifikant größer einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 1.26, SD = 0.59); t(587) = 12.99, p < .001, d = -0.641. Abschließend konnte gezeigt werden, dass Patient*innen ihren Gesundheitszustand vor der Rehabilitation (M = 62.11, SD = 15.60) als signifikant niedriger einschätzten als nach der Rehabilitation (M = 79.76, 14.76); t(584) = -23.90, p < .001, d = 1.162.
Diskussion und Fazit
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine multimodale pneumologische Rehabilitation eine geeignete Maßnahme darstellt, um die Teilhabefähigkeit von post-COVID-19-Patient*innen zu verbessern. Um die positiven Effekte solcher Maßnahmen genauer abschätzen zu können sollten zukünftige Studien (quasi-)experimentelle Forschungsstrategien berücksichtigen.
Take-Home-Message
Post-COVID-19-Patient*innen zeigen in Folge einer multimodalen pneumologischen Rehabilitationsmaßnahme Verbesserungen in Parametern der kardiovaskulären und pulmonalen Leistungsfähigkeit sowie der Lebensqualität. Die Ergebnisse sprechen für die Eignung einer derartigen Rehabilitationsmaßnahme zur Verbesserung grundlegender Voraussetzungen der sozialen und beruflichen Teilhabefähigkeit dieses Patientenkollektivs.
Literatur
Carfì, A., Bernabei, R., Landi, F. (2020): Persistent symptoms in patients after acute COVID-19. Jama, 324. 603-605.
Jarosch, I., Koczulla, A. R. (2021). Rehabilitation nach COVID-19-Erkrankung. Sports Orthopaedics and Traumatology, 37. 242-248.
Koczulla, A. R., Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Böing, S., Brinkmann, F., Franke, C., Glöckl, R., Gogoll, C., Hummel, T., Kronsbein, J., Maibaum, T., Peters, E., Pfeifer, M., Platz, T., Pletz, M., Pongratz, G., Powitz, F., Rabe, K. F., Scheibenbogen, C., Stallmach A., Stegbauer, M., Wagner, H. O., Waller, C., Wirtz, H., Zeiher, A., Zwick, R. H. (2021). S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID [S1 Guideline Post-COVID/Long-COVID]. Pneumologie, 75. 869–900.
Hintergrund und Zielstellung
COVID-19 geht mit verschiedenen Symptomen und einer langfristigen psychischen Belastung einher (Soriano et al., 2022). Die WHO (2021) definiert Post-COVID als ein Persistieren von Symptomen im Zusammenhang mit der überstandenen SARS-CoV-2-Infektion. Das Post-COVID-Syndrom betrifft 5-10 % der COVID-19-Patienten (Augustin et al., 2021), von welchen ein relevanter Teil von längerer Arbeitsunfähigkeit aufweisen oder im schlimmsten Fall die Teilnahme am Arbeitsleben bedroht ist (Lemhöfer et al., 2021). In Anbetracht der multifaktoriellen Ursachen für die Entstehung und Aufrechterhaltung des Post-COVID-Syndroms ist eine multimodale Behandlung mit somatomedizinischen und psychotherapeutischen Inhalten sinnvoll (Koczulla et al., 2022; Kupferschmitt et al., 2022). Diese Studie vergleicht die psychische Belastung stationär aufgenommener Post-COVID-Patienten sowie deren Therapieverlauf mit stationär aufgenommenen psychosomatischen und psychokardiologischen Patienten.
Methoden
Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie mit Kontrollgruppe und klinischer, standardisierter Untersuchung. Zu zwei Messzeitpunkten (Aufnahme, Entlassung) werden psychologische Tests (BDI-II, HELATH-49) und der 6-MGT als somatischer Parameter durchgeführt. Ausgewertet werden Stichprobencharakteristika, einschließlich arbeitsbezogene Parameter, die allgemeine Symptombelastung und der Verlauf der Symptome während der Rehabilitation.
Ergebnisse
Bei Aufnahme waren post-COVID-Patienten in allen Parametern signifikant belastet, jedoch weniger stark als psychosomatische oder psychokardiologische Patienten (BDI-II post-COVID = 19,29 ± 9,03, BDI-II psychosomatisch = 28,93 ± 12,66, BDI-II psychokardiologisch = 24,47 ± 10,02). Während der Rehabilitation verringerte sich der Schweregrad der Symptome in allen Beschwerdebereichen und Sub-Gruppen signifikant (Effektstärken von d = 0,34 bis d = 1,22). Mittlere positive Effekte wurden auf Selbstwirksamkeit (d = .69) und große Effekte auf Aktivität und Teilhabe (d = 1,06) bei post-COVID Patienten beobachtet. Im 6-MGT verbesserte sich die Gehstrecke um durchschnittlich 76,43 ± 63,58 Meter (d = 1,22). Bei keinem einzigen Patienten verschlechterte sich die Gehstrecke, was ein mögliches Anzeichen für Post Exercise Malaise (PEM) gewesen wäre. Die Ergebnisse finden sich in Tabelle 1 sowie die Entwicklung der Gehstrecke in Grafik 1.
Diskussion und Fazit
Post-COVID-Patienten haben eine geringere psychische Belastung als psychokardiologische oder psychosomatische Patienten, sind jedoch klinisch bedeutsam belastet. Trotz der geringeren psychischen Belastung sind Patienten mit Post-COVID-Syndrom in Bezug auf Aktivität und Teilhabe sowie in sozialmedizinischer Hinsicht ähnlich stark eingeschränkt wie psychosomatische oder psychokardiologische Patienten. Obwohl die Rehabilitation nicht kurativ wirkt, profitieren Post-COVID-Patienten von den Maßnahmen. Trotz des Rehabilitationserfolgs mit Symptomreduzierung und Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit wurden etwa 50 % der Patienten nach der COVID als arbeitsunfähig entlassen, vor allem aufgrund anhaltender kognitiver Defizite. Zugleich gab es keine Anzeichen für PEM.
Take-Home-Message
Die Post-COVID Rehabilitation trägt signifikant zur Symptomreduktion und Krankheitsverarbeitung bei und verbessert das psychische Wohlbefinden und die Aktivität und Teilhabe.
Literatur
Augustin, M., Schommers, P., Stecher, M., Dewald, F., Gieselmann, L., Gruell, H., Horn, C., Vanshylla, K., Cristanziano, V. Di, Osebold, L., Roventa, M., Riaz, T., Tschernoster, N., Altmueller, J., Rose, L., Salomon, S., Priesner, V., Luers, J. C., Albus, C., … Lehmann, C. (2021). Recovered not restored: Long-term health consequences after mild COVID-19 in non-hospitalized patients. MedRxiv, 2021.03.11.21253207. https://doi.org/10.1101/2021.03.11.21253207
Koczulla, AR Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Berner, R., Böing, S., Brinkmann, F., Frank, U., Franke, C., Glöckl, R., Gogoll, C., Häuser, W., Hohberger, B., Huber, G., Hummel, T., Köllner, V., Krause, S., Kronsbein, J., Maibaum, T., Otto-Thöne, A., … Zwick, R. (2022). AWMF S1-Leitlinie Long/ Post-COVID. moz-extension://cf6a90ab-d653-4bc0-b6ed-1498cd57c255/enhanced-reader.html?openApp&pdf=https%3A%2F%2Fwww.awmf.org%2Fuploads%2Ftx_szleitlinien%2F020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2022-08.pdf
Kupferschmitt, A., Hinterberger, T., Montanari, I., Gasche, M., Hermann, C., Jöbges, M., Kelm, S., Sütfels, G., Wagner, A., Loew, T., & Köllner, V. (2022). Relevance of the post-COVID syndrome within rehabilitation (PoCoRe): study protocol of a multi-centre study with seven rehabilitation clinics of different specialisations: cardiological-psychosomatic rehab, pneumological-psychosomatic rehab, neurological. BMC Psychology.
Lemhöfer, C., Best, N., Gutenbrunner, C., Loudovici-Krug, D., Teixido, L., & Sturm, C. (2021). Perceived and Real Work Capacity of Patients with Post-COVID Symptoms after Mild Acute Course: A Analysis of the Rehabilitation Needs Questionnaire (RehabNeQ). Physikalische Medizin Rehabilitationsmedizin Kurortmedizin. https://doi.org/10.1055/A-1674-8044/ID/R2021-08-0550-0032
Soriano, J. B., Murthy, S., Marshall, J. C., Relan, P., & Diaz, J. V. (2022). A clinical case definition of post-COVID-19 condition by a Delphi consensus. The Lancet Infectious Diseases, 22(4), e102–e107. https://doi.org/10.1016/S1473-3099(21)00703-9
Hintergrund und Zielstellung
* Gleichberechtigte Erstautorenschaft Kupferschmitt & Hinterberger
** Gleichbereichtigte Letztautorenschaft Loew & Köllner
Beim Post-COVID-Syndrom können neben körperlichen Einschränkungen auch kognitive Einschränkungen, Fatigue, Dyspnoe sowie Depressionen und Angststörungen auftreten. Stand Oktober 2022 haben sich weltweit ca. 624 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert (Deutschland ca. 34.5 Mio), wobei ca. 5-10% ein Post-COVID-Syndrom entwickeln (Augustin et al., 2021). Bei einem relevanten Teil der Betroffenen führt dies zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit oder bedroht im schlimmsten Fall die Teilnahme am Arbeitsleben (Lemhöfer et al., 2021). Post-COVID ist somit ein hochrelevantes Thema für die öffentliche Gesundheit (Matsumoto et al., 2022). Eine kausale Therapie für das Post-COVID-Syndrom gibt es bisher nicht, mit einer multimodalen symptomorientierten Rehabilitation kann der Verlauf jedoch günstig beeinflusst werden (Koczulla, et al., 2022). Die Studienlage zur Post-COVID-Reha ist bisher unzureichend. Die Zielsetzung dieser Studie ist daher: (1) Deskription neurologischer, kognitiver oder/und psychischer Funktionseinschränkungen. (2) Differenzierte Überprüfung der fachspezifischen Rehabilitationsmaßnahmen, sowohl kurz- als auch längerfristig zum Zweck der Zukunftsprognose und der Optimierung therapeutischer Interventionen.
Methoden
Es handelt sich um eine multizentrische, nicht randomisierte, kontrollierte Längsschnitt-Studie mit Mehr-Gruppenvergleichen, bei der Beteilung von sieben Rehabilitationskliniken unterschiedlicher Fachrichtungen: Kardioloigie, Pneumologie, Neurologie, Psychosomatik. Der Erhebungszeitraum beträgt 12 Monate. Die Ziel-Stichprobengröße ist N = 1000. Somatische und psychologische Testung zu drei Messzeitpunkten (Aufnahme, Entlassung, 6-Monats-Katamnese) werden durchgeführt. Durchgeführt werden u.a. Spiroergometrien, 6MGT, TAP-Testung zur Prüfung der neuro-kognitiven Störungen und ein psychologisches Assessment. Die Patientenversorgung erfolgt durch die an die Herausforderungen der Post-COVID-Symptomatik angepasste Regelversorgung.
Ergebnisse
Wir gehen davon aus, differenzierte Einblicke in neurologische, kognitive oder/und psychische Funktionseinschränkungen bei Rehabilitand*innen nach COVID-19 Erkrankung zu erhalten und darüber hinaus, die fachspezifischen Rehabilitationsmaßnahmen, kurzfristig und im längeren Verlauf hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüfen zu können.
Diskussion und Fazit
Diese Studien dient zur differenzierten Erfassung der Post-COVID Symptomatik. Die Ergebnisse sollen zur Verbesserung der Versorgungslage mittels geeigneter Behandlungskonzepte beitragen. Es wird angenommen, dass entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen sich positive auf die körperliche und psychische Konsitution der Post-COVID Betroffenen auswirken und dadurch auch die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr an den Arbeitsplatz erhöhen.
Registrierung der Studie: Z-2022-1749-8, registriert 03. Februar 2022.
Take-Home-Message
-
Literatur
Augustin, M., Schommers, P., Stecher, M., Dewald, F., Gieselmann, L., Gruell, H., Horn, C., Vanshylla, K., Cristanziano, V. Di, Osebold, L., Roventa, M., Riaz, T., Tschernoster, N., Altmueller, J., Rose, L., Salomon, S., Priesner, V., Luers, J. C., Albus, C., … Lehmann, C. (2021). Recovered not restored: Long-term health consequences after mild COVID-19 in non-hospitalized patients. MedRxiv, 2021.03.11.21253207. https://doi.org/10.1101/2021.03.11.21253207
Koczulla, AR Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Berner, R., Böing, S., Brinkmann, F., Frank, U., Franke, C., Glöckl, R., Gogoll, C., Häuser, W., Hohberger, B., Huber, G., Hummel, T., Köllner, V., Krause, S., Kronsbein, J., Maibaum, T., Otto-Thöne, A., … Zwick, R. (2022). AWMF S1-Leitlinie Long/ Post-COVID. moz-extension://cf6a90ab-d653-4bc0-b6ed-1498cd57c255/enhanced-reader.html?openApp&pdf=https%3A%2F%2Fwww.awmf.org%2Fuploads%2Ftx_szleitlinien%2F020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2022-08.pdf
Kupferschmitt, A., Etzrodt, F., Kleinschmidt, J., & Köllner, V. (2022). Nicht nur multimodal, sondern auch interdisziplinär: Ein Konzept für fächerübergreifende Zusammenarbeit in der Rehabilitation des Post-COVID-Syndroms. PPmP - Psychotherapie · Psychosomatik · Medizinische Psychologie, 72. https://doi.org/10.1055/A-1838-3055
Lemhöfer, C., Best, N., Gutenbrunner, C., Loudovici-Krug, D., Teixido, L., & Sturm, C. (2021). Perceived and Real Work Capacity of Patients with Post-COVID Symptoms after Mild Acute Course: A Analysis of the Rehabilitation Needs Questionnaire (RehabNeQ). Physikalische Medizin Rehabilitationsmedizin Kurortmedizin. https://doi.org/10.1055/A-1674-8044/ID/R2021-08-0550-0032
Matsumoto, K., Hamatani, S., Shimizu, E., Käll, A., & Andersson, G. (2022). Impact of post-COVID conditions on mental health: a cross-sectional study in Japan and Sweden. BMC Psychiatry, 22(1), 1–13. https://doi.org/10.1186/S12888-022-03874-7/TABLES/3
Hintergrund und Zielstellung
Bleibende Gesundheitsschäden nach Covid-19 (C19) sind häufig (Ayegbusi et al., 2021; Lemhöfer et al., 2021; Nalbandian A et al., 2021). Zeitachse und Ausmaß der pulmonalen Gesundung nach C19 und bei Long-Covid (LC) sind nur lückenhaft erforscht (Koczulla AR et al., 2021; Venkatesan P et al 2021). Die C19- und LC-Rehabilitation gehören aktuell zu den effektivsten therapeutischen Optionen nach C19 und bei LC.
Dargestellt werden Ausgangsbefunde, Therapiedaten, spiroergometrische Daten und sozialmedizinische Ergebnisse von 31 Rehabilitandinnen nach C19 bzw LC aus dem Zeitraum 03/2021 bis 10/2022.
Methoden
Folgende klinische Daten wurden von 21 AHB Pat nach C19 und 21 HV Pat mit LC-Reha (im Ergebnisteil in Klammern dargestellt) verglichen:
- Aufnahmedaten wie Abstand zur C19 Erkrankung sowie subjektive und objektive Parameter der
pulmonalen Beeinträchtigung,
- Therapiedaten zur Atemtherapie, Sauerstofftherapie und medikamentösen Therapie
- Spiroergometrie-Daten
- Klinische und sozialmedizinische Ergebnisse.
Ergebnisse
Aufnahme
Anteil w 38 (61)%. Alter m 55,0 (52,5)J. Alter w 51,6 (48,1) J. Kostenträger DRV/BG 100/0 (71/19)%. Luftnot NYHA2 1,2 (1,5). mMRC 1,5 (1,6). LTOT 33 (0)%. LE 33 (14)%. COPD/Asthma 10 (10)%. PAH 5 (5)%. Zwerchfellprobleme 38 (23)%. VC 75 (91 )%. FEV1 78,9 (88)%. LVEF 63,2 (65,7)%.
Therapie
Coach 86 (52)%. IMT 67 (48)%. Predni 10 (18)%. Colchicin 14 (10)%. IHHT 33 (43)%.
Spiroergometrie
AF 18,9 > 29,2 (19,0 > 30,0)/min. O2-P 4,2 > 10,8 (5,0 > 11,0) ml/b. VT 0,6 > 2,0 (0,75 > 1,8)l. VE 12,1 > 57,8 (12,4 > 51,7) l/min. VAT 88,1 (92,9) W. EQO2AT/EQCO2AT 33,0/32,9 (31,0/31,1).
Ergebnis
tVC Coach 2292 > 3164 (2414>2609) ml. Wid IMTe 30 (21) cm H20. O2-Sätt min 93,7 (95,4). 6MGT 440 > 525 (n.a)m. Ergo-Training 39,0 > 73,8 (46,9 > 74,0) W.
Entl af 5 (33) %. Letzter Beruf >6h 95 (52)%. allg AM >6h 95 (71) %.
Diskussion und Fazit
Bei dem beobachteten Klientel gelang insgesamt eine günstige pulmonale Erholung nach C19.
Es bestand bei keinem Pat eine Linksherzproblematik. Zwerchfellprobleme waren häufiger zu beobachten. Die angewendete Therapie waren erfolgreich. Spiroergometrisch auffällig waren eine vergleichbare zu schnelle und ineffektive Atmung bei insgesamt guter Belastbarkeit in beiden Kollektiven. Die festgestellten quantitativen Leistungseinschränkungen bei LC bezogen sich alle auf neuropsychologische Beeinträchtigungen.
Take-Home-Message
Nach C19 und bei LC müssen falsche Atemmuster und Zwerchfellbewegungsstörungen beachtet, untersucht und ggf. behandelt werden. Spezialisierte Rehabilitationsangebote zur AHB nach C19 und als HV für LC sind effektive therapeutische Optionen.
Literatur
1 Ayegbusi OL et al (2021) Symptoms, complications, and management of long COVID: a review. J R Soc Med 2021 Sep;114(9):428-442
2 Koczulla AR et al (2021) S1 Guideline Post-COVID/Long-COVID. Pneumologie 2021 Nov;75(11):869-900
3 Lemhöfer C et al (2021) Assessment of rehabilitation needs in patients after COVID-19: Development of the COVID-19-rehabilitation needs survey. J Rehabil Med 2021 Apr 27;53(4):jrm00183
4 Nalbandian A et al (2021) Post-acute COVID-19 syndrome. Nat Med 2021 Apr;27(4):601-615
5 Venkatesan P et al (2021) NICE guideline on long COVID. Lancet Respir Med. 2021 Feb; 9(2): 129.
Hintergrund und Zielstellung
Durch die SARS-CoV-2-Pandemie sahen sich die Rehabilitationseinrichtungen gezwungen, von ihrem Versorgungsalltag abzuweichen und ihre organisatorischen Abläufe den entsprechenden Gegebenheiten und Hygienevorgaben anzupassen (DEGEMED, 2020). Vor diesem Hintergrund sind digital unterstützte Angebote (d.h. medizinische Rehabilitation und Reha-Nachsorge unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien) ausgeweitet und weiterentwickelt worden (DRV Bund, 2020). Ein systematischer und nachhaltiger Transfer in die Regelversorgung steht für viele der Angebote jedoch noch aus, zudem zeichnen sich diese durch eine hohe Varianz ihrer Funktionen und technischen Anforderungen aus, die es den verschiedenen Nutzer*innengruppen erschweren, einen Überblick zu erlangen (Deck, 2020; John, 2017).
Ziel des Vorhabens ist daher eine systematische Bestandsaufnahme der bereits eingesetzten digital unterstützten Rehabilitationsangebote, inklusive der Erhebung hemmender und förderlicher Faktoren für deren Implementierung.
Methoden
Die bundesweite quantitative Befragung der Rehabilitationseinrichtungen wurde vom 01. bis 30. Juni 2022 über die Plattform LimeSurvey durchgeführt. Alle Fachabteilungen der DRV Bund, bzw. alle Fachabteilungen, die federführend durch die DRV Bund belegt sind, konnten – unabhängig von ihrem Setting (ambulant oder stationär) sowie der Indikationsgruppe – an der Befragung teilnehmen. Der Feldzugang erfolgte über den E-Mail-Verteiler der DRV Bund; so konnten 1429 Fachabteilungen der medizinischen Rehabilitation erreicht werden.
Da keine validierten Erhebungsinstrumente zur Verfügung standen, wurde der Fragebogen in Abstimmung mit Expert*innen aus den Bereichen Rehabilitation und Forschung sowie auf der theoretischen Grundlage des Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR) (Damschröder et al., 2009) entwickelt und im Rahmen von Pretests auf Verständlichkeit und Praxisrelevanz geprüft.
Die Auswertung der Daten erfolgte vorrangig deskriptiv anhand der Statistiksoftware SPSS. Zur Berechnung der absoluten und relativen Häufigkeiten wurden jeweils die vollständigen Fälle der Items herangezogen.
Ergebnisse
31,8 Prozent (n=454) der eingeladenen Fachabteilungen nahmen an der Online-Erhebung teil.
Rund die Hälfte der teilnehmenden Fachabteilungen (53,5%) hält im Versorgungsalltag digital unterstützte Angebote bereit. Diese werden vor allem im Bereich der Rehabilitand*innenschulungen (53,3%) sowie in der Rehanachsorge (45,2%) eingesetzt. Der am häufigsten genannte Grund für die Einführung digital unterstützter Angebote ist die Corona-Pandemie (75%), gefolgt von der Intention, zeit- und ortsunabhängige Angebote zu schaffen (53,7% bzw. 49,5%).
Gegen die Einführung digital unterstützter Angebote sprechen in erster Linie mangelnde personelle Ressourcen (38,3%), zu hohe Infrastrukturkosten (38,3%) sowie die Befürchtung, den persönlichen Kontakt zu den Rehabilitand*innen zu verlieren (36,6%).
Als wichtigste Umsetzungsfaktoren wurden die Unterstützung durch die Geschäftsführung (84,8%), die Zweckmäßigkeit des Angebots (80,4%) sowie die Einbeziehung aller relevanten Mitarbeitendengruppen (77,4%) genannt. Als hemmend für den Implementierungsprozess betrachten die Fachabteilungen in erster Linie Arbeitsunterbrechungen, die durch technische Probleme (60,6%) oder Updates (32,2%) entstehen sowie die als nicht angemessen empfundene Vergütung durch den Kostenträger (50,0%).
Diskussion und Fazit
Digital unterstützte Angebote werden in einer großen Anzahl der antwortenden Fachabteilungen bereits eingesetzt (53,5%) oder befinden sich in Planung (10,4%). Dies spricht für die Relevanz des Themas, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass technikaffine Fachabteilungen in der Erhebung überrepräsentiert sind.
Die Studie gibt erstmals einen Überblick über die in der medizinischen Rehabilitation eingesetzten digital unterstützten Angebote und ermöglicht ein besseres Verständnis der hemmenden und förderlichen Faktoren für deren Implementierung. Um die Einführung der Angebote niedrigschwellig zu gestalten, sollten diese keine hohen Personal- und Infrastrukturkosten verursachen sowie zweckmäßig bzw. bedarfsgerecht sein. Die Unterstützung durch die Führungsebene sowie die Einbeziehung der Mitarbeitenden können sich förderlich auf den Implementierungsprozess auswirken.
Take-Home-Message
Für eine gelingende Implementierung digital unterstützter Angebote im Rehabilitationsbereich ist die Berücksichtigung förderlicher und hemmender Faktoren auf individueller, organisatorischer und überorganisatorischer Ebene entscheidend.
Literatur
Damschroder, L. J., Aron, D. C., Keith, R. E., Kirsh, S. R., Alexander, J. A., & Lowery, J. C. (2009): Fostering implementation of health services research findings into practice: a consolidated framework for advancing implementation science. Implementation science, 4(1). 1-15.
Deck, R. (2020). Reha-Nachsorge. DRV-Schriften, Bd 29. 19–22.
Deutsche Gesellschaft für medizinische Rehabilitation (DEGEMED) (2020): Handlungshilfe: Aspekte, die bei der Wiederaufnahme der medizinischen Rehabilitation zu berücksichtigen sind. DEGEMED. URL: https://www.degemed.de/wp-content/uploads/2020/05/20200518_Empfehlungen-f%C3%BCr-Reha-Einrichtungen-Hygiene_Anlage-neu.pdf. Abruf: 18. Oktober 2022.
DRV Bund (2021). Online-Nachsorge. URL: https://www.nachderreha.de
/DE/Navigation/50_Online_Nachsorge/50_FAQ_node.html. Abruf: 18. Oktober 2022
John, M. (2017). Telemedizinische Assistenzsysteme in der Rehabilitation und Nachsorge – Projekte, Technologien und Funktionen. B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport, 33(05). 197–207.
Hintergrund und Zielstellung
RV Fit ist ein Präventionsangebot der Deutschen Rentenversicherung, mit dem gesundheitliche Probleme und Risiken frühzeitig und aktiv angegangen werden können, noch bevor gesundheitliche Einschränkungen eingetreten sind, die die Erwerbsfähigkeit bedrohen (DRV, 2020).
Das Centrum für Prävention der DRV Bayern Süd in Bernried hat ein webbasiertes Tool entwickelt, welches die Präventionsteilnehmer*innen im Anschluss an die stationäre Phase während der 12-wöchigen berufsbegleitenden (ambulanten) Trainingsphase des Programms RV Fit alternativ zu wohnorts- oder betriebsnahen Rehabilitationseinrichtungen unterstützen soll. Neben Teilnehmer*innen des Programms RV Fit gibt es am CeP die Möglichkeit ein Programm zu besuchen, welches die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt der Prävention stellt (Energie Vital).
Im Rahmen des Projektes wird diese App zunächst formativ evaluiert. Die Evaluation zielt auf die Machbarkeit, Akzeptanz und die Optimierung der App/Maßnahme ab (Christiansen, 1999, Petermann, 2014).
Methoden
Im Rahmen der formativen Evaluation der App „CeP Online“ wurde ein mixed-method-Design verwendet. Hierfür wurden Nutzungsdaten der App (12-wöchige Trainingsphase) und Routinedaten des Centrums für Prävention analysiert sowie Befragungen der Teilnehmer*innen und behandelnden Therapeut*innen durchgeführt (Interviews & Fragebögen). Schriftliche Befragungen erfolgten nach der Startphase (t0) sowie nach der 12-wöchigen Trainingsphase (t1). Für den Fragebogen wurden standardisierte Befragungsinstrumente (u.a. WHO-5, WAS, ATI) und eigens generierte Items verwendet.
Die Datenerhebung erfolgte von Oktober 2021 bis September 2022, wobei die 502 Teilnehmer*innen der Programme RV Fit und Energie Vital konsekutiv aufgenommen wurden. Während der Datenerhebung erfolgte eine größere Veränderung der App-Struktur. Die Nutzungsdaten wurden teilweise für die beiden Varianten getrennt analysiert.
Ergebnisse
Die Zielgruppe der Präventionsmaßnahme wurde getroffen (t0): Werte bewegen sich stellenweise im leicht auffälligen Bereich (z. B. WHO-5: RV Fit: M = 12,82, SD = 5,27; Energie Vital: 10,60, SD = 5,32), jedoch in den meisten Fällen ohne scheinbaren Krankheitswert (z. B. PHQ-2 < 3). Lediglich 4 Teilnehmer*innen geben an, seltener als täglich das Internet zu nutzen. Die Technikaffinität bewegt sich im mittleren Bereich (ATI mit 7-stufiger Skala: M = 3,57, SD = 1,21). Die Veränderungsmotivation der Teilnehmer*innen zu Trainingsbeginn schien gegeben zu sein. Die Mehrheit (95,5%) der Teilnehmer*innen beabsichtigte die Nutzung der App. Die größten persönlichen Risikofaktoren sehen die Teilnehmer*innen in den Bereichen Stress und Hektik sowie Bewegungsmangel.
Nutzungsdaten: Je nach Programmvariante wurde das ursprünglich einheitliche System unterschiedlich genutzt: So wurden anteilig mehr Einträge im Bereich Bewegung bei RV Fit-Teilnehmer*innen beobachtet, Eintragungen zum Befinden im Programm Energie Vital. Das Aktivitätentagebuch wurde daraufhin spezifisch auf die beiden Programmvarianten zugeschnitten. Im Rahmen dessen wurde die Kategorie Spazierengehen eingefügt. Für Variante 2 der App gilt: Im Verlauf der Trainingsphase wurden 52,8% der Audiodateien, 64,6% der allgemeinen Nachrichten der Therapeut*innen, 53,4% der Textbeiträge sowie 44,7% der Videos geöffnet. Im Bewegungsbereich entfallen 33,5% der Einträge auf Radfahren und Spazierengehen. Teilnehmer*innen des Programms Energie Vital scheinen in allen Bereichen außer bei den Nachrichten mehr Dateien zu bearbeiten. Im Bereich des Aktivitätentagebuchs ist in beiden App-Varianten mit zunehmendem Abstand vom Präsenz-Training ein Nachlassen der Anzahl der getätigten Einträge zu beobachten. In allen Bereichen des Aktivitätentagebuchs wird die Hälfte aller Einträge innerhalb der ersten vier Wochen getätigt.
Diskussion und Fazit
Die Assessments und die vorgesehenen Erhebungsabläufe haben sich als durchführbar erwiesen, es zeigte sich eine hohe Teilnahmebereitschaft. In den Outcomes fand sich ausreichende Varianz. Die Nutzung des Aktivitätentagebuchs als zentralem Baustein der App war allerdings sehr unterschiedlich, weshalb eine bessere Ausrichtung auf die beiden Programmvarianten erarbeitet und implementiert wurde. Die hinreichend große Stichprobe für die formative Evaluation ermöglichte es, die verschiedenen Nutzungsgewohnheiten der Teilnehmer (Viel- versus Wenignutzer*innen) darzustellen und spezifisch die Passung der vorgesehenen Assessments und des Designs zu prüfen. Auch ergab sich die Möglichkeit, die Eignung des Evaluationkonzeptes für Subgruppen von Proband*innen zu prüfen (vgl. Ebert et al., 2013). Schichtarbeiter*innen beispielsweise lassen sich vermutlich durch diese Form der Gesundheitsförderung besonders ansprechen, was im Rahmen der summativen Evaluation genauer geprüft werden soll.
Take-Home-Message
Eine ausreichend umfangreich ausgelegte Pilotphase, in der Abläufe und Instrumente und Umsetzbarkeit im Klinikkontext sorgfältig implementiert und erprobt werden (formative Evaluation), hat sich als sehr wichtig erwiesen.
Literatur
Christiansen, G. (1999). Evaluation – Ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Gesund¬heits¬förderung. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Deutsche Rentenversicherung DRV (2020). RV Fit – Rahmenkonzept für Leistungen zur Prävention. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/konzepte_systemfragen/konzepte/rahmenkonzept_Med_Leistungen_Praevention.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (31.10.2022)
Ebert, D.D., Gollwitzer, M., Riper, H., Cuijpers, P., Baumeister, H. & Berking, M. (2013). For whom does it work? moderators of outcome on the effect of a transdiagnostic internet-based maintenance treatment after inpatient psychotherapy: randomized controlled trial. J Med Inter¬net Res,15: e191.
Petermann, F. (2014). Implementationsforschung: Grundbegriffe und Konzepte. Psychologische Rundschau, 65, 122-128.
Hintergrund und Zielstellung
Ein wichtiges Reha-Therapieziel ist die nachhaltige Verhaltensmodifikation z.B. die Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag. Nachsorge-Maßnahmen (z.B. t-RENA) sollen hierbei unterstützend wirken, sind jedoch oft aus verschiedenen Gründen (Berufstätigkeit, lange Anreisewege, kein ambulantes Angebot) nicht praktikabel. Niedrig-schwellige telemedizinische Nachsorgeangebote könnten eine Alternative sein, wobei bei einer geringen digitalen Gesundheitskompetenz ("e-health literacy") Drop-out Raten bis zu 83% beschrieben sind (Donkin et al., 2011). Dabei scheint vor allem für Menschen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status der Zugang zu digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGAs) erschwert zu sein, was mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung eine gesundheitliche Benachteiligung ("digital divide") dieser Gruppe darstellen könnte (Kontos et al., 2012).
In einer früheren Untersuchung konnten wir zeigen, dass 84% unserer adipösen Rehabilitanden/-innen grundsätzlich Interesse an einer DIGA hatten, allerdings nur 19,5% DIGAs zur Unterstützung bei der Gewichtsreduktion kannten (Anzelini et al., 2019). In dieser Studie wurde daher untersucht, ob Rehabilitanden/-innen eine während der Reha empfohlene DIGA im Alltag nutzen und ob das Nutzungsverhalten von sozio-ökonomischen Faktoren abhängt.
Methoden
Von 264 Rehabilitanden, die die Einschlusskriterien (Alter 18-65 Jahre, Deutschkenntnisse, Mobilität) erfüllten, nahmen 202 (77%) an der prospektiven monozentrischen Beobachtungs-Studie teil (Frauen 69%; mittl. Alter 56 Jahre).
Während der stationären Rehabilitation erhielten die Rehabilitanden/-innen ein indikationsgerechtes multimodales Therapieprogramm. Gleichzeitig wurden sie intensiv über die gesundheitsförderliche Bedeutung der körperlichen Aktivität im Alltag informiert und ihnen die (kostenlose) Nutzung der Smartphone-App "Videa bewegt" zur Unterstützung nach der Rehabilitation angeboten.
"Videa bewegt" ist eine zertifizierte App mit dem Ziel die Alltagsaktivität zu steigern. Sie besteht aus 8 Modulen mit insgesamt >40 HD-Videos, die jeweils mit einem Quiz abgeschlossen werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit zum Chat mit Videa-Experten (Fischer at al., 2020).
Erfasst wurden verschiedene sozio-ökonomische Parameter, körperliche Aktivität (Freiburger Fragebogen zur körperlichen Aktivität) und Lebensqualität (SF-36) zu Reha-Beginn. Anhand des erfassten Nutzungsverhaltens (Zeitdauer der Nutzung, Abschluss der Module) wurde die Studienpopulation in Nicht-Nutzer (kein App-Download oder max. 1 Modul abgeschlossen), Teilnutzer (mind. 2-4 Module) und Nutzer (>5 Module) unterteilt. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Chi-Quadrat-Test bzw. Kruskal-Wallis-Test.
Ergebnisse
69% der Teilnehmer waren Frauen. Der mittlere BMI betrug 30,8 kg/m2. 97/202 (48%) Rehabilitanden/-innen hatten einen BMI >30mg-35/kg2, 49/202 (24%) einen BMI von >35mg/kg2. Bei 48% der Rehabilitanden/-innen lag eine psychosomatische Erstdiagnose (meist Depression), bei 37% eine orthopädische und bei 15% eine internistische Erstdiagnose vor.
Im Gruppenvergleich fand sich zwischen Nutzern (29%), Teilnutzern (16%) und Nicht-Nutzern (55%) kein signifikanter Unterschied bzgl. Geschlecht (p=0,24), Bildungsniveau (p=0,81), Einkommen (p=0,75) und Indikation (p=0,24). Dies gilt auch für Alter (p= 0,94), körperliche Ausgangsaktivität (p=0,88) und Lebensqualität (0,84) sowie BMI (p=0,15), Allerdings waren unter den Nichtnutzern mehr extrem Adipöse.
Diskussion und Fazit
Das Interesse an der Smartphone-App war vor allem bei (adipösen) Frauen groß. Im Gegensatz zu früheren Studien unterschied sich das Nutzungsverhalten dabei nicht bzgl. der untersuchten sozio-ökonomischen Faktoren sowie bei den verschiedenen Indikationsgruppen. Auch die Ausgangsaktivität und gesundheitsbezogene Lebensqualität hatten keinen Einfluss auf das Nutzungsverhalten. Dies führen wir darauf zurück, dass während einer 3-wöchigen Reha auch Rehabilitanden mit geringer digitaler Gesundheitskompetenz und geringer körperlicher Ausgangsaktivität durch direkte Ansprache gut erreich- und motivierbar sind. 45% unserer Rehabilitanden absolvierten mindestens 5/8 Modulen.
Andererseits haben 55% der Rehabilitanden die App nicht heruntergeladen bzw. nur 1 Modul abgeschlossen. Da „the man/woman behind the app“ vermutlich der entscheidende Erfolgsfaktor für die Nutzung ist, postulieren wir, dass ein noch intensiveres persönliches und auch technisches Coaching während der Reha ggf. auch in Kombination mit einem (nochmaligen) Etappenverfahren (hybride Nachsorge) die Akzeptanz und evtl. auch die Effektivität der digitalen Nachsorge erhöhen könnten.
Take-Home-Message
Eine stationäre Rehabilitation kann ein geeignetes Zeitfenster sein, um Rehabilitanden/-innen mit geringer digitaler Gesundheitskompetenz zu erreichen.
Literatur
Anzelini M, Ellrott T, Reusch A, Reuß-Borst M. Was hält adipöse Rehabilitanden von der Nutzung von post-stationären Online-Nachsorge-Angeboten ab? In: 28.Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium: Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung; 2019; 254-256
Donkin L, Christensen H, Naismith SL, Neal B, Hickie IB, Glozier NA. A Systematic Review of the Impact of Adherence on the Effectiveness of e-Therapies. J Med Internet Res 2011, 13, e52, doi: 10.2196/Jmir.1772
Fischer T, Stumpf P, Reinhardt G, Schwarz P, Timpel P. Video-based smartphone app ("Videa bewegt") for physical activity support in German adults: a study protocol for a single-armed observational study. BMJ Open 2020; 10, e034027 doi:10.1136/bmjopen-2019-034027
Kontos E, Blake KD, Chou WYS, Prestin A. Predictors of eHealth usage: insights on the digital divide from the health information National Trends Survey. 2012; J Med Internet Res 16(7): e 172
Hintergrund und Zielstellung
Nachsorge ist nach Abschluss einer Rehabilitation unverzichtbar, um Reha-Erfolge langfristig zu sichern. In den letzten Jahren stieg das Angebot webbasierter Reha-Nachsorge Maßnahmen. Deren Vorteile liegen in einer zeitnahen Fortsetzung der erlernten Reha-Inhalte, einer kontinuierlichen Überprüfung von Zielvereinbarungen, dem Wegfall von Wartezeiten auf einen Nachsorgeplatz sowie der weitestgehend orts- und zeitunabhängigen Nutzung seitens der NutzerInnen (Baumeister et al. 2017). Am IfR, Norderney Abt. Bad Salzuflen wurde die Website Onko-Vital für die onkologische Reha-Nachsorge einschließlich einer Schulung entwickelt und einer Pilotstudie unterzogen (Kähnert & Leibbrand, 2022). Die Rekrutierung der sich daran anschließenden RCT-Studie ist seit August 2022 abgeschlossen. Für die Nutzung, Akzeptanz und Wertschätzung einer Website sind die persönlichen Bewertungen der NutzerInnen hinsichtlich Inhalte, Usability, ästhetischer Wahrnehmung, Seriosität und Vertrauen wesentliche Merkmale (Thielsch & Salaschek, 2017). In dieser Untersuchung werden die Ergebnisse zur Bewertung der Website Onko-Vital am Ende sowie acht Wochen nach Abschluss der Rehabilitation vonseiten der Interventionsgruppe (=Teilnehmende) vorgestellt, und zwar in der Gesamtstichprobe und getrennt nach Tumorentitäten, Alter und Geschlecht.
Methoden
Die Teilnehmenden erhielten in der zweiten Reha-Woche eine zweistufige Onko-Vital Schulung sowie die Zugangsdaten zur Website Onko-Vital, die sie in der letzten Reha-Woche auf einem Smartphone oder Tablet nutzten und abschließend per Fragebogen (T2) bewerten konnten. Etwa acht Wochen poststationär erfolgte die Website-Bewertung per Online-Fragebogen (T3). Befragungsinstrumente waren u.a.: VisAWI-S (visuelle Ästhetik), PWU-G (Nutzerzufriedenheit), Web-CLIC (Website Inhalte nur zu T3) und Gesamtbewertung (Schulnotenskala) (Thielsch & Salaschek, 2017, Thielsch & Hirschfeld, 2019).
In die Studie wurden 166 Teilnehmende aufgenommen. Von denen wiesen 52% eine Brustkrebserkrankung, 15% einen gynäkologischen Tumor und 33% eine Leukämie-/Lymphom-Erkrankung auf. 82% waren weiblichen Geschlechts und im Durchschnitt 58,8±10,1 Jahre alt. Von den 166 Teilnehmende haben jeweils 141 (85%) den Fragebogen zu T2 und zur Bewertung der Schulung sowie 110 (66%) den Online-Fragebogen zu T3 ausgefüllt.
Ergebnisse
Die Onko-Vital Schulung wurde von 98% der Teilnehmenden mit (sehr) gut und von 97% als praxisnah bewertet. 96% fühlten sich nach der Schulung über den Umgang mit der Website (sehr) gut vorbereitet. Die Methode zur Festlegung der Nachsorgeziele wurde von 92% als (sehr) hilfreich bewertet.
Zu beiden Messzeitpunkten lassen sich keine statistisch bedeutsamen Unterschiede in der Bewertung der Website Onko-Vital nachweisen. Auf den 7-stufigen Bewertungsskalen betragen die Mittelwerte zur visuellen Ästhetik 6,03±0,87 (T2) bzw. 6,00±0,77 (T3) Skalenpunkte und zur Nutzerzufriedenheit 6,02±0,89 (T2) bzw. 5,81±1,01 (T3) Skalenpunkte. Diese Ergebnisse weisen auf eine überaus positive Website-Bewertung hin (Cut-Off-Punkte: VisAWI-S: 5,0 / PWU-G: 5,29: Thielsch et al. 2019). Auch die Website-Inhalte hinsichtlich Verständlichkeit, Gefallen, Informationsgehalt und Glaubwürdigkeit werden zu T3 positiv bewertet, der mittlere Web-CLIC-Summenwert beträgt 5,98±0,67 (Cut-Off-Punkt: 4,83: Thielsch et al. 2019). Zusammenfassend wird zu T3 die Website als vielseitig (77%) und professionell (83%) bewertet. Die Bedienung von Onko-Vital ist leicht zu verstehen (72%), sodass gesuchte Informationen problemlos zu finden sind (71%). Die Texte liefern kurz und bündig wichtige Informationen (85%). Der Sprachgebrauch wird als allgemein verständlich (88%), die Inhalte als anschaulich aufbereitet (77%) und die Informationen als glaubwürdig (88%) und seriös (86%) bewertet. Die Website Onko-Vital erhält auf der Schulnotenskala zu T2 und T3 jeweils die Gesamtnote von 1,6±0,6.
In keinem der aufgeführten Website-Bewertungsinstrumente lassen sich zu T2 oder T3 statistisch bedeutsame Unterschiede zwischen Teilnehmenden verschiedener Tumorentitäten, unterschiedlichen Alters bzw. Geschlechts nachweisen.
Diskussion und Fazit
Die Schulung wird als hilfreich für den Umgang mit Onko-Vital und für die Zielvereinbarungen wahrgenommen. Weiterhin werden Inhalte, Usability und Ästhetik der Website von den Teilnehmenden übereinstimmend positiv bewertet, was eine entscheidende Voraussetzung für die Nutzung und Akzeptanz von Onko-Vital darstellt. Für eine systematische Bewertung der Website werden ferner längsschnittliche Fragebogenerhebungen und telefonische Interviews mit den Teilnehmenden geführt, auch mit dem Ziel, die webbasierten Reha-Nachsorge-Angebote zu verbessern.
Take-Home-Message
Die Website Onko-Vital findet Zuspruch bei onkologischen PatientInnen, die hierüber Unterstützung und Anreize zur Umsetzung ihrer individuellen Nachsorgeziele erhalten.
Literatur
Baumeister H., Lin J., Ebert DD. (2017). Internet- und mobilebasierte Ansätze. Psychosoziale Diagnostik und Behandlung in der medizinischen Rehabilitation. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 60: 436–444.
Kähnert H., Leibbrand B. (2022). Entwicklung und Bewertung der Website Onko-Vital für die onkologische Reha-Nachsorge. DRV-Schriften Bd. 126: 328-329.
Thielsch M. T. (unter Mitarbeit von Salaschek M.) (2017). Toolbox zur kontinuierlichen Website-Evaluation und Qualitätssicherung (Version 2.1). Arbeitsbericht, Köln: BZgA.
Thielsch M.T., Hirschfeld G. (2019). Facets of Website Content. Human-Computer Interaction, Volume 34, pp. 279–327.
Thielsch M. T., Thielsch C., Hirschfeld G. (2019). How Informative is Informative? Benchmarks and Optimal Cut Points for E-Health Websites. Mensch und Computer 2019 - Workshopband. Bonn: Gesellschaft für Informatik e.V..
Hintergrund und Zielstellung
Die Tele-Reha-Nachsorge findet in der aktuellen Reha-Landschaft eine breite Zustimmung und bietet Kliniken, wie auch Versicherten, neue Chancen der Reha-Nachsorge trotz unterschiedlicher Lebensumstände und regionaler Versorgungslücken bei Vor-Ort-Angeboten.
Der Erhebungsbogen Online Nachsorge (DRV Bund - Dezernat Reha-Wissenschaften) bietet eine breite Datenbasis (n=2196) um Unterschiede und Besonderheiten verschiedener Nutzergruppen zu betrachten und diese in Bezug auf Entwicklung und Evaluation digitaler Interventionen entsprechend zu berücksichtigen.
Auf Grundlage des Erhebungsbogens wurde in dieser Arbeit unter anderem untersucht, welche Merkmale von Teilnehmenden einer digitalen Reha-Nachsorge mit dem wahrgenommenen Nachsorgeerfolg und der Nachsorgebewertung assoziiert sind.
Methoden
Grundlage der Evaluation bildete der Fragebogen Online-Reha-Nachsorge des Dezernates Reha-Wissenschaften der DRV Bund. Dieser erfragt den subjektiven Erfolg und die Bewertung der jeweils durchgeführten digitalen Reha-Nachsorge-Maßnahme. Zwischen Mai 2021 und September 2022 gingen 2.196 digitale Fragebögen zur Beurteilung der online basierten Reha-Nachsorge mit Caspar ein. Neben der deskriptiven Auswertung wurden Gruppenunterschiede für kategoriale Variablen mittels Chi2-Test und für ordinalskalierte Daten mittels Mann-Whitney-U-Test (2 Kategorien) oder Kruskal-Wallis-Test (>2 Kategorien) berechnet. Das Signifikanzniveau für die inferenzstatistischen Auswertungen wurde auf α=0,05 festgelegt.
Ergebnisse
63,9% der Befragten waren weiblich und der Großteil (60,3%) war zwischen 46 und 59 Jahren alt. 59,1% waren ganztags berufstätig, 31,7% hatten die Fachhochschulreife oder allgemeine Hochschulreife erreicht und 8,2% gaben einen Migrationshintergrund an.
52,5% führten eine IRENA und 24,0% eine T-RENA durch, 23,5% kannten die Durchführungsform ihrer Nachsorge nicht.
Die Nachsorge wurde insgesamt positiv bewertet: 86,7% schätzten den Gesamterfolg “gut” bis “ausgezeichnet” ein, 80,6% gaben an, ihre Erwartungen an die Online-Nachsorge seien “(mehr als) erfüllt” worden. 86,0% waren mit den therapeutischen Inhalten und 85,9% mit der Betreuung während der Online-Nachsorge zufrieden.
Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Durchführungsformen IRENA und T-RENA wurden nicht beobachtet, jedoch in Bezug auf soziodemographische Merkmale.
Ganztags Erwerbstätige hielten die Online-Nachsorge häufiger für geeignet (91,2% vs. 85,9% bei nicht ganztags Erwerbstätigen) und schätzten den Nachsorgeerfolg häufiger positiv ein (88,9% vs. 83,4% mindestens “gut”), hatten jedoch weniger häufig Kontakt mit den Therapeut*innen (42,5% vs. 47,1% “ > 5 Kontakte”).
Patient*innen mit niedrigerem Bildungsstand bewerteten den Nachsorgeerfolg seltener “sehr gut” oder “ausgezeichnet” (42,2% vs. 48,4% bei höherem Bildungsstand) und bewerteten die Verständlichkeit der erhaltenen Informationen weniger gut (53,0% vs. 57,8% “sehr gut”). Zudem gaben sie wie Personen mit Migrationshintergrund an, weniger häufig Kontakt mit dem betreuenden Therapeut*innen gehabt zu haben (Bildungsstand: 42,4% vs. 48,8% “ > 5 Kontakte”; Migrationshintergrund: 36,3% vs. 45,1% “ > 5 Kontakte”).
Diskussion und Fazit
Ganztags-Erwerbstätige bewerteten den Nachsorge Erfolg besser als Personen, die nicht oder nur in Teilzeit berufstätig waren. Einerseits konnten Personen mit besserem Nachsorge-Erfolg zum Befragungszeitpunkt eventuell bereits häufiger zur vollen Erwerbstätigkeit zurückkehren. Andererseits stellen individuelle Faktoren, die gegen eine Vollzeitstelle sprechen, gegebenenfalls auch eine Barriere für die gelungene Integration der digitalen Nachsorge in den Alltag dar.
Personen mit niedrigerem Bildungsstand gaben einen selteneren Therapeut*innenkontakt an. Dies könnte auf eine geringere Kompetenz im Gesundheitssystem und im Gesundheitshandeln zurückzuführen sein, die auch ursächlich für den geringer eingeschätzten Nachsorgeerfolg sein könnte.
Personen mit niedrigerem Bildungsstand bewerteten auch die Verständlichkeit der therapiebezogenen Informationen in der digitalen Nachsorge weniger gut – ein Hinweis darauf, dass die Herausforderung, eine niedrigschwellige, barrierefreie und inklusive Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu ermöglichen, auch im Bereich der digitalen Nachsorge besteht.
Dass Personen mit Migrationshintergrund einen geringeren Therapeut*innenkontakt berichteten, ist möglicherweise auf eine Sprachbarriere in dieser Gruppe zurückzuführen. Entsprechend sollte die Gestaltung oder Weiterentwicklung digitaler Angebote im Gesundheitswesen stets darauf abzielen, Zugangs- und Nutzungsbarrieren für unterschiedliche Nutzer*innen-Gruppen konsequent zu prüfen und nach Optimierungsmöglichkeiten zu forschen.
Take-Home-Message
Die digitale Reha-Nachsorge mit Caspar zeigt insgesamt positive Ergebnisse zu Erfolg und Zufriedenheit der Maßnahme. Allerdings weisen die Befragungsergebnisse auf Zugangsbarrieren für einzelne Nutzer*innen-Gruppen hin. Um allen Versicherten die Inanspruchnahme digitaler Gesundheitsleistungen zu ermöglichen, gilt es insbesondere, die digitale Gesundheitskompetenz von Patient*innen zu stärken und die praktischen Implikationen von möglichen Sprachbarrieren bei der Gestaltung therapeutischer Inhalte und hinsichtlich des Therapeut*innen-Kontaktes zu berücksichtigen.
Literatur
Lippke S, et al.; Zielgruppen und digitale Affinitäten: Unterschiede und Besonderheiten; Scherenberg V, Pundt J. Digitale Gesundheitskommunikation, 141-170, APOLLON University Press, Bremen, 2018
Hintergrund und Zielstellung
Die Tele-Reha-Nachsorge findet in der Reha-Landschaft bereits eine breite Zustimmung und bietet Kliniken, wie auch Versicherten, neue Chancen der Reha-Nachsorge trotz unterschiedlicher Lebensumstände und regionaler Versorgungslücken bei Vor-Ort-Angeboten. Die Durchführung von multimodaler und unimodaler digitaler Reha-Nachsorge erfolgt mit digitalen Anwendungen, die auf der Basis der Anforderungen an Tele-Reha-Nachsorge von der Rentenversicherung anerkannt wurden.
In der zukünftigen Bewertung des Parameters Qualität im Rahmen der Rehabilitandenbefragung sind die von Patienten berichteten Umfragedaten zu Besserung (Erfolg der Maßnahme) und Zufriedenheit (Therapieinhalte und therapeutische Betreuung) von hoher Aussagekraft. Sie finden Eingang in Entscheidungen zur Einrichtungsauswahl (qualitätsgesteuerte Belegung) und sind richtunggebend, um die Leistung der medizinischen Rehabilitation in der nachweislich besten Qualität erbringen zu können.
Auch im Erhebungsbogen Online Nachsorge (DRV Bund - Dezernat Reha-Wissenschaften) finden diese Qualitätsparameter, neben anderen Aussagen, ihre Berücksichtigung.
Der Erhebungsbogen wird an alle anerkannten Anbieter von digitalen Anwendungen übermittelt. Die nachfolgende Auswertung gibt neue Einblicke in die Ergebnisse und Qualitätsparameter der uni- und multimodalen digitalen Reha-Nachsorge mit Caspar.
Methoden
Grundlage der Evaluation bildet der Erhebungsbogen Online-Reha-Nachsorge der DRV Bund. Dieser erfragt über verschiedene Parameter den subjektiven Erfolg und die patientenberichtete Bewertung der durchgeführten Maßnahme.
Von den 1.679 Versicherten, deren Fragebögen zwischen Mai 2021 und September 2022 in diese Bewertung Eingang fanden, führten 68,8% eine muItimodale digitale Reha-Nachsorge (IRENA) und 31,2% eine unimodale digitale Reha-Nachsorge (T-RENA) durch.
Neben der deskriptiven Auswertung wurden Gruppenunterschiede für kategoriale Variablen mittels Chi2-Test und für ordinalskalierte Daten mittels Mann-Whitney-U-Test (2 Kategorien) oder Kruskal-Wallis-Test (>2 Kategorien) berechnet. Korrelationsanalysen wurden mittels Spearman-Rank-Test durchgeführt. Das Signifikanzniveau für die inferenzstatistischen Auswertungen wurde auf α=0,05 festgelegt.
Ergebnisse
Von den Befragten waren 64,9% weiblich und 60,6% zwischen 46 und 59 Jahren alt. Die Indikationen waren zu 88,3% orthopädisch, 59,4% der Befragten gaben an, ganztags erwerbstätig zu sein.
Die beide Gruppen der Nachsorgeformen zeigten vergleichbare Ergebnisse von Gesundheit und Leistungsfähigkeit in Beruf und Alltag zum Ende der Reha und dem Ende der digitalen Reha-Nachsorge und bewerteten ihren Nachsorgeerfolg (“gut” bis “ausgezeichnet”: unimodal: 89,4%; multimodal: 86,9%; p=0,3887) vergleichbar positiv.
Neben der hohen Zufriedenheit mit der therapeutischen Betreuung (p=0,0224) in der unimodalen Gruppe (“eher zufrieden” bis “sehr zufrieden” - 89,6% vs. 86,2%) waren alle weiteren Ergebnisse für die Parameter der Behandlungszufriedenheit vergleichbar positiv.
Die Korrelationsanalysen zwischen Nachsorgeerfolg und den Parametern der Behandlungszufriedenheit zeigten in beiden Gruppen durchweg positive moderate bis starke Zusammenhänge (r=0,38 - r=0,62; p < 0,0001). Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der therapeutischen Kontakte und dem Nachsorge-Erfolg zeigte sich als gering (r = 0,13 bzw. r = 0,14; p < 0,0001). Gleichzeitig geben beide Gruppen an, regelmäßige Therapeut*innenkontakte während der Maßnahme in Anspruch genommen zu haben (“Kontakt > 5”: 44,5% bzw. 44,3%).
Diskussion und Fazit
Die Querschnittsanalyse ist primär orthopädisch geprägt und wird durch die hohe Fallzahl (n=1679) gestärkt.
Der gute wahrgenommene persönliche Erfolg mit der digitalen Reha-Nachsorge und die positiven Bewertungen der Zufriedenheit mit der Maßnahme zeigen sich konsistent zu früheren Analysen der multimodalen digitalen Reha-Nachsorge [1].
Im Vergleich zu der in der Regelzulassung etablierten multimodalen digitalen Reha-Nachsorge mit Caspar, zeigen sich auch die Ergebnisse der Teilnehmenden der unimodalen digitalen Reha-Nachsorge Maßnahmen übereinstimmend positiv.
Take-Home-Message
Die multimodale digitale Reha-Nachsorge mit Caspar zeigt konsistent positive Ergebnisse zu Erfolg und Zufriedenheit der Maßnahme.
Im Rahmen dieser Untersuchung konnten wir belegen, dass auch Teilnehmende der unimodalen digitalen Reha-Nachsorge entsprechend ihrer Nachsorge-Empfehlung und des jeweiligen Zieles der Nachsorge gleichwertig gute therapeutische Ergebnisse erreichen und die Maßnahme für ihre jeweiligen Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen erfolgreich und positiv bewerten.
Literatur
1. Kaluscha R, Hoffmann B. Analyse der Daten des Modellprojekts „Caspar multimodal“ der Deutschen Rentenversicherung Bund. Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm (IFR Ulm); 2021
Hintergrund und Zielstellung
Achtsamkeitsbasierte Interventionen haben in der betrieblichen Gesundheitsförderung aufgrund der zunehmenden psychischen Belastung im digitalen Zeitalter an Bedeutung gewonnen (Vonderlin et al., 2020). Obwohl Führungskräfte eine hohe Arbeitsbelastung aufweisen (Eurofound, 2017) und das Risiko für Angst- und depressive Symptome besteht (Li et al., 2022), ist die Untersuchung des Themas Achtsamkeit in Managementsettings noch relativ neu. Zwei systematische Reviews kommen zu dem Schluss, dass Führungskräfteentwicklung durch zielgruppenspezifische Achtsamkeitsinterventionen auf praktischer Ebene weiter gefördert werden sollte (Donaldson-Feilder et al., 2019; Urrila, 2021). Allerdings sind weitere empirische Studien erforderlich, da der Forschungsstand zu Achtsamkeitsinterventionen in Unternehmens- und Führungskräftesettings weiterhin angereichert werden muss.
Ziel der vorliegenden explorativen Studie war es daher, einen Prä-Post-Vergleich von gesundheits- und arbeitsbezogenen Variablen zu einem betrieblichen Achtsamkeitstraining für Führungskräfte durchzuführen. Konkret wurden Unterschiede in der selbsteingeschätzten Achtsamkeit, dem Wohlbefinden, der Gesundheitskompetenz und der arbeitsbezogenen Leistungsfähigkeit zu Beginn des Trainings (t0), unmittelbar nach (t1) und drei Monate nach dem Training (t2) untersucht.
Methoden
Dreizehn Gruppen von Führungskräften (n = 56) absolvierten von Oktober 2019 bis April 2021 sukzessiv ein betriebliches Achtsamkeitstraining. Die Führungskräfte waren der oberen Führungsebene eines großen IT-Unternehmens zugehörig. Das Achtsamkeitstraining kombinierte gemeinsame Workshops, Coaching durch die Trainer:innen und eigenständige, ortsunabhängige Übungen (unterstützt durch eine Web-App und Austausch mit Kolleg:innen). Während der COVID-19-Pandemie wechselten die Workshops von einem Präsenzformat zu einem hybriden Format und schließlich zu einem digitalen Format. Die Führungskräfte bewerteten ihre Achtsamkeit (MAAS), ihr Wohlbefinden (WHO-5), ihre Gesundheitskompetenz und ihre arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit (HPQ) zu drei Zeitpunkten (t0, t1, t2) anhand eines paper-pencil- oder Onlinefragebogens. Für die Datenanalyse wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) mit Messwiederholungen und Bonferroni-adjustierte Post-hoc-Analysen verwendet.
Ergebnisse
Zwischen t0 und t2 zeigten sich signifikante Unterschiede in der Achtsamkeit der Führungskräfte (F (2.106) = 3.376, p = .038, ηp2 = .06, n = 54), dem Wohlbefinden (F (2.106) = 73.019, p < .001, ηp2 = . 17, n = 54), der Gesundheitskompetenz (F (2.108) = 9.067, p < .001, ηp2 = .15, n = 55), und der arbeitsbezogenen Leistungsfähigkeit (F (2.80) = 7.008, p = 0.002, ηp2 = 0.15, n = 41). Auch zwischen t0 und t1 zeigten sich signifikante Unterschiede bei Wohlbefinden, Gesundheitskompetenz und Leistungsfähigkeit, nicht aber bei Achtsamkeit. Die Effektgrößen können für Achtsamkeit als moderat (d = 0,5) und für Wohlbefinden (d = 0,9), Gesundheitskompetenz (d = 0,8) und Leistungsfähigkeit (d = 0,8) als groß eingeschätzt werden.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Achtsamkeit, das Wohlbefinden, die Gesundheitskompetenz und die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit der Führungskräfte bei den Folgemessungen im Vergleich zum Beginn des Achtsamkeitstraining verbessert haben. Das untersuchte betriebliche Achtsamkeitstraining könnte als Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung somit vielversprechend für Führungskräfte der höheren Ebene aus dem IT-Sektor sein. Weiterführende Studien sollten Kontrollgruppendesigns nutzen, um zu prüfen, ob die identifizierten Unterschiede auf das durchgeführte Training zurückzuführen sind.
Take-Home-Message
Ein betriebliches Achtsamkeitstraining - bestehend aus Workshops, Coaching und eigenständigen Übungen - könnte sich positiv auf Achtsamkeit, Wohlbefinden, Gesundheitskompetenz und Leistungsfähigkeit von IT-Führungskräften der oberen Ebene auswirken.
Literatur
Donaldson-Feilder, E., Lewis, R. & Yarker, J. (2019). What outcomes have mindfulness and meditation interventions for managers and leaders achieved? A systematic review. European Journal of Work and Organizational Psychology, 28(1), 11–29. https://doi.org/10.1080/1359432X.2018.1542379
Eurofound. (2017). Sixth European Working Conditions Survey: Overview report (2017 update). Publications Office of the European Union. https://doi.org/10.2806/422172
Li, L., Zhang, S. X. & Graf-Vlachy, L. (2022). Predicting Managers' Mental Health Across Countries: Using Country-Level COVID-19 Statistics. Frontiers in public health, 10, 791977. https://doi.org/10.3389/fpubh.2022.791977
Urrila, L. I. (2021). From personal wellbeing to relationships: A systematic review on the impact of mindfulness interventions and practices on leaders. Human Resource Management Review, 100837. https://doi.org/10.1016/j.hrmr.2021.100837
Vonderlin, R., Biermann, M., Bohus, M. & Lyssenko, L. (2020). Mindfulness-Based Programs in the Workplace: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Mindfulness, 11(7), 1579–1598. https://doi.org/10.1007/s12671-020-01328-3
Hintergrund und Zielstellung
Die Natur fördert Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen, indem sie negative Wirkungen von Umgebungsstressoren abmildert und salutogene Erfahrungen fördert. Auch Menschen, die einen Zugang zur Natur haben, besitzen nicht immer genügend Zeit für einen Naturaufenthalt. Virtuelle Waldumgebungen bieten Menschen die Möglichkeit, von den positiven Auswirkungen von Waldlandschaften zu profitieren. Einzelne Studien zeigen, dass negative Emotionen durch simulierte Naturerfahrungen reduziert werden können (Browning et al., 2020). Hong et al. (2019) stellten in ihrer Studie darüber hinaus fest, dass die Probanden beim Betrachten eines VR-Waldvideos angenehme, beruhigende Emotionen empfanden.
In der hier vorgelegten Studie ging es darum, zu prüfen, ob bei Berufstätigen ein kurzer virtueller Waldaufenthalt in einem Innenraum nach Stressinduktion zu einer stärkeren Reduktion negativer Affekte und zu mehr positiven Affekten führt als ein Aufenthalt in demselben Raum ohne Einsatz von Virtual Reality (VR).
Methoden
Die Probanden wurden per Internet, hauptsächlich über Facebookgruppen, rekrutiert. Eingeschlossen wurden berufstätige Personen zwischen 18 und 64 Jahren.
An der Studie nahmen 89 Personen teil (47 Frauen,42 Männer). Es erfolgte eine randomisierte Zuordnung zu Experimental(Bürostuhl Virtual Reality)- und Kontrollgruppe(Bürostuhl), so dass sich in der BVR-Gruppe 44 und in der B-Gruppe 45 Personen befanden. Beide Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich Alter (t(87) = -.169; p = .866) und Geschlecht (χ²(1) = .276, p = .600).
Für die BVR-Gruppe wurde im Vorfeld ein 180° 3D-Video einer Waldumgebung gefilmt. Dieses Video wurde den Teilnehmenden der BVR-Gruppe in der Untersuchungssituation anhand eines Virtual-Reality-Headsets vorgespielt.
Die Untersuchung wurde im Einzelsetting durchgeführt. Unter BVR- und B-Bedingung erfolgte ein Stroop-Test, um die Proband:innen in eine leistungsorientierte Stresssituation zu versetzen. Es folgte in beiden Gruppen mit dem PANAS-Fragebogen die Erhebung (T0) zeitlich begrenzter positiver und negativer Affekte. Dann folgte die 10-minütige BVR- oder B-Intervention im selben Raum. Die Proband:innen saßen immer auf dem gleichen Bürostuhl und durften sich in eine für sie angenehme Sitzposition bringen. Abschließend wurde in beiden Gruppen erneut der PANAS-Fragebogen eingesetzt (T1). Ausgewertet wurde anhand von Kovarianzanalysen.
Ergebnisse
BVR- und B-Gruppe unterscheiden sich in Hinblick auf die negativen Affekte nach der Intervention nicht signifikant voneinander (F (1, 86) = 2.526, p = .116, partielles η² = .029). Die negativen Affekte vor der Intervention unterscheiden sich unabhängig von der Interventionsform signifikant von den negativen Affekten nach der Intervention (F (1, 86) = 77.644, p < .001, partielles η² = .474). Vor der Intervention betrug der Mittelwert der negativen Affekte M = 1.80 (SD = .77), nach der Intervention M = 1.30 (SD = .60).
BVR- und B-Gruppe unterscheiden sich nicht hinsichtlich der positiven Affekte nach der Intervention (F (1, 86) =.021, p = .885, partielles η² < .001). Unabhängig von der Interventionsform unterscheiden sich die positiven Affekte vor der Intervention signifikant von den positiven Affekten nach der Intervention (F (1, 86) = 37.83, p< .001, partielles η² = .305). Die Gesamtstichprobe weist bei den positiven Affekten vor der Intervention einen Mittelwert von M = 3.11 (SD= .68), nach der Intervention einen Mittelwert von M = 2.72 (SD= .75) auf.
Diskussion und Fazit
Das Stresslevel, in Form negativer Affekte der Probanden, wurde im Zuge beider Interventionen reduziert. Entgegen der Erwartung brachte die 10-minütige BVR-Intervention allerdings keine stärkere Stressreduktion als die 10-minütige B-Intervention.
Entgegen der Erwartung sanken sowohl unter der BVR-Bedingung als auch unter der B-Bedingung die positiven Affekte. Dies könnte damit erklärt werden, dass der Stroop-Test nicht nur Stress induziert, sondern auch anregend wirkt. Aktivierung und Angeregtheit werden im PANAS als positive Affekte erfasst. Im Zuge der BVR- und der B-Intervention werden diese Affekte dann schwächer.
Take-Home-Message
Die Studie liefert keine Belege dafür, dass ein kurzer virtueller Waldaufenthalt Stresserleben von berufstätigen Menschen effektiver reduziert als das Sitzen auf einem Bürostuhl ohne virtuellen Waldaufenthalt.
Literatur
Browning, M. H., Mimnaugh, K. J., van Riper, C. J., Laurent, H. K., & LaValle, S. M. (2020). Can simulated nature support mental health? Comparing short, singledoses of 360-degree nature videos in virtual reality with the outdoors. Frontiers in Psychology, 10, 2667
Hong, S., Joung, D., Lee, J., Kim, D. Y., Kim, S., & Park, B. J. (2019). The Effects of Watching a Virtual Reality (VR) Forest Video on Stress Reduction in Adults. J. People Plants Environ, 22, 309-319.
Hintergrund und Zielstellung
Die Zunahme chronischer und psychischer Erkrankungen erfordert ein Umsteuern von der Rehabilitation zur Prävention, um die Erwerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Die deutsche Rentenversicherung bietet ihren Versicherten daher auch Präventionsmaßnahmen wie RV Fit (ehemals Betsi) an (Deutsche Rentenversicherung 2022). Ihr Nutzen kann jedoch von der individuellen Situation und den individuellen Ressourcen der Teilnehmenden abhängen (Schuler et al. 2014).
Im ambulanten Setting zeigte sich eine geringe Adhärenz in der Eigenaktivitätsphase, gemessen an einer Refresher-Quote von lediglich 7%. Dieser geringe Anteil lässt es fraglich erscheinen, ob eine nachhaltige Verhaltensänderung durch die Präventionsmaßnahme bei der Mehrheit der Teilnehmenden gelingt. Daher wird hier untersucht, ob die Refresher-Quote nach einer Präventionsmaßnahme im ambulanten Setting durch eine modifizierte Eigenaktivitätsphase erhöht werden kann.
Methoden
Zur Evaluation wird eine (teil-)randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt, wobei die Teilnehmenden einer von drei unterschiedlichen Eigenaktivitätsphasen (Modell 1-3) zugeteilt werden. In der Kontrollgruppe findet keine weitere Betreuung während der Eigenaktivitätsphase statt (Modell 1). In der Interventionsgruppe werden je 12 betreute Einheiten á 90 Minuten entweder in weiteren Präsenzterminen (Modell 2) oder mit einer Onlineplattform (Modell 3) durchgeführt. Die Adhärenz wird anhand der Refresher-Quote gemessen, d.h. die Anzahl der Teilnehmenden am Abschlusstermin des Programms RV Fit. Der Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten und weitere Zielgrößen werden anhand von standardisierten Fragebögen sowie mithilfe einer Diagnostik zu drei Zeitpunkten erfasst. Die Messzeitpunkte sind zu Beginn der Maßnahme (t0), vor der Eigenaktivitätsphase (t1) und am Ende der Eigenaktivitätsphase, d.h. zum Refresher-Tag (t2).
Ergebnisse
Für die Studie konnten 339 Teilnehmenden rekrutiert werden. Davon sind 44,8% (n=142) Männer und 95,9% (n=304) erwerbstätig. Das durchschnittliche Alter liegt bei 50,7 (±9,1) Jahren und der BMI bei 29,6 (±8,5).
Bisher haben 209 Teilnehmende die Maßnahme abgeschlossen, von denen 83 den Refresher besucht haben. Daraus ergibt sich eine deutlich gesteigerte Refresher-Quote von insgesamt 39,7%. Nach Modell separiert betrachtet zeigt sich im Standardverfahren ohne Begleitung (Modell 1) eine Refresher-Quote von bei 33,3%. Im Modell 2 mit Präsenzterminen liegt sie bei 40,4% und im Modell 3 mit der Onlineplattform bei 46,9%. Die finalen Ergebnisse werden im Frühjahr 2023 erwartet.
Diskussion und Fazit
Die Zwischenergebnisse zeigen eine unerwartet deutliche Steigerung der Refresher-Quote, allerdings auch in der Kontrollgruppe. Mögliche Erklärungen dafür wären eine stärkere Rekrutierung im betrieblichen Setting sowie ein stärker ausgeprägtes Überwicht (d.h. höherer BMI) bei den Studienteilnehmern im Vergleich zum bisherigen Routinebetrieb. Vermutlich haben auch Covid19-bedingte Einschränkungen in Sport- und Freizeiteinrichtungen zu einer höheren Inanspruchnahme der Trainingsangebote in den Rehazentren beigetragen.
Unabhängig davon liegt die Refresher-Quote bei beiden begleiteten Modellen spürbar über der des Standardmodelles. Nach dem Differenz-der-Differenzen-Ansatz lässt sich also auch im Routinebetrieb eine Steigerung der Refresher-Quote um sieben bzw. dreizehn Prozentpunkte durch eine Einführung einer Begleitung mit Präsenzterminen bzw. einer Online-Unterstützung erwarten.
Damit wären eine nachhaltigere Verhaltensänderung sowie ein langfristigerer Erhalt der Erwerbsfähigkeit wahrscheinlicher, so dass eine Modifikationen für die Regelversorgung im RV-Fit-Programm erwogen werden sollte.
Take-Home-Message
Sowohl Präsenztermine als auch Online-Angebote leisten Unterstützung in der Eigenaktivitätsphase bei Präventionsprogrammen und verbessern so Adhärenz und Erfolgsaussichten.
Literatur
Deutsche Rentenversicherung (2022): RV-fit. Online: www.rv-fit.de (31.10.2022)
Schuler M, Musekamp G, Spanier K, Kittel J, Fröhlich SM, Faller H (2014): Intra- versus interindividuelle Veränderung: Verändert sich der subjektive Gesundheitszustand in Abhängigkeit von Selbstmanagementfertigkeiten oder erlebter sozialer Unterstützung? DRV Schriften 103, S. 235 - 237
Hintergrund und Zielstellung
Die COVID19-Pandemie hat viele Veränderungen in gewohnten Abläufen mit sich gebracht. Dies betrifft auch die Arbeitswelt. Die Arbeit im Home-Office ist für viele Arbeitnehmer zur
(un-)geliebten Routine geworden. Positive Aspekte wie Zeitersparnis durch ausbleibende Arbeitswege stehen negativen Aspekten wie fehlenden sozialen Kontakten zu Arbeitskolleg:innen und unzureichender Büroausstattung gegenüber. Daraus resultierende körperliche und psychische Belastungen (Lippke et al., 2022) gilt es im Blick zu behalten – nicht nur durch Arbeitgeber, sondern auch durch die Stakeholder des Gesundheitssystems. Post-/Long-COVID wird nicht die einzige Herausforderung sein, die die COVID19-Pandemie hervorgebracht hat, wenn ergonomisch bedingte Rückenschmerzen oder psychische Belastungen durch Einsamkeit nicht frühzeitig Beachtung finden.
Im Rahmen der ANHAND-Studie der Dr. Becker Klinikgruppe in Kooperation mit der Jacobs University Bremen wurden diesbezüglich folgende Forschungsfragen untersucht:
1. Welche körperlichen/psychischen Beschwerden sind seit Beginn der COVID19-Pandemie bei Arbeitnehmern im Home-Office aufgetreten?
2. Welche Aspekte des Home-Office beeinflussen Arbeitnehmer:innen positiv/negativ hinsichtlich der Bereitschaft, langfristig im Home-Office zu arbeiten?
Methoden
Im Zeitraum Oktober 2021 bis Oktober 2022 wurden 552 Patient:innen der Dr. Becker Brunnen-Klinik vor Antritt ihrer psychosomatischen Rehabilitation zum Thema Home-Office befragt (68,7% Frauen; < 29 Jahre: 1,8%, 30-39 Jahre: 7,5%, 40-49 Jahre: 25,2%, 50-59 Jahre: 51,5%, > 60 Jahre: 14,1%).
Ergebnisse
Von den befragten Patient:innen befanden sich 49,5% im Home-Office. Davon waren 17,5% an 1-2 Tagen, 15,6% an 3-4 Tagen und 16,5% an 5 Tagen/Woche im Home-Office tätig. Diese Situation bestand bei 10,5% seit < 6 Monaten, für 14% seit 6-12 Monaten und für 68,4% seit > 12 Monaten.
Eine negative Veränderung ihres körperlichen Gesundheitszustandes haben 66,9% beobachtet. Dabei berichteten 36,8% von Kopfschmerzen, die sie vor Beginn der COVID19-Pandemie nicht hatten. Rückenschmerzen bzw. Nackenschmerzen gaben 43% bzw. 48,9% als neu wahrgenommen an. Die nötige Infrastruktur bezogen auf technische Ausstattung und ergonomisches Mobiliar war bei 26,4% nicht vorhanden.
Eine Verschlechterung der psychischen Verfassung seit Beginn der COVID19-Pandemie ist bei 79,4% eingetreten. Zurückzuführen ist dies bei 49,6% auf wahrgenommene Einsamkeit. Die Wiederaufnahme sozialer Kontakte bewerteten 55% als problematisch. Angst, wieder ins Büro zu gehen, hatten 25,2%. Bedingt durch die Arbeit im Home-Office gaben 50% Konzentrationsschwierigkeiten und 57,9% fehlende Unausgeglichenheit an.
Einen positiven Aspekt des Home-Office sehen 82,2% in der Zeitersparnis durch ausbleibende Arbeitswege. Im Home-Office können sich 67,8% besser konzentrieren und 66,7% fühlen sich ausgeglichener. 76,5% gaben an, ihren Alltag im Home-Office besser bewältigen zu können. Grundlegend kann hier sein, dass 70,6% der Befragten über die notwendige Infrastruktur verfügen.
Jedoch möchten 9,6% der Befragten gar nicht und 13,5% mit Einschränkungen wieder/weiterhin im Home-Office arbeiten. Letztere fühlten sich z.B. durch die zusätzliche Betreuung von Kindern und/oder Angehörigen überlastet. Insgesamt fehlten 89,6% der Austausch mit Kolleg:innen, 68,5% vermissten ihren Arbeitsweg und 52,6% fühlten sich durch digitale Termine/Videokonferenzen ermüdet.
Diskussion und Fazit
Trotz positiver Einschätzungen zur individuellen Home-Office-Situation ist nicht außer Acht zu lassen, dass sich fast 90% der Befragten durch den fehlenden Kolleg:innen-Kontakt belastet fühlen. Der Stellenwert eines zwischenmenschlichen Austauschs ist bei dauerhafter Tätigkeit im Home-Office nicht zu vernachlässigen. Dieser ist auch durch den ausbleibenden Arbeitsweg sowie Quarantäne-/Abstandsregeln herabgesetzt. Daraus können Einsamkeit sowie psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen resultieren. Je länger die Home-Office-Tätigkeit andauert, desto stärker kann sich eine Angst vor der Rückkehr ins Büro manifestieren – wie bereits von einem Viertel der Befragten berichtet.
Arbeit im Home-Office kann erfolgreich und gesund gestaltet werden, wenn sowohl die Infrastruktur, als auch Art und Frequenz der Kommunikation auf die Bedarfe der Arbeitnehmer:innen ausgerichtet ist. Eine Unterstützung kann beispielsweise im Rahmen einer Rehabilitation erfolgen.
Take-Home-Message
Kliniken, wie die Dr. Becker Brunnen-Klinik, haben mit der Entwicklung von Therapiegruppen für Betroffene auf Belastungen, die durch das Arbeiten im Home-Office entstehen, reagiert. Folgende integrierte Angebote der psychosomatischen Reha haben sich im geschlossenen Gruppen-Setting als praktikabel und wirksam gezeigt: Gesprächsgruppen, Bewegungstherapie, Bildschirmplatztraining, Lebensplanung, Soziales Kompetenztraining, Ergotherapeutische Kreativtherapie, Psychotherapeutische Gruppe. Ausschlaggebend für eine Zuweisung ist der Bedarf in Bezug auf die berufliche Situation bzw. Arbeitsplatzsituation sowie eine vorliegende Belastung durch Arbeit im Home-Office.
Literatur
Lippke, S., Keller, F., Derksen, C., Kötting, l., Ratz, T. & Fleig, L. (2022). Einsam(er) seit der Coronapandemie: Wer ist besonders betroffen? – psychologische Befunde aus Deutschland. [Loneline(er) since the corona pandemic: Who is particularly affected? – psychological findings from Germany.] Prävention und Gesundheitsförderung, 17(1), 84-95. https://doi.org/10.1007/s11553-021-00837-w
Hintergrund und Zielstellung
Erschöpfung und Überarbeitung am Arbeitsplatz können unterschiedliche Ursachen haben. Gesunde Erschöpfung kann beispielsweise in Folge von unregelmäßigen oder langen Arbeitszeiten entstehen (Caldwell et al., 2019). Psychisch erkrankte Arbeitnehmer erleben Erschöpfung und Überforderung aufgrund ihrer Erkrankungen, wodurch Arbeitsanforderungen nicht mehr erfüllt werden können. Lange Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie lebenslange Defizite am Arbeitsplatz sind häufig die Folge (Stansfeld et al., 2008). Im EU-Projekt H-Work werden Organisationen dabei unterstützt, bedarfsorientierte Gesundheitsmaßnahmen zu implementieren. Es wurde untersucht, inwiefern sich die Themen und Vorgehensweisen eines arbeitsbezogenen Coachings für psychisch gesunde und erkrankte Arbeitnehmer voneinander unterscheiden.
Methoden
Arbeitnehmern verschiedener Branchen wurde die Teilnahme an einem verhaltensbezogenen Kurzcoaching zu je drei Sitzungen im Einzelkontakt mit einer Psychologin mit berufs- und sozialmedizinischer Expertise angeboten. Auf Basis einer verhaltensorientierten Situationsanalyse wurden die Coaching-Inhalte individuell auf die Themen der Teilnehmer abgestimmt. In der zweiten und dritten Sitzung wurden alternative Verhaltensweisen für ausgewählte Arbeitssituationen erarbeitet, erprobt und reflektiert. Von 110 Teilnehmern waren 64 psychisch gesund, 46 berichteten aktuell oder anamnestisch von psychischen Erkrankungen. 21 Teilnehmer waren in den letzten 12 Monaten langzeitarbeitsunfähig.
Ergebnisse
Bei dem Vergleich der Coaching-Themen von psychisch gesunden und erkrankten Teilnehmern mit Erschöpfungs-Symptomatik zeigten sich unterschiedliche Schwerpunkte (s. Tabelle 1). Psychisch erkrankte Teilnehmer nannten häufiger soziale Problemstellungen wie Arbeitsplatzkonflikte und Defizite in der Erfüllung der Arbeitsbedingungen als psychisch gesunde Teilnehmer. Gesunde Teilnehmer berichteten neben Problemen in der sozialen Interaktion am häufigsten Probleme in der Bewältigung der Arbeitsmenge. Während bei psychisch erkrankten Teilnehmern die Versorgungskoordination, wie unterstützende Gesprächsvorbereitung für Wiedereingliederung oder Weitervermittlung an Behandler im Coaching vordergründig war, wurden bei gesunden Teilnehmern zumeist Techniken zur Verbesserung der sozialen Kompetenz und Selbststrukturierung eingesetzt (z.B. Rollenspiele, Wochenpläne).
Diskussion und Fazit
Coachings bei Erschöpfung und Überarbeitungsgefühlen sollten an die individuellen Themen und Erschöpfungsursachen der Teilnehmer angepasst werden. Dazu ist seitens des Coaches diagnostisches Fachwissen über den Unterschied von normaler arbeitsbezogener Erschöpfung und Arbeitsproblemen aufgrund psychischer Erkrankungen von Nöten (Greif, 2014). Um psychische Probleme im Coaching nicht erst anzustoßen oder zu verstärken (Schermuly, 2014), sollte eine klare Abgrenzung von Psychotherapie kommuniziert und unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden (Möller, 2018).
Take-Home-Message
Coaching muss auf den einzelnen Teilnehmer individuell zugeschnitten werden. Dafür ist eine differenzierte, auch psychopathologie-bezogene Diagnostik erforderlich.
Literatur
Caldwell, J. A., Caldwell, J. L., Thompson, L. A., Lieberman, H. R. (2019). Fatigue and its management in the workplace. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 96. 272-289.
Greif, S. (Hrsg.) (2013). Diagnostik im Coaching. Berlin: Springer.
Möller, H. (2018). Psychische Störungen im Coaching. In: Greif, S., Möller, H., Scholl, W. (Hrsg.): Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching. Berlin: Springer. 467-474.
Schermuly, C. C. (2014). Negative effects of coaching for coaches – An explorative study. International Coaching Psychology Review, 9. 165-180.
Stansfeld, S. A., Clark, C., Caldwell, B., Rodgers, B., Power, C. (2008). Psychosocial work characteristics and anxiety and depressive disorders in midlife: the effects of prior psychological distress. Occupational and Environmental Medicine, 65. 634-642.
Hintergrund und Zielstellung
Menschen mit Behinderung haben trotz der Vielzahl arbeitsmarktpolitischer Instrumente, die dazu gedacht sind, ihre Beschäftigungssituation zu verbessern, qualitativ und quantitativ schlechtere Chancen am Arbeitsleben teilzuhaben als Menschen, die keine Behinderung haben (z.B. Heisig et al., 2022). Die berufliche Selbständigkeit wird hier kaum als Erwerbsalternative wahrgenommen und spielt für diesen Personenkreis bisher eine geringere Rolle als für andere Gruppen: Nur 7,5 Prozent der Erwerbstätigen mit Behinderung sind selbständig tätig, bei Menschen ohne Behinderung beträgt der Anteil 10,2 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2020). Gleichzeitig kann die Berufsselbständigkeit für Menschen mit Behinderung neben spezifischen Risiken auch Vorteile haben, etwa das Umgehen von ggf. bestehenden Einstellungsdiskriminierungen oder die flexiblere Anpassung der Arbeit an die individuelle Lebenssituation (Meager & Higgins, 2011). Im Rahmen des durch den Ausgleichsfonds für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finanzierten Projekts „Barrierefrei Existenzgründen. Selbständig und erfolgreich im Erwerbsleben mit Behinderung“ wurde nun erfasst, welche Anforderungen an Gründungsberatungsangebote zu richten sind, die die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit von Menschen mit Behinderung unterstützen sollen.
Methoden
Grundlage für die Ermittlung der Anforderungen waren 33 qualitative Leitfadeninterviews, die sowohl mit Fachleuten aus der Gründungsberatung, Wirtschaftsförderung, Behindertenselbsthilfe und für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben (18 Interviews), als auch mit Gründungsinteressierten und Selbständigen mit Behinderung geführt wurden (15 Interviews). Die Interviews wurden nach den Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse dokumentiert und ausge-wertet (vgl. z.B. Kuckartz, 2018).
Ergebnisse
In Deutschland gibt es derzeit keine flächendeckenden und in ausreichender Zahl vorhandenen Gründungsberatungsangebote, die den heterogenen, im Vergleich zur konventionellen Grün-dungsberatung häufig weitreichenderen Informations- und Beratungsbedarfen von gründungsinte-ressierten Menschen mit Behinderung gerecht werden. Neben den allgemeinen Angaben, die grundsätzlich für alle Gründer*innen von Interesse sind (z.B. Gründung im Gewerbe oder einem Freien Beruf, Kombinationsmöglichkeiten mit Anstellungsverhältnissen, Marketing), benötigen sie häufig noch zusätzliche Informationen, etwa über spezielle behinderungsbezogene Förderoptionen, Zuständigkeiten zu Teilhabeleistungen am Arbeitsleben u.Ä.m. Das erfordert sowohl entsprechend kompetentes Gründungsberatungspersonal als auch ausreichende zeitliche und finanzielle Ressourcen, die für die Beratung und Unterstützung bereitgestellt werden. Zentral ist außerdem eine hinreichende Offenheit der Ratsuchenden, um über ihre Behinderung(en) und die möglichen Folgen für die Gründung und Berufsausübung zu sprechen. Förderlich ist hierbei ein vertrauensvoller und respektvoller Umgang und großes Einfühlungsvermögen in der Beratung. Der Einsatz von Peers kann dazu beitragen, dieses Anliegen zu erfüllen. Wichtig zur Sicherstellung der Bedarfsgerechtigkeit ist darüber hinaus, das Beratungs- und Informationsangebot barrierefrei zu gestalten bzw. mit Hilfe angemessener Vorkehrungen die Zugänglichkeit zu gewährleisten. Zugänglich ist das Angebot außerdem nur dann, wenn es der Zielgruppe bekannt ist. Hier kommt die Öffentlichkeitsarbeit ins Spiel, die entweder versuchen kann, Gründungsinteressierte mit Behinderung direkt auf sich aufmerksam zu machen oder zielgerichtet Organisationen, die mit dem Personenkreis in Kontakt stehen, über entsprechende Angebote zu informieren.
Diskussion und Fazit
Gründungen können dazu beitragen, breitere Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Aktuell wird der beruflichen Selbständigkeit dieser Gruppe in Deutschland wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sie hat bisher für den betreffenden Personen-kreis eine quantitativ eher geringere Bedeutung. Während die konventionelle Gründungsberatung häufig nicht bedarfsgerecht agiert, richten sich die wenigen von auf Menschen mit Behinderung spezialisierten Angebote bisher lediglich an Teilgruppen bzw. sie sind zeitlich und/oder regional begrenzt. Adäquate Angebote, die den Informations- und Beratungsbedarfen gründungsinteres-sierter Menschen mit Behinderung Rechnung tragen, könnten dazu beitragen, die Voraussetzungen für die Gründung und die Erfolgsaussichten selbständiger Tätigkeiten in diesem Bereich zu verbessern.
Take-Home-Message
Gründungsberatungsangebote für Menschen mit Behinderung sind rar gesät, unterstützen aber den Zugang zu selbständiger Erwerbsarbeit, die in Deutschland eine wenig wahrgenommene Er-werbsalternative darstellt, aber Erwerbsvorteile für den Personenkreis haben kann.
Literatur
Heisig, J. P., König, C., Solga, H. (2022): Arbeit und Beschäftigung. In: Steinwede, J., Harand, J., BMAS (Hrsg.): Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Bonn: infas. 149-164.
Kuckartz, U. (2018): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Wein-heim/Basel: Beltz Juventa.
Meager, N., Higgins, T. (2011): Disability and Skills in a Changing Economy“, UK Commission for Employment and Skills, Briefing Paper Series.
Statistisches Bundesamt (2020): Lebenslagen der behinderten Menschen. Ergebnis des Mikrozen-sus 2017. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
Hintergrund und Zielstellung
Laut der American Physical Therapy Association gibt es eine hohe Evidenz für die Wirksamkeit multimodaler Bewegungsinterventionen in der Rehabilitation von chronischen lumbalen Rückenschmerzen (chronic low back pain, CLBP) (George, et al. 2021). Deshalb wurde eine multimodale Bewegungsintervention (MultiMove) für CLBP Patienten/innen entwickelt, die unter anderem Übungsformen einbindet, die sich im Hinblick auf die Schmerzreduktion als zielführend erwiesen haben. MultiMove kombiniert ein dynamisches Gleichgewichtstraining, das ausgewählte Tanzübungen beinhaltet, mit motorisch-kognitiven Übungen sowie einen klassischen Kraft- und Flexibilitätstraining (Schega, et al. 2021). Das Ziel dieser Pilotstudie war es, die Auswirkungen einer additiven MultiMove-Intervention in die stationäre Anschlussheilbehandlung (AHB) im Vergleich zur traditionellen AHB-Rehabilitation bei CLPB-Patienten/innen zu untersuchen. Es wurde hypothetisiert, dass die Anwendung der additiven MultiMove-Intervention, im Vergleich zur konventionellen AHB, bessere Ergebnisse in Bezug auf die Schmerzintensität, funktionelle Mobilität, Beweglichkeit, Muskelkraft, Ausdauer, Gangleistung, exekutive Funktionen, Schmerzbewältigungsstrategien, psychosoziale Aspekte und die Lebensqualität induziert.
Methoden
Diese prospektive, zweiarmige, kontrollierte Pilotstudie wurde von Mai bis Juni 2022 in der Rehabilitationsklinik Bad Salzelmen (Schönebeck, Sachsen-Anhalt) durchgeführt. Am Tag der Klinikaufnahme wurden 27 CLBP-Patienten/innen zwei Gruppen zugeteilt: Interventionsgruppe (IG), Kontrollgruppe (KG) (Abb. 1). Beide Gruppen erhielten über drei Wochen das konventionelle AHB-Rehabilitationsprogramm. Die IG absolvierte zusätzlich eine tägliche MultiMove-Intervention (30 min, mindestens 9 Einheiten), die motorisch-kognitive (z. B. Subtraktion während Balljonglage) und ausgewählte Tanzübungen (z. B. Mambo, Line-Dance) beinhaltete. Die Patienten/innen wurden am Tag ihrer Ankunft (Prä-Test) und am letzten Tag der Rehabilitation (Post-Test) untersucht. Es wurden folgende Assessments durchgeführt: (1) Funktionelle Mobilität (Timed Up and Go Test [TUG]: primäres Outcome, (2) Schmerzintensität (Deutscher Schmerzfragebogen), (3) Rumpfbeweglichkeit (mobee® med), (4) Muskelkraft der Beinstrecker (Five Repetition Sit-to-Stand Test), (5) Ausdauer (Six-Minute Walk Test), (6) Gangleistung (Single- und Dual-Task Gehen) (ST, DT), (7) exekutive Funktionen (Stroop Farb-Wort-Interferenztest, Trail Making Test), (8) Schmerzbewältigungsstrategien (Coping Strategies Questionnaire), (9) psychosoziale Aspekte (Tampa Scale of Kinesiophobia, Beck Depression Inventory II), (10) Lebensqualität (Oswestry Disability Index, EuroQol 5Q-5D-5L). Die Auswertung der Daten erfolgte mittels Kovarianzanalyse mit Baseline-Adjustierung.
Ergebnisse
Insgesamt absolvierten 15 Patienten/innen der IG und 12 der KG den Post-Test. Die statistische Analyse zeigte eine signifikant bessere TUG-Leistung (p=0,003, η_p^2=0,298), Rumpfbeweglichkeit (Sagittalebene: p=0,031, η_p^2=0,173; Frontalebene: p=0,017, η_p^2=0,207; Transversalebene: p=0,030, η_p^2=0,175), Muskelkraft der Beinstrecker (p=0,046, η_p^2=0,156) und Ausdauer (p=0,012, η_p^2=0,226) zugunsten der IG (Abb. 2). Zudem verringerte sich der akute Schmerz (p=0,040, η_p^2=0,170) bei der IG im Vergleich zu KG signifikant. Die Doppelschrittlänge (ST: p=0,042, η_p^2=0,167; DT: p=0,011, η_p^2=0,257), Ganggeschwindigkeit (ST: p=0,022, η_p^2=0,207; DT: p=0,038, η_p^2=0,181) und kognitive Leistung (ST: p=0,016, η_p^2=0,211; DT: p=0,004, η_p^2=0,317) nahmen bei der IG ebenfalls signifikant zu. Außerdem reduzierte sich die Schmerzbewältigung (Subskala "Beten oder hoffen") (p=0,006, η_p^2=0,334) und es verbesserte sich die Lebensqualität (Subskala "Für sich selbst sorgen") (p=0,015, η_p^2=0,240) in der IG im Vergleich zur KG.
Diskussion und Fazit
Die additive MultiMove-Intervention zeigte positive Effekte auf die akute Schmerzintensität, die motorische Leistungsfähigkeit, das Gangbild sowie Aspekte der Schmerzbewältigung und Lebensqualität bei CLBP Patienten/innen. George et al. (2021) berichten in einem aktuellen Review, dass bisherige multimodale Bewegungsinterventionen mittels der Kombination von spezifischen Rumpfmuskelübungen und einem klassischen Kraft- und/oder Ausdauertraining jeweils keine signifikanten Verbesserungen im Vergleich zur Standard-Physiotherapie erzielen konnten. Demnach könnte die MultiMove-Intervention, die u. a. motorisch-kognitive Übungen mit ausgewählten Tanzübungen kombiniert, ein vielversprechender Ansatz für die Rehabilitation von CLBP Patienten/innen sein.
Take-Home-Message
Das neu konzipierte und für die stationäre Phase angepasste multimodale Rehabilitationstraining (MultiMove) für Patienten/innen mit CLBP kombiniert motorisch-kognitive Übungen und ausgewählte Tanzübungen.
Die additiv zum traditionellen AHB-Rehabilitationsprogramm durchgeführte MultiMove-Intervention (30 min pro Einheit) bewirkte eine signifikante Verbesserung der funktionellen Mobilität, Gangleistung, Rumpfbeweglichkeit, Kraft der Beinstrecker und der Ausdauer sowie eine Reduktion der akuten Schmerzintensität.
Die MultiMove-Intervention ist u. a. auf die funktionelle Aktivierung der autochthonen Rückenmuskulatur bei CLBP Patienten/innen ausgerichtet.
Literatur
George, S.Z., Fritz, J.M., Silfies, S.P., Schneider, M.J., Beneciuk, J.M., Lentz, T.A., Gilliam, J.R., Hendren, S., Norman, K.S. 2021: Interventions for the Management of Acute and Chronic Low Back Pain: Revision 2021. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy, 11. CPG1-CPG60.
Schega, L., Kaps, B., Broscheid, K.-C., Bielitzki, R., Behrens, M., Meiler, K., Drange, S., Franke, J. 2021: Effects of a multimodal exercise intervention on physical and cognitive functions in patients with chronic low back pain (MultiMove): study protocol for a randomized controlled trial. BMC geriatrics, 1. 151.
Hintergrund und Zielstellung
Health literacy (HL) umfasst das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung, Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern (Sørensen et al., 2012). Eingeschränkte HL ist mit geringerer psychosozialer Gesundheit assoziiert. Die Datenlage im Rehasetting ist bisher begrenzt. Onkologischen Rehabilitand:innen berichten bespielsweise zum Rehabilitationsende Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen und deren HL ist ein Prädiktor für psychosoziale und körperliche Reha-Outcomes bis zu 9 Monate nach der Reha (Meng et al., 2021). Zur Veränderung der HL während der Rehabilitation und deren prognostischer Bedeutung liegen noch keine Daten vor.
Folgende explorative Fragestellungen wurden in einer Sekundärdatenanalyse bei Rehabilitand:innen in der VOR geprüft:
(F1) Welche HL liegt bei Rehabilitand:innen zu VOR-Beginn vor?
(F2) Verändert sich die HL der Rehabilitand:innen im Rehabilitationsverlauf?
(F2) Welche Zusammenhänge weist HL mit den Reha-Zielparametern - psychische Belastung, Schmerzverarbeitung und -beeinträchtigung, gesundheitsbezogene Lebensqualität - bis zu 6 Monate nach der Rehabilitation auf?
Methoden
Multizentrische Fragebogenstudie in der VOR mit 3 Messzeitpunkten: Reha-Beginn (T1), Reha-Ende (T2) und 6-Monats Follow-up (T3). Eingeschlossen wurden 166 Rehabilitand:innen mit orthopädischer VOR-Indikation; im Verlauf sind Daten von 95% (T2) bzw. 74% (T3) verfügbar.
HL wurde mit der 6-Item-Kurzform des European Health Literacy Survey Questionnaire (HLS-EU-Q6) erfasst. Ein HL-Gesamtwert mit positiver Polung wird über den Mittelwert der Items gebildet (Range: 1-4). Mittels Cut-off-Werten kann eine Einteilung als inadäquat, problematisch oder ausreichend erfolgen. Instrumente für die Reha-Zielparameter waren: PHQ-9, GAD-7, FEVS, CPAQ, NRS, PDI, SF-12.
Zur Analyse erfolgten eine deskriptive Auswertung (F1), ANOVA mit Messwiederholung, paarweisen Vergleichen und Effektgrößen mit 95%-Konfidenzintervallen (F2) sowie eine Zusammenhangsanalyse mit Korrelations-/Regressionsanalysen im Quer- und Längsschnitt mit residualisierten Veränderungswerten (F3).
In der Stichprobe sind 84% Frauen, das Durchschnittsalter ist 53 Jahre (SD=7.0). 16% haben einen Volks-/Hauptschulabschluss, 45% Realschulabschluss/Mittlere Reife/polytechnische Oberschule und 38% Fachhochschulreife/Abitur. Der überwiegende Teil (84%) sind Angestellte; 94% sind erwerbstätig. Die Dauer der Rückenschmerzen wird von 61% seit mehr als 5 Jahren angegeben.
Ergebnisse
F1: Die abgefragten HL-Anforderung werden von 23.6% bis 60.6% der Rehabilitand:innen als ziemlich oder sehr schwierig eingestuft (Abb. 1). Der durchschnittliche HL-Gesamtwert ist 2.58 (SD=0.48). Nach den Cut-off-Werten wird die HL von 13.9% wird als inadäquat, 66.1% als problematisch und 20.0% als ausreichend eingestuft. HL weist keine bedeutsamen Zusammenhänge mit soziodemografischen Parametern auf.
F2: Die HL der Rehabilitand:innen nimmt im VOR-Verlauf signifikant zu (p < .001). Die paarweisen Vergleiche zeigen jeweils eine Verbesserung zwischen Reha-Beginn und den Post-Messzeitpunkten, aber keine Veränderung zwischen Reha-Ende und dem 6-Monats Follow-up (T1-T2: SES=0.41, KI=0.25-0.56; T1-T3: SES=0.42, KI=0.24-0.59; T2-T3: SES=0.01, KI=-0.14-0.16).
F3. Zu VOR-Beginn bestehen signifikante Korrelationen (p < .05) von HL und dem psychischen Befinden sowie der Schmerzverarbeitung/-beeinträchtigung; keine Zusammenhänge bestehen mit der Schmerzstärke und der körperlichen Lebensqualität. Höhere HL ist mit geringerer psychischer Belastung (Depressivität: r=-.26; Ängstlichkeit: r=-.32), höherer psychischer Lebensqualität (r=.32), geringerer Schmerzbeeinträchtigung (r=-.23) und teilweise mit günstigeren Schmerzbewältigungsstrategien (u.a. Aktivitätsbereitschaft: r=.24; Handlungsplanungskompetenz r=.24) assoziiert.
Auch im Längsschnitt (T1-T3) zeigen sich einige signifikante Zusammenhänge; eine Verbesserung der HL ist mit einer Verbesserung in den Reha-Outcomes assoziiert. Dies gilt für die Veränderung zu T3 auch für die Schmerzstärke (β=.22) und die körperliche Lebensqualität (β=.20).
Diskussion und Fazit
Ein hoher Anteil von Rehabilitand:innen hat subjektive Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheits-/Krankheitsinformationen. Im VOR-Verlauf kommt es zu einer signifikanten, mittleren Verbesserung der HL, die bis 6 Monate nach der VOR stabil bleibt und mit Verbesserungen in Reha-Zielparametern einhergeht. Die Ergebnisse stützen bestehende Befunde zur Relevanz von patientenorientierter Informationsvermittlung und Schulung zu krankheitsspezifischen Selbstmanagementfertigkeiten sowie Kompetenzen im Umgang mit Gesundheitsinformationen. Spezielle Bedarfe und der Einfluss auf den VOR-Erfolg wären weiter zu prüfen (Köpnick et al., 2020).
Weitere Studien sollten die Relevanz der HL mit umfassenderen Messinstrumenten und größeren Stichproben, die Subgruppenvergleiche ermöglichen, untersuchen.
Take-Home-Message
HL sollte in der Rehabilitation beachtet und gefördert werden.
Literatur
Köpnick, A., Hampel, P. (2020); Der Einfluss der sozialen Lage auf den Rehabilitationserfolg von Rehabilitanden mit chronischem Rückenschmerz: Ergebnisse einer 2-Jahres-follow-up-Erhebung in der stationären verhaltensmedizinisch orthopädischen Rehabilitation. Rehabilitation, 59. 348-356.
Meng, K., Heß, V., Schulte, T., Faller, H., Schuler, M. (2021): Health literacy bei onkologischen Rehabilitanden und deren Relevanz für den subjektiven Rehabilitationsverlauf. Rehabilitation, 60. 102-109.
Sørensen, K., Van den Broucke, S., Fullam, J., Doyle, G., Pelikan, J., Slonska, Z., Brand, H. (2012): Health literacy and public health: a systematic review and integration of definitions and models. BMC Public Health, 12. 80.
Hintergrund und Zielstellung
Unspezifische chronische Schmerzen können anhand des Chronifizierungsstadiums und des Schweregrades beschrieben werden. Hierbei bezieht sich die Schweregradeinteilung nach von Korff et al. (1992; vgl. auch Nagel et al., 2015) auf das Ausmaß der aktuellen Schmerzintensität und der auf den Rückenschmerz bezogenen Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten. Diese Klassifikation unterscheidet vier Schweregrade (I = geringe Behinderung, niedrige Intensität; II = geringe Behinderung, hohe Intensität; III = hohe Behinderung, mäßig einschränkend; IV = hohe Behinderung, stark einschränkend) und hat sich eher im internationalen Bereich etabliert. Vor allem Grad IV stand im Zusammenhang mit psychosomatischen Komorbiditäten und einem ungünstigeren Rehabilitationserfolg (Buchner et al., 2007).
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Kriteriumsvalidität der Schweregradklassifikation nach von Korff et al. (1992) bei Rehabilitand*innen mit unspezifischen chronischen Rückenschmerzen (CRS) in der stationären verhaltensmedizinisch orthopädischen Rehabilitation (VMO). So wurden Unterschiede zu Rehabilitationsbeginn in psychologischen sowie arbeits- und schmerzbezogenen Kennwerten in Abhängigkeit vom Schweregrad untersucht (Fragestellung 1). Ferner wurde überprüft, ob sich die Häufigkeitsverteilungen klinisch auffälliger Ausprägungen in den Parametern in Abhängigkeit vom Schweregrad unterscheiden (Fragestellung 2).
Methoden
Im Rahmen einer Sekundäranalyse des Datensatzes des Forschungsprojekts Debora (vgl. Hampel & Neumann, 2022) konnten N=1010 Rehabilitand*innen aus 4 stationären VMO-Kliniken in per-protocol-(pp)-Analysen eingeschlossen werden (Frauen: 78,0%; Alter: MW=52,17 Jahre, SD=7,20; Ausschluss aufgrund fehlender Werte: n=296). Insgesamt waren 17,1% in Grad I, 12,9% in Grad II, 31,2% in Grad III und 38,8% in Grad IV. Zudem waren 52,2% in der Depressivität (RW>22) und 47,1% in der subjektiven Erwerbsprognose (RW≥2) klinisch auffällig.
Als psychologische Kennwerte wurden die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit und die Depressivität gemessen. Als schmerzbezogene Kennwerte gingen die Funktionskapazität und die durchschnittliche Schmerzintensität ein. Als arbeitsbezogene Kennwerte wurden die subjektive Erwerbsprognose sowie die physische und psychische Arbeitsfähigkeit erhoben.
Für die Schweregradeinteilung wurden übereinstimmend mit Nagel et al. (2015) die Beeinträchtigungen in Bezug auf die letzten 3 Monate bestimmt. Fragestellung 1 wurde anhand einfaktorieller Varianzanalysen mit der 4-fach abgestuften unabhängigen Variable „Schweregrad“ mit angeschlossenen paarweisen Vergleichen überprüft und anhand non-parametrischer Verfahren verifiziert. Fragestellung 2 wurde für die psychologischen und arbeitsbezogenen Kennwerte mittels chi2-Tests in Abhängigkeit des Schwergrades untersucht, nachdem die Ausprägungen anhand von cut-off-Werten dichotomisiert wurden.
Ergebnisse
Fragestellung 1: Alle Varianz- und Rangvarianzanalysen ergaben hochsignifikante Ergebnisse mit meist hohen Effektstärken (Tab. 1). Lediglich für die psychische Arbeitsfähigkeit erbrachte die Rangvarianzanalyse nur eine kleine Effektstärke. Die paarweisen Vergleiche zeigten, dass die psychische Arbeitsfähigkeit und subjektive Erwerbsprognose in den Schmerzgraden I und II nicht unterschiedlich waren. Die Depressivität, psychische Arbeitsfähigkeit und Funktionskapazität unterschieden sich nicht in den Graden II und III. Insgesamt zeigten sich erwartungsgemäß ungünstigere Ausprägungen in den Graden III und IV.
Fragestellung 2: Die chi2-Tests bestätigten mehrheitlich die Ergebnisse zur Fragestellung 1 (Tab. 2). Insgesamt waren mehr klinisch auffällige Ausprägungen als erwartet in den beiden höheren Schmerzgraden.
Diskussion und Fazit
Die Kriteriumsvalidität der Schweregradklassifikation wurde untermauert: Erwartungsgemäß differenzierten die schmerzbezogenen Kennwerte in erwarteter Richtung zwischen den Schweregraden. Darüber hinaus variierten aber auch die psychologischen und arbeitsbezogenen Kennwerte in Abhängigkeit des Schweregrades, was sich in einer Stichprobe mit geringeren Graden nicht gezeigt hatte (Buchner et al., 2007). Lediglich die psychische Arbeitsfähigkeit differenzierte mit kleinen Effektstärken. Die klinische Relevanz der Schweregradklassifikation wird dadurch nahegelegt, dass in den niedrigeren Graden mehr klinisch unauffällige Rehabilitand*innen und in den höheren Graden mehr klinisch auffällige Rehabilitand*innen klassifiziert wurden. Die geringere Abtrennung der Grade I und II könnte auf die klinische Stichprobe zurückzuführen sein, trat jedoch auch insbesondere in den arbeitsbezogenen Kennwerten auf. Zukünftige Studien sollten der Frage nachgehen, ob eine mäßige (subjektive) Einschränkung trotz hoher Behinderung (Grad III) ungünstige Effekte auf das psychische Befinden und die Funktionskapazität noch abpuffert.
Take-Home-Message
Die Kriteriumsvalidität der Schweregradklassifikation nach von Korff et al. (1992, modifiziert nach Nagel et al., 2015) konnte auf eine Stichprobe in der VMO und auf psychologische Kennwerte wie die schmerzbezogene Selbstwirksamkeit und Depressivität aber auch arbeitsbezogene Kennwerte wie die körperliche Arbeitsfähigkeit und subjektive Erwerbsprognose erweitert werden.
Literatur
Buchner, M., Neubauer, E., Zahlten-Hinguranage, A., Schiltenwolf, M. (2007): The influence of the grade of chronicity on the outcome of multidisciplinary therapy for chronic low back pain. Spine, 26. 3060-3066.
Hampel, P., Neumann, A. (2022): Debora: Langfristige Wirksamkeit eines stationären störungsspezifischen Schmerzkompetenz- und Depressionspräventionstrainings bei chronisch unspezifischem Rückenschmerz und Depressivität. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie.
Nagel, B., Pfingsten, M., Lindena, G., Kohlmann, T. (2015): Deutscher Schmerz-Fragebogen. Handbuch. Berlin: Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.
Von Korff, M. M., Ormel, J., Keefe, F., Dworkin, S.F. (1992): Grading the severity of chronic pain. Pain, 50. 133-149.
Hintergrund und Zielstellung
Die Beurteilung der Qualität und des Ergebnisses einer Behandlung nimmt einen immer höheren Stellenwert sowohl in der Akutbehandlung als auch in der Rehabilitationsphase ein. Neben den klassischen objektivierten Qualitätskennzahlen erfahren patientenzentrierte Verfahren wie z.B. Patient Reported Outcome Measures (PROMs), nicht zuletzt im Hinblick auf die gemeinsame Entscheidungsfindung von Patient:innen und Ärzt:innen, eine weltweit steigende Bedeutung.
In einer kürzlich beendeten Pilotstudie konnten wir zeigen, dass der Einsatz von indikationsspezifischen und krankheitsübergreifenden PROMs bei Knie- und Hüftgelenksersatz (Knie-TEP bzw. Hüft-TEP) ein sehr gutes Messverfahren für den Erfolg einer orthopädischen Rehabilitation darstellt und Vergleiche zwischen verschiedenen Rehabilitationseinrichtungen erlaubt (1).
In einer Folgestudie sollen nun neben den Messzeitpunkten zu Beginn und nach Beendigung der medizinischen Rehabilitation auch präoperative Befunde aus den zuweisenden Akuthäusern berücksichtigt werden und eine 3-Monatskatamnese erfolgen.
Folgende Fragestellungen sollen durch die Studie beantwortet werden:
1. Wie stellt sich der Behandlungsverlauf von Patient:innen mit einer Knie- oder Hüft-TEP sektorenübergreifend (Akutphase bis Katamnese) dar?
2. Können Unterschiede im Behandlungsverlauf zwischen verschiedenen Rehabilitationseinheiten unter Berücksichtigung der katamnestischen Befragung gemessen werden und eignen sich diese für ein Benchmarking?
3. Hat die Ausgangssituation von Patient:innen vor der OP einen Einfluss auf den Behandlungsverlauf und auf die Ergebnisse des Benchmarkings zwischen den Reha-Einrichtungen?
Methoden
Teilnehmende Einrichtungen:
Akuthäuser:
• IQM Mitglied
• ausreichend hohe Zahl an Knie- bzw. Hüftersatz-OPs (mind. 50, optimal 100 OPs pro Indikation im Erhebungszeitraum)
• Weitervermittlung der Patient:innen an Mitgliedskliniken des Rehaportals von qualitätskliniken.de
Reha-Einrichtungen:
• Mitgliedsklinik des Rehaportals
• Fachabteilung Orthopädie und Behandlung von Hüft- und Knie-TEP
• Übernahme von Patient:innen aus teilnehmenden Akuthäusern
Patient:innen:
• Einschlussdiagnosen bei Hüft-TEP: Z96.64 oder Z96.6/Z96.8 (mit einer der folgenden Zusatzdiagnosen S72.01/S72.02/S72.03, S72.04, S72.05, M16.x)
• Einschlussdiagnosen bei Knie-TEP: Z96.65 oder Z96.6/Z96.8 (mit einer Zusatzdiagnose M17.x)
Ausschlusskriterien:
• Wiederaufnahme als neuer Fall (nur Reha)
• Starke kognitive Einschränkungen / Unfähigkeit den Fragebogen auszufüllen (Reha und Akut)
• Ablehnung der Befragung durch Patient:innen (Reha und Akut)
• Vorzeitige Beendigung der Rehabilitation (weniger als 15 Tage in der Behandlung, wobei An- und Abreisetag zusammen als 1 Tag zählen; nur Reha)
Messzeitpunkte:
• T0 (Anamnestischer Befund vor dem Eingriff)
• T1 (innerhalb der ersten drei Tage nach Beginn der med. Rehabilitation)
• T2 (frühestens drei Tage vor Ende der med. Rehabilitation)
• T3 (90 Tage (max. 120 Tage) nach Beendigung der med. Rehabilitation)
Eingesetzte PROMs:
• HOOS-PS (indikationsspezifischer Fragebogen Hüft-TEP) (2)
• KOOS-PS (indikationsspezifischer Fragebogen Knie-TEP) (3)
• VR-12 (Veterans Rand-12, Indikationsübergreifender Fragebogen zur physischen und psychischen Gesundheit) (4);
• Soziodemographischer Fragebogen (zur Risikoadjustierung)
Wissenschaftliche Leitung, Sponsoren und Auswertestelle:
• Wissenschaftliche Leitung und die Auswertung der Daten: Institut für medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE)
• Wissenschaftliche Beratung: IQM
• Sponsor: 4QD-Qualitätsklinken.de GmbH, IQM
Ergebnisse
-
Diskussion und Fazit
Die geplante Studie ermöglicht zum ersten Mal einen sektorenübergreifenden Überblick über den Behandlungsverlauf von Patient:innen mit Hüft- und Kniegelenksersatz vom Zeitpunkt vor dem Eingriff bis weit nach Ende der medizinischen Rehabilitation. Von den Ergebnissen versprechen wir uns wertvolle Informationen über die angebotenen und durchgeführten Therapien und den subjektiven Behandlungserfolg für unsere Patient:innen. Darüber hinaus bekommen die Akuthäuser und die Reha-Einrichtungen durch die Ergebnisse diese Studie eine gemeinsame Datenbasis, um ihre Prozesse besser aufeinander abzustimmen und den Bedarfen und Bedürfnissen ihrer Patient:innen gerecht zu werden.
Take-Home-Message
Sektorenübergreifende PRO-Erhebungen ermöglichen eine umfassende Bewertung der Behandlungsqualität und des subjektiv empfundenen Behandlungserfolgs.
Literatur
(1) Qualitätskliniken.de (Hrsg., 2020): Ergebnismessung in der orthopädischen Rehabilitation - Ergebnisbericht, Berlin
(2) Davis, A. M., Perruccio, A. V., Canizares, M., Tennant, A., Hawker, G. A., Conaghan, P. G., Roos, E. M., Jordan, J. M., Maillefert, J. F., Dougados, M. & Lohmander, L. S. (2008). The development of a short measure of physical function for hip OA HOOS-Physical Function Shortform (HOOSPS): an OARSI/OMERACT initiative. Osteoarthritis Cartilage, 16(5), 551-559.
(3) Perruccio, A. V., Stefan Lohmander, L., Canizares, M., Tennant, A., Hawker, G. A., Conaghan, P. G., Roos, E. M., Jordan, J. M., Maillefert, J. F., Dougados, M. & Davis, A. M. (2008). The development of a short measure of physical function for knee OA KOOS-Physical Function Shortform (KOOS-PS) - an OARSI/OMERACT initiative. Osteoarthritis Cartilage, 16(5), 542-550.
(4) Buchholz, I. & Kohlmann, T. (2015). Deutsche Version des Veterans RAND 12 Gesundheitsfragebogen (VR-12). Entwickelt auf der Grundlage des MOS RAND 36 Version 1.0 mit Unterstützung des US Department of Veterans Affairs. © Kazis LE et al. Patient-reported measures of health: The Veterans Health Study. The Journal of Ambulatory Care Management, 2004; 27:70-83.
Hintergrund und Zielstellung
Durch den genetischen Nachweis von spezifischen Subgruppen des Mammakarzinoms (Sorlie T et al., 2001) konnte die Therapie von Brustkrebs zunehmend individueller und erfolgreicher durchgeführt werden. Zwischenzeitlich beträgt so die 5-Jahresüberlebensrate in Deutschland fast 90%. Unverändert gibt es jedoch noch wenige Registerdaten, inwieweit diese individualisierten, meist multimodalen Therapiekonzepte zu unterschiedlichen Folgestörungen und Toxizitäten während der onkologischen Rehabilitation führen bzw. ob sich prädiktive Faktoren für den sozialmedizinischen Verlauf in diesen Subgruppen nachweisen lassen (Hass HG et al., 2021).
Um diese Fragen zu beantworten, wurde schon 2013 in der Paracelsus-Klinik in Scheidegg ein Tumorregister angelegt.
Methoden
Zwischenzeitlich konnten von 10.900 Patientinnen, die zwischen 07/2013 – 06/2022 zur onkologischen Rehabilitation in der Paracelsus-Klinik Scheidegg waren (Durchschnittsalter 55,4 ±10,2 Jahre; AHB-Anteil 71,7%) die soziodemographischen, tumor-biologischen und klinischen Daten ausgewertet werden. Bei 3750 Frauen wurde zudem die psychische Belastung mittels der dt. Version des Distress-Thermometer (DT) des NCCN erfasst. Für die Datenerhebung dieser Routinedaten liegt ein Ethik-Votum der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) vor, die Patienten wurden hierzu schriftlich aufgeklärt.
Ergebnisse
In 71,1% lag eine hormon-abhängige, ER-positive Tumorerkrankung (ER+BC) vor, in 17,3% zeigte sich eine Her2-positives (Her2+BC) und in 11,5% ein sog. „triple negatives“ Mammakarzinom (TNBC). 32,4% der Patientinnen waren prä-, 6,2% peri- und 61,4% postmenopausal.
In 56,7% erfolgte eine systemische Chemotherapie, in 89,1% eine meist adjuvante Radiatio nach Brusterhaltender Tumorresektion. 75% der Patientinnen erhielten eine antihormonelle Therapie, 15,3% eine gegen Her2-gerichtete Antikörpertherapie. In fast einem viertel der Fälle (23,7%) erfolgte eine komplette Brustentfernung (Ablatio).
Patientinnen mit TNBC waren signifikant jünger wie Frauen mit ER+BC (53,4 ± 11,1 vs. 56,2 ± 10,1 Jahre, P < 0.001). Daher waren in dieser Subgruppe mehr Patientinnen beruflich tätig (71,1% vs. 65,3%; P < 0.001), aber auch schon etwas häufiger erwerbsgemindert (EMR 1.9% vs. 1,4%; P = 0.029).
Bei Patientinnen mit Her2+BC oder TNBC erfolgte gegenüber den Patientinnen mit ER+BC signifikant häufiger eine systemische Chemotherapie (91,5 und 93,2 vs. 43%) und eine Ablatio (26,5 vs. 22,8%).
Wegen der aggressiveren Tumorbiologie (G3, Ki67^, N+) erfolgte bei Her2+BC und TNBC neben der Ablatio häufiger eine axilläre Lymphknotenresektion. Daher war das Vorkommen eines postoperativen Lymphödems (LÖ) sowie einer chemo-induzierte Polyneuropathie (CIPN) in beiden Gruppen signifikant erhöht (LÖ: 14,6 bzw. 16,8 vs. 13,5%, p = 0.01 / CIPN: 56,6 vs. 25,4%, p < 0.001).
Generell zeigte sich im Aufnahme-Assessment mit dem Distress-Thermometer eine sehr hohe psychische Belastung bei den betroffenen Patientinnen (DT ≥ 4/10: 66%), wobei hier die Gruppe der TNBC die signifikant höchsten Werte aufwiesen (70,6 vs. 64,8 bzw. 65,8%; P < 0.001), welche in Übereinstimmung mit aktuellen Daten aus der Literatur sind (Sun H et al., 2022).
Diskussion und Fazit
Die hier vorgestellten Daten von über 10.000 Patientinnen belegen sehr gut die somatischen und psychischen Beschwerden der betroffenen Frauen im Reha-Alltag. Gegenüber den in der Literatur immer wieder zitierten, geringeren Inzidenzen zeigt sich, dass fast 25% der Frauen eine komplette Ablatio erhalten haben und das postoperative Lymphödem immer noch eine große Relevanz in der Nachsorge des Mammakarzinoms hat. Wie in der Akutbehandlung zeigt sich die Gruppe der TNBC als psychisch besonders belastet und sozialmedizinisch relevant (Alter, EMR,…)
Take-Home-Message
Die Daten des Scheidegger BreCaReg können dazu beitragen, ein präziseres Bild der Rehabilitation von Brustkrebs-Patientinnen zu erstellen, um so spezifische Reha- und Nachsorgekonzepte zu weiterzuentwickeln.
Literatur
Gene expression patterns of breast carcinomas distinguish tumor subclasses with clinical implications.
Sørlie T, Perou CM, Tibshirani R, Aas T, Geisler S, Johnsen H, Hastie T, Eisen MB, van de Rijn M, Jeffrey SS, Thorsen T, Quist H, Matese JC, Brown PO, Botstein D, Lønning PE, Børresen-Dale AL.Proc Natl Acad Sci U S A. 2001 Sep 11;98(19):10869-74. doi: 10.1073/pnas.191367098.
[Early and Late Toxicities and Socio-Medical Relevant Disorders after Oncological Treatment for Breast Cancer-Implications and Assessment of Rehabilitation Requirement].
Hass HG, Seywald M, Stepien J, Muco B, Tanriverdi M, Beckmann MW, Kunzmann V, Wöckel A.Rehabilitation (Stuttg). 2021 Apr;60(2):77-85. doi: 10.1055/a-1361-3666.
Distress Thermometer in breast cancer: systematic review and meta-analysis.
Sun H, Lv H, Zeng H, Niu L, Yan M.BMJ Support Palliat Care. 2022 Sep;12(3):245-252. doi: 10.1136/bmjspcare-2021-002960.
Hintergrund und Zielstellung
Mit rund 69.000 Neuerkrankungen im Jahr ist Brustkrebs in Deutschland die häufigste Krebserkrankung bei Frauen (Robert Koch-Institut, 2021). Nach Abschluss der akuten Behandlung kann es zu anhaltenden psychischen Erkrankungen und sozialen Problemen kommen, die den Alltag der betroffenen Frauen erschweren. In einer deutschen Stichprobe lag die Vier-Wochen-Prävalenz einer psychischen Erkrankung bei Frauen mit Brustkrebs bei 32 % (Mehnert et al., 2014).
In Deutschland besteht nach Abschluss der Primärbehandlung die Möglichkeit der onkologischen Rehabilitation, um den Umgang mit der Erkrankung zu unterstützen und um die Leistungsfähigkeit im Beruf und Alltag zu verbessern. Psychoonkologische Angebote sind dabei wichtig und finden sich als Empfehlung in den von der Deutschen Rentenversicherung formulierten Reha-Therapiestandards bei Brustkrebs. Systematische Übersichtsarbeiten zeigen, dass psychoonkologische Interventionen Angst, Depression und Lebensqualität verbessern können (Jassim et al., 2015). In unserer Studie prüften wir, ob eine in der onkologischen Rehabilitation zusätzlich angebotene strukturierte Kurzzeitpsychotherapie einer zusätzlich angebotenen unspezifischen Gruppendiskussion überlegen ist.
Methoden
Teilnehmerinnen wurden randomisiert einer Kurzzeitpsychotherapie oder einer unspezifischen Gruppendiskussion während der onkologischen Rehabilitation zugewiesen (Deutsches Register Klinischer Studien: DRKS00017571). Die Rekrutierung erfolgte von März 2019 bis Januar 2020. Eingeschlossen wurden Rehabilitandinnen mit Brustkrebs (Tumorstadien I-IV) und einem Wert von mindestens fünf Punkten auf dem Distress-Thermometer. Ausgeschlossen werden Frauen, die sich in psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung befanden.
Beide Interventionen umfassten jeweils drei Gruppensitzungen, die von Fachärzt*innen für Onkologie und Psychotherapie durchgeführt wurden. Im strukturierten Angebot der Kurzzeitpsychotherapie wurden die Themen Angst, Motivation und Fatigue behandelt und psychotherapeutische Interventionstechniken (z. B. achtsamkeitsbasierte und verhaltenstherapeutische Techniken) vorgestellt. Dadurch sollten die Rehabilitandinnen Vorstellungen entwickeln, ob, wo und wie der begonnene psychotherapeutische Prozess nach der Rehabilitation fortgesetzt werden sollte. Zudem sollte der Umgang mit negativen Gefühlen sowie die frühzeitige Erkennung von Erschöpfung und Überforderung gestärkt werden.
Fragebogendaten wurden zu Beginn und am Ende der Rehabilitation sowie nach drei Monaten erhoben. Primäres Zielkriterium war der mit der Hospital Depression and Anxiety Scale (HADS) erhobene Angstwert (0-21 Punkte) (Zigmond, Snaith, 1983). Sekundäre Zielkriterien umfassten Depressivität, Fatigue und Lebensqualität. Die Behandlungseffekte wurden mit linearen Regressionsmodellen für beide Nacherhebungszeitpunkte (Ende der Rehabilitation und nach drei Monaten) überprüft. Subgruppenanalysen prüften, ob Rehabilitandinnen mit hohen Angst- oder Depressionswerten zu Beginn der Rehabilitation von der Kurzeitpsychotherapie profitierten.
Ergebnisse
Für die Analyse wurden Daten von 160 Rehabilitandinnen (80 Personen je Gruppe) berücksichtigt (mittleres Alter: 59,2 Jahre, SD = 10,6). Zu Beginn der Rehabilitation zeigten sich keine statistisch signifikanten Gruppeunterschiede. Rehabilitandinnen beider Gruppen berichteten am Ende der Rehabilitation und drei Monate der Rehabilitation deutliche Verbesserungen in den Zielkriterien. Zwischen den Gruppen zeigten sich für Angst am Ende der Rehabilitation (Differenz = -0,2; 95 % KI -1,2; 1,3) und drei Monate nach der Rehabilitation (Differenz = 0,2; 95 % KI -0,9; 1,3) sowie für alle sekundären Zielkriterien keine signifikanten Unterschiede.
In der Subgruppenanalyse zeigte sich für Rehabilitandinnen mit hohen Ausgangswerten an Angst am Ende der Rehabilitation ein Vorteil zugunsten der Kurzzeitpsychotherapie hinsichtlich Depression (HADS-Depression: Differenz = -1,9; 95 % KI: -3,5 bis -0,3; p = 0,019).
Diskussion und Fazit
Die onkologische Rehabilitation unterstützt Rehabilitandinnen mit Brustkrebs bei der Bewältigung dieses kritischen Lebensereignisses und kann Krankheits- und Therapiefolgestörungen reduzieren. Obwohl unsere Studie keinen Vorteil einer strukturierten Kurzzeitpsychotherapie gegenüber einer unspezifischen Gruppendiskussion in der Gesamtstichprobe zeigte, deuten die Ergebnisse der Subgruppenanalyse darauf hin, dass Rehabilitandinnen mit einem hohen Risiko für psychische Komorbidität kurzfristig eher von einer strukturierten Kurzzeitpsychotherapie als von einem unspezifischen Gruppenangebot profitieren.
Wir konnten nicht prüfen, ob das strukturierte Angebot eine Zusatznutzen zu den bestehenden psychologischen Interventionen in der onkologischen Rehabilitation aufweist. Hierfür bedarf es pragmatischer dreiarmiger randomisierter kontrollierter Studien, die zusätzlich Kontrollgruppen ohne aktive Intervention berücksichtigen.
Take-Home-Message
Strukturierte psychotherapeutische Kurzinterventionen können psychologische Angebote der onkologischen Rehabilitation ergänzen und zeigen bei Rehabilitandinnen mit Brustkrebs, die hohe Angstwerte berichten, eine verbesserte depressive Symptomatik gegenüber unspezifischen Gruppenangeboten.
Literatur
Jassim, G.A., Whitford, D.L., Hickey, A., Carter, B. (2015): Psychological interventions for women with non‐metastatic breast cancer. Cochrane Database of Systematic Reviews, CD008729.
Mehnert, A., Brähler, E., Faller, H., Härter, M., Keller, M., Schulz, H., Wegscheider, K., Weis, J., Boehncke, A., Hund, B., Reuter, K., Richard M., Sehner, S., Sommerfeldt, S., Szalai, C., Wittchen, H.-U., Koch, U. (2014): Four-week prevalence of mental disorders in patients with cancer across major tumor entities. Journal of Clinical Oncology, 32. 3540-3546.
Robert Koch-Institut. (2021): Krebs in Deutschland für 2017/2018. Berlin: Robert Koch-Institut.
Zigmond, A.S., Snaith, R.P. (1983): The Hospital Anxiety and Depression Scale. Acta Psychiatrica Scandinavica, 67. 361-370.
Hintergrund und Zielstellung
Psychische Erkrankungen nehmen ihrer Natur nach in vielen Fällen einen chronischen Verlauf und gehen dementsprechend auch mit Teilhabeeinschränkungen einher. Dies gilt nicht nur für Demenzerkrankungen und schizophrene Psychosen, sondern auch für Persönlichkeitsstörungen und einen Großteil der affektiven Störungen.
Eine wichtige Säule in der Versorgung psychischer Störungen stellt die sog. „Richtlinienpsychotherapie“ durch niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dar. Auch hier gilt, dass die Mehrzahl der Patienten unter lnagjährigen Störungen leiden, die mit Teilhabe störugnen und insbsondere Beeitnrächtigugnen der Arbeitsfähigkeit leiden du die in aller Regel auch nach der Therapie keine Vollremission erreichen lassen.
Daraus folgt, dass es in der Psychotherapie nicht nur um die Behandlung von Krankheits-symptomen und -prozessen im engeren Sinne gehen kann, sondern auch unter einer bio-psycho-sozialen Perspektive gemäß der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF, WHO 2001) um eine Förderung der Teilhabe durch ein Training von Fähigkeiten (z.B. Training der sozialen Kompetenz) und Kontextanpassungen (z.B. Unterstützung bei Arbeitsplatzveränderungen). Psychotherapie ist die einzige Behandlungsform, die auf allen Ebenen der Krankheitsfolgen intervenieren.
Auf diesem Hintergrund stllt sich die Frage, in welchem Umfang in der Routine der Richtlinienpsychotherapie eine erweiterte sozialmedizinsche Behandlungskonzepte eine Rolle spielen. Es fehlen dazu verläßliche versorgungsepidemiologische Daten.
In der vorliegenden von der DRV-Berlin-Brandemburg geförderten Studie war das Ziel zu untersuchen, bei wievielen und welchen Patienten von Richtlinienpsychotherapeuten sozialmedizinsiche Behandlungserfordernisse gegeben sind und was die Therapeuten in dieser Richtung tun:
Methoden
Nach zufälliger Auswahl wurden 131 Richtlinienpsychotherapeuten durch Forschungsmitarbeiter in ihren Praxen zu 322 aktuellen Behandlungsfällen interviewt. Anhand einer Liste sozialmedizinischer Maßnahmen wurde erhoben, bei wievielen Patienten entsprechende Behandlungsnotwendigkeiten bestanden, entsprechende Maßnahmen durchgeführt bzw. eingeleitet worden waren bzw. noch durchgeführt werden sollten.
Ergebnisse
Die durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 14,4 Jahre. Es bestanden bei mehr als der Hälfte der Fälle besondere berufliche Problemlagen. 28% waren bereits in einer Rehabilitationsmaßnahme.
Bezüglich sozialmedizinischer Interbentionen waren an arbeitsplatzorientierten Hilfen, z.B. Beurteilung der Leistungsfähigkeit oder Kontakte zum Arbeitsamt von 11 im Interview aufgeführten Maßnahmen im Durchschnitt 1.38 (± 1.64; Min: 0, Max: 8) pro Patient bereits duchgeführt worden und seitens der Intrviewer weitere 1.44 (± 1.89; Min: 0, Max: 10) als indiziert angesehen. Bezüglich Hilfen zum täglichen Leben, z.B. Einleitung einer Betreuung oder Kontakte zum Sportverein, wurden von 12 gelisteten Interventionen im Durchschnitt bereits 0.78 (± 1.03; Min: 0, Max: 5) pro Patient durchgeführt und weitere 1.33 (± 1.49; Min: 0, Max: 8) als indiziert angesehen. Bezüglich Koordinierungsmaßnahmen in einem interdisziplinären Behandlungsteam, z.B. Einleitung einer psychosomatischen Rehabilitation oder Vermittlung in Selbsthilfegruppen, wurden von 15 gelisteten Interventionen durchschnittlich 1.76 (SD: 1.73; Min: 0, Max: 9) pro Patient bereits durchgeführt und weiteere 2.09 (± 1.79; min: 0, max: 8) als indiziert angesehen.
Diskussion und Fazit
Die Daten der vorliegenden Untersuchung zeigen, dass Psychotherapeuten viele Patienten behandeln, bei denen sozialmedizinische Maßnahmen bzgl. der „Teilhabe an der Gesellschaft“ [SGB IX, §2, (1)] allgemein oder bzgl. Arbeitsfähigkeit im Besonderen indiziert sind und bei denen eine interdisziplinäre erforderlich ist.
Take-Home-Message
Psychotherapueten sind wichtige Kooperationspartner der stationären bzw. ganztags-ambulanten medizinischen Rehabilitation was sowohl den Reha-Zugang wie die Reha-Nachsorge betrifft. Eine Aufgabe aller Sozialversicherungsträger sollte sein, die Voraussetzungen für eine gute sektorenübergreifende Kooperation zu schaffen und die sozialmedizinische Aus- und Weiterbildung von Psychothrapeuten zu fördern.
Literatur
Linden M, Schymainski D, Solvie J (2019) Sozialmedizinische Aufgaben in der Richtlinienpsychotherapie. Forum Rehabilitations- und Teilhaberecht. Beitrag C3-2019, www.reha-recht.de
Schymainski D, Linden M, Schmitt G, Rose M. (2021) Sozialmedizinische Interventionen in der Richtlinienpsychotherapie. Psychotherapeut, 66:156–162. https://doi.org/10.1007/s00278-020-00467-1
Schymainski D, Solvie J, Linden M, Rose M. (2022) Spectrum, rate and unmet needs of sociomedical interventions in outpatient psychotherapy
Clinical Psychology and Psychotherapy 29, 590-599, DOI 10.1002/cpp.2649
World Health Organization (WHO, 2001). International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). WHO Press, Geneva
Hintergrund und Zielstellung
Übergewicht wird üblicherweise nach dem Body Mass Index, BMI klassifiziert, d.h. dem Quotienten aus Gewicht und Quadrat der Körpergröße (kg/m²). Bei einem Wert zwischen 30 kg/m² (87kg bei 1,7m) and 35 kg/m² (101kg bei 1,7 m) wird von einem BMI I, bei einem Wert zwischen 35 kg/m² and 40 kg/m² (115kg bei 1,7m) einem BMI II und über 40 kg/m² von einm BMI III gesprochen. Diese Einteilung basiert auf medizinischen Bedfunden zur Folgemorbidität, z.B. Stoffwechselstörungen, kardiologischen oder orthopädischen Erkrankungen.
Nach dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF (International Classification of Functioning Disability and Health, WHO 2001) ist diese Klassifikation von Übergewicht ausschließlich unter Bezug auf medizinische Parameter im engeren Sinne jedoch nicht hinreichend. Übergewicht kann auch zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit führen, wie z.B. der köprelichen Beweglichkeit und in der Folge dann auch zu Teilhabebeeinträchtigungen, wie z.B. einer reduzierten Arbeitsfähigkeit.
Allerdings ist bei der Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigungen zu berücksichtigen, dass diese wesentlich auch von den Kontextanforderungen abhängen. Während in früheren Zeiten bei der Arbeit sehr viel an körperlkichem Einsatz unverzichtbar war, ist in der modernen Arbeitswelt, die körperliche Leistungsfähigkeit in vielen Arbeitsfeldern ohne wesentliche Bedeutung.
Ziel der vorliegenden Studie war zu untersuchen, in welchem Ausmaß die BMI-Grade eine Vorhersage der beruflichen Teilhabe ermöglichen.
Methoden
Die vorliegende Studie wurde initiiert im Rahmen des Rehawissenschaftlichen Forschungsverbunds BBMD. Bei 190 Patienten einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik, die einen BMI > 30 aufwiesen, wurde im Rahmen einer standardisierten Erhebung durch einen Facharzt für Psychosomatische Medizin der Krankheitsstatus wie auch die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit beurteilt.
Ergebnisse
Von den untersuchten Patienten lagen 17.9% in der BMI Klasse I, 21.1% in der BMI Klasse II und 61% in the BMI Klasse III. mit einem Durchschnittsgewicht von 94.7 kg.
Es fanden sich signifikante Zusammenhänge zwischen BMI Klasse und metabolischen, kardiologischen und orthopädischen Erkrankungen.
Es fanden sich keine Unterschiede bzgl. der Teilhabe am Arbeitsleben. Unabhängig vom Gewicht wurden drei Viertel aller Patienten als arbeitsfähig eingestuft.
Diskussion und Fazit
Die Daten bestätigen, dass die BMI-Grade einen Zusammenhang mit der medizinischen Morbidität haben.
Die ursprüngliche Annahme, dass dies auch für die Teilhabe am Arbeitsleben gilt, konnte nicht bestätigt werden. In der modernen Arbeitswelt sind körperliche Einschränkungen von reduzierter Bedeutsamkeit, was auch für Übergewicht bis hin zur Adipositas per magna gilt.
Take-Home-Message
Übergewicht auch in höheren Klassen darf nicht zu der Voreinstellungen führen, dass diese Patienten automatisch in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt seien. Stattdessen bedarf es einer individuellen Analyse der Arbeitsfähigkeit unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen Kontextanforderungen.
Literatur
Arnold C., Linden M., Warnke M.H. (2023) Obesity classification of the Body Mass Index does not predict participation restrictions at work. Journal of Occupational and Environmental Medicine, in print
World Health Organization (WHO, 2001). International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). WHO Press, Geneva
Hintergrund und Zielstellung
In der sozialmedizinischen Begutachtung auf Erwerbsminderungsrente finden Functional Capacity Evaluation (FCE)-Testungen regelmäßige Anwendung. Die Testergebnisse sollen die Begutachtenden bei der Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens objektiv unterstützen (DRV, 2011; DRV, 2013). Zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung (SOMEKO) sind standardisierte medizinische Beurteilungskriterien mit Standardisierung von Instrumentarien und Prozessabläufen erforderlich, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit der sozialmedizinischen Begutachtungsabläufe und Leistungsentscheidungen sicher zu stellen (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2004). Durch den Wegfall der Berufsunfähigkeitsrenten mit der Rentenreform zum 01.01.2001 für die Jahrgänge ab 1961 tritt die Prüfung des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in den Vordergrund (DRV, 2013). Bislang existierte kein FCE-System, das sich auf die Minimalanforderungen der leichten körperlichen Arbeit fokussierte. Das ArbeitsMarktbezogene Assessment (AMA®-Test) wurde zur Unterstützung der sozialmedizinischen Begutachtung entwickelt, um die gesundheitliche Eignung der Testpersonen für Arbeiten in der leichten Kraftkategorie ohne Berufsbezug überwiegend im Sitzen bei unklarem Leistungsvermögen zu objektivieren (Geissler et al., 2021). Die ersten Ergebnisse zeigen eine gute Akzeptanz des AMA®-Test im routinemäßigen Verfahren der ärztlichen Untersuchungsstelle der DRV BS-H, bekräftigt durch geringe Abbruchquoten bei Rentenantragstellenden mit vorrangig orthopädischen Beeinträchtigungen (Gartmann et al., 2022).
Die Studie analysiert die Auswirkung der AMA®-Testergebnisse auf die Variabilität der gutachterlichen Einschätzung. Beantwortet werden sollte die Frage, wie erfahrene und unerfahrene GutachterInnen das quantitative Leistungsbild bewerten, wenn übliche medizinische Befunde durch AMA®-Testergebnisse ergänzt werden.
Methoden
Anlässlich einer GutachterInnenschulung der Ärztekammer Niedersachsen im Herbst 2021 wurde den Teilnehmenden im Unterricht ein fiktives Fallbeispiel mit medizinischen Befunden aus dem orthopädischen Fachgebiet zur Leistungseinschätzung im Erwerbsleben vorgelegt. Nach Unterrichtsabschnitten zum Thema der FCE- Testung wurde das bereits bekannte Fallbeispiel erneut von den Teilnehmenden beurteilt, wobei die medizinischen Daten um das Ergebnis der FCE-Diagnostik mit dem AMA®-Test ergänzt wurden. Zeitgleich erhielten hauptamtliche GutachterInnen der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (DRV BSH) mit mehrjähriger Berufserfahrung diese Fallbeispiele. Die gutachterlichen Leistungseinschätzungen wurden in einem anonymisierten Fragebogen erfasst.
Ergebnisse
Es nahmen 34 Personen an der Befragung teil. Davon waren 79% GutachterInnen in Ausbildung (GA i.A.). Im Fall ohne FCE-Ergebnis wurde das quantitative Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt von den hauptamtlichen GutachterInnen einheitlich über 6 Stunden sowie für die letzte Tätigkeit einheitlich unter 3 Stunden bewertet. Es zeigte sich eine Übereinstimmung von 100%. Das Ergebnis blieb nach der Bearbeitung des Beispiels mit dem FCE-Ergebnis unverändert.
Die Ergebnisse der GA i.A. im Fall ohne FCE-Testung fielen heterogener aus (Allgemeiner Arbeitsmarkt 3-6 Stunden: 28,6%, über 6 Stunden: 71,4%; letzte Tätigkeit unter 3 Stunden: 64,3%, 3-6 Stunden: 28,6%; über 6 Stunden: 7,1%). Nach Bearbeitung des Falles mit FCE-Testung fand sich eine höhere Übereinstimmung bezüglich des quantitativen Leistungsvermögens. Das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurde von 88,9% der Teilnehmenden auf über 6 Stunden festgelegt. Das Leistungsvermögen für die letzte Tätigkeit wurde von 44,4% der Befragten auf unter 3 Stunden bewertet.
Beide Gruppen wurden zum Einfluss der FCE-Testung auf das Begutachtungsergebnis befragt. Die GA i.A. unterschieden sich zu den hauptamtlichen GutachterInnen: je 17,6% der GA. i.A. bewerteten den Einfluss der FCE-Testung mit „stark“ und „sehr stark“.
Diskussion und Fazit
In der kleinen Stichprobe der teilnehmenden GutachterInnen zeigte sich der Trend, dass der Einfluss ergänzender FCE-Diagnostik bei der Leistungsbewertung maßgeblich von Fachgebiet und Routine der ärztlichen GutachterInnen abhängt. Eine aufgrund der kleinen Stichprobe vorsichtige Interpretation dieser Befunde wäre, dass die FCE-Testung insbesondere unerfahrene und fachfremde Begutachtende unterstützt.
Take-Home-Message
Der AMA®-Test liefert ergänzend eine transparente Befundlage zum quantitativen Restleistungsvermögen, die die Variabilität der gutachterlichen Einschätzungen minimieren kann.
Literatur
DRV-Bund (2011). Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung (7. Aufl.). Berlin: Springer
DRV-Bund (2013). Sozialmedizinisches Glossar. DRV-Schriften, Bd 81.37, 61
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.) (2004): Abschlussbericht der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung (SOMEKO). DRV-Schriften, Bd 53.
Geissler N, Gartmann J, Andreeva E. (2021). AMA® – ein Projekt der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. Anwendermanual (2. Aufl.). Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover.
Gartmann J, Geissler N, Andreeva E (2022). Erste Ergebnisse des AMA®-Testes aus der sozialmedizinischen Begutachtung im Rentenverfahren. Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie. 07.09.-09.09.2022, Magdeburg. Das Gesundheitswesen. 84(08/09):793-794
Hintergrund und Zielstellung
In der orthopädischen sozialmedizinischen Begutachtung der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (DRV BSH) werden Rentenantragstellende mit unklarem Leistungsvermögen in der ärztlichen Untersuchungsstelle Hannover (UST H) der Functional Capacity Evaluation (FCE)-Diagnostik mit dem ArbeitsMarktspezifischen Assessment (AMA®-Test) zugewiesen. Dieser unterstützt den Begutachtungsprozess hinsichtlich der Überprüfung des quantitativen Leistungsvermögens in der leichten Kraftkategorie ohne spezifischen Berufsbezug in Anlehnung an die Vorgaben des allgemeinen Arbeitsmarktes (Geissler et al., 2021; Gartmann et al. 2022). Seit 2020 ist der AMA®-Test im Routineverfahren in der ärztlichen UST H der DRV-BSH implementiert.
Die Studie analysiert die Durchführbarkeit des AMA®-Tests bei Rentenantragstellenden mit orthopädischen Hauptdiagnosen. Die Abbruchquote wurde als Zielgröße operationalisiert, wobei das Auftreten der AMA®-Testabbrüche bei Personen mit und ohne psychiatrische Komorbidität dokumentiert werden sollte. Die Fragestellungen lauten:
1. Wie häufig werden psychische und Verhaltensstörungen in der sozialmedizinischen Begutachtung bei primärer orthopädischer Diagnose bei Rentenantragstellenden in der ärztlichen UST H der DRV BSH diagnostiziert?
2. Gibt es einen Unterschied in der Abbruchquote des AMA®-Testes zwischen orthopädischen Rentenantragstellenden mit zusätzlicher F-Diagnose im Vergleich zu orthopädischen Rentenantragstellenden ohne psychiatrische Komorbidität?
Methoden
Unter den Rentenantragstellenden mit primärer orthopädischer Diagnose wurden die im Vorfeld der orthopädischen Begutachtung fachärztlich gesicherten F-Diagnosen nach ICD 10 erfasst und deskriptiv ausgewertet. Anschließend erfolgte der Vergleich der Abbruchquoten des AMA®-Testes mit denen der orthopädischen Fälle ohne psychosomatische Komorbidität entsprechend der vorgegebenen Konsistenzanalyse des Testsystems (Geissler et al., 2021).
Ergebnisse
Es absolvierten 87 Rentenantragstellende den AMA®-Test zwischen 2020 und 2022.
Bei 32,2% der ProbandInnen war im Vorfeld der Begutachtung fachärztlich eine zusätzliche F-Diagnose festgestellt worden (n=28). Mehrheitlich handelte es sich um somatoforme Störungen (F 45). Die Abbruchquote des AMA®-Testes lag in der Gruppe mit rein orthopädischen Diagnosen bei 6,8%, während in der Gruppe mit psychosomatischer Komorbidität bei 14,3% der Teilnehmenden den Test abbrachen. Es waren 3 inkonsistente Testabbrüche in der Gruppe ohne psychosomatischer Komorbidität gegenüber 2 Testabbrüchen in der Gruppe mit psychosomatischer Komorbidität zu verzeichnen. Die Inkonsistenz der Testdaten spricht gegen die Limitierung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der leichten Kraftkategorie aus somatischen Gründen.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass der AMA®-Test auch an Personen mit komorbider psychischer oder Verhaltensstörung bei vorrangig orthopädischen Beeinträchtigungen durchführbar ist. Unter rein orthopädischen Erkrankungen zeigt sich eine tendenziell bessere Akzeptanz des fast 3-stündigen Tests seitens der Rentenantragstellenden. Ob die Anwendung dieser Leistungsdiagnostik an primär psychosomatischen ProbandInnen mit orthopädischen Begleiterkrankungen zuverlässig möglich ist, bedarf weiterer Untersuchungen.
Take-Home-Message
Der AMA®-Test ist im Rahmen der sozialmedizinischen Begutachtung von primär orthopädischen Beeinträchtigungen, aber auch bei komorbider F-Diagnose nach ICD-10, durchführbar.
Literatur
Geissler N, Gartmann J, Andreeva E. (2021). AMA® – ein Projekt der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. Anwendermanual (2. Aufl.). Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover.
Gartmann J, Geissler N, Andreeva E. (2022): Machbarkeitsstudie des AMA-Testes in verschiedenen Probandenkollektiven. DRV-Schriften, Bd 126. 388-390
Hintergrund und Zielstellung
Zur Bewältigung schwieriger Lebenssituationen, wie bspw. chronische Krankheit, Arbeits- oder Familienprobleme brauchen Menschen Weisheit (Baumann, Linden, 2008; Bang, Collet, 2020; Webster et al., 2014; van Patten et al., 2019).
Um in einer Situation weise handeln zu können, bedarf es zunächst erst einmal weiser Einstellungen. Wenig ist darüber bekannt, ob Menschen in verschiedenen Lebenssituationen die gleichen oder unterschiedliche Weisheitseinstellungen für sinnvoll halten. Wissen um die Verteilung von Weisheitseinstellungen ist bedeutsam für die Gestaltung von Diagnostik und Behandlungsansätzen bei Rehabilitationspatienten in schwieriger Lebenssituationen. Diese Studie untersucht, ob Menschen in Bezug auf eine berufliche und eine private Lebenssituation unterschiedlichen oder ähnlichen Weisheitseinstellungen zustimmen.
Methoden
416 Personen (Altersdurchschnitt 40.4 Jahre, Altersspanne 18 bis 84 Jahre) wurden zwei Beispiele von Lebenssituationen mit Ungerechtigkeiten vorgelegt: ein Arbeits- und ein Partnerschaftsproblem. Als Manipulationscheck gaben die Personen auf einer Likert-Skala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (sehr) an, wie gut sie sich in die jeweilige Situation hineinversetzen konnten und wie ungerecht sie die geschilderte Situation wahrnahmen. Nach jedem Beispiel kreuzten sie für die 12 Weisheitsideen einer Weisheitsskala (12WDS; Linden et al., 2019) von 0-10 an, inwieweit sie der jeweiligen Weisheitsidee in Bezug auf die geschilderte Situation zustimmten. Mittels abhängigem t-Test wurden die Weisheitszustimmungen zu beiden Situationen verglichen. Der Zusammenhang der Weisheitszustimmungen zwischen beiden Situationen wurde mittels Pearson-Korrelationen bestimmt.
Ergebnisse
Der Manipulationscheck zeigte, dass sich die Teilnehmenden in die geschilderten Situationen hineinversetzen konnten (Mberufliche Situation = 6.72, SDberufliche Situation = 2.64; Mprivate Situation = 6.05, SDprivate Situation = 2.88) und sie als ungerecht wahrnahmen (Mberufliche Situation = 6.73, SDberufliche Situation = 2.68; Mprivate Situation = 6.76, SDprivate Situation = 2.85).
Die Befragten stimmten den Weisheitsideen in beiden Situationen sehr ähnlich stark zu. In der beruflichen Situation stimmten sie stärker der Bedeutung von Perspektivwechsel zu (Mberufliche Situation = 6.73, SDberufliche Situation = 2.64; Mprivate Situation = 6.21, SDprivate Situation = 2.79; t = 3.82, p < .002, d = .194). In der privaten Situation stimmten sie stärker der Bedeutung von Problem- und Anspruchsrelativierung zu (Mberufliche Situation = 7.37, SDberufliche Situation = 2.77; Mprivate Situation = 7.96, SDprivate Situation = 2.46; t = -3.87, p < .001, d = -.197). In beiden Situationen stimmten sie am stärksten Fakten- und Problemlösewissen, Emotionswahrnehmung und -akzeptanz, Wertrelativismus sowie Problem- und Anspruchsrelativierung zu (s. Tabelle). Die Reihenfolge der übrigen acht Weisheitsideen ist für beide Situationen gleich. Die geringste Zustimmung erhielten jeweils Selbstrelativierung und Ungewissheitstoleranz. Der Zustimmungsgrad zu den einzelnen Weisheitsideen korrelierte zwischen beiden Situationen moderat bis stark (rPearson = .45 bis .70).
Diskussion und Fazit
Menschen stimmen Weisheitsideen tendenziell zu, ungeachtet der spezifischen Situation. Es könnte hilfreich sein, in Maßnahmen zur Weisheitsförderung insbesondere auf die Bedeutung von Ungewissheitstoleranz und Selbstrelativierung einzugehen, die spontan die geringste Zustimmung erhielten. Die Ergebnisse dieser Studie sind als vorläufig zu betrachten, da sie nur zwei - wenngleich prototypische - Situationen untersuchten. Interessant wäre auch, zu prüfen, welche Weisheitsideen Menschen in verschiedenen Situationen eigeninitiativ nennen und welche Handlungsimpulse sie erleben.
Take-Home-Message
Weisheitsideen werden situationsübergreifend für sinnvoll erachtet, so dass zur Weisheitsförderung keine für Arbeit und Privatleben getrennten oder besonders spezialisierten Weisheitstrainings erforderlich erscheinen.
Literatur
Bang, H., Collet, B. (2020): “I defeat those fears and start a new life”: Iraqi refugee students’ PTSD, wisdom, and resilience. Peace and conflict. Journal of peace psychology. Advance online publication.
Baumann, K., Linden, M. (2008): Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie: Die Bewältigung von Lebensbelastungen und Anpassungsstörungen. Lengerich: Pabst Science Publishers.
Linden, M., Lieberei, B., Noack, N. (2019): Weisheitseinstellungen und Lebensbewältigung bei psychosomatischen Patienten. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 69. 332–338.
van Patten, R., Lee, E. E., Daly, R., Twamley, E., Tu, X. M., Jeste, D. V. (2019): Assessment of 3-dimensional wisdom in schizophrenia: Associations with neuropsychological functions and physical and mental health. Schizophrenia Research. 208. 360–369.
Webster, J. D., Westerhof, G. J., Bohlmeijer, E. T. (2014): Wisdom and mental health across the lifespan. Journals of gerontology series b: Psychological sciences and social sciences, 69. 209–218.
Hintergrund und Zielstellung
Chronische psychische Erkrankungen bringen neben den sozialmedizinischen Konsequenzen (Arbeits- bis hin zu Erwerbsunfähigkeit) auch Belastungen für Angehörige und somit für das Bezugssystem psychisch Erkrankter mit sich. Die Bewältigung belastender Lebensereignisse erfordert spezifische Fähigkeiten. Das Modell der Weisheitskompetenzen benennt 12 Weisheitsfähigkeiten, die in kritischen Lebenssituationen zur Lebenszufriedenheit und Reduktion von Verbitterungserleben beitragen können (Linden et al., 2019). Weisheit wirkt sich auf das subjektive Wohlbefinden aus (Ardelt, 2020) und kann wie Selbstsicherheit gezielt gefördert werden (Baumann & Linden, 2008). Stellwerk e.V. als Teil der ambulanten sozialpsychiatrischen Versorgungslandschaft des Landkreises Gifhorn bietet psychisch Erkrankten und ihren Angehörigen das Weisheitstraining „Kommunikation in Bewegung“ an. Eine Pilotstudie untersucht, inwiefern das Training das soziale Unterstützungs- und Belastungserleben der Teilnehmenden verändert.
Methoden
Stand September 2022 haben zehn Personen (Alter M = 53 Jahre) am Training teilgenommen, davon hatten sieben eine psychische Erkrankung. Im Verlauf von sieben Terminen werden aktuelle Alltagssituationen analysiert und die Entwicklung der Weisheitskompetenzen Fakten- und Problemlösewissen, Perspektivwechsel, Nachhaltigkeit sowie emotionale Serenität und Humor gefördert.
Die Evaluation des Trainings findet vor und nach dem Training sowie in einem 3-monatigen Follow-Up statt. Mittels Selbstauskunft-Fragebögen werden Weisheitskompetenzen, subjektives Wohlbefinden, Verbitterungserleben und das soziale Unterstützungs- bzw. Belastungserleben erfasst.
Ergebnisse
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden zu Beginn des Trainings größtenteils ein durchschnittliches subjektives Wohlbefinden zeigten, das sich tendenziell nicht veränderte. Der globale Weisheitsscore der meisten Teilnehmenden war zu Beginn des Trainings unterdurchschnittlich und teilweise nach dem Training gesunken. Das Verbitterungserleben der Teilnehmenden war mehrheitlich unauffällig. Nach dem Training wurde bei einigen Teilnehmern eine Abnahme des Verbitterungserlebens gemessen. Psychisch erkrankte Teilnehmer zeigten vor dem Training ein höheres soziales Unterstützungserleben und ein geringeres Belastungserleben als psychisch gesunde Angehörige. Nach dem Training wurde das soziale Netz von psychisch Gesunden wie Erkrankten als unterstützender und belastungsfreier erlebt.
Diskussion und Fazit
Psychisch erkrankte Personen schätzen ihre Weisheitskompetenzen geringer ein als psychisch gesunde (Muschalla et al., 2020). Selbstaussagen zur Einschätzung der eigenen Weisheit sind jedoch häufig aufgrund sozialer Erwünschtheit positiv verzerrt. Es könnte sein, dass Menschen, die direkt oder indirekt von psychischen Erkrankungen betroffen sind, ihre Weisheitskompetenzen realistischer einschätzen. Verbitterung ist eine Reaktion auf belastende Lebensereignisse und wirkt sich negativ auf das soziale Umfeld aus (Znoj et al., 2016). Das kommunikationsorientierte Weisheitstraining könnte Verbitterungserleben abschwächen und soziales Unterstützungserleben stärken. Weitere, randomisierte kontrollierte Studien sind dazu notwendig.
Take-Home-Message
Die Förderung von Weisheitskompetenzen in der sozialpsychiatrischen Versorgung kann Potential haben, das Bezugssystem psychisch erkrankter Menschen und damit einen Basisaspekt sozialer Teilhabe zu stabilisieren.
Literatur
Ardelt, M. (2020). Can wisdom and psychosocial growth be learned in university courses? Journal of Moral Education, 49(1), 30–45. https://doi.org/10.1080/03057240.2018.1471392
Baumann, K. & Linden, M. (2008). Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie. Die Bewältigung von Lebensbelastungen und Anpassungsstörungen. Pabst Science Publishers.
Linden, M., Lieberei, B. & Noack, N. (2019). Weisheitseinstellungen und Lebensbewältigung bei psychosomatischen Patienten. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 69(8), 332–338. https://doi.org/10.1055/a-0813-2040
Muschalla, B., Grove, H. & Morawietz, J. (2020). Fähigkeiten, Arbeitsängste und Verbitterungserleben in der Allgemeinbevölkerung. Eine Zusammenstellung von Repräsentativdaten. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt im Bereich der Rehabilitation. Braunschweig. Technische Universität Braunschweig, Psychotherapie und Diagnostik.
Znoj, H., Abegglen, S.; Buchkremer, U. & Linden, M. (2016). The Embittered Mind: Dimensions of Embitterment and Validation of the Concept. Journal of Individual Differences, 37(4), 213–222. https://doi.org/10.1027/1614-0001/a000208
Hintergrund und Zielstellung
Es soll die Weiterentwicklung des Assessments der Kliniken Schmieder für die Rehabilitationsphase D vorgestellt werden. Ziele dieser Weiterentwicklung waren eine Erhöhung der Durchführungsobjektivität und damit eine Steigerung der Ergebnisqualität durch die Nutzung weitestgehend messender Verfahren sowie die Integration des Assessments in Klinikabläufe zur verbesserten Steuerung des Therapieprozesses.
Methoden
Bei einer Stichprobe von N=50 Rehabilitand:innen werden an ausgewählten Funktionsparametern aus dem motorischen und kognitiven Bereich Veränderungen der Leistungsfähigkeit im Vergleich von Aufnahme- zu Entlassassessment dargestellt.
Darüber hinaus werden deskriptiv, im Sinne der Integration des Assessments in den Therapieablauf, Daten zum Ausfüllgrad und somit zum Nutzungsverhalten durch Fachtherapeut:innen aufgezeigt.
Ergebnisse
Die systematische Erhebung und Nutzung von Assessmentdaten im Therapieprozess konnte aufgezeigt werden. Zudem bestehen in vielen erhobenen Funktionsparametern signifikante Leistungsunterschiede von Aufnahme zu Entlassung der Rehabilitand:innen, was in bedeutendem Ausmass der rehabilitativen Behandlung zugeschrieben wird.
Diskussion und Fazit
Es handelt sich um erste Ergebnisse einer geplanten umfassenden Datenerhebung, mit dem Ziel Wirksamkeit von therapeutischem Handeln und Tun abzubilden. Der hierzu notwendige Vergleich mit einer Kontrollgruppe steht noch aus.
Konkrete Rückmeldungen können zum jetzigen Zeitpunkt schon zur Durchführbarkeit und Nutzbarkeit im Therapieprozess gegeben werden, die beide eindrucksvoll gegeben sind.
Take-Home-Message
Qualitätssicherung durch das Assessment der Kliniken Schmieder
Literatur
- Büsching, Gilbert. (2012). 6-Minuten-Gehtest - Leistung gesteigert? Physiopraxis. 10.1055/s-002-22842
- Cosima Pinkowski. (2014). Action Research Arm Test (ARAT) - Armfunktionen messen. ergopraxis 7(11/12): 34-35
- Richter, K. & Hielscher-Fastabend, M. (2018). BIAS A&R; Bielefelder Aphasie Screening Akut und Reha. NAT-Verlag Hofheim
- Wiener Testsystem, Schuhfried GmbH, Österreich
Hintergrund und Zielstellung
Neben der gesundheitlichen Bedrohung durch eine akute SARS-CoV-2-Infektion stellen deren Langzeitfolgen ein weiteres Gesundheitsrisiko der COVID-19-Pandemie dar. Schätzungsweise sind 5-15% der Genesenen von multiplen und den Alltag beeinträchtigenden körperlichen und psychischen Beschwerden betroffen, die länger als zwölf Wochen anhalten (Thompson et al., 2022). Nationale Behandlungsleitlinien empfehlen interdisziplinäre, multimodale Rehabilitationsstrategien für diese Personengruppe, wenngleich empirische Befunde zur Wirksamkeit konkreter Therapieoptionen noch ausstehen (Koczulla et al., 2021). Kognitiv-behaviorale Interventionen gelten mit kleinen bis mittleren Effektstärken als wirksame Strategie zur Unterstützung bei anhaltenden Körperbeschwerden und Fatigue (Price et al., 2008; van Dessel et al., 2015). Die vorliegende Studie untersucht die Machbarkeit und Akzeptanz eines neu entwickelten kognitiv-behavioralen Gruppentherapiekonzepts für Personen mit Post-/Long COVID-Syndrom.
Methoden
Das Behandlungsprogramm umfasst acht Sitzungen und beinhaltet psychoedukative sowie übende Interventionen zu häufigen psychobehavioralen Mechanismen chronischer Körperbeschwerden. Im Rahmen der neurologischen Post-/Long COVID-Rehabilitation wurde die Machbarkeit des Behandlungskonzepts mithilfe eines Eingruppen-Designs im naturalistischen Setting überprüft. Insgesamt wurden n = 63 Personen (Alter: M = 47.05, SD = 11.45; Geschlecht: n = 51 Frauen, n = 12 Männer) mit chronischen Körperbeschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion eingeschlossen, die während des Akutstadiums ihrer COVID-19-Erkrankung nicht hospitalisiert sind und keine konkurrierenden neurologischen Erkrankungen aufwiesen. Hiervon erhielten n = 37 mindestens 75% (d.h. ≥6 Sitzungen) der Intervention. Nach jeder Sitzung wurden Stundenbeurteilungsbögen (Zoubek, 2013) ausgefüllt sowie psychometrische Fragebögen vor und nach der Intervention erhoben.
Ergebnisse
Das Behandlungsprogramm wurde sehr gut angenommen. Jede Sitzung wurde als nachvollziehbar bewertet und die allgemeine Zufriedenheit mit den Sitzungen war hoch. Die Teilnehmenden schätzten die Vermittlung kognitiv-behavioraler Strategien zur Symptombewältigung. Prä-Post-Effektstärken (der Standardrehabilitation inkl. neuem Behandlungsprogramm) zeigten eine signifikant reduzierte subjektive Erschöpfung (FSS: dz = 0.42) und Veränderung krankheitsbezogener Kognitionen i.S. einer funktionaleren Krankheitsverarbeitung (HEALTH-49: dz = 0.42; ICQ: dz = 0.36-0.63). Die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse im Rahmen der Gruppentherapie ist vergleichbar mit anderen Studien zur Evaluation gruppenpsychotherapeutischer Behandlungsprogramme.
Diskussion und Fazit
Die vorliegende Studie unterstützt die Machbarkeit und Akzeptanz des neu entwickelten kognitiv-behavioralen Gruppentherapiekonzepts für Personen mit Post-/Long COVID-Syndrom. Randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) sind notwendig, um die Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Strategien für diese Personengruppe zu überprüfen. Das vorgestellte Behandlungsprogramm stellt hierfür eine geeignete Interventionsbedingung dar, die Studienergebnisse ermöglichen die fundierte Planung eines RCTs.
Take-Home-Message
Das kognitiv-behaviorale Gruppentherapiekonzept stellt eine umsetzbare und gut akzeptierte Maßnahme zur Unterstützung von Personen mit Post-/Long COVID-Syndrom dar.
Literatur
Koczulla, A. R., Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Böing, S., Brinkmann, F., Franke, C., Glöckl, R., Gogoll, C., Hummel, T., Kronsbein, J., Maibaum, T., Peters, E. M. J., Pfeifer, M., Platz, T., Pletz, M., Pongratz, G., Powitz, F., Rabe, K. F., . . . Zwick, R. H. (2021). S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. Pneumologie, 75(11), 869–900.
Price, J. R., Mitchell, E., Tidy, E., & Hunot, V. (2008). Cognitive behaviour therapy for chronic fatigue syndrome in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews, (3).
Thompson, E. J., Williams, D. M., Walker, A. J., Mitchell, R. E., Niedzwiedz, C. L., Yang, T. C., ... & Steves, C. J. (2022). Long COVID burden and risk factors in 10 UK longitudinal studies and electronic health records. Nature communications, 13(1), 1-11.
van Dessel, N., Boeft, M. D., van der Wouden, J. C., Kleinstauber, M., Leone, S. S., Terluin, B., ... & van Marwijk, H. W. (2015). Non-pharmacological interventions for somatoform disorders and medically unexplained physical symptoms (MUPS) in adults, a Cochrane systematic review. Journal of Psychosomatic Research, 78(6), 628-628.
Zoubek, K. (2013). Prozessevaluation einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie bei Diabetes und Depression: Entwicklung und Validierung der Patienten- und Therapeuten- Gruppentherapiestundenbögen (GTS-P, GTS-T, GTS-TP) zur Vorhersage des Therapieerfolgs [Dissertation]. Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.
Hintergrund und Zielstellung
Die Mangel-/ Fehlernährung nach Schlaganfall wird unterschätzt und wird oft assoziiert mit einer Dysphagie, die oft eine komplexe Sondenernährung notwendig macht (Huppertz et al 2022). Zudem werden vermehrt Effekte einer Veränderung des Mikrobioms nach Insult diskutiert (Lee et al 2021). Wir interessierten uns für die Frage, ob auch Patienten mit milder Dysphagie oder ohne Zeichen einer Dysphagie eine Beeinträchtigung des Ernährungszustandes aufweisen.
Methoden
In einer explorativen, cross-sectionalen, multizentrischen Beobachtungsstudie an 2 Rehabilitationskliniken in NRW/Germany wurden ischämische Insultpatienten mit leichter Dysphagie (N=49) und ohne (N=36) Dysphagie mit Alters- und Geschlechts- gematchten gesunden Probanden (N= 83) verglichen. Spezielle Diäten, Einnahme von Vitaminen, Diabetes oder konsumierende Vorerkrankungen wurden ausgeschlossen. Eingeschlossen wurden selbsthilfefähige Patienten ohne vorherige oder aktuelle Sondenernährung, welche in der stationären Reha 3-12 Wochen nach Indexereignis aufgenommen wurden. Es wurde das Risiko der Mangelernährung (MNA-SF), die Blutkonzentration von Schlaganfallrelevanten Ernährungskomponenten und Metaboliten, die Nahrungsaufnahme, der EQ-5D-5L und der Barthel Index gemessen. Die Studie wurde durch die Ethikkommission genehmigt und ist registriert.
Ergebnisse
Mehr als 50% der Insultpatienten zeigten ein erhöhtes Risiko der Mangelernährung. Die Blutkonzentration von Vitamin B1, B2, B6, A, D, und E, Selenium, Cholin, Coenzyme Q10, Albumin, pre-Albumin, Transferrin, Docosahexaenoic Säure und Eicosapentaenoic Säure waren signifikant (p < 0.05) niedriger im Vergleich zu gesunden Probanden unabhängig vom Dysphagiestatus. CRP und Natrium waren signifikant erhöht. Die dokumentierte Nahrungsaufnahme (Kalorien, Ess- und Trinkmenge) waren bei Insultpatienten signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe.
Diskussion und Fazit
Die Studie zeigt deutlich, dass unabhängig von einer Dysphagie Schlaganfallpatienten ein hohes Mangelernährungsrisiko in der Rehaphase aufweisen. Dies könnte zu einer Beeinträchtigung der Regeneration und Rehabilitation beitragen. Die Ursachen sind nicht geklärt und könnten u.a. auf eine Mikrobiomstörung hinweisen.
Take-Home-Message
Ein Ernährungsscreening und gezielte Blutkontrollen in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten scheint sinnvoll, auch wenn keine Dysphagie vorliegt. Die Rolle einer adäquaten Ernährung sollte nicht unterschätzt werden und Teil des Rehabilitationsprogramms werden.
Literatur
Huppertz V, Guida S, Holdoway A, Strilciuc S, Baijens L, Schols JMG, et al. Impaired Nutritional Condition after Stroke from the Hyperacute to the Chronic Phase: A Systematic Review and Meta-Analysis. (2022) 12. doi: 10.3389/fneur.2021.780080
Lee YT, Mohd Ismail NI, Wei LK (2021) Microbiome and ischemic stroke: A systematic review. PLoS ONE 16(1): e0245038.
Hintergrund und Zielstellung
Infolge des „Paradigmenwechsels weg von der rein an Krankheiten orientierten The-rapie hin zur Bearbeitung von Beeinträchtigungen der funktionalen Gesundheit, ins-besondere der (beruflichen) Aktivitäten und Teilhabe“ (DRV Bund, 2019) kam es zur Veröffentlichung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinde-rung und Gesundheit (ICF) durch die WHO. Hierdurch wurden effektive, besonders auf die Teilhabe am Erwerbsleben zentrierte und möglichst eng verknüpfte Leistun-gen essentiell. Daher hat die DRV in den letzten Jahren verstärkt Angebote zur Me-dizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) ausgebaut (Schumann et al., 2022) mit dem Ziel, eine zeitnahe Rückkehr ins Erwerbsleben nach dem Reha-Aufenthalt zu gewährleisten (DRV Bund, 2019). Die Medizinisch-berufliche Rehabili-tation (MbR) versteht sich als eine Weiterführung für schwer betroffene Patienten mit komplexen medizinisch-beruflichen Bedarfslagen (Schumann et al., 2022). Im neuro-logischen Phasenmodell der BAR sind die MBOR und MbR in den Phasen D und E verortet (BAR, 2011). Um die Leistungsfähigkeit der Rehabilitanden vor dem Hinter-grund ihrer Arbeitsanforderung bewerten zu können, wird sowohl bei der MBOR als auch bei der MbR eine anforderungsorientierte Diagnostik durchgeführt.
EMBOL berücksichtigt durch seine individuelle Ausrichtung die Forderung nach ei-nem „personenzentrierten Vorgehen“ (DRV Bund, 2019) in der medizinischen Reha-bilitation. Bislang fehlt es jedoch an belastbaren Daten, die Aussagen zur Reliabilität, Validität sowie zu Veränderungsmessungen, inklusive klinischer Relevanz, bei neuro-logischen Patienten erlauben und Einflussfaktoren berücksichtigen. Das Ziel ist die wissenschaftliche Überprüfung des EMBOL-Konzeptes, um dieses als standardisier-tes Instrument zur Bewertung des (berufsbezogenen) konditionell-koordinativen Leis-tungsvermögens des Patienten (aus krankheitsspezifischer und arbeitsplatzbezoge-ner Perspektive) zum Zwecke der Einschätzung des Krankheitsverlaufes sowie der Erwerbsprognose nutzen zu können. Im Detail ist zu klären,
a) inwieweit EMBOL ein valides und reliables Instrument zur Bewertung des (be-rufsbezogenen) konditionell-koordinativen Leistungsvermögens neurologischer Patienten ist,
b) inwiefern durch EMBOL Veränderungen im Verlauf der Rehabilitation abgebil-det werden (Änderungssensitivität) und
c) welche Determinanten das Ergebnis von EMBOL bestimmen (Einflussgrößen).
Methoden
Die MbR der MEDIAN Klinik NRZ Magdeburg umfasst Übungsbüro, Werkstatt (Me-tall- und Holzwerkstatt) und EMBOL. Letzteres wird auch als berufsbezogenes phy-siologisches Belastungstraining bezeichnet, welches konditionell-koordinative An-sprüche an den Patienten stellt und die beiden weiteren Säulen der MbR sinnvoll er-gänzt. EMBOL besteht aus acht Stationen (Tab. 1) und spiegelt folgende Aspekte der körperlichen Belastbarkeit wider:
• Kondition: Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit (Arbeitstempo), Beweglichkeit/Mobilität
• Koordination: Gleichgewichtsfähigkeit, räumliche Orientierungsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit
• Motorik der unteren und oberen Extremitäten (Fein- und Grobmotorik) und
• das Arbeiten unter Zwangshaltungen/verschiedene Arbeitshö-hen/Leiter/Transfer.
Zielgruppe sind neurologische Patienten der Rehaphase D/E mit motorischen Beein-trächtigungen (obere/untere Extremitäten), reduzierter körperlicher Dauerbelastbar-keit, eingeschränkter Orientierungsfähigkeit/räumlichem Vorstellungsvermögen sowie Gleichgewichtsdefiziten bei Stand und Gang. EMBOL fußt auf langjähriger therapeu-tischer Erfahrung und wurde angelehnt an Melba konzipiert sowie jahrelang praktisch erprobt. Die Einschätzung der Patienten im Melba-System, einem Verfahren zur Er-mittlung und Darstellung von Fähigkeits- und Anforderungsprofilen, wird maßgeblich durch das Test- und Therapieverfahren EMBOL unterstützt.
In der geplanten 6-monatigen Validierungsstudie werden Daten von N = 120 neuro-logischen Patienten (im Alter ab 18 Jahren), für die zu Beginn und am Ende der Re-habilitation ein individualisiertes EMBOL-Assessment durchgeführt wurde, ausgewer-tet. Zunächst werden die (Retest-)Reliabilität mit der Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson (bzw. Pearson Chi-Quadrat-Test bei kategorialen Variablen) sowie die Intraklassenkorrelation-ICC ermittelt. Zur Bestimmung der Validität wird der Zusam-menhang mit dem Motricity Index (MI, als Indikator für die Kraft der oberen und un-teren Extremitäten sowie der feinmotorischen Greiffunktion) sowie mit den Functional Ambulation Categories (FAC, als Indikator der Gehfähigkeit) überprüft (Tab.1 - siehe Datei).
Des Weiteren werden Veränderungen im Verlauf der Rehabilitation getestet (Ände-rungssensitivität) und potentielle Einflussgrößen (u.a. Geschlecht, Alter, Rehabilitati-onsdauer, MI T1, FAC T1, subjektive Erwerbsprognose T1+T2 und soziale Unter-stützung T1) am Ende der Rehabilitation untersucht.
Ergebnisse
Es wird erwartet, dass EMBOL ein valides und reliables Instrument mit hoher Ände-rungssensitivität zur Einschätzung des konditionell-koordinativen Leistungsvermö-gens neurologischer Patienten ist. Weiterhin erwarten wir Einblicke in Bezug auf die Existenz von Einflussgrößen, welche das Ergebnis von EMBOL maßgeblich bestim-men.
Diskussion und Fazit
Erfahrungsgemäß profitieren die Patienten enorm im Hinblick auf Kraft, Ausdauer, Mobilität, Gleichgewicht und vor allem Motorik der unteren und oberen Extremitäten. Dies gilt es jedoch wissenschaftlich zu überprüfen, um die Bedeutung dieses Kon-zeptes für die Einschätzung von Rehabilitationsverlauf und Erwerbsprognose zu belegen.
Take-Home-Message
Durch die wissenschaftliche Überprüfung von EMBOL ist der Nachweis zu erbringen, dass dieses Konzept einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Rehabilitanden vor dem Hintergrund ihrer Arbeitsanforderung leistet und somit als integraler Bestandteil der MbR bestehen bleiben sollte.
Literatur
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (2011). Empfehlungen zur medizi-nisch-beruflichen Rehabilitation in der Neurologie. Frankfurt: BAR.
Deutsche Rentenversicherung Bund (2019). Medizinisch-beruflich orientierte Re-habilitation. Anforderungsprofil zur Durchführung der Medizinisch-beruflich orien-tierten Rehabilitation (MBOR) im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung. Ber-lin: Deutsche Rentenversicherung Bund.
Schumann, N., Bade, M., Lamprecht, J. & Sailer, M. (2022). Berufliche Teilhabe und beruflich orientierte Konzepte in der neurologischen Rehabilitation. Neuro aktuell, (4): 44-50.
Hintergrund und Zielstellung
In mehreren Pilotstudien konnten wir die Möglichkeiten aufzeigen, das Outcome als Indikator der Ergebnisqualität einer Rehabilitationsbehandlung durch prä-post-Erhebungen mittels Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) zu erfassen. In der neurologischen Rehabilitation wurde eine weitere Pilotstudie durchgeführt, um das Outcome in einer 3-Monatskatamnese zu messen. Eingesetzt wurden die 10-Item PROMIS Scale v1.2 – Global Health (PROMIS-10; Hays et al., 2009) und das Veterans RAND 12 Item Health Survey (VR-12; Kazis et al., 2004) und als Maße der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit auf ihre Eignung verglichen. Beide Instrumente messen die physische und die psychische Dimension der gesundheitsbezogenen Lebensqualität auf einer bevölkerungsnormierten T-Wertskala (M = 50; SD = 10).
Methoden
Erste Analysen liegen aus fünf Rehabilitationseinrichtungen für Patient:innen mit Schlaganfall (ICD-10 I60-I64) in der Anschlussheilbehandlung für Phase D zur Aufnahme in die Rehabilitation und 3 Monate nach Aufnahme vor (N = 477).
Die konzeptionelle Kongruenz der Instrumente wird durch Korrelationen (Pearson’s r) der physischen und psychischen Dimension zu den beiden Messzeitpunkten berichtet. Die Höhe der erreichten Effektstärken (Cohen’s dz für verbundene Stichproben) beider Instrumente werden verglichen, um Hinweise auf die Veränderungssensitivität zu erhalten. Berechnungen erfolgen jeweils für die gesamte Stichprobe sowie für die einzelnen Einrichtungen getrennt.
Ergebnisse
Die Patient:innen der Gesamtstichprobe aus den fünf Reha-Einrichtungen (n = 42 bis n = 179) sind zu 40.9 % weiblich und im Mittel 63.3 Jahre alt. Die physischen Dimensionen von PROMIS-10 und VR-12 korrelieren zu Beginn der Rehabilitation mit r = 0.72 (in den Kliniken: 0.58 ≤ r ≤ 0.78) und zum Katamnesezeitpunkt mit r = 0.79 (Kliniken: 0.66 ≤ r ≤ 0.85). In der psychischen Dimension betragen die Korrelationen zum Aufnahmezeitpunkt r = 0.75 (Kliniken: 0.58 ≤ r ≤ 0.79) und zum Katamnesezeitpunkt r = 0.77 (Kliniken: 0.73 ≤ r ≤. 0.81).
Für die physische Dimension ergeben sich im VR-12 Effektstärken zwischen Aufnahme (M = 38.4) und Katamnese (M = 40.7) in der Gesamtstichprobe von dz = 0.27 und in den Kliniken zwischen dz = 0.18 und dz = 0.33, im PROMIS-10 (Aufnahme: M = 42.4; Katamnese: M = 43.0) in der Gesamtstichprobe dz = 0.08 und in den Kliniken zwischen dz = -0.28 und dz = 0.32. In der psychischen Dimension betragen die Effektstärken für den VR-12 (Aufnahme: M = 43.2; Katamnese: M = 44.2) dz = 0.08 in der Gesamtstichprobe (Kliniken: -0.23 ≤ dz ≤ 0.20), und für den PROMIS-10 (Aufnahme: M = 43.5; Katamnese: M = 44.2) dz = .10 (Kliniken: -0.23 ≤ dz ≤ 0.36).
Diskussion und Fazit
Die hohen Korrelationen zwischen PROMIS-10 und VR-12 in der physischen und der psychischen Dimension zu beiden Messzeitpunkten deuten darauf hin, dass beide Instrumente in einem hohen Maße vergleichbare Konzepte messen.
Beim Vergleich der Effektstärken mit den Ergebnissen in anderen Indikationen zeigt sich, dass sie in den zwei gemessenen Dimensionen insgesamt gering ausfallen. Da in der Regel katamnestische Ergebnisse niedriger als Prä-Post-Vergleiche ausfallen, könnte es jedoch denkbar sein, dass zum Entlassungszeitpunkt höhere Veränderungen erzielt worden sind. Im direkten Vergleich zwischen PROMIS-10 und VR-12 schneidet der VR-12 hier hinsichtlich der Veränderungssensitivität etwas besser ab.
Die insgesamt niedrigen Effektstärken der Veränderungen der subjektiven Gesundheit können auch damit zusammenhängen, dass Patient:innen mit Schlaganfall im Vergleich zu anderen Patient:innengruppen eine deutlich verlängerte Zeit der Rekonvaleszenz benötigen. Andererseits sind auch die verhältnismäßig hohen Werte im PROMIS-10 und VR-12 zum Rehabilitationsbeginn bemerkenswert, die so dass möglicherweise für Phase-D-Patient:innen Deckeneffekte eine Veränderungsmessung erschweren. Es bleibt zu untersuchen, ob dies auf Selektionseffekte zurückgehen könnte.
Für zukünftige Messungen der Ergebnisqualität wird empfohlen, eine zusätzliche Post-Messung zum Entlassungszeitpunkt durchzuführen, das Katamneseintervall zu verlängern, und mögliche Selektionseffekte bestmöglich zu kontrollieren.
Take-Home-Message
Die Messung der Ergebnisqualität in der neurologischen Reha mit PROMs ist wichtig, aber herausfordernd. Optimale Messzeitpunkte müssen gefunden und potentielle Selektionseffekte berücksichtigt werden.
Literatur
Hays, R.D., Bjorner, J.B., Revicki, D.A., Spritzer, K.L. & Cella, D. (2009): Development of physical and mental health summary scores from the patient-reported outcomes measurement information system (PROMIS) global items. Quality of Life Research, 18(7), 873–880.
Kazis, L. E., Miller, D. R., Skinner, K. M., Lee, A., Ren, X. S., Clark, J. A., Rogers, W. H., Spiro, A., 3rd, Selim, A., Linzer, M., Payne, S. M., Mansell, D. & Fincke, R. G. (2004): Patient-reported measures of health: The Veterans Health Study. J Ambul Care Manage, 27(1), 70-83.
Hintergrund und Zielstellung
Rehabilitanden mit einer neurologischen Diagnose klagen häufig über Einschränkungen ihrer kognitiven Leistungen und nachfolgend über erhebliche Beeinträchtigungen bei der erwerbsbezogenen und sozialen Teilhabe. Eine typische therapeutische Intervention zur funktionellen Therapie stellt die computergestützte Therapie mittels spezieller Rehabilitationssoftware dar. Bisher wird diese Therapie in einer eins-zu-eins-Betreuung geleistet. In diesem Beitrag soll dargestellt werden, wie das Fachpersonal entlastet werden kann bei gleichbleibender Interventionsqualität für den Rehabilitanden.
Methoden
Die notwendigen Aufgabenstellungen werden nach einer Eingangsuntersuchung durch den behandelnden Neuropsychologen am Arbeitsplatz festgelegt. Die Geräte sind im Haus vernetzt und greifen auf eine gemeinsame Datenbank zu. In einem anderen Raum mit 5 PCs können die Patienten nach individuellem Login auf die entsprechend auf die jeweilige persönliche Situation abgestimmten Aufgaben zugreifen und diese unter Betreuung abarbeiten. Die Betreuung an den Therapie-Computern wird durch eine eingewiesene und geschulte Hilfskraft geleistet. Bei Bedarf ist eine zeitnahe Rücksprache mit der Fachkraft möglich.
Bei dem vorliegenden Projekt wurden im Vergleich zur Standardtherapie (Kontrollgruppe) bei der Interventionsgruppe eine niederschwellige Intervention durch Information vor der PC-Therapie und eine kurze Reflektion im Anschluss an die PC-Therapie (jeweils ca. 3-5 Minuten) durchgeführt.
Ergebnisse
Bei vergleichbaren funktionellen Ergebnissen zeigen die beiden Interventionsgruppen einen deutlichen Zuwachs bei der Compliance, der Therapiemotivation und der Identifikation mit der Rehabilitationsmaßnahme. Die Akzeptanz der computergestützten Therapie unter Betreuung einer Hilfskraft ist hoch. Es gab bei den Patienten keine Bedenken in Bezug auf die Durchführungs- und Ergebnisqualität der Therapie.
Diskussion und Fazit
Die computergestützte standardisierte funktionelle kognitive Therapie bei neurologischen Patienten kann ohne Qualitätseinbußen an eingewiesene und geschulte Hilfskräfte delegiert werden. Bei Bedarf ist eine zeitnahe Rücksprache mit der Fachkraft möglich. Die Auswahl und das Leistungsniveau werden vorab durch den behandelnden Neuropsychologen festgelegt. Dieser hat durch die Delegation der PC-Therapie mehr Zeit für die individuelle Therapie mit dem Rehabilitanden. Die begrenzten institutionellen Ressourcen werden dadurch besser genutzt.
Durch die niederschwellige vorherige Information der Patienten bzw. die anschließende Reflektion nach der computergestützten Therapie entsteht ein Mehrwert durch die Identifikation des Rehabilitanden mit seiner Rehabilitationsmaßnahme. Die technische Umsetzung erfordert lediglich einen kurzen Zeitraum, einen geringen Schulungsaufwand für die Hilfskraft sowie einen überschaubaren Aufwand für die Abstimmung der notwendigen Prozeduren in der neuropsychologischen Fachabteilung.
Take-Home-Message
Die computergestützte standardisierte funktionelle kognitive Therapie bei neurologischen Patienten kann ohne Qualitätseinbuße an eingewiesene und geschulte Hilfskräfte delegiert werden.
Literatur
Bethge, M. (2017). Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. Die Rehabilitation, 56 (1), 14–21.
Eidenmüller, A.; Kallus, K.W.; Fröhlich, H.; Bieber, K.; Poimann, H. (2006). Evaluation eines ambulanten neuropsychologischen Aufmerksamkeitstrainings. Zeitschrift für Neuropsychologie, 12 (1), 160-172.
Fernandez E.; Bergado Rosado, J.A.; Perez, D.R.; Salazar, S.S.; Torres, A.M.; Bringas, M.L. (2017). Effectiveness of a computer-based training program of attention and memory in patients with acquired brain damage. Behavioral Sciences, 8 (1), 2-12.
Sturm, W., M. Herrmann und T. Münte (2009). Lehrbuch der Klinischen Neuropsychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
Yoo, C.; Yong, M.H.; Chung, J.; Yang, Y. (2015). Effect of computerized cognitive rehabilitation program on cognitive function and activities of living in stroke patients. Journal of Physical Therapy Science, 27 (8), 2487-2489.
Hintergrund und Zielstellung
Das Wissen um die Relevanz von Bewegung für somatische als auch für psychische Erkrankungen ist in den letzten Jahren sehr gestiegen (Kleinschmidt & Köllner, 2021). So zeigt sich bereits ein positiver Zusammenhang zu einzelnen psychischen Erkrankungen, wie Depressivität oder Angststörung (Kleinschmidt & Köllner, 2021). Gleichzeitig steht dies in Verbindung mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Ziel in der Rehabilitation ist es, die Lebenszeit nicht nur quantitativ zu verlängern, sondern vor allem auch qualitativ zu füllen. Darüberhinaus ist Herzangst ein bedeutendes Konstrukt innerhalb der Psychokardiologie, welches bisher wenig erforscht wurde (Priegnitz et al., 2019). Ziel dieser Studie war es, den Zusammenhang zwischen Bewegung und gesundheitsbezogener Lebensqualität genauer zu betrachten und auszudifferenzieren wie Herzangst und Depressivität in diesen Effekt mitwirken.
Methoden
Es wurden 238 psychokardiologische PatientInnen im Rehabilitationszentrum Seehof untersucht, wobei die für diese Studie relevanten Daten zum Beginn der Reha erfasst wurden. Die Dimensionen Bewegungsverhalten (IPAQ), die Herzangst (HAF), die Depressivität (BDI-II) und die gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF-12) wurden via Selbstbeurteilungsfragebögen erhoben. Für die erste Hypothese wurde der Zusammenhang zwischen dem Bewegungsverhalten und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität mittels linearer Regression berechnet. Im Anschluss daran wurden multiple Regressionsmodelle und anschließend Mediationsanalysen angewendet, um den explorativen Ansatz zu untersuchen, welche Rolle Herzangst und Depressivität in Bezug auf den Effekt aus Hypothese 1 spielen.
Ergebnisse
Zwischen dem Bewegungsverhalten und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigt sich in der linearen Regression kein signifikanter Effekt. Das multiple Regressionsmodell zeigt beim Inkludieren von Herzangst und Depressivität mit p < .001 (KSK (F=3,227)=16.791, PSK (F=3,227)=85748) insgesamt einen signifikanten Effekt, wobei deutlich wird, dass dieser primär durch Depressivität mediiert wird. Univariat beeinflusst Herzangst sowohl die psychische (PSK) (r = -.321**) als auch die körperbezogene Summenskala (KSK) des SF-12 (r = -.272**), multivariat jedoch nur noch die körperbezogene (r = -.1447*). Depressivität beeinflusst darüber hinaus beide Subskalen des SF-12 negativ (PSK: r = -.7045**; KSK: r = -.357**). Betrachtet man die Korrelationsmatrix der Konstrukte genauer, so sticht dabei vor allem herzbezogene Vermeidung als ein hoch signifikanter Faktor heraus. Des Weiteren korrelieren Depression und Herzangst wechselseitig signifikant (r = .3491**).
Diskussion und Fazit
Es zeigt sich, dass sowohl Herzangst als auch Depressivität einen entscheidenden Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität haben, wobei die Wirkweise von Herzangst innerhalb des Modells weiter erforscht werden sollte. In der Literatur gibt es Hinweise, dass ein positiver Effekt des Bewegungsverhaltens auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität abhängig von Alter und dem Intensivitätsniveau des Bewegungsverhaltens ist (Casali et al., 2021; Schmidt et al., 2021; Pinheira et al., 2018)
Des Weiteren wäre ein Messzeitpunkt am Ende der Reha von Interesse, um zu schauen, ob durch die Behandlung ein positiver Effekt bewirkt werden kann. Ebenso sinnvoll zu erfassen ist eine objektive Messung der kardiologischen Parameter.
Take-Home-Message
Zusammenfassend sticht besonders Depressivität heraus und stellt einen relevanten Faktor dar, der unbehandelt den Verlauf somatischer und anderer psychischer Erkrankungen beeinflussen kann. Bei der Herzangst scheint der Subskala Vermeidung besondere Bedeutung zuzukommen.
Literatur
Casali, N., Cerea, S., Moro, T., Paoli, A. & Ghisi, M. (2021, 11). Just do it: High intensity physical activity preserves mental and physical health in elite and non-elite athletes duringcovid-19. Frontiers in Psychology, 12, 757150. doi: doi:10.3389/fpsyg.2021.757150
Kleinschmidt, J. & Köllner, V. (2021). Herz und Psyche in Bewegung bringen. Psychotherapie im Dialog, 22 (02), 82-86. doi: 10.1055/a-1215-1195
Pinheira, V., Alvers, D. & Pires, M. (2018, 09). The relationship between mobility, physical activity and strenght with depression, cognitive state and health status in the elderly in portugal. The European Journal of Sical Behavioural Sciences, 23 (3), 2753-2768. doi: doi:10.15405/ ejsbs.242
Priegnitz, J., Langheim, E., Rademacher, W., Schmitz, C. & Köllner, V. (2019, 12). Effektivität von psychokardiologischer versorgung in der stationären rehabilitation – ein pilotprojekt. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 70 (05), 190-196. doi: 10.1055/ a-1023-4609
Schmidt, T., Heuer, A. & Weisser, B. (2021, 09). Effects of covid-19 confinement on physical activity and health-related quality of life in rehabilitation patients. German Journal of Sports Medicine, 72, 230-235. doi: doi:10.5960/dzsm.2021.489
Hintergrund und Zielstellung
Psychische Beeinträchtigungen kardiovaskulär erkrankter Patientinnen und Patienten stellen einen Risikofaktor für einen schwereren Krankheitsverlauf und eine erhöhte Mortalität dar (Bunz et al., 2015). Die frühzeitige Erkennung und Behandlung der psychischen Belastung ist daher für die Krankheitsbewältigung und darüber hinaus für die Rückkehr ins Erwerbsleben essentiell. In Deutschland wurde für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit somatischer Indikation und psychischer Beeinträchtigung die verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation (VOR) entwickelt (Deutsche Rentenversicherung, 2016).
Die von uns untersuchte VOR für kardiovaskulär erkrankte Patientinnen und Patienten (VOR-Kardio) intensiviert die herkömmliche kardiologische Rehabilitation durch zusätzliche psychotherapeutische und bewegungstherapeutische Angebote sowie durch ein Entspannungstraining und eine Schulung, die auf das Zusammenspiel von Herz und Psyche ausgerichtet ist (Benninghoven et al., 2022). Charakteristisch für das Programm ist das geschlossene Gruppenkonzept. Obwohl das Konzept der VOR indikationsübergreifend entwickelt wurde, sind die bislang vorliegenden Studien zu den Vorteilen dieses Behandlungskonzepts überwiegend auf die Rehabilitation von Muskel-Skelett-Erkrankungen beschränkt (Mangels et al., 2009).
Vor diesem Hintergrund prüft unsere Studie die Effekte und Wirksamkeit einer verhaltensmedizinisch orientierten kardiologischen Rehabilitation im Vergleich zu einer herkömmlichen kardiologischen Rehabilitation in Bezug auf Herzangst und weitere gesundheitsbezogene Zielkriterien.
Methoden
Die Studie wird als monozentrische randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in der Mühlenbergklinik (Bad Malente, Schleswig-Holstein) im Verhältnis eins zu eins zufällig einer vierwöchigen verhaltensmedizinisch orientierten kardiologischen Rehabilitation (Interventionsgruppe) oder einer vierwöchigen herkömmlichen medizinischen kardiologischen Rehabilitation (Kontrollgruppe) zugewiesen. Wir planen die Rekrutierung von 410 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Der voraussichtliche Rekrutierungszeitraum umfasst 18 Monate.
Eingeschlossen werden 18- bis 65-jährige kardiologische Patientinnen und Patienten (ICD-10 I05 bis I71 sowie I95 und I97), die durch die Deutsche Rentenversicherung Bund oder die Deutsche Rentenversicherung Nord eine Rehabilitation in der Studienklinik erhalten, und für die leichte oder mittelschwere psychische Erkrankungen oder Hinweise auf Stress oder Erschöpfungserleben in den Antragsunterlagen zur medizinischen Rehabilitation dokumentiert sind. Patientinnen und Patienten mit einer schweren psychischen Erkrankung (Schizophrenie, schizoaffektive Erkrankung, bipolare Störung, Manie, schwere unipolare Depression), stark beeinträchtigender Herzinsuffizienz (mindestens NYHA-Stadium III) sowie erheblichen Sprachbarrieren werden von der Studie ausgeschlossen.
Primäres Zielkriterium ist die mit dem Herzangstfragebogen gemessene Herzangst zwölf Monate nach Rehabilitationsende. Sekundäre Zielkriterien umfassen u. a. verschiedene Indikatoren psychischer Gesundheit, körperliche und allgemeine Gesundheit, Gesundheitsverhalten, die berufliche Situation und Arbeitsfähigkeit, die wahrgenommene Behandlungsdosis, Gesundheitskosten und die sozialmedizinische Einschätzung des Leistungsvermögens. Zudem werden soziodemografische Daten erfasst.
Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Universität zu Lübeck zustimmend bewertet. Die Registrierung der Studie erfolgte im Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS00029295). Weitere Informationen zur Studie sind unter www.vor-kardio.de einsehbar.
Ergebnisse
Die Rekrutierung läuft. Die erste teilnehmende Person wurde am 22.06.2022 rekrutiert.
Diskussion und Fazit
Die Vorteile der VOR bei Muskel-Skelett-Erkrankungen in randomisierten kontrollierten Studien und kontrollierten Studien entsprechen kleinen bis mittleren standardisierten Mittelwertdifferenzen. Eine von uns durchgeführte Beobachtungsstudie hat bislang nur die Erprobung begleitet und die Machbarkeit des Vorgehens festgestellt (Benninghoven et al., 2022). Ein klarer Nachweis für einen möglichen Nutzen bei kardiovaskulär erkrankten Personen war mit dem gewählten Design nicht möglich. Dies bedarf der geplanten randomisierten kontrollierten Studie.
Take-Home-Message
Aufgrund der hohen Prävalenz von psychischen Belastungen bei kardiologischen Patientinnen und Patienten werden vom Transfer der verhaltensmedizinisch orientierten Rehabilitation in das kardiologische Behandlungssetting positive Effekte insbesondere auf Indikatoren psychischer Gesundheit erwartet.
Literatur
Benninghoven, D., Menke, E., China, C., Schroeder, F., Bethge, M. (2022): Implementierung einer Verhaltensmedizinisch Orientierten Rehabilitation in der Kardiologie. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 72. 429-437.
Bunz, M., Kindermann, I., Karbach, J., Wedegärtner, S., Böhm, M., Lenski, D. (2015): Psychokardiologie: Wie Herz und Psyche zusammenhängen. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 140. 117-124.
Deutsche Rentenversicherung (2016): Verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation. Rahmenkonzept der Deutschen Rentenversicherung für die verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation (VOR). Berlin, Deutsche Rentenversicherung Bund.
Mangels, M., Schwarz, S., Worringen, U., Holme, M., Rief, W. (2009): Evaluation of a behavioral-medical inpatient rehabilitation treatment including booster sessions: a randomized controlled study. The Clinical Journal of Pain, 25. 356-364.
Hintergrund und Zielstellung
Die subjektive Erwerbsprognose (SE) von PatientInnen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) in der kardiologischen Anschlussrehabilitation (AR) ist in hohem Maße durch eine Neubewertung der Lebensprioritäten, Veränderungswünschen in Bezug auf das Gesundheitsverhalten sowie den Arbeitsalltag bestimmt (Brehmer et al., 2022). Die Mehrheit der TeilnehmerInnen der BESSER-Studie plante trotz BBPL ihre Rückkehr ins Berufsleben, obgleich konkrete Umsetzungspläne oder Strategien diesbezüglich fehlten (Brehmer et al., 2022). Die Nachbeobachtung in der BESSER-Studie sollte Faktoren eruieren, die die berufliche Wiedereingliederung der PatientInnen mit BBPL nach kardiologischer AR subjektiv beeinflussen.
Methoden
Die qualitative Nachbefragung basierte auf leitfadengestützten semi-strukturierten telefonischen Einzelinterviews mit PatientInnen im Alter von 18-62 Jahren zwischen 6 und 8 Monaten nach der kardiologischen AR. Für die Nacherhebung zur BESSER-Studie wurden alle TeilnehmerInnen im dritten Quartal 2022 erneut kontaktiert und bis zu theoretischen Sättigung eingeschlossen (Morse, 2015). Es wurden insgesamt 5 PatientInnen mit BBPL (Hauptstichprobe) und 2 ohne BBPL (Kontraststichprobe) befragt. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und mittels thematischer Analyse auf Codes reduziert und in übergeordneten Themen zusammengefasst (Braun, Clarke, 2006).
Ergebnisse
Alle Befragten bis auf einen in Hauptstichprobe wurden beruflich eingegliedert. Während die Personen mit BBPL mehrheitlich über einen veränderten Berufsalltag berichteten und/oder weitere berufliche Veränderungen erwarteten, erfolgte die berufliche Wiedereingliederung der Personen ohne BBPL sofort nach der kardiologischen AR.
Drei Subthemen, die den umweltbezogenen Förderfaktoren zuzuordnen sind, waren hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung der PatientInnen mit BBPL nach der kardiologischen AR identifizierbar. Relevant erschien die „stufenweise Wiedereingliederung“, die die PatientInnen entweder über die Inanspruchnahme des Hamburger Modells oder inoffizielle Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber vornahmen. Zusätzlich wurde die fördernde Rolle der „unterstützenden ArbeitgeberInnen“ erwähnt: „[ArbeitgeberInnen] haben auch gleich gesagt, immer schön - schön vorsichtig, nicht, dass du uns hier auf einmal wieder abklappst.“ (Interview 01). Ein weiteres Thema kann als „selbstorganisiertes Unterstützungsnetzwerk“ in Form von Psychotherapie, Coaching und/oder interdisziplinärer medizinischer Versorgung abgebildet werden.
Weitere Subthemen der personenbezogenen Förderfaktoren waren die „Akzeptanz der neuen Situation“: „Das, was man früher gemacht hat, das schafft man ja nicht mehr. Man kann ja bloß das machen, was man auch schafft.“ (Interview 06); „gemeisterte Lebensstilveränderung“: „Ich habe viel, viel geraucht… und keiner hat's geglaubt, dass ich es schaffe. Aber ich habe gesagt, ich darf nicht mehr, weil das ist eigentlich ein Todesurteil für mich.“ (Interview 07) und „Arbeitsmotivation“: „Ich möchte nämlich für meinen Lebensunterhalt selber arbeiten.“ (Interview 04). Die zwei letzten Subthemen umfassten die Hindernisse, darunter personenbezogene: „schlechte Gesundheitssituation“: „Ich habe noch die Bandscheibenvorfälle und Hüft-OP müsste sofort gemacht werden.“ (Interview 07) und umweltbezogene, „unpassende Arbeitsbedienungen“: „Sandstrahler kann ich sowieso nicht mehr. Immer Belastung ist da, der Staub und alles.“ (Interview 05).
Die oben genannten Themen sind der Hauptstichprobe zuzuordnen; für die Kontraststichprobe zeigten sich die Themen „selbstorganisiertes Unterstützungsnetzwerk“, „gemeisterte Lebensstilveränderung“ und „Arbeitsmotivationen“ als relevant.
Diskussion und Fazit
Obgleich die berufliche Wiedereingliederung der PatientInnen mit BBPL nach kardiologischen AR erschwert ist (Salzwedel et al.,2019), konnte diese durch die unterstützenden ArbeitgeberInnen, zusätzliche professionelle Hilfe, stufenweise Eingliederung und personenbezogene Faktoren wie hohe Arbeitsmotivation und Umsetzung positiver Lebensstilveränderungen gefördert werden. Da sich der Berufsalltag der meisten Befragten nach dem akuten kardiologischen Ereignis verändert hat, erschien die Akzeptanz der neuen Situation essenziel für erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung.
Die Ergebnisse der BESSER-Studie sind limitiert, da die TeilnehmerInnen ein oder zwei von möglichen drei Punkten auf SE-Skala des Würzburger Screenings hatten, was die in meisten Fällen gemeisterte berufliche Wiedereingliederung erklären kann.
Take-Home-Message
Die berufliche Wiedereingliederung der PatientInnen mit BBPL nach der kardiologischen AR kann durch Zusammenspiel der in dieser Studie identifizierten Förderfaktoren erfolgen, wobei gesundheitliche Probleme und unpassende Arbeitsbedienungen die größten subjektivwahrgenommenen Hindernisse darstellen.
Literatur
Braun, V., & Clarke, V. (2006): Using thematic analysis in psychology. Qualitative Research in Psychology, 3(2), 77–101.
Brehmer, N., Wolff, L. L., Völler, H., & Salzwedel, A. (2022): Was bestimmt die subjektiven Erwerbsaussichten nach einem akuten kardialen Ereignis? Eine qualitative Studie mit kardiologischen RehabilitandInnen. In Das Gesundheitswesen : Gesundheitswesen (V-023). Georg Thieme Verlag. https://doi.org/10.1055/s-0042-1753584
Morse, J. M. (2015): "Data were saturated…". Qualitative Health Research, 25(5), 587–588. https://doi.org/10.1177/1049732315576699
Salzwedel, A., Reibis, R., Heidler, M. D., Wegscheider, K. & Völler, H. (2019): Determinants of Return to Work After Multicomponent Cardiac Rehabilitation. Archives of physical medicine and rehabilitation, 100(12). https://doi.org/10.1016/j.apmr.2019.04.003
Hintergrund und Zielstellung
Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit ist ein zentrales Anliegen der Rehabilitation im Auftrag der DRV und wird seit den 1990er durch vermehrte Angebote mit stärkerem Berufsbezug wie die medizinisch-beruflich orientierte Reha im rehabilitativen Versorgungssektor forciert (DRV, 2015). Trotz der gewachsenen Bedeutung von beruflich orientierten Konzepten für unterschiedliche Indikationen (Streibelt & Bürger, 2014), spielen sie in der medizinischen Reha von Rehabilitand*innen mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung (CED) bislang noch eine eher untergeordnete Rolle.
Die vielfältigen Krankheitsausprägungen und -verläufe einer CED erfordern individualisierte berufsbezogene Unterstützungsangebote für Rehabilitand*innen mit Anzeichen einer berufsbezogenen Problemlage. Im Projekt mitCED@work_Reha wurden berufliche Unterstützungsangebote ausgearbeitet und für den Einsatz in der stationären medizinischen Reha erprobt. Der Beitrag präsentiert die Umsetzung und die Bewertung des implementierten berufsbezogenen Angebotes aus Rehabilitandensicht.
Methoden
Die interdisziplinär entwickelten und auf Ergebnissen einer Vorgängerstudie gründenden berufsbezogenen Inhalte sowie verschiedenen berufsbezogenen Therapieangebote wie z.B. Ernährung am Arbeitsplatz wurden 2020 in zwei gastroenterologischen Rehafachkliniken implementiert. Die Identifikation von Risikopersonen mit beeinträchtigter beruflicher Teilhabe erfolgte mit Hilfe eines zweiseitigen Screeningbogens, der den SIMBO-C sowie die SPE-Skala umfasste und 27 CED-relevante berufliche Problemlagen ermittelte. Rehabilitand*innen zwischen 18 und 63 Jahren mit Anzeichen einer beruflichen Problemlage (SIMBO-C-Wert>=20 oder SPE-Skala-Wert>=1), wurden konsekutiv eingeladen. Die eingeschlossenen Rehabilitand*innen bearbeiteten zu Reha-Beginn und am Reha-Ende einen Fragebogen, der soziodemografische, erwerbsbezogene sowie gesundheitsbezogene Parameter erfragte. In den folgenden Analysen wurden ausschließlich die Teilnehmenden berücksichtigt, von denen zu beiden Messzeitpunkten Fragebögen vorlagen. Für die Bewertung des implementierten berufsbezogenen Behandlungsangebotes aus Rehabilitandensicht und den wahrgenommenen Implementierungsgrad wurde die Kurzversion des MBOR-R-Fragebogens eingesetzt (Bürger, Nübling et al. 2020). In Anlehnung an das QS-Programm der DRV wurde der MBOR-R-Skalenmittelwert von 0–100 linear transformiert (0=geringste Qualitätsausprägung, 100=maximal positive Ausprägung).
Ergebnisse
281 CED-Rehabilitand*innen bearbeiteten den Screeningbogen, 193 zeigten Anzeichen auf eine berufsbezogene Problemlage. 150 Rehabilitand*innen nahmen an beiden Befragungen teil (Partizipationsrate 96,2%). 55 % sind Frauen, der Altersdurchschnitt liegt bei 46 Jahren (SD 11,9), 24 % mit Abitur. 10 % der Teilnehmenden befinden sich in der Anschlussrehabilitation. 52 % sind in Vollzeit, 23 % in Teilzeit erwerbstätig, 17 % sind arbeitslos oder -suchend. Im Mittel wurden 11 von 27 erfassten berufsbezogenen Problemlagen berichtet (SD 6,6). 53 % der Befragten zeigte zu Beginn der Reha Interesse an der Bearbeitung beruflicher Probleme während der Reha. 77 % wünschte Hilfestellung zur weiteren Ausübung der bisherige Arbeitstätigkeit zu erhalten.
Am Ende der Reha berichteten 76 % der Rehabilitand*innen, dass sich das Reha-Team einen Eindruck über die berufliche Situation verschafft hat, 65 %, dass konkrete Therapieziele in Bezug auf die Arbeit festgelegt wurden und 71 %, dass Therapiemaßnahmen zur Erreichung der vereinbarten berufsbezogenen Therapieziele besprochen wurden. 65 % gaben an, während der Reha an der Klärung ihrer persönlichen beruflichen Perspektive gearbeitet zu haben. Konkrete Schritte, wie die weitere berufliche Perspektive nach der Entlassung aussehen kann, wurden mit 44 % besprochen. Der MBOR-R-Skalenmittelwert liegt bei 49,5 Punkten (SD 26,2). Es zeigen sich keine Unterschiede der Bewertung des berufsbezogenen Angebotes zwischen Rehabilitand*innen in der Anschlussrehabilitation und im Heilverfahren. Auch zwischen Gruppen mit unterschiedlicher beruflicher Problembelastung sowie Krankheitsaktivität zeigen sich keine Unterschiede.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse liefern Hinweise zum Umsetzungsgrad der entwickelten und implementierten berufsbezogenen Angebote, die die Weiterentwicklung des Konzeptes für CED-Rehabilitand*innen unterstützt. Die Daten weisen auf eine erhöhte Wahrnehmung einer beruflichen Schwerpunktsetzung hin. Mit einem MBOR-R-Skalenmittelwert von 49,5 Punkten liegt die Rehabilitanden-Bewertung höher als bei einer indikationsübergreifenden Stichprobe von 1.622 erwerbstätigen Rehabilitand*innen, die die Standardrehabilitation absolvierten (40 Punkten; Bürger et al., 2021). Damit scheint ein erhöhter berufsbezogener Umsetzungsgrad während der Reha erreicht wurden zu sein. Auf Basis der 6-Monatskatamnese werden erste Hinweise auf Effekte auf erwerbsbezogene sowie biopsychosoziale Parameter der Betroffenen geprüft.
Take-Home-Message
Im Rahmen der Studie "mitCED@work_Reha" konnten erstmalig berufsbezogene Unterstützungsangebote für CED-Rehabilitand*innen in die Versorgung implementiert und erprobt werden. Die Ergebnisse deuten auf eine erfolgreiche Umsetzung und eine wahrgenommene berufliche Schwerpunktsetzung unter den CED-Rehabilitand*innen hin.
Literatur
Bürger W., Nübling R., Henn J., Streibelt M. (2020): „MBOR-R“ – MedizinischBerufliche Orientierung der Rehabilitation aus Rehabilitandensicht. Entwicklung, Erprobung und Validierung eines standardisierten Fragebogens zur Bewertung der Erwerbsorientierung der Medizinischen Rehabilitation. Prax Klin Verhaltensmed Rehab, 33: 24-41.
Bürger W., Nübling R., Streibelt M. (2021): Fragebogen zur Erfassung der medizinisch-beruflichen Orientierung der Rehabilitation aus der Perspektive der Rehabilitanden (MBOR-R): Querschnittsstudie zum Vergleich der Kurz- und Langversion. Rehabilitation, online publiziert. DOI 10.1055/a-1668-7797.
DRV (2015): Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. Band 4. Berlin: DRV.
Streibelt M., Brünger M. (2014): Wie viele arbeitsbezogene Leistungen bekommen Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen? Analyse einer repräsentativen indikationsübergreifenden Stichprobe von Rehabilitanden. Rehabilitation, 53: 369-75.
Hintergrund und Zielstellung
Adipositas ist eines der größten globalen Gesundheitsprobleme mit vielfältigen körperlichen Folgeerkrankungen und ist assoziiert mit frühzeitiger Berentung, erhöhter Mortalität sowie psychosozialen Belastungen. Wechselwirkungen können u. a. vermindertes Selbstwertgefühl, Stigmatisierung, Depression, Beziehungs-/Kontaktstörungen, berufliche Schwierigkeiten sowie eine eingeschränkte Lebensqualität sein (Wirth & Hauner, 2013; Visscher & Seidel, 2001). Folglich erscheint es sinnvoll, auch im stationären Rehabilitationssetting, die Therapiemaßnahmen für Menschen mit Adipositas um eine intensivierte psychologische Mitbetreuung zu erweitern.
In dieser Studie wurde ein, die somatische Rehabilitation ergänzendes, psychotherapeutisches Konzept für Menschen mit Adipositas und komorbiden psychischen Belastungen entwickelt. Intention ist eine Förderung der Lebensqualität durch Verbesserung der psychischen Gesundheit mit dem Ziel der Steigerung der Motivation zu einem nachhaltig gesünderen Lebensstil.
Methoden
Teil 1 (Entwicklung/Implementierung):
Literaturrecherche ‚Adipositas und psychische Komorbiditäten‘. Grundlagen: Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas, 2014“ der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sowie „psycho-diabetologisches Rehabilitationskonzept“ (Schwandt & Hillebrand, 2014).
Das Konzept basiert auf einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansatz sowie dem Bezugstherapeutensystem mit geschlossenem Gruppensetting und vierwöchiger Aufenthaltsdauer. Ergänzend zum Standard-Reha-Programm: Neun Gruppensitzungen à 60 bis 90 Minuten, mindestens zwei Einzelgespräche sowie Vermittlung von Entspannungstechniken. Gruppenstundenthemen: Steigerung des Selbstwertgefühls, verbesserte Selbstfürsorge, Umgang mit negativen Gefühlen, Verändern von Ernährungsverhalten, Verbesserung der Stresstoleranz, Rückfallprävention.
Das Konzept wurde in zwei Probeläufen mit insgesamt 11 Teilnehmenden (TN) erprobt. Am Ende des Programms wurden die TN nach Zufriedenheit bzw. Verbesserungsvorschlägen gefragt. Anhand dieser Ergebnisse wurde das Konzept optimiert.
Teil 2 (RCT/Evaluation):
Die summative Evaluation basiert auf einem randomisierten kontrollierten Studiendesign (RCT) mit mindestens 158 TN - je 79 in Interventions- (IG) bzw. Kontrollgruppe (KG) - im Vergleich zu ‚treatment as usual‘ (routinemäßige psychologische Mitbetreuung). Messzeitpunkte: Reha-Beginn (t1), Reha-Ende (t2) und nach sechs Monaten (t3).
Einschlusskriterien: BMI ≥ 30 kg/m² und mindestens ein auffälliger psychologischer Score im HADS-D Angst, ADS-K und/oder WHO-5.
Hauptfragestellung ist die Verbesserung der psychischen Lebensqualität nach sechs Monaten (gemessen mittels SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand). Weitere Parameter: Körperliche Lebensqualität, psychologische Parameter (Selbstwert, Angst, Depression), Körpergewicht sowie sozialmedizinische Parameter. Die formative Evaluation beurteilt die Zufriedenheit der TN mit dem Programm.
Ergebnisse
Aufgenommen in das Screening-Verfahren wurden 284 Menschen mit Adipositas. Eine komorbide psychische Belastung zeigten 218 (77 %). Die Drop-Out-Quote zu t1 betrug 20 %; somit konnten N = 175 TN (85 IG/90 KG) in die RCT eingeschlossen werden.
Formative Evaluation (t2):
In der IG (n = 85) waren 97 % (n = 85) mit der psychologischen Mitbetreuung insgesamt zufrieden bis sehr zufrieden, den Umfang beurteilten 81 % (n = 85) als gerade richtig, 96 % (n = 85) die Inhalte als hilfreich bis sehr hilfreich. Die psychologische Mitbetreuung hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft empfanden 79 % (n = 84) bzw. ihrer privaten Zukunft 88 % (n = 82) als hilfreich bis sehr hilfreich.
Die TN der KG (n = 90) beurteilten die psychologische Mitbetreuung (treatment as usual) zu 67 % (n = 84) als zufrieden bis sehr zufrieden; dabei gaben 31 % (n = 84) an, keine psychologische Betreuung erhalten zu haben. Den Umfang bewerteten 39 % (n = 84) als gerade richtig, 68 % (n = 81) die Inhalte als hilfreich bis sehr hilfreich. Die psychologische Mitbetreuung empfanden hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft 42 % (n = 76) bzw. ihrer privaten Zukunft 52 % (n = 78) als hilfreich bis sehr hilfreich.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse der formativen Evaluation zeigen deutlich die Relevanz, den Bedarf und das Interesse der Menschen mit Adipositas und komorbiden psychischen Belastungen hinsichtlich einer intensivierten psychologischen Mitbetreuung auf. Somit verbessert dieses neue Konzept die Zufriedenheit der Rehabilitanden mit der psychologischen Betreuung während ihrer Rehamaßnahme. Für eine abschließende Bewertung des neu entwickelten Konzepts sind die Ergebnisse der summativen Evaluation (Effekte nach sechs Monaten) im April 2023 abzuwarten.
Kommt die Evaluation zu einem positiven Ergebnis, kann das neue Psycho-Adipositas-Konzept zeitnah als Regelleistung der Deutschen Rentenversicherung angeboten werden.
Take-Home-Message
Für Menschen mit Adipositas und komorbiden psychischen Belastungen erscheint eine intensivierte psychologische Mitbetreuung im Rahmen einer stationären somatischen Rehamaßnahme relevant und hilfreich zu sein.
Literatur
Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V., Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V., Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V. (Hrsg.) (2014). Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ (2. Aufl.).
Schwandt, H.-J., Hillebrand, R. (2014). Psycho-diabetologisches Rehabilitationskonzept (Version 2.0.) - Unveröffentlichtes Konzept, Bad Driburg: Klinik Rosenberg/Institut für Rehabilitationsforschung Norderney, Abteilung Bad Driburg.
Visscher TL. & Seidell, JC. (2001). The public health impact of obesity. Annu Rev Public Health; 22:355-337.
Wirth, A. & Hauner, H. (2013). Adipositas. Springer (Verlag).
Hintergrund und Zielstellung
Bei unseren Patienten fand sich bei Patienten mit fortgeschrittenem Typ 2 Diabetes in 70% eine Adipositas bis Grad 3, in 90% Übergewicht. Primär adipöse Patienten waren fast durchgehend Grad 3. Besteht bereits ein Diabetes mellitus Typ 2, so ist das Risiko, an einer Depression zu erkranken, um den Faktor 2 erhöht. 20-25% der Typ-2-Diabetiker leiden unter einer Depression (Anderson R. J. et al., 2001; Nouwen A. et al., 2010). Das Vorliegen einer Depression beeinträchtigt die Therapieadhärenz und damit den Verlauf der Erkrankung. Bei neu diagnostiziertem Diabetes führen psychische Komorbiditäten am häufigsten zu erhöhten Arbeitsunfähigkeitszeiten und Frühberentungen (Virtanen, M., 2015). Wir untersuchten daher die psychische Belastung von Patienten mit diesen Erkrankungen, die aufgrund besonderer beruflicher Problemlagen (BBPL) in das MBOR-Programm der Staufenburg Klinik eingeschlossen wurden.
Methoden
565 Patienten mit fortgeschrittenem Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas (n=266), wurden in den Jahren 2019 bis 09/2022 in die Querschnittsuntersuchung eingeschlossen. Der Einschluss erfolgte, wenn die Patienten bei Aufnahme die SIMBO C Kriterien (6 Mo AU oder Überzeugung, nicht mehr im Beruf arbeiten zu können) erfüllten. Als Kontrolle wurden Patienten mit chronischer Nierenerkrankung erfasst (Dialyse, Nierentransplantation, präterminale Niereninsuffizienz ohne komplizierten Diabetes mellitus Typ 2; n=299). Im Rahmen des MBOR Programms führten die Patienten Psychoassessments in Form von Questionnaires durch (u.a. BDI II und DASS-21), die psychische Belastung und Therapieempfehlungen wurde in psychologischen Einzelgesprächen ermittelt. Die Einwilligung zur Datenerfassung wurde bei allen Patienten eingeholt. Für die statistische Analyse wurde ANOVA verwendet.
Ergebnisse
63% der eingeschlossenen MBOR Patienten waren Männer und 37% Frauen im berufstätigen Alter. Der mittlere BDI-II-Wert (Cut-off 9) bei den Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 lag bei 18,74, bei adipösen Patienten bei 18,14 und bei Patienten mit Nierenerkrankung bei 17,75. 28,5% der Diabetiker hatten einen BDI II Wert von über 25, Adipöse von 26,3 % und Nierenpatienten in 27,3%. Die Mittelwerte des DASS-21 Depression-Index lagen bei 6,42 bei Diabetes, 6,19 bei Adipösen und 5,59 bei Nierenpatienten. Der Anteil der Patienten mit einem DASS-21 Depression Cut off von >10 lag bei 20,5% bei Diabetikern, bei 23,6% bei Adipösen und 19,1 % bei Nierenpatienten. Der Mittelwert für die Dimension „Angst“ beim DASS-21 lag bei 4,59 bei Diabetikern, bei 4,26 bei Adipösen und 4,31 bei Nierenpatienten. Weiterführende Empfehlungen der psychologischen Abteilung für Psychotherapie (Beratung, ambulante und stationäre Therapie) lag bei 46% bei Diabetikern, 54% bei Adipösen (p>0.01) und 41% bei Nierenpatienten. Im Mittel aller eingeschlossenen MBOR-Patienten lag dieser Wert bei 47%.
Diskussion und Fazit
Diabetiker, Adipöse und Patienten mit Nierenerkrankung mit BBPL und MBOR-Behandlung weisen eine hohe Rate psychischer Komorbiditäten auf. Wichtiger als der Mittelwert des BDI ist, dass über ein Viertel dieser Patienten mit einem BDI > 25 eine mind. mittelschwere Depression zeigt. Eine Mehrheit dieser Patienten berichtet über keine oder eine nicht ausreichende psychologische (Vor-)Behandlung. Dementsprechend liegt die Empfehlungsrate für weiterführende psychologische Therapien im Anschluss der Rehabilitation bei 47%, bei Adipösen deutlich höher bei 54%. Nierenpatienten sind weder adipös, noch steht bei ihnen der Diabetes im Vordergrund. Ihre Werte der Psychoassessments lagen tendenziell etwas niedriger, unterschieden sich im klinischen Alltag aber nicht wesentlich von den Werten der anderen Patientengruppen. Dies hängt mit der hohen psychosozialen Belastung auch dieser Patientengruppe zusammen. BBPL sind bei Diabetikern, Adipösen und Nierenpatienten mit einem hohen Maß an psychologischen Belastungen verbunden. Inwieweit die psychischen Belastungen die Auslöser für die BBPL oder die Folge davon sind, kann hier nicht beantwortet werden.
Take-Home-Message
Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass für Patienten mit Stoffwechselkrankheiten eine verhaltensmedizinisch-orientierte Rehabilitation (VOR) mit hohen psychologischen Therapieanteilen sinnvoll und notwendig und eine Fokussierung allein auf somatische Aspekte der Diabeteseinstellung oder Gewichtsreduktion nicht ausreichend ist.
Literatur
Anderson RJ, Freedland KE, et al.: The prevalence of comorbid depression in adults with diabetes: a meta-analysis. Diabetes Care. 2001 Jun;24(6):1069-78.
Nouwen A, Winkley K, et al.: Type 2 diabetes mellitus as a risk factor for the onset of depression: a systematic review and meta-analysis. Diabetologia. 2010 Dec;53(12):2480-6
Virtanen M, Kivimäki M, et al.: Lifestyle-related risk factors and trajectories of work disability over 5 years in employees with diabetes: findings from two prospective cohort studies. Diabet Med. 2015 Oct;32(10):1335-41.
Hintergrund und Zielstellung
Ziel der Rehabilitation bei positiver Erwerbsprognose ist die nachhaltige Reintegration in das
Arbeitsleben. Dafür bedarf es eines systematischen und kontinuierlichen Return to Work (RTW) Prozess. Der Prozess beginnt möglichst frühzeitig während der noch andauernden Arbeitsunfähigkeit, begleitet die Behandlung und Rehabilitation und endet mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit.
In einer immer älter werdenden Bevölkerung sowie mit Blick auf potenzielle Langzeitfolgen
der Pandemie, ist RTW ein Thema, das an Aktualität nicht verliert. Unterstrichen wird der Stellenwert des RTW durch eines der Regulierungsziele des Bundesteilhabegesetzes, Übergängen in dauerhafte Erwerbsminderung vorzubeugen.
Der RTW-Prozess hat mit den behandelnden Haus- und Fachärzten, der Rehabilitationseinrichtung, den Akteuren der betrieblichen Sphäre und dem Rehabilitanden selbst viele Schnittstellen. Die Zusammenarbeit an diesen ist entscheidend für die Entwicklung
des RTW-Prozess. In diesem Beitrag soll der Stellenwert die Kommunikation unter den Akteuren erörtert werden.
Methoden
Die Bearbeitung erfolgt anhand einer Auswertung aktueller Gesetzgebung und juristischer Literatur sowie einer Zusammenschau ausgewählter Studien.
Ergebnisse
Ein frühzeitiger Austausch zwischen behandelnden Ärzten und betrieblichen Schlüsselakteuren wie Betriebsärzten ist ein relevanter Faktor für einen erfolgreichen RTW- Prozess. Studien zeigen, dass die Kommunikation und Zusammenarbeit an den Schnittstellen häufig nicht oder zumindest nicht reibungslos verläuft; es gibt Informations- und Kommunikationsdefizite bei allen Beteiligten. Infolgedessen leidet die Ergebnisqualität sowie die Wirtschaftlichkeit, sodass sich der RTW-Prozess als eigentlich systematischer und kontinuierlicher Prozess als ein sich wiederholendes und nicht auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtetes Verfahren darstellt. Dies kann erhebliche Verzögerungen bewirken und steht einer frühzeitigen und reibungslosen Rückkehr an den Arbeitsplatz entgegenstehen.
Diskussion und Fazit
Für eine nachhaltige Reintegration ins Arbeitsleben sollten die beruflichen Anforderungen bereits früh integriert werden. Wird der Arbeitsplatzbezug verstärkt, spielen Akteure der betrieblichen Sphäre, besonders die Betriebsärzte, eine große Rolle. Im Gegensatz zum behandelnden Arzt, weiß der Betriebsarzt um mögliche Gefährdungen am Arbeitsplatz. Er wirkt an der Gefährdungsbeurteilung mit, führt arbeitsmedizinische Untersuchungen sowie die arbeitsmedizinische Vorsorge durch (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. g, Nr. 2 ASiG), kennt die betrieblichen Organisationsstrukturen und die für den Prozess relevanten betrieblichen Akteure.
Die Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorge sind zu dokumentieren, dabei muss die
Patientenakte muss so ausgestaltet sein, dass ein unbeteiligter Dritter alles nachvollziehen kann. Im Sinne der Effektivität sollten diese Erkenntnisse nicht ungenutzt bleiben, sie können im RTW-Prozess fruchtbar gemacht werden. Eine Kommunikation zwischen behandelndem Arzt und Betriebsarzt, der es ermöglicht, einen möglichst engen Bezug der Maßnahmen zum Arbeitsplatz zu schaffen, trägt erheblich zur Effektivität des Prozesses bei. Ferner ist die medizinische Kompetenz Ausgangspunkt für eine Kontaktaufnahme und den Dialog mit behandelnden Haus-, Fach-, oder Klinikärzten sowie den betrieblichen Akteuren. Während die Gemeinsame Empfehlung „Reha-Prozess“ der BAR (GE Reha-Prozess) eine Empfehlung für betriebliche Akteure ausspricht, Nutzen aus der Auswertung von Ergebnissen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu ziehen (§ 17 Abs. 3 GE Reha-Prozess), sollten diese Ergebnisse der Vorsorge spiegelbildlich auch von den Rehabilitationseinrichtungen bzw. den behandelnden Ärzten im Rahmen der Behandlung genutzt werden. Eine Regelung dazu enthält die GE Reha-Prozess jedoch (noch) nicht, auch anderweitige Regelungen hierzu fehlen offenbar.
„Veränderungskultur fördern – Teilhabe stärken – Zukunft gestalten“, so lautet das Motto des
32. Reha-Kolloquium 2023. Auch im RTW-Prozess kann Bedarf gesehen werden, Veränderungskultur zu fördern, indem die Kommunikation zwischen den Akteuren noch stärker als bisher in den Blick genommen und gelebt wird. Grundsätzlich erfordert Veränderungskultur Veränderungsbereitschaft, Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbedingungen. Für den RTW-Prozess ist das zum einen der Handlungsauftrag der Akteure, der sich aus den leistungsrechtlichen Rahmen ergibt, als Veränderungsfähigkeit und zum anderen die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie den zugewiesenen Rollen der Akteure als Veränderungsbedingungen.
Es könnten Regelungen mit normativer Wirkung zur überbetrieblichen Vernetzung in Form von Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren erforderlich sein. Wenngleich sich (noch) keine offensichtlichen Normen bezüglich der Kommunikation untereinander finden, kann zumindest schon jetzt an den Willen der Akteure appelliert werden, verstärkt zu kommunizieren und gemeinsam den RTW-Prozess zu seinem Idealbild des multiprofessionellen und dynamischen Prozess zu verhelfen. Denn ohne die Veränderungsbereitschaft kann es keine Veränderungskultur geben.
Take-Home-Message
Eine vertrauensvolle und wertschätzende Kommunikation und Zusammenarbeit der Beteiligten birgt viel Potenzial für einen effektiveren und nachhaltigeren RTW-Prozess.
Literatur
AfAMed, AME Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, S. 41
Knoche/Sochert, in: iga.Report 24, S. 53
Pohontsch/Deck, neuroreha 2011, 114 f.
Schröder/Schulz/Stegmann/Wegewitz, in: Tagungsband zur Jahrestagung DGAUM 2021, S. 140
Hintergrund und Zielstellung
Das Post-COVID-Fatigue Symptom beschreibt eines der häufigsten Langzeitsymptome unter einer SARS-CoV-2-Infizierung (Schlitt et al., 2021), das mit erheblichen Einschränkungen der Alltagsbewältigung und abzuleitenden psycho-physischen Belastungen einhergeht. Unter Anbetracht vorliegender Prävalenzdaten (Groff et al., 2021) wird ein Rehabilitationsbedarf erkannt. Häufig wurden bisherige Therapieprogramme auf das neue Patientenklientel übertragen, ohne Vorlage von Evidenzen für die Therapie. Daher bedarf es neuer evidenzgeprüfter Therapieprogramme, die die Wirksamkeit und Adaptivität für Post-COVID-Fatigue überprüfen.
Das Ziel umfasst die Analyse und Evaluierung des Post-COVID Rehabilitations-Programms (PCRP) der Dr. Becker Rhein Sieg Klinik zur Beurteilung von Veränderbarkeit einer Post-COVID-Fatigue und des Einflusses auf die körperliche Leistungsfähigkeit. Dabei soll die Wirksamkeit untersucht werden unter Vermeidung von Verschlechterung der Symptomatik bzw. einer Post-Exertional Malaise (PME) (Koczulla et al., 2021).
Methoden
Im Rahmen einer Masterarbeit am Institut für Sportwissenschaften der Georg August Universität Göttingen und der neurologischen Abteilung der Dr. Becker Rhein Sieg Klinik in Nümbrecht wurde ein interdisziplinäres Rehabilitationsprogramm für die Post-COVID Symptomatik konzipiert. Aus den Schwerpunkten Diagnostik, Sporttherapie, Entspannungsverfahren, Neuropsychologie, Diätberatung und weiterführenden Bereichen setzt sich schließlich das PCRP zusammen. Die Studie fokussiert sich hierbei auf die Analyse der Post-COVID-Fatigue. Dazu wurde ein subjektiver und ein objektiver Untersuchungsparameter verwendet. Zunächst wurde mittels der Fatigue Skala für Motorik (FSMC) die subjektive Wahrnehmung erfasst. Hierbei wurden die Veränderung der Gesamtscorewerte sowie die prozentuale Verteilung der Fatigue-Ausprägungsgrade bewertet. Fortlaufend wurde über den IPN-Test eine objektive Leistungsdiagnostik durchgeführt zur Bewertung der Ausdauerleistung. Des weiteren wurden die Watt-Leistungen alters- und geschlechtsabhängiger Soll-Leistungen als Normwertvergleich gegenübergestellt (Weisser, 2006). Das Versuchsprofil umfasst ein Pre-Posttest-Design.
Ergebnisse
Die Studie wurde im Zeitraum von Oktober 2021 bis Februar 2022 durchgeführt. Insgesamt konnten 18 Proband*innen rekrutiert werden, welche durchschnittlich eine vierwöchige Rehabilitation vollzogen. Dabei erreichten alle Patient*innen signifikant reduzierte FSMC-Werte (Pre: MW = 69,78; Post: MW = 58,5). Die prozentuale Verteilung zeigt zudem eine Verschiebung des Ausprägungsgrades in Reduzierungstendenz. Insbesondere die Gruppe der Kategorie „keine diagnostizierte Fatigue“ kann sich durch die Teilnahme am PCRP vergrößern (von 5,26% zu 26,32%). Dennoch bleibt die prozentual größte Gruppe in der Kategorie „schwere Fatigue“ bestehen (Pre: 63,16%; Post: 47,37%). Im IPN-Test haben 87,5% der Proband*innen ihre Ausdauerleistung steigern können, was jedoch keine Signifikanz trägt. Abschließend zeigt der Vergleich zu Normwerten in der Fahrradergonomie, dass Post-COVID Patient*innen deutlich unter alters- und geschlechtsabhängigen Soll-Leistungen liegen, sowohl vor als auch nach dem Programm.
Diskussion und Fazit
Die gewonnenen Daten belegen, dass Post-COVID-Fatigue durch das durchgeführte PCRP veränderbar ist. Zudem kann die Ausdauerleistung verbessert werden, was jedoch nicht innerhalb eines relevanten Unterschiedes einzuordnen ist. Insgesamt liegen Post-COVID-Fatigue Betroffene deutlich unter alters- und geschlechtsspezifischen körperlichen Soll-Leistungen. Zudem bleibt bei den meisten Patient*innen eine „schwere Fatigue“ trotz Rehabilitation bestehen. Abschließend bedarf es weiterer Forschung, größerer Stichprobenumfänge und ergänzenden Kontrollgruppen, um einen Rehabilitationsstandard aufbauen zu können.
Take-Home-Message
Interdisziplinäre Rehabilitationsprogramme können Post-COVID-Fatigue subjektiv verändern und nachhaltig beeinflussen.
Literatur
Groff, D., Sun, A., Ssentongo, A. E., Ba, D. M., Parsons, N., Poudel, G. R., Lekoubou, A., Oh, J. S., Ericson, J. E.,Ssentongo, P., Chinchilli, V. M. (2021). Short-term and Long-term Rates of Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 Infection: A Systematic Review. JAMA Network Open, 4(10).
Koczulla, A. R., Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Böing, S., Brinkmann, F., Frank, U., Franke, C., Glöckl, R. , Gogoll, C., Häuser, W., Hohberger, B., Huber, G., Hummel, T., Köllner, V., Krause, S., Kronsbein, J., Maibaum, T., Otto-Thöne, A., Pecks, U., Peters, E.M.J., Peters S., Pfeifer, M., Platz, T., Pletz, M., Powitz, F., Rabe, K.F., Scheibenbogen C., Schneider, D., Stallmach, A., Stegbauer, M., Tenenbaum, T., Töpfner N., von Versen-Höynck, F., Wagner, H.O., Waller, C., Widmann, C.N., Winterholler, C., Wirtz, H., Zwick, R. H. (2021). S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. Pneumologie (Stuttgart, Germany), 75(11), 869–900.
Schlitt, A., Schultz, K., & Platz, T. (2021). AWMF-Leitlinie: Rehabilitation nach einer COVID-19-Erkrankung. Deutsches Ärzteblatt, 118(15), 774–778.
Weisser, B. (2006). Bewegung und Sport im Seniorenalter unter sportmedizinischen Aspekten. Notfall & Hausarztmedizin, 32(08/09), 422–424.
Hintergrund und Zielstellung
Mit Beginn der Pandemie im März 2020 mussten viele Abläufe in deutschen Rehabilitationseinrichtungen an die geltenden Hygienemaßnahmen und -regeln angepasst werden, um die Sicherheit der Rehabilitand*innen bestmöglich zu gewährleisten (Deutsche Vereinigung für Rehabilitation, 2022). Dies betraf auch Rehabilitationsklini-ken, die sich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Skoliose speziali-siert haben. Kernstück der Rehabilitation ist die dreidimensionale Skoliosebehandlung nach Katharina Schroth (Lehnert-Schroth, Auner-Gröbl, 2021). Mit welchen Heraus-forderungen und organisatorischen bzw. therapeutischen Umstellungen die medizini-sche Rehabilitation von Skoliosepatient*innen konfrontiert war, wurde bisher nicht systematisch untersucht. Ziel der Studie war die Exploration von förderlichen und hinderlichen Faktoren für die Durchführung der medizinischen Rehabilitation bei Ju-gendlichen mit Skoliose während der SARS-CoV-2-Pandemie sowie die Ableitung von Empfehlungen für die zukünftige Praxis.
Methoden
Ein qualitatives Studiendesign mit leitfadengestützten, telefonischen Ex-pert*inneninterviews wurde gewählt. Es wurde je ein Leitfaden für die Interviews mit Jugendlichen und mit Physiotherapeut*innen erstellt. Beide Leitfäden waren ähnlich aufgebaut und umfassten Erzählungen über einen typischen Rehabilitations- bzw. Arbeitstag, Infektionsängste oder subjektive positive und negative coronabedingte Veränderungen. Die Jugendlichen wurden zusätzlich zu Veränderungen in der Frei-zeitgestaltung, zum Informationsmanagement und zu schulbezogenen Erfahrungen befragt. Der Leitfaden für die Physiotherapeut*innen umfasste zudem Veränderun-gen auf organisatorischer Ebene. Allen Teilnehmenden wurden die Interviewthemen zur besseren Erinnerungsfähigkeit mindestens 24 Stunden vor dem Interview mitge-teilt. Die Rekrutierung erfolgte über unterschiedliche Social-Media-Kanäle wie Insta-gram oder Facebook, vor Ort in Rehabilitationskliniken, über Skoliose-Selbsthilfeorganisationen, ambulant tätige Schroth-Therapeut*innen sowie persönli-che Kontakte. Die Auswertung folgte der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring mit induktiver Kategorienbildung (Mayring, 2015).
Ergebnisse
Es wurden Interviews mit zwölf Jugendlichen und sieben Physiotherapeut*innen geführt. Die zehn weiblichen und zwei männlichen Jugendlichen waren im Mittel 17,0 Jahre (SD: 1,2) alt. Bei den Physiotherapeut*innen waren die zwei Frauen und fünf Männer durchschnittlich 43,1 Jahre (SD: 3,7) alt. Die Berufsbezeichnungen Sport-wissenschaftler*in, Physiotherapeut*in, Masseur*in und medizinische Bademeister*in sowie Sportlehrer*in wurden im Mittel vor 17,0 Jahren (SD: 5,4) erlangt.
Für 83 % der Jugendlichen (J) und 71 % der Therapeut*innen (T) war die Therapiegestaltung unter Berücksichtigung individueller Patient*innenbedürfnisse ein förderli-cher Faktor. Ebenfalls förderlich waren z. B. die individuellere Betreuung und Korrek-tur der Patient*innen in kleineren Therapiegruppen (J: 42 %, T: 100 %), die Thera-piedurchführung im Freien, um die Therapie ohne Mund-Nasen-Schutz zu ermögli-chen (J: 50 %, T: 71 %), das gute Informationsmanagement (J: 92 %, T: 29 %), ein weiterhin bestehendes Freizeitangebot (J: 67 %, T: 14 %) und ein hohes Sicher-heitsempfinden (J: 100 %, T: 100 %). Infektionen wie z. B. Magen-Darm-Erkrankungen traten aufgrund des Hygienekonzepts seltener auf (J: 8 %; T: 43 %). Für 75 % der Jugendlichen war förderlich, dass das häusliche Umfeld keine Bedenken bzgl. der Rehabilitation während der SARS-CoV-2-Pandemie hatte.
Als hinderlich wurden beispielsweise die erhöhte Anstrengung durch die Masken-pflicht (J: 92 %, T: 71 %), weniger Kommunikation und ein distanziertes Verhältnis zwischen Patient*innen und Therapeut*innen (J: 33 %, T: 100 %) oder die verkürzten Therapiezeiten (J: 67 %, T: 71 %) genannt. Der Aufbau sozialer Kontakte war für 75 % der Jugendlichen erschwert. Die Therapeut*innen empfanden fehlende soziale Kontakte zu Kolleg*innen durch z. B. unterschiedliche Pausenzeiten (57 %) und den Personalmangel (43 %) als hinderlich.
Diskussion und Fazit
Für eine gelungene Rehabilitation unter Pandemiebedingungen sollte darauf geachtet werden, dass die Therapiegruppen klein sind. Wenn möglich, sollte die physiothera-peutische Behandlung (Schroth-Therapie) aufgrund der Übungsintensität ohne Mund-Nasen-Schutz durchgeführt werden. Der Aufbau sozialer Kontakte unter den Jugendlichen sollte bestmöglich unterstützt werden. Das Freizeitangebot sollte um-fangreich sein und ausreichend Kapazitäten bieten. Durch die Hygienemaßnahmen wie z. B. regelmäßige Händedesinfektion traten wenig Erkrankungen wie z. B. Ma-gen-Darm-Infektionen auf, sodass diese Maßnahmen beibehalten werden sollten.
Take-Home-Message
Insgesamt gab es wenig Einschränkungen bei der Schroth-Therapie im Rahmen der medizinischen Rehabilitation während der SARS-CoV-2-Pandemie. Die Jugendlichen fühlten sich sicher und gut informiert. Die pandemiebedingten kleineren Gruppengrö-ßen erhöhten die Qualität der Therapie stark. Der Aufbau sozialer Kontakte von Ju-gendlichen sollte bestmöglich unterstützt werden.
Literatur
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) (2022): Ergebnisse. Themenfeld 1. Gesundheitsversorgung und Medizinische Rehabilitation. URL: https://www.dvfr.de/ arbeitsschwerpunkte/projektberichte/, Abruf: 18.09.2022.
Lehnert-Schroth, C., Auner-Gröbl, P. (2021): Dreidimensionale Skoliosebehandlung. Atmungs-Orthopädie System Schroth (9. Aufl.). München: Elsevir.
Mayring, P. (2015): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken (12. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Hintergrund und Zielstellung
Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass etwa 40 % der PatientInnen in der kardiologischen Rehabilitation eine besondere berufliche Problemlage (BBPL) aufweisen (Salzwedel et al., 2019). Die fördernden Faktoren und Hindernisse des beruflichen Wiedereinstiegs (RTW, engl. return to work) sind quantitativ gut untersucht. In dieser Arbeit sollten die Faktoren, die die subjektiven Berufsaussichten von PatientInnen in der kardiologischen Anschlussheilbehandlung (AHB) bestimmen, identifiziert und beschrieben werden. Daraus sollten Impulse für ein patientInnenzentriertes Vorgehen in der AHB abgeleitet werden.
Methoden
In einer qualitativen, monozentrischen Interviewstudie wurden insgesamt 20 PatientInnen mit und ohne BBPL in der kardiologischen AHB mittels teilstandardisierter Leitfäden befragt, um die subjektiven Erwerbserwartungen zu eruieren und die PatientInnenperspektive besser zu verstehen. Die Interviews wurden tonaufgezeichnet, transkribiert und softwaregestützt codiert. Die Auswertung erfolgte mittels der thematischen Analyse.
Ergebnisse
Zu den sieben identifizierten Schlüsselthemen gehörten die krankheitsbezogenen Vorerfahrungen sowie Zukunftsvorstellungen als perspektivische Einflussfaktoren. Außerdem wurden interne und externe Aspekte, darunter die Gesundheitswahrnehmung (inkl. Belastbarkeitseinschätzung), die Veränderbarkeit der Arbeitsbedingungen und die Angst, erneut zu erkranken, als bedeutsame Themen ermittelt. Die PatientInnen gaben an, in das Berufsleben zurückkehren zu wollen und schätzten sich nicht mehr als krank ein, obgleich das kardiologische Ereignis zu einer wahrgenommenen Notwendigkeit für Lebensstil- und Prioritätenänderungen geführt hat. Sie zeigten eine hohe Selbsterwartung und Pflichtgefühle, hatten jedoch noch keinen konkreten RTW-Plan. Die PatientInnen waren sich dennoch sicher, sich Zeit dafür nehmen zu wollen und fühlten sich durch das soziale Umfeld, u. a. Familie und Kollegium, durch eine Priorisierung der Gesundheit und Einräumen von Zeit zur Genesung unterstützt.
Diskussion und Fazit
Gemäß der Theorie des Wachstums durch Widrigkeiten von Joseph und Linley (2005) können kardiologische Ereignisse zu Wachstum im Sinne positiver Veränderungen führen. Dieses ist durch verbesserte Beziehungen sowie eine veränderte Selbstwahrnehmung und Lebensphilosophie gekennzeichnet. Bei den Befragten deuten die erhöhte Selbsterwartung, die familiäre und kollegiale Unterstützung sowie die wahrgenommene Notwendigkeit von Lebensstilveränderungen auf ein solches Wachstum nach dem kardiologischen Ereignis hin.
Unter Berücksichtigung von van Bulcks Konzept der Krankheitsidentität (2019) als Maß dafür,
wie beispielsweise die kardiologische Erkrankung in die Identität der PatientInnen integriert
ist, zeigte sich, dass die PatientInnen größtenteils die Vereinnahmung und Ablehnung ihrer Er-
krankung überwunden hatten. Sie akzeptierten diese meist schon als Teil ihrer Selbst und zogen allmählich positive Konsequenzen hinsichtlich ihres Lebensstils und ihrer Prioritäten.
Um einen RTW umzusetzen, ist gemäß der Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen
(1991) die zugrundeliegende Intention besonders bedeutsam.4 Demnach wird diese durch Ein-
stellungen hinsichtlich der Vor- und Nachteile des geplanten Verhaltens (Selbsterwartung),
subjektive Normen (Pflichtgefühle) und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (sich nicht
als krank einordnend) beeinflusst. Letztere wird im Zusammenhang mit dem Konzept der
Selbstwirksamkeit, die als wahrgenommene Bewältigungsfähigkeit definiert ist, betrachtet.
Im Hinblick auf die Bereitschaft für den RTW nach Franche und Krause (2002) können die
Befragten der vorliegenden Studie in die Phase des Erwägens eingeordnet werden. Hierbei
wird der RTW in naher Zukunft in Betracht gezogen, ohne ihn jedoch aktiv zu planen. Zur
Unterstützung der fehlenden RTW-Planung, bietet sich ein Vorgehen nach SMART-Kriterien
(engl. specific, measurable, achievable, realistic/relevant, timed) an.
Take-Home-Message
Für PatientInnen mit einer BBPL empfiehlt sich eine salutogenetische, individualisierte und lösungsorientierte Perspektive. Mit einer initialen Bedarfsermittlung von erwerbsorientierten Aktivierungsimpulsen für Bewältigungsressourcen, über die Eruierung der Intention, Krankheitsidentität, Bereitschaft und Zielsetzung, bis hin zur erneuten Bedarfsermittlung ergibt sich eine konkrete Handlungsabfolge, die auf die Anwendung und Prüfung in der (Rehabilitations-) Praxis wartet.
Literatur
Salzwedel A, Reibis R, Hadzic M, Buhlert H, Völler H. Patients’ expectations of re-turning to work, co-morbid disorders and work capacity at discharge from cardiac rehabilitation. Vascular Health and Risk Management 2019; 15: 301–309.
Joseph S und Linley PA. Positive Adjustment to Threatening Events: An Organismic Valuing Theory of Growth through Adversity. Review of General Psychology 2005; 9: 262–280.
van Bulck L, Luyckx K, Goossens E, Oris L, Moons P. Illness identity: Capturing the
influence of illness on the person's sense of self. Eur J Cardiovasc Nurs 2019; 18: 4–6.
Ajzen I. The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes 1991; 50: 179–211.
Franche RL, Krause N. Readiness for Return to Work Following Injury or Illness: Conceptualizing the Interpersonal Impact of Health Care, Workplace, and Insurance
Factors. J Occup Rehabil 2002; 12: 233–256
Hintergrund und Zielstellung
Die berufliche Wiedereingliederung, auch Return to Work (RTW) genannt, ist ein wichtiges Ziel in der Medizinischen Rehabilitation muskuloskelettaler Erkrankungen. Um dieses Ziel messbar zu machen, gibt es jedoch keine vereinheitlichen Messinstrumente oder Erhebungsmethoden (Morfeld, 2011). Zudem führen verschiedene Erhebungsmethoden zu unterschiedlich hohen Effektschätzungen (Nübling et al., 2016; Streibelt & Egner, 2012). Dieses heterogene Vorgehen in den Rehabilitationswissenschaften erschwert den Vergleich zwischen unterschiedlichen Studien sowie die Berechnung gepoolter Effekte in Meta-Analysen (Schuler et al., 2019). Bislang fehlen jedoch genauere Angaben über die Vielfalt der in der Forschung tatsächlich verwendeten Operationalisierungen von RTW. In der vorliegenden Arbeit wurde das Ziel verfolgt, eine umfassende Übersicht über die in Studien verwendeten Erhebungsmethoden für RTW im Bereich der Medizinischen Rehabilitation für muskuloskelettale Erkrankungen in Deutschland zu geben.
Methoden
Zur Erstellung einer entsprechenden Übersicht wurde ein Scoping Review durchgeführt. Dieses wurde in Anlehnung an die PRISMA-Scr durchgeführt (Tricco et al., 2018). Folgende Einschlusskriterien wurden für die Primärstudien festgelegt: Personen im erwerbsfähigen Alter, Medizinische Rehabilitation im Indikationsbereich Orthopädie in Deutschland, Rekrutierungsbeginn ab 1998, Outcome mit Bezug zu RTW. Die Recherche nach deutsch- und englischsprachigen Studien im Zeitraum von 1998 bis April 2022 fand in den Datenbanken MEDLINE (PubMed), PSYNDEX, LIVIVO und PEDro statt. Darüber hinaus wurden das Deutsche Register Klinischer Studien (DRKS), Internetseiten von Förderern (z.B. Rentenversicherungsträger), Kongressbände und Literaturverzeichnisse relevanter Publikationen durchsucht. Zusätzlich wurden potenziell relevante Studien aus dem Projekt VEMA (Schuler et al. 2019) berücksichtigt.
Ergebnisse
Insgesamt konnten 1415 Studien aus Datenbanken identifiziert werden. Hinzu kamen
157 Studien aus der Arbeit von Schuler et al. (2019). Aus weiteren Datenquellen wurden 105 potenziell relevante Literaturstellen identifiziert. Nach der Entfernung von Duplikaten und dem Screening von Abstracts und Volltexten (k = 1061) wurden 103 Publikationen, die 87 Forschungsprojekten zugeordnet werden konnten, in das Review eingeschlossen.
Aus den 87 eingeschlossenen Projekten konnten 136 unterschiedliche Erhebungsmethoden für RTW identifiziert werden. Diese wurden anhand der Kriterien inhaltliche Konzeption, Skalierung (binär, kontinuierlich), Datenquelle (Patient*innendaten, Routinedaten) und Messzeitpunkte unterschieden. Inhaltlich wurden 7 Typen herausgestellt. Typ 1 (37% der Erhebungsmethoden) war die Erhebung der Arbeitsunfähigkeitsdauer, Typ 2 (32%) bestand aus der Angabe des
Erwerbsstatus. Eine Kombination aus dem Erwerbsstatus, der Arbeitsunfähigkeitsdauer und einer möglichen Angabe zum Rentenstatus oder der Rentenintention ergab Typ 3 („RTW in good Health“, 13%). Typ 4 (7%) waren Angaben zum Zeitverlauf bis zum Eintritt oder Wiedereintritt in ein Erwerbsverhältnis. Als Typ 5 (5%) wurde die Beschäftigungsdauer nach der Rehabilitation definiert und bei Typ 6 (4%) wurde RTW aus Angaben zu Sozialleistungen oder Entgelten ermittelt. Der 7. Typ war Stable Return to Work (1 %). Dieser wurde erreicht, wenn eine Person über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen erwerbstätig war und in dieser Zeit keine AU-Tage aufwies.
Innerhalb der Typen unterschieden sich die Erhebungsmethoden jedoch stark bezogen auf deren Skalierung, Datenquellen und Messzeitpunkte, sodass insgesamt lediglich 4 Erhebungsmethoden identifiziert werden konnten, die in mindestens 5 Projekten auf vergleichbare Weise operationalisiert wurden. Davon waren 3 Varianten des Erwerbsstatus (Typ 2), 2 Varianten der Arbeitsunfähigkeitsdauer (Typ 1) und eine Variante des RTW in good Health (Typ 3).
Diskussion und Fazit
In der deutschen Rehabilitationsforschung zu muskuloskelettalen Erkrankungen wird eine sehr große Vielfalt an Erhebungsmethoden für RTW verwendet. Da die Ergebnisse der meisten dieser Erhebungsmethoden sich nicht ohne weiteres ineinander überführen lassen, sind Vergleiche zwischen den Studien schwierig und Meta-Analysen wenig zielführend. Die Ergebnisse dieser Arbeit können eine Grundlage für methodische Überlegungen sein, wie in künftigen Studien die Erhebung
von RTW operationalisiert, weiterentwickelt und vereinheitlicht werden kann
Take-Home-Message
-
Literatur
Morfeld, M. (2011). Rückkehr an den Arbeitsplatz: Welche Bedeutung hat dieses Ziel und wie kann man seine Erreichung messen? In Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) (Hrsg.), 20.
Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium (Bd. 93, S. 223-225). Bochum: Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV),.
Nübling, R., Kaluscha, R., Krischak, G., Kriz, D., Martin, H., Müller, G. et al. (2016). Return to Work nach stationärer Rehabilitation – Varianten der Berechnung auf der Basis von Patientenangaben und Validierung durch Sozialversicherungs-Beitragszahlungen. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 26(06), 293-302. 10.1055/s-0042-117282
Schuler, M., Murauer, K., Stangl, S., Grau, A., Gabriel, K., Podger, L. et al. (2019). Pre-post changes in main outcomes of medical rehabilitation in Germany: protocol of a systematic review and meta-analysis of individual participant and aggregated data. BMJ Open, 9(5), e023826. 10.1136/bmjopen-2018-023826
Streibelt, M. & Egner, U. (2012). Eine Meta-Analyse zum Einfluss von Stichprobe, Messmethode und Messzeitpunkt auf die berufliche Wiedereingliederung nach beruflichen Bildungsleistungen. Rehabilitation, 51(06), 398-404. 10.1055/s-031-1291283
Tricco, A. C., Lillie, E., Zarin, W., O'Brien, K. K., Colquhoun, H., Levac, D. et al.
(2018). PRISMA Extension for Scoping Reviews (PRISMA-ScR): Checklist
and Explanation. Annals of Internal Medicine, 169(7), 467-473. 10.7326/m18- 0850
Hintergrund und Zielstellung
n internationalen Vereinbarungen wird betont, dass der Arbeitsplatz ein bedeutendes Setting ist, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu stärken (European Network for Workplace Health Promotion [ENWHP], 1997; World Health Organisation [WHO], 1986). Dennoch ist die Verbreitung und Inanspruchnahme von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in Deutschland nach wie vor gering - trotz der wissenschaftlichen Absicherung ihrer Effektivität und des Inkrafttretens des Präventionsgesetzes im Jahr 2015 (Hollederer, 2021). Der Forschungsstand zeigt, dass deutlich mehr Aufwand betrieben werden muss, um die Verbreitung und Inanspruchnahme von qualitativ hochwertigen BGF-Maßnahmen in deutschen Betrieben zu implementieren (Hoge et al., 2019). Dafür ist weiteres Wissen über Faktoren der Inanspruchnahme in der heterogenen deutschen BGF-Landschaft notwendig.
Das kumulative Dissertationsvorhaben zielt darauf ab Wissen zu umweltbezogenen (kontextuellen) und personellen (individuellen) Faktoren der Inanspruchnahme von BGF-Maßnahmen in deutschen Unternehmen zu generieren. Das Verhaltensmodell der Ver- sorgungsinanspruchnahme nach Andersen (Andersen, 1995) bildet hierbei die theoretische Basis und die Erkenntnisse der Datenanalysen werden darin integriert.
Methoden
Zur Realisierung des Vorhabens werden drei Datenquellen genutzt. Erstens werden qualitative Interviews mit acht Betriebsärzt:innen inhaltsanalytisch ausgewertet (1). Die Betriebsärzt:innen werden zu Faktoren der Inanspruchnahme eines randomisiert-kontrollierten Muskelskelettprogramms in 22 Betrieben befragt. Zweitens werden BGF-Inanspruchnahme und Faktoren der Inanspruchnahme von Führungskräften (n=179) eines IT-Unternehmens anhand einer Fragebogenstudie im Mixed-Methods-Format untersucht (2). Drittens werden aus dem Prä-Post-Vergleich eines betrieblichen Achtsamkeitstrainings für Führungskräfte (n=56) theoretische und praktische Implikationen für die Förderung der Inanspruchnahme von BGF-Maßnahmen gezogen (3).
Ergebnisse
Vorläufige Ergebnisse: Aus betriebsärztlicher Sicht sind vielfältige Faktoren auf kontextueller
und individueller für das Gesundheitsverhalten, die BGF-Inanspruchnahme und deren Outcomes relevant (1). Mehr als die Hälfte der befragten IT-Führungskräfte haben noch nie an BGF- Maßnahmen teilgenommen. Teilnahmebarrieren sind die Arbeitsbelastung sowie ein Mangel an Zeit, Informationen und Bedarf (2). Das Aufzeigen des objektiven Nutzens und der erlebte subjektive Nutzen des Achtsamkeitstrainings sollen hinsichtlich der Förderung der Inanspruchnahme von BGF diskutiert werden (3). Die vorläufigen Analysen zeigen, dass sich die empirischen Ergebnisse zum Teil in Andersens Modell einordnen lassen, jedoch mit anderen Theo-
rien angereichert und diskutiert werden müssen.
Diskussion und Fazit
Das Projekt deutet auf vielfältige Faktoren der Inanspruchnahme von BGF-Maßnahmen in deutschen Betrieben hin. Das Projekt knüpft am Forschungsstand an, indem es explorative Erkenntnisse zu umweltbezogenen Faktoren (z.B. Arbeitsbedingungen) sowie individuellen Faktoren der BGF-Inanspruchnahme aus Sicht verschiedener Zielgruppen beiträgt. Auf praktischer Ebene kann das Promotionsprojekt Handlungsempfehlungen dazu geben, was bei der weiteren Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagements beachtet werden muss und wie die Inanspruchnahme von BGF-Maßnahmen gefördert werden kann.
Take-Home-Message
Die geringe Inanspruchnahme von BGF-Maßnahmen in deutschen Unternehmen erfordert eine weitere theoriebasierte Anreicherung des Forschungsstands anhand empirischer Daten zu umweltbezogenen sowie individuellen Faktoren aus Sicht verschiedener betrieblicher Akteur:innen.
Literatur
Andersen, R. M. (1995). Revisiting the Behavioral Model and Access to Medical Care: Does
it Matter? Journal of Health and Social Behavior, 36(1), 1. https://doi.org/10.2307/2137284
European Network for Workplace Health Promotion. (1997). Luxembourg Declaration on
Workplace Health Promotion in the European Union. Luxembourg. https://www.en-
whp.org/resources/toolip/doc/2018/05/04/luxembourg_declaration.pdf
Hoge, A., Ehmann, A. T., Rieger, M. A. & Siegel, A. (2019). Caring for Workers' Health: Do
German Employers Follow a Comprehensive Approach Similar to the Total Worker Health Concept? Results of a Survey in an Economically Powerful Region in Germany. International journal of environmental research and public health, 16(5). https://doi.org/10.3390/ijerph16050726
Hollederer, A. (2021). Betriebliche Gesundheitsförderung in Deutschland für alle? Ergebnisse der BIBB-/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 [Workplace Health Promotion in Germany for All? Results of the 2018 BIBB/BAuA survey of Employed People]. Gesundheitswesen (Bundesverband der Arzte des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany). Vorab-Onlinepublikation. https://doi.org/10.1055/a-1658-0125
World Health Organisation. (1986). Ottawa Charter for Health Promotion: First International
Conference on Health Promotion Ottawa, 21 November 1986. https://www.healthpro-
motion.org.au/images/ottawa_charter_hp.pdf
Hintergrund und Zielstellung
Viele Betroffene sehen sich nach der akuten Phase ihrer Covid-19-Erkrankung mit anhaltenden und vielfältigen Symptomen konfrontiert (Alkodaymi et al., 2022). Diese persistierenden Krankheitsfolgen beeinträchtigen den Alltag der Betroffenen (Office For National Statistics, 2022), zu dem auch die Teilhabe am Erwerbsleben zählt. Bislang gibt es lediglich erste Hinweise darauf, dass Long-Covid-Patient*innen mit einer verminderten selbstberichteten Arbeitsfähigkeit in das Berufsleben zurückkehren, so sie denn überhaupt ihre Erwerbsarbeit wieder aufnehmen (Lemhöfer et al., 2021). Hieraus ergibt sich die Fragestellung, ob Corona-Symptome einem nahtlosen Übergang in das Berufsleben nach einer Rehabilitationsmaßnahme entgegenstehen und den subjektiven Gesundheitszustand nach 6 Monaten beeinflussen.
Methoden
Die Daten entstammen der multizentrischen Beobachtungsstudie „Medizinische Rehabilitation nach einer Corona Erkrankung / Re_Co“ (Rutsch et al., 2021). In der vorliegenden Analyse wurden die Daten von Rehabilitand*innen im Heilverfahren untersucht, die zu drei Messzeitpunkte befragt wurden (vor und nach der Reha sowie 6 Monate nach der Reha). Für die berufsbezogenen Auswertungen wurden die aktuell berufstätigen Teilnehmer*innen analysiert (N=173). Für Fragen zur subjektiven Gesundheit und der Bewertung des Reha-Erfolgs wurde die gesamte Stichprobe berücksichtigt (N=215).
Mithilfe eines standardisierten Fragebogens wurden gesundheitliche Beeinträchtigungen, u.a. Corona-Symptome, Lebensqualität und Teilhabe erfasst. Berufsbezogene Fragen betreffen u.a. die Rückkehr zur Arbeit, das berufliche Risiko (SPE-Skala, %) und die beruflichen Belastungen.
Ergebnisse
In unserer Stichprobe sind 81% (N=173) der Studienteilnehmer*innen erwerbstätig. Vergleichbar zur Gesamtstichprobe sind 68% der Rehabilitand*innen weiblich und im Durchschnitt 53 Jahre alt.
Es existieren größtenteils signifikante Zusammenhänge (zw. p < 0.01 und p < 0.05) zwischen dem verbleibenden Ausmaß der Corona-Symptome am Ende der Reha und der Rückkehr in den Beruf sechs Monate nach der Reha. Ähnliche Befunden zeigen sich bei dem Risiko aus dem Beruf auszuscheiden, das im größtenteils signifikanten Zusammenhang (zw. p < 0.01 und p < 0.05) zur Symptomlast am Reha-Ende steht.
Bei den beruflichen Belastungen beschreiben Betroffene, die zum Ende der Reha in drei Symptomkategorien hohe Ausprägungen aufweisen, ihren Beruf signifikant häufiger als belastend (Symptome-LM: p < 0.01; Symptome-KOG: p < 0.01; Symptome-AND: p < 0.01). Es zeigen sich für die meisten Corona-Symptome auch signifikante Zusammenhänge mit der subjektiven Gesundheit (p < 0.01 bzw. p < 0.05). Je höher die Symptome am Ende der Rehabilitation ausfallen, desto schlechter werden Teilhabe, Lebensqualität und psychisches Befinden nach sechs Monaten bewertet. Am Ende der Reha stärker ausgeprägte Symptome führen zu einer signifikant ungünstigeren Beurteilung des Reha-Erfolgs (p < 0.01).
Diskussion und Fazit
Auch in unserer Stichprobe sind, wie in anderen Studien berichtet, die Krankheitssymptome nach einer Covid-19-Erkrankung äußerst heterogen (Alkodaymi et al., 2022; Lopez-Leon et al., 2021) und für die Betroffenen extrem belastend. Sie beeinträchtigen das gesamte Alltagsleben und führen zu familiären, sozialen und beruflichen Einschränkungen.
Da Symptome, die über das Ende der medizinischen Reha hinweg persistieren, einen großen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und das berufliche Risiko der Covid-19-Erkankten haben, sollte die Rehabilitationsmaßnahme auf eine Symptomreduktion abzielen, um die gewünschte Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Gleichzeitig sollte eine begleitende Nachsorge die Symptomreduktion stabilisieren, um die Rückkehr in den Beruf zu sichern.
Take-Home-Message
Anhaltende Corona-Symptome können nach der Rehabilitation die berufliche Leistungsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit und die subjektiv erlebte Gesundheit beeinflussen. Sowohl in der Rehabilitation als auch in der Reha-Nachsorge sollte die Symptomreduktion im Fokus stehen, um nachhaltige Beeinträchtigungen in Teilhabe und Lebensqualität zu verhindern.
Literatur
Alkodaymi MS, Omrani OA, Fawzy NA, Shaar BA, Almamlouk R, Riaz M, Obeidat M, Obeidat Y, Gerberi D, Taha RM, Kashour Z, Kashour T, Berbari EF, Alkattan K, Tleyjeh IM (2022). Prevalence of post-acute COVID-19 syndrome symptoms at different follow-up periods: a systematic review and meta-analysis. Clin Microbiol Infect, 28(5), 657-666.
Lemhöfer C, Best N, Gutenbrunner C, Loudovici-Krug D, Teixido L, Sturm C (2021). Gefühlte und reale Arbeitsfähigkeit von Patient*innen mit Post-COVID Symptomatik nach mildem Akutverlauf: eine Analyse des Rehabilitation Needs Questionnaire (RehabNeQ). Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 54(03), 151-158.
Lopez-Leon S, Wegman-Ostrosky T, Perelman C, Sepulveda R, Rebolledo PA, Cuapio A, Villapol S (2021). More than 50 long-term effects of COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Sci Rep, 11(1).
Office For National Statistics. (2022). Prevalence of ongoing symptoms following coronavirus (COVID-19) infection in the UK: 1 September 2022. statistical bulletin.
Rutsch M, Frommhold J, Buhr-Schinner H, Djeiranachvili L, Gross T, Schüller PO, Katalinic A, Deck R (2021). Study protocol medical rehabilitation after COVID-19 disease: an observational study with a comparison group with obstructive airway disease / Re_Co. BMC Health Services Research, 21(1), 373. doi:10.1186/s12913-021-06378-4
Hintergrund und Zielstellung
Das Alter gilt als ein wesentliches Risiko für einen schweren Verlauf der akuten Covid-19 Erkrankung. Ob „Alter“ auch einen Risikofaktor darstellt für die Entwicklung eines Long-/Post-Covid-Syndroms (PCS) wird kontrovers diskutiert: Während Sudre C.H. et al. (Nature Med. 2021) im Alter ein erhöhtes Risiko für persistierende Symptome sieht, hat sich dieses bei einer anderen Populationsstudie (ONS, 10/2022) nicht bestätigt. Der postakute Verlauf wird ferner beeinflusst von der Schwere der Akuterkrankung, Hospitalisierung, Intensivtherapie und Dekonditionierung. Der Rehabilitation kommt in der Behandlung des PCS eine besondere Bedeutung zu, daher haben sich fachübergreifend Abteilungen der MediClin Kliniken zusammengeschlossen, um anhand einer standardisierten Diagnostik und Therapiemodulen, eines web-basierten Konsilboards und Datendokumentation, die Versorgung des PCS zu optimieren.
Das PCS führt durch multiple Symptome bei Berufstätigen zu erheblichen Einschränkungen der Teilhabe am beruflichen, aber auch sozialen Leben. Wir untersuchten daher, ob sich die Symptomatik und Erkrankungsschwere des PCS zwischen Berufstätigen und Rentnern unterscheiden und welcher Behandlungsbedarf bei Rentnern mit PCS besteht.
Methoden
In einer prospektiven, offenen Multicenterbeobachtungsstudie wurden Rehabilitanden mit PCS eingeschlossen (n=515). Nach Einverständniserklärung wurden diese anhand einer standardisierten, gradierten Symptom-Checkliste befragt. Problembezogen werden validierte Tests und Therapiemodule eingesetzt und Aufnahme- und Entlassbefunde dokumentiert. Die Daten werden über ein Statistikinstitut anonym gesammelt und mittels ANOVA analysiert.
Ergebnisse
336 (65%) Berufstätige und 179 (35%) Rentner wurden eingeschlossen, 45% der Rentner und 55% der Berufstätigen waren weiblich. Das Altersmaximum bei Berufstätigen lag mit 48% bei 51-60 Jahren, bei Rentnern im Alter von 61 bis 70 Jahren mit 54%. 57% der Berufstätigen mit PCS wurden während der Akuterkrankung ambulant behandelt, 43% stationär und nur 18% auf Intensivstation, dagegen waren nur 25% der Rentner ambulant, 75% stationär, 32% intensiv und 15% beatmet. Der Median der Aufnahme zur stationären Rehabilitation betrug 33 Wochen nach Infekt bei Berufstätigen und 16 Wochen bei Rentnern. 50 Wochen nach Primärinfekt gab es nur noch vereinzelt Rentner mit PCS.
64% der Berufstätigen nannten Symptome aus 3-5 Symptomgruppen, und nur 32% Symptome aus 1 oder 2 Gruppen. Rentner beklagten nur in 32% 3-5 Gruppen und 1 oder 2 Gruppen in 59%. An Symptomen beklagten Berufstätige und Rentner gleichermaßen in 80% bzw. 79% Dyspnoe sowie Leistungsminderung in 93% bzw. 90%, andere Symptome wurden von Rentnern signifikant weniger beklagt, Hyposmie 20% vs. 36% bei Berufstätigen, Kognitionsdefizite 63% vs. 81%, Depression 27% vs. 49%, Schlafstörungen 47% vs. 65%, Muskelschmerzen 41% vs. 60% (p < 0,001). Während des stationären Rehaaufenthaltes besserten sich körperlichen Leistungsfähigkeit und Dyspnoe erheblich bei Rentnern und Berufstätigen in vergleichbarem Umfang.
Diskussion und Fazit
Altersrentner finden den Weg in die stationäre Rehabilitation früher als Berufstätige, dies ist möglicherweise dem vergleichsweise höheren Anteil an schweren Verläufen mit stationärer Behandlung geschuldet. Diese Patienten profitieren womöglich von den etablierten Zuweisungswegen der klinischen Sozialdienste. Dyspnoe und körperliche Leistungsminderung stehen bei Aufnahme im Vordergrund, wobei Rentner und Berufstätige gleichermaßen von den positiven Effekten der Rehabilitation bei diesen Symptomen profitieren.
Andere typische PC Symptome wie Konzentrationsstörungen, Depression oder Muskelschmerzen u.a. werden von Rentnern signifikant weniger beklagt. Dies muss nicht bedeuten, dass Rentner kein „klassisches“ PCS erleiden, sondern kann auch Folge eines altersspezifischen Reporting oder der frühen Symptomatik sein. Nach schwerer Pneumonie muss auch mit einer verlängerten Erholungszeit gerechnet werden. Ältere Patienten mit Komorbiditäten wie z.B. Dialysepflichtigkeit erreichen auch 6 Monate nach einer Covid-19 Erkrankung nicht ihr früheres Leistungsniveau.
Take-Home-Message
Zusammenfassend profitieren Rentner stark von der Rehabilitation nach Covid-19 Erkrankung, wobei eine verlängerte Rekonvaleszenz nach schwerer Erkrankung berücksichtigt werden muss.
Literatur
1) MEDICLIN Studiengruppe: Bonnert J, Buergy R, Kaiber B, Krause S, Lammers SM, Mössinger B, Rosenblum K, Schmalenbach M, Siebler M, Trunzer P, van Erckelens F, Wagner J, Waldmann G, Witt T. MEDICLIN Reha Zentrum Reichshof, Deister-Weser-Klinik, Albert-Schweitzer- Klinik, Bosenberg-Kliniken, Fachklinik Rhein/Ruhr, Kraichgau-Klinik, Reha-Zentrum Gernsbach und Reha-Zentrum Bad Düben.
2) Sudre CH, Murray B, et al.: Attributes and predictors of long COVID. Nature Medicine (2021) vol. 27, p. 626–631
3) Office for National Statistics: Coronavirus (COVID-19) Infection Survey: Chapter Long Covid (latest update 06/10/22
4) Och A, Tylicki P et al.: Persistent Post-COVID-19 syndrome in hemodialyzed patients-A longitudinal cohort study from the North of Poland. (2021) J Clin Med. Sep 28;10(19):4451
Hintergrund und Zielstellung
Symptome einer COVID19-Infektion sind vielfältig und treten häufig multiorganisch auf (Crook et al., 2021). Der Versorgungsbedarf von Betroffenen ist ebenso vielfältig und sollte durch interdisziplinäre, ganzheitliche Versorgungskonzepte gedeckt werden. Dies betrifft die ambulante fachärztliche und Heilmittel-Versorgung, aber vorrangig die Rehabilitation. Zu den häufigsten Symptomen zählen Fatigue und kognitive Einschränkungen. Die Unterschiedlichkeit der Symptome erfordert einen multimodalen Behandlungsansatz (Kupferschmitt et al., 2022). Die verschiedenen Symptome nach einer COVID19-Infektion lassen sich jedoch meist nicht einer einzelnen Indikation zuordnen. So kann eine Reha-Fachabteilung zwar in Bezug auf die führende Symptomatik geeignet sein, deckt aber konzeptionell nicht die individuellen Behandlungsbedarfe ab. Wie gut ist das bestehende Rehabilitationssystem auf die besonderen Anforderungen der Long-COVID-Betroffenen vorbereitet?
Im Rahmen des vom bayerischen StMGP geförderten ASAP-Projekts (Dahmen et al., 2022) sollte ein Versorgungspfad entwickelt werden, der u.a. den individuellen Versorgungsbedarf nach COVID19-Infektion definiert. Hierzu wurden folgende Forschungsfragen untersucht:
1. Welcher Versorgungsbedarf besteht nach COVID19-Infektion?
2. Auf welche Indikationen bezieht sich der Versorgungsbedarf bei Post-/Long-COVID?
Methoden
Nach positivem Online-Screening auf Post-/Long-COVID nahmen zwischen Mai und Oktober 2022 N=63 Patient:innen am 3-tägigen interdisziplinären Assessment in der Dr. Becker Kiliani-Klinik teil (63,5% Frauen; Ø 43,5 Jahre, SD=12,2). Die Patient:innen durchliefen im Rahmen des stationären Assessment Diagnostik und Tests aus Kardiologie, Pulmologie, Neurologie, (Neuro-)Psychologie und Physiotherapie. Auf Grundlage der Ergebnisse wurde das Vorliegen eines Post-/Long-COVID-Syndroms verifiziert/falsifiziert und Empfehlungen für die weitere medizinische/therapeutische Versorgung formuliert. Die Patient:innen wurden während des gesamten Studienverlaufs, inklusive Assessment und Nutzung digitaler Angebote, durch Lots:innen unterstützt.
Ergebnisse
Das Assessment hat für N=60 der 63 Teilnehmenden die Annahme aus dem Screening, dass Long-COVID vorliegt, bestätigt. Es wurden für alle 63 Teilnehmenden Reha-Empfehlungen (Neurologie: 63,5%, Pulmologie: 6,4%, Psychosomatik: 22,2%, Neuropsychologie: 6,3%, Kardiologie: 1,6%) ausgesprochen. Darüber hinaus wurde weitere Diagnostik (insb. Kardiologie: 14,3%, Pneumologie: 15,9%, NLG (Messung Nervenleitgeschwindigkeit): 23,8%, Neurologie: 15,9%), weitere fachärztliche/psychotherapeutische Versorgung (insb. Neurologie: 15,9%, Kardiologie: 7,9%, Pneumologie: 9,5%, Neuropsychologie: 38,1%, Psychotherapie: 15,9%) sowie Heilmittelversorgung (Physiotherapie: 39,7%, Ergotherapie: 9,5%, Logopädie: 1,6%, Neuropsychologie: 1,6%) empfohlen.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass der Bedarf einer weiterführenden und interdisziplinären Versorgung bei Post-/Long-COVID gegeben ist. Ebenfalls deutlich wird, dass der Bedarf über die grundlegenden somatischen Fachgebiete, wie Kardiologie, Neurologie und Pneumologie hinausgeht. Im Bereich Neuropsychologie wird sowohl Reha-Bedarf gesehen, als auch die Notwendigkeit einer weiteren fachärztlichen Versorgung sowie ambulanten Heilmittelversorgung. Insbesondere in Bezug auf eine Rehabilitation treten hier jedoch Schwierigkeiten auf: Der Reha-Bedarf ist indiziert, ein entsprechendes Angebot fehlt jedoch in den vorliegenden Reha-Konzepten. Der Bedarf trifft auf ein System, das noch nicht darauf ausgerichtet ist. Beispielhaft für die weitere Versorgung nach dem Assessment folgende Fallbeispiele:
Fallbeispiel 1: Frau S., 25 Jahre, Planerin in der Logistikbranche, Symptome: Fatigue, Infekt-Asthma.
Empfehlung Assessment: Neurologische Rehabilitation
Reha-Antrag wurde mit hausärztlicher Unterstützung eingereicht. Bewilligung erfolgte für psychosomatische Reha, da Erschöpfung und Konzentrationsschwäche rein psychosomatische Indikatoren seien. Nach Widerspruch wurde pulmologische Reha bewilligt.
Fallbeispiel 2: Herr L., 33 Jahre, Informatiker, keine Vorerkrankungen, sportlich. Symptome: Fatigue, Konzentrations-/Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, spontan auftretendes Herzrasen. Untersuchungen bei Hausarzt, Pneumologen und Kardiologen ohne Befund; Wiedereingliederung erfolglos.
Ergebnis Assessment: Kognitive Einschränkung, erhöhte Stresssensitivität und Anspannungssymptomatik sowie ausgeprägte Erschöpfungssymptomatik
Empfehlung: Stationäre Rehabilitation mit neuropsychologischem Schwerpunkt
Bewilligung: Pulmologische Rehabilitation
Take-Home-Message
Die aktuelle Post-/Long-COVID-Versorgung erscheint bisher nicht bedarfsgerecht. Hier muss sich das Versorgungssystem stärker an den Bedarfen der Betroffenen orientieren und die bestehenden Angebote an ambulanter/stationärer Versorgung anpassen.
Patient:innen mit Post-/Long-COVID-Symptomatik werden im bestehenden System nicht frühzeitig und bedarfsgerecht versorgt, treffen aber auch nicht auf eine adäquate Zuweisung entlang ihres individuellen Rehabilitations-Bedarfs. Weiterentwicklungen sind notwendig, um einer Chronifizierung der Symptome und langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit u.ä. vorzubeugen.
Literatur
Crook, H., Raza, S., Nowell, J., Young, M., Edison, P. (2021): Long covid – mechanisms, risk factors, and management. BMJ,374:n1648, 18.
Dahmen, A., Keller, F.M., Derksen, C., Rinn, R., Becker, P., & Lippke, S. (2022). Screening and assessment for post-acute COVID-19 syndrome (PACS), guidance by personal pilots and support with individual digital trainings within intersectoral care: a study protocol of a randomized controlled trial. BMC Infectious Diseases,22, 693. https://doi.org/10.1186/s12879-022-07584-z
Kupferschmitt, A., Etzrodt, F., Kleinschmidt, J., Köllner, V. (2022). Nicht nur multimodal, sondern auch interdisziplinär: Ein Konzept für fächerübergreifende Zusammenarbeit in der Rehabilitation des Post-COVID-Syndroms. Psychoth Psych Med Psychol. 72, 9/10, 8.
Hintergrund und Zielstellung
Eine patientenzentrierte Rehabilitation zu gewährleisten und gleichzeitig das Infektionsrisiko während der COVID-19-Pandemie zu minimieren, stellt sich für medizinische Rehabilitationseinrichtungen herausfordernd dar (z.B. Korzilius 2020). Die Deutsche Rentenversicherung hat im Mai 2020 Hygieneempfehlungen für Rehabilitationseinrichtungen veröffentlicht. Ziel der vorliegenden Querschnittstudie war es, zu untersuchen, welche Hygieneempfehlungen Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie umgesetzt haben und welche Bewältigungsstrategien sich dabei aus der Perspektive von Einrichtungsleitungen besonders bewährt haben. Zum anderen sollte ermittelt werden, auf welche Probleme sie dabei gestoßen sind und wo weiterhin Unterstützungsbedarfe bestehen.
Methoden
Mittels einer Online-Umfrage (nbrutto = 1.569) sowie einer zusätzlichen postalischen Umfrage (nbrutto = 1.629) wurden im Zeitraum Juni bis September 2021 alle stationären und ambulanten Einrichtungen medizinischer Rehabilitation in Deutschland befragt. Inhalte des Fragebogens umfassten allgemeine Angaben, Angaben zum COVID-19-Infektionsgeschehen in der Einrichtung, Maßnahmen zur Infektionskontrolle, Strategien zur Bekämpfung pandemiebedingter Auswirkungen und persönliches Feedback. Es lagen Antworten von 535 Einrichtungen vor (Rücklaufquote=32,8%), die deskriptiv ausgewertet wurden. Freitext-Antworten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse
Festzustellen ist, dass sich die Umsetzung der Empfehlungen unterschiedlich problematisch in den Einrichtungen gestaltete. Laut eigenen Angaben hatten 50,8% der Einrichtungen Probleme Maßnahmen zu Abläufen und Strukturen umzusetzen. 36,7% der Befragten erachteten die Umsetzung von Maßnahmen zur Therapiegestaltung als problematisch. Ferner wurde die Umsetzung einzelner Strategien zum Umgang mit psychosozialen Belastungen der Rehabilitand*innen (29,6%) sowie zum Umgang mit Unterstützungsbedarfen durch externe Institutionen in den Einrichtungen (29,5%) als problematisch erachtet. Als Gründe für diese Schwierigkeiten wurden in erster Linie finanzielle Faktoren, eine defizitäre Infrastruktur sowie fehlende personelle Ressourcen angegeben. Doch auch psychosoziale Faktoren auf Seiten der Mitarbeitenden sowie auf Seiten der Rehabilitand*innen schränkten die Durchführbarkeit bestimmter Strategien in der Praxis ein. Nach Angaben der Einrichtungsleitungen hätte die Umsetzung insbesondere mit finanzieller Unterstützung durch die Kostenträger und durch die verstärkte Digitalisierung von Angeboten erleichtert werden können. Insgesamt gaben 13,6% der Einrichtungen an, schlecht oder sehr schlecht vorbereitet gewesen zu sein; 38,8% der Einrichtungen waren der Meinung, dass sie gut oder sehr gut vorbereitet waren.
Diskussion und Fazit
Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation haben im Laufe der Zeit verschiedene Maßnahmen und Strategien zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie entwickelt, die sich jedoch in der Umsetzung häufig schwierig gestalten. Diese Schwierigkeiten sind einerseits in grundlegenden finanziellen, personellen und institutionellen Faktoren begründet. Diese müssen durch systemische Veränderungen im Rehabilitationswesen adressiert werden, um Hindernisse und Barrieren zu überwinden und bestehende Ressourcen auszuschöpfen. Andererseits spielen psychosoziale Faktoren eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der Pandemiesituation. Es gilt, Unsicherheiten und Ängste sowohl der Rehabilitand*innen als auch der Mitarbeitenden multiperspektivisch zu kommunizieren und geeignete Entlastungsangebote zu schaffen. Hierfür bedarf es der Entwicklung und Zugänglichkeit von Unterstützungshilfen und Handreichungen für Rehabilitationseinrichtungen und deren Personal. Erfolgreich umgesetzte Maßnahmen und Strategien müssen evaluiert und ggf. weiterentwickelt werden.
Take-Home-Message
Bestehende Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der rehabilitativen Versorgung in Zeiten von COVID-19 müssendurch die Ermittlung und die Vermittlung von Problemlagen und ihrer Gründe adressiertwerden. Das Rehabilitationswesen muss sich auf eine neue Versorgungsrealität vorbereiten und diese neu denken, um auch in Pandemien und künftigen Krisen eine adäquate rehabilitative Versorgung zu gewährleisten.
Literatur
Korzilius H. Medizinische Rehabilitation. Einrichtungen in der Coronakrise. Deutsches Ärzteblatt 2020;117:A924-A926.
Hintergrund und Zielstellung
Die Covid-19-Pandemie ging mit starken Belastungen des gesamten Gesundheitswesens einher, auch im Bereich der Rehabilitation. Studien aus Deutschland belegen für das erste Jahr der Corona-Pandemie sowohl einen starken Rückgang der Reha-Antragszahlen (Bethge et al., 2022) als auch der Inanspruchnahme stationärer Reha-Leistungen (Bestehorn et al., 2022). Auch in der Schweiz war die Reha-Inanspruchnahme im Jahr 2020 geringer (Marquardt et al., 2022). In Ergänzung dazu zielt dieser Beitrag darauf ab, das Inanspruchnahmegeschehen der stationären Rehabilitation in der Schweiz im weiteren Verlauf der Covid-19-Pandemie darzustellen.
Methoden
Basierend auf Daten des nationalen externen Schweizer Qualitätssicherungsprogramms, wurden 263.819 Fälle aus 112 Kliniken eingeschlossen, die in den Jahren 2019-2021 eine stationäre Rehabilitation abgeschlossen haben. In deskriptiven Analysen wurde die Entwicklung der Inanspruchnahme in den ersten zwei Jahren der Corona-Pandemie mit dem Referenzjahr 2019 insgesamt und stratifiziert nach Reha-Indikation verglichen. Weiterhin wurde die Anzahl der Reha-Aufnahmen pro Monat als prozentuale Abweichung vom Referenzjahr berechnet. Zusätzlich werden die Fallzahlen von an Covid-19-erkrankten Patient*innen auf Schweizer Intensivstationen (BAG, 2022) als Indikator für das Ausmaß des Infektionsgeschehens dargestellt.
Ergebnisse
Die jahrweise Betrachtung zeigt, dass im Jahr 2020 insgesamt 2,8% weniger Rehabilitationsmaßnahmen abgeschlossen wurden als 2019. Im 2. Pandemiejahr stiegen die Fallzahlen an, was insgesamt in einer Zunahme von 4,6% absolvierter Rehamaßnahmen im Jahr 2021 im Vergleich zu 2019 resultierte. Die Inanspruchnahme entwickelte sich je nach Indikationsbereich unterschiedlich: Einige Indikationsbereiche verzeichneten in Übereinstimmung mit dem Gesamtergebnis zunächst Aufnahmerückgänge, im Folgejahr Fallzahlzuwächse. Dies betrifft die Neuro-Reha mit einer Gesamtzunahme von 2,8% sowie die pulmonale Rehabilitation mit einer starken Zunahme von 32,0% im Jahr 2021. Auch in der kardialen und muskuloskelettalen Rehabilitation stiegen die Fallzahlen nach anfänglicher Abnahme an, wobei sie insgesamt leicht unter 2019 blieben. Die internistische und die geriatrische Rehabilitation wiesen durchgehend einen Fallzahlzuwachs auf, wobei dieser in der Geriatrie besonders hoch ausfiel (+13,8%). In der onkologischen, paraplegiologischen und psychosomatischen Rehabilitation zeigte sich für beide Jahre eine Fallzahlreduktion im Vergleich zum Referenzjahr.
Die Jahresstichproben unterscheiden sind hinsichtlich Alter und Geschlecht nur geringfügig.
Differenziert nach Indikationsbereichen sind größere Unterschiede dieser Stichprobenmerkmale zu erkennen (vgl. Tabelle 1).
Die monatsweise Betrachtung der Aufnahmezahlen der Gesamtstichprobe in den Jahren 2020 und 2021 im Vergleich zu 2019 zeigt einen mit dem Infektionsgeschehen im Zusammenhang stehenden Verlauf. Starke Rückgänge sind in den Monaten März (-8,1%), April (-36,4%) und Mai 2020 (-16,6%) sowie in der Zeit von November 2020 bis Februar 2021 mit einem maximalen Rückgang von -10,6% zu erkennen (vgl. Abbildung 1). In den Sommermonaten ist im Jahr 2020 ein leichter, im Jahr 2021 ein deutlicher Anstieg der Aufnahmen im Vergleich zu 2019 zu verzeichnen. Die Fallzahlentwicklung ab Oktober 2021 deutet wieder eine leichte Reduktion der Aufnahmen an (-1,6%). Bei der nach Indikationen stratifizieren Analyse zeigten sich analog zu den Gesamtbelegungszahlen unterschiedliche Verlaufsmuster.
Diskussion und Fazit
Die Analyse der Inanspruchnahmen in den ersten beiden Jahren der Covid-19-Pandemie zeigt im Zeitverlauf und nach Rehabereichen differenziert ein dynamisches Geschehen im Schweizer Rehabilitationssystem. Die monatlichen Zu- und Abnahmen der Belegungszahlen korrespondieren weitestgehend mit dem Infektionsgeschehen und der Belastung des akutmedizinischen Sektors, wobei der Einfluss der Hochinzidenzphasen auf die Aufnahmezahlen im Pandemieverlauf abnahm.
Während das Jahr 2020 insgesamt durch einen Rückgang der Fallzahlen gekennzeichnet war, stiegen die Fallzahlen im Folgejahr wieder an. Dies kann mit einem erhöhten pandemiebedingten Bedarf an Rehaleistungen in einzelnen Bereichen (z.B. pulmonale, neurologischen Reha) als auch mit Nachholeffekten aufgeschobener elektiver Eingriffe erklärt werden. Detaillierte Analysen zum Einfluss der Covid-19-Pandemie auf Veränderungen der Inanspruchnahmen sollten insbesondere für die Indikationen mit einem Rückgang der Fallzahlen erfolgen.
Take-Home-Message
Der Einfluss der Covid-19-Pandemie auf die Inanspruchnahme der stationären Rehabilitation in der Schweiz ist deutlich erkennbar, wobei die Intensität im Zeitverlauf abnimmt und zwischen den verschiedenen Reha-Indikationen deutlich variiert.
Literatur
BAG, Bundesamt für Gesundheit (2022): Covid-19 Schweiz - Spitalkapazitäten. URL: https://www.covid19.admin.ch/de/hosp-capacity/icu?occ=covid19&time=total [Stand: 31.10., 2022].
Bestehorn, K., Schwaab, B., Schlitt, A. (2022): Wie stark hat die COVID-19-Pandemie die kardiologische Rehabilitation im ersten Jahr der Pandemie beeinflusst? Ein Vergleich der Leistungszahlen aus 2019 mit 2020 in Deutschland. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 173: 22-26.
Bethge, M., Fauser, D., Zollmann, P., Streibelt, M. (2022): Reduced requests for medical rehabilitation because of the SARS-CoV-2 pandemic: a difference-in-differences analysis. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation 103(1): 14-19. e2.
Marquardt, M., Köhn, S., Menzi, L., Schlumbohm, A., Spyra, K. (2022): Inanspruchnahme der stationären Rehabilitation während der Covid-19-Pandemie. Ergebnisse aus der Schweizer Qualitätssicherung Rehabilitation. (Hg.): DRV-Schriften, Deutsche Rentenversicherung. 126: 190-193.
Hintergrund und Zielstellung
Digitalisierung gewinnt in allen Lebens- und Arbeitsbereichen immer stärker an Bedeutung. Megatrends, wie New Work, Arbeit 4.0. oder Industrie 4.0. halten Einzug in die Betriebspraxis. Die berufliche Rehabilitation kann häufig nicht mit diesen Entwicklungen Schritt halten (Johansson et al. 2021). Allerdings birgt die Digitalisierung auch Risiken für Menschen mit Behinderung (Engels 2016). Bisherige Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Behinderung überdurchschnittlich von digitaler Ausgrenzung betroffen sind (Scholz et al. 2017), wenn auch nicht in gleicher Intensität. Menschen mit Hör- oder Körperbehinderungen scheinen tendenziell eher in der Lage, das Internet zu nutzen und digital teilzuhaben. Als besonders von digitaler Ausgrenzung betroffen gelten Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung (Sube & Sonnenschein 2022 zum „digital disability divide“).
Um eine vollständige berufliche und soziale Teilhabe aller sicherzustellen, wird der Einsatz digitaler Technologien in der beruflichen Rehabilitation unverzichtbar (Borgstedt, Möller-Slawinski, 2020). Bislang liegen hierzu jedoch kaum Strategien vor. Hier setzt das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt digitaleTeilhaBe an. Im Ergebnis sollen v.a. Bedarfe und Möglichkeiten zur Stärkung digitaler Teilhabe in Bildungs- und Arbeitsprozessen sowie Lösungsansätze für Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik erarbeitet werden.
Methoden
Im Rahmen eines partizipativen Forschungsdesigns, das Menschen mit Behinderung sowie weitere relevante Akteure in der beruflichen Rehabilitation einbindet, werden klassische Erhebungsformate wie eine explorative Online-Befragung und leitfadengestützte Interviews mit einer Zukunftswerkstatt kombiniert. Struktur gibt das Konstrukt der digitalen Teilhabe, das „Teilhabe an (Zugänglichkeit und digitale Kompetenzen), Teilhabe durch (assistive Technologien und technische Hilfsmittel) und Teilhabe in (aktive Teilnahme in digitaler Welt) digitalen Technologien“ unterscheidet (Borgstedt, Möller-Slawinski, 2020).
Im Beitrag werden die Ergebnisse der Online-Befragung von Menschen mit Behinderung sowie Fachkräften fokussiert. Ziel war die explorative Erfassung des Status quo der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Dazu wurden u.a. Informationen zur Mediennutzung, digitalen Kompetenzen, Herausforderungen bei der Mediennutzung sowie Veränderungen durch die SARS-CoV-II-Pandemie erhoben. Die Online-Befragung war von Ende Mai bis August 2022 zugänglich und erreichte nach Abschluss eine Fallzahl von n=136.
Ergebnisse
Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse, dass es für gelingende, digitale Teilhabe nicht so sehr davon abhängt, ob eine Person eine Behinderung hat oder nicht, sondern eher welche Behinderung vorliegt und wie sich deren Symptome auswirken. Das Benachteiligungsgefälle innerhalb der Gruppe der Menschen mit Behinderung konnte auch anhand der vorliegenden explorativen Befragungsergebnisse beobachtet werden. Die Ergebnisse könnten auch darauf hindeuten, dass Betroffenen je nach Behinderungsart in unterschiedlichen Dimensionen ihrer digitalen Teilhabe eingeschränkt sind: Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen fühlen sich eher im Bereich Teilhabe durch digitale Technologien eingeschränkt und fordern dementsprechend digitale Technologien eher in Form technischer Assistenzsysteme, während Menschen mit psychischen und intellektuellen Einschränkungen vor allem im Bereich Teilhabe an digitalen Technologien eingeschränkt scheinen, was sich in ihrem Wunsch nach besseren Zugängen und Unterstützungsmöglichkeiten für die Nutzung von digitalen Technologien widerspiegelt.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse bieten einen aktuellen Einblick in den Status quo der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung und zeigen Unterschiede in der Teilhabe zwischen verschiedenen Behinderungsarten auf. Sie geben aufgrund geringer Fallzahlen und fehlender Repräsentativität nur Tendenzen wider. Außerdem trägt die digitale Erhebungsmethode zu einer ‚Positivselektion‘ der Befragten bei, da eher Menschen erreicht werden, die über die notwendigen Zugänge und digitalen Kompetenzen verfügen.
Take-Home-Message
Es liegt ein „digital disability gap“ im Bereich der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung vor. Daher müssen zukünftige Möglichkeiten zur Stärkung digitaler Teilhabe in Bildungs- und Arbeitsprozessen identifiziert werden, um eine vollständige berufliche und soziale Teilhabe aller sicherzustellen.
Literatur
Borgstedt, S., & Möller-Slawinski, H. (2020). Digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung (S. 81). Aktion Mensch e.V.
Engels, D. (2016). Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeitswelt für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. (Forschungsbericht / Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FB467). Köln: Bundesministerium für Arbeit und Soziales; ISG- Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH.
Johansson, S., Gulliksen, J., & Gustavsson, C. (2021). Disability digital divide: The use of the internet, smartphones, computers and tablets among people with disabilities in Sweden. Universal Access in the Information Society, 20(1), 105–120.
Scholz, F., Yalcin, B., & Priestley, M. (2017). Internet access for disabled people: Understanding socio-relational factors in Europe. Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research on Cyberspace, 11(1).
Sube, L., & Sonnenschein, N. (2022). Media@ Work: Berufliche Teilhabe durch digitale Medien stärken. ZDfm–Zeitschrift für Diversitätsforschung und-management, 7(1), 27-28.
Hintergrund und Zielstellung
Vor dem Hintergrund der omnipräsenten Digitalisierung stellen Health Apps einen attraktiven Ansatz zum Erhalt von Gesundheit und der Vermeidung von Krankheit dar (Rutz et al., 2016) und können eine wichtige Versorgungslücke schließen. Health Apps unterstützen dabei, Menschen in Bezug auf gesundheitsförderliche Verhaltensweisen zu sensibilisieren bzw. zu deren längerfristigen Umsetzung zu motivieren (z.B. mehr Bewegung, gesunde Ernährung, angemessenes Stressmanagement). Dabei nutzen Health Apps in Abhängigkeit ihrer Ausrichtung, Zielsetzung und technischen Möglichkeiten objektive Körperparameter (z.B. Herzfrequenz-Daten, Aktivitätsdaten) und/oder subjektive Parameter (z.B. Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes und des Stresslevels). Erweisen sich Health Apps für eine bestimmte Indikationsbereiche als empirisch wirksam bzw. evidenzbasiert, so ist eine Verschreibung der sog. Digitalen Gesundheitsanwendung als „App auf Rezept“ durch die Krankenkassen möglich.
Eine zentrale Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Health Apps stellt jedoch die Akzeptanz von potenziellen Nutzer:innen gegenüber entsprechenden Lösungen dar (vgl. Technologieakzeptanz-Modell). Um die Hintergründe der Akzeptanz von e-Health-Anwendungen besser verstehen zu können, rücken in der vorliegenden Studie persönliche Voraussetzungen in den Fokus. Untersucht wurden die Bezüge zwischen der Technikakzeptanz zur digitalen Gesundheitskompetenz sowie dem gesundheitsbezogenen Kontrollerleben als psychologische Hintergrundvariablen.
Methoden
356 Befragte beteiligten sich an der Online-Umfrage (57.9% weiblich, 41.6% männlich, 0.6% divers; Altersdurchschnitt: AM = 32.51 Jahre, SD = 15.23 Jahre). 99.2% der Befragten besaßen mindestens ein mobiles Endgerät (z.B. Handy).
Zur Erfassung der Technikakzeptanz kam die auf den Kontext von Gesundheitsanwendungen adaptierte Skala von Neyer et al. (2012) zur Technikbereitschaft zum Einsatz (10 Items, Beispielitem: ‚Hinsichtlich Gesundheits-Apps bin ich sehr neugierig‘; Skala von 1: ‚stimmt gar nicht‘ bis 5: ‚stimmt völlig‘). Zur Erfassung der persönlichen bzw. psychologischen Voraussetzungen kamen ebenfalls validierte Fragebögen zum Einsatz. Die digitale Gesundheitskompetenz wurde anhand der Skala von Soellner et al. (2014) erfasst (8 Items, Beispielitem: ‚Wenn ich gesundheitsbezogene Entscheidungen auf Basis von Informationen aus dem Internet treffe, fühle ich mich dabei sicher‘; Skala von 1: ‚völlige Ablehnung‘ bis 5: ‚völlige Zustimmung). Die gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugung wurde mit Hilfe des FEG-K von Ferring (2003) untersucht (5 Items zur externalen Kontrollüberzeugung, Beispielitem: ‚Meine Gesundheit ist hauptsächlich durch Zufälle bestimmt ‘; 5 Items zur internalen Kontrollüberzeugung, Beispielitem: ‚Wenn man auf sich achtet, bleibt man auch gesund‘; Skala von 1: ‚sehr falsch‘ bis 6: ‚sehr richtig‘).
Ergebnisse
Im Mittel war die Technikakzeptanz bzgl. Health Apps bzw. Digitalen Gesundheitsanwendungen recht hoch ausgeprägt. In Bezug auf die persönlichen Voraussetzungen lässt sich festhalten, dass die Technikakzeptanz umso höher war, je höher die digitalen Gesundheitskompetenz ausfiel. Bei hoher internaler gesundheitsbezogener Kontrollüberzeugung der Befragten zeigte sich darüber hinaus eine deutlicher ausgeprägte Technikakzeptanz. Demgegenüber berichteten Studienteilnehmer:innen mit einer externalen gesundheitsbezogenen Kontrollüberzeugung auch eine geringere Technikakzeptanz gegenüber Health Apps bzw. Digitalen Gesundheitsanwendungen (vgl. Tabelle 1).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Technikakzeptanz von Health Apps insgesamt hoch ausgeprägt war. Die Technikakzeptanz im Sinne eines grundlegenden Commitments bzw. Compliance für die digitale Lösung in den Fokus zu rücken, erscheint vor dem Hintergrund der beabsichtigten Wirkung bzw. Wirksamkeit von Health Apps ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einem positiven Versorgungseffekt. Zu beachten gilt, dass die Technikakzeptanz ein rein subjektiver Parameter ist. Daher sollte bei der Evaluation entsprechender Lösungen zusätzlich das tatsächliche Nutzungsverhalten in den Fokus des Interesses rücken. Dass die Technikakzeptanz wiederum von persönlichen Voraussetzungen abhängig ist, stellt eine besondere Herausforderung bei dem Schließen von Versorgungslücken dar: Die Ergebnisse zeigen, dass vulnerablere Personen aus der Stichprobe eine geringe Technikakzeptanz zeigen. D.h. für die Praxis, dass im Vorfeld der Verschreibung hier möglicherweise besonders viel Überzeugungsarbeit für den Mehrwert der e-Health-Lösung geleistet werden muss.
Take-Home-Message
Die Technikakzeptanz von Health Apps werden durch persönliche Voraussetzungen beeinflusst. Insbesondere diejenigen Personenkreise, die besonders anfällig für gesundheitliche Probleme sind, bedürfen in diesem Rahmen besonderer Unterstützung, um eine grundlegende Compliance zur Nutzung entsprechender digitaler Lösungen zu schaffen.
Literatur
Ferring, D. (2003): Kurzbeschreibung und Forschungsbericht zum „Fragebogen zur Erfassung gesundheitsbezogener Kontrollüberzeugungen“ (FEGK). Luxembourg: University of Luxembourg.
Neyer, F. J., Felber, J., & Gebhardt, C. (2016): Kurzskala Technikbereitschaft Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis244
Rutz, M., Kühn, D., Dierks, M. L. (2016): Gesundheits-Apps und Prävention. Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA, Kapitel 5). Medizinische Hochschule Hannover, S, 116-135.
Soellner, R., Huber, S., Reder, M. (2014): The Concept of eHealth Literacy and Its Measurement - German Translation of the eHEALS. Journal of Media Psychology, 26(1). 29–38.
Hintergrund und Zielstellung
Aufgrund der Bevölkerungsalterung ist die geriatrische Rehabilitation ein zunehmend wichtiges Versorgungsfeld. Altersbedingte körperliche und psychische Veränderungen bei Senioren führen zu einer wachsenden Zahl von chronischen Erkrankungen (Han et al., 2019; Penninx et al., 2009). Daher haben Senioren einen hohen Behandlungsbedarf für Funktionserhalt oder -wiederherstellung, sowie Wohlbefinden und ihre Lebensqualität.
Virtual Reality (VR) wird bereits in vielen Indikationen zur Verbesserung psychischer Funktionen (z.B. Phobiebehandlung, Wahrnehmungs- und Reaktionstrainings) und Wohlbefinden eingesetzt. Die Anwendung von VR bei Senioren ist jedoch bislang begrenzt, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung von Stimmung und Wohlbefinden von Senioren in Altersheimen (Skurla et al., 2022). Im vorliegenden systematischen Review werden die Ergebnisse aktueller VR-basierter Interventionsstudien zur psychischen Gesundheit für Senioren berichtet.
Methoden
Die Literaturrecherche von peer-reviewed VR-Interventionsstudien wurde Januar bis März 2022 durchgeführt und basiert auf sechs Datenbanken (PubMed, Scopus, PsychNet, PsyJournals, PubPsych, Google Scholar). Es wurden diejenigen Artikel analysiert, die sich mit immersiven VR-Interventionen zur psychischen Gesundheit älterer Menschen beschäftigen.
Ergebnisse
Bei der Datenbanksuche wurden 2697 Ergebnisse gefunden, von denen 40 Interventionsstudien in die endgültige Analyse aufgenommen wurden. Die meisten Studien verwendeten kein experimentelles Design mit randomisierten, kontrollierten Studien und Follow-up-Sitzungen. Die untersuchten Studien wurden aufgrund ihrer Zielsetzung in zwei Kategorien eingeteilt: funktionsorientierte und unterhaltungsorientierte Intervention.
Die Zahl der Studien in diesem Bereich ist seit 2018 rapide angewachsen, insbesondere im Bereich der unterhaltungsorientierten VR-Interventionen, die das Wohlbefinden von Senioren steigern sollen. Die funktionsorientierten Interventionen (z.B. kognitive Trainings) nutzten meistens eine aktive Interaktionsform mit zahlreichen Geräten. Im Gegensatz dazu wurde die unterhaltungsorientierte Intervention als passive Interaktionsform genutzt und im Bedarfsfall nur die Handkonsole als Gerät. Im Allgemeinen verbesserten die VR-Interventionen die geistige Gesundheit älterer Erwachsener. Im Gegensatz zu unterhaltungsorientierten VR-Interventionen haben die meisten funktionsorientierten VR-Interventionen keinen signifikant positiven Einfluss auf Stimmung und Wohlbefinden. Fast alle untersuchten Studien zeigten, dass VR-basierte Interventionen einen signifikant positiven Effekt auf die psychische Gesundheit haben und damit ihr Interventionsziel erreichen.
Diskussion und Fazit
VR-basierte Interventionen sind wirksam und können eine erfolgversprechende Methode zur Erhaltung der mentalen/kognitiven Funktionen, sowie zur Aktivitätsförderung und Verbesserung der Lebensqualität in der geriatrischen Rehabilitation sein.
In Zukunft kann sich die Zielsetzung nicht nur auf die Verbesserung der Funktionen oder der passiven Unterhaltung beschränken, sondern auch Förderung der sozialen Interaktion. Beispielsweise kann die VR-Intervention im Pflegeheim für Senioren als Gruppenveranstaltung angeboten werden, bei der die Senioren an Aktivitäten teilnehmen, die sie nicht mehr ausführen können (z. B. Gartenarbeit, Pizzabacken, Einrichten eines Ferienhauses). Kognitive Funktionen können in unterhaltsamer Form geübt werden, und in der Gruppe können Ideen ausgetauscht und soziale Interaktion verbessert werden.
Take-Home-Message
Virtual Reality-basierte Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit sind ein innovativer und bereits wirksamkeitsgeprüfter Ansatz. Sie haben Potenzial für Förderung kognitiver Funktionen, Wohlbefinden und Aktivität von Menschen in der geriatrischen Rehabilitation und in Seniorenheimen.
Literatur
Han, L. K. M., Verhoeven, J. E., Tyrka, A. R., Penninx, B. W. J. H., Wolkowitz, O. M., Månsson, K. N. T., Lindqvist, D., Boks, M. P., Révész, D., Mellon, S. H. & Picard, M. (2019): Accelerating research on biological aging and mental health: Current challenges and future directions. Psychoneuroendocrinology, 106, 293–311. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2019.04.004
Penninx, B. W. J. H., Nicklas, B. J., Newman, A. B., Harris, T. B., Goodpaster, B. H., Satterfield, S., Rekeneire, N. de, Yaffe, K., Pahor, M. & Kritchevsky, S. B. (2009): Metabolic syndrome and physical decline in older persons: results from the Health, Aging And Body Composition Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences, 64(1), 96–102. https://doi.org/10.1093/gerona/gln005
Skurla, M. D., Rahman, A. T., Salcone, S., Mathias, L., Shah, B., Forester, B. P. & Vahia, I. V. (2022): Virtual reality and mental health in older adults: a systematic review. International Psychogeriatrics, 34(2), 143–155. https://doi.org/10.1017/s104161022100017x
Hintergrund und Zielstellung
Die berufliche Rehabilitation stand während der Corona-Pandemie vor besonderen Herausforderungen (vgl. Boehle et al., 2021). Die Rehabilitationsmaßnahmen mussten von einem Tag auf den anderen an die Corona-Bedingungen angepasst werden. In den 28 im Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke (BV BFW) zusammengeschlossenen Einrichtungen fand die berufliche Rehabilitation während der Corona-Pandemie zum großen Teil in digitalen Formaten statt. Unter den Bedingungen einer zunehmenden Digitalisierung, stellt sich für die Berufsförderungswerke (BFW) die Frage, wie die berufliche Rehabilitation zukünftig gestaltet werden kann, um Teilhabechancen in vollem Umfang zu nutzen. Vor diesem Hintergrund hat der BV BFW eine Befragung der Rehabilitand:innen zu Erfahrungen mit digitalem Lernen zuhause im Homeoffice durchgeführt.
Methoden
Im Zeitraum 17.05.-24.07.2022 wurden Rehabilitand:innen aus 28 BFW eingeladen, an einer anonymen Online-Befragung teilzunehmen. Hierzu wurde mit Hilfe des Befragungstools SoSci Survey ein teilstandardisierter Online-Fragebogen erstellt und die BFW-Mitarbeitenden gebeten, den Befragungslink unter Rehabilitand:innen in unterschiedlichen Phasen der Rehabilitation und in unterschiedlichen Qualifizierungsbereichen zu teilen. Insgesamt konnten 1.234 Online-Fragebögen aus 23 BFW in die Auswertung der Ergebnisse eingeschlossen werden. Es wurden mittels SPSS deskriptive Analysen der Daten durchgeführt.
Ergebnisse
841 Rehabilitand:innen gaben an, sowohl über Erfahrungen mit digitalen Angeboten als auch mit Phasen des Lernens im Homeoffice während der Corona-bedingten (Teil-)Schließung der BFW zu verfügen. Ihnen wurden vertiefende Fragen zu ihren Erfahrungen und erlebten Herausforderungen beim digitalen Lernen im Homeoffice gestellt. 44% der Befragten in dieser Gruppe zeigen sich mit der Reha-Maßnahme im Homeoffice weitestgehend bzw. sehr zufrieden, allerdings sind 38% auch leicht oder ziemlich unzufrieden. Im direkten Vergleich zwischen Präsenzunterricht und digitalem Lernen zuhause zeigt sich, dass Letzteres schlechter bewertet wird: 73% stimmten der Aussage (auf einer vierstufigen Skala von „stimme gar nicht zu“ bis „stimme voll zu“) gar nicht oder eher nicht zu, im Homeoffice mit Hilfe der digitalen Lernformate und Materialien besser als im Präsenzunterricht lernen zu können. Rund 60% stimmten voll oder eher zu, dass es ihnen beim digitalen Lernen zuhause schwerer fällt, sich auf das Ausbildungsgeschehen zu konzentrieren. Darüber hinaus werden von der Mehrheit der Befragten auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Rehabilitand:innen im Homeoffice schlechter bewertet. Zudem gaben die Befragten an, dass ihnen der persönliche Kontakt zu den Lehrkräften fehle (77%; stimme voll oder eher zu), ebenso wie zu anderen Rehabilitand:innen (75%) sowie Ansprechpersonen wie Reha- und Integrationsmanager:innen (RIM) oder Fachkräfte aus dem Bereich Besondere Hilfen (56%). Rund 80% der Rehabilitand:innen haben im Homeoffice Unterstützung gebraucht. Konkrete Unterstützungsbedarfe wurden vor allem bezüglich des digitalen Lernens formuliert: 43% wählten die Antwortoption „Bei der Lernmethodik“, 37% „Bei der Anleitung zum selbstständigen Arbeiten“ und 34% „Bei der Sortierung und Strukturierung von Lerninhalten“. Gleichzeitig sehen Rehabilitand:innen die Vorteile des Homeoffice und bewerten das digitale Lernen als fördernd im Hinblick auf den Erwerb digitaler Kompetenzen: Rund 70% stimmten voll oder eher der Aussage zu „Beim digitalen Lernen zuhause schule ich ‚ganz nebenbei‘ meine Fähigkeiten im Umgang mit dem PC und den digitalen Medien.“ 71% der Befragten können sich zukünftig digitale Lernangebote in Ergänzung des Präsenzunterrichts vorstellen.
Diskussion und Fazit
Die Befragungsergebnisse zeichnen kein eindeutig positives oder negatives Bild des digitalen Lernens im Homeoffice und stützen die von den BFW vertretene Position, wonach der Heterogenität und den unterschiedlichen Voraussetzungen der Rehabilitand:innen mit differenzierten Lösungen begegnet werden muss. Einigen Personen kommt das digitale Lernen entgegen, andere wiederum sehen sich vor neue Herausforderungen gestellt. Insbesondere sind es soziale Kontakte, die den Rehabilitand:innen fehlen. Ihr Ausbleiben kann auf Dauer zur Isolation und Vereinsamung führen. Digitale Lernangebote werden durchaus gewünscht, doch zeigt sich, dass das digitale Lernen noch gelernt werden muss. Hier sind die Berufsförderungswerke gefragt, den Rehabilitand:innen Unterstützung zu geben und die notwendigen Kompetenzen zu fördern. Digitales selbstgesteuertes Lernen stellt neue Anforderungen an Lernende und bedarf insbesondere methodischer, aber auch personaler und sozialer Kompetenzen (vgl. Dyrna et al., 2022).
Take-Home-Message
Die Corona-Pandemie hat die berufliche Rehabilitation vor neue Herausforderungen gestellt, die die BWF größtenteils gut gemeistert haben. Es bedarf jedoch in Zukunft differenzierter Blended-Learning-Konzepte sowie der Förderung digitaler (Lern-)Kompetenzen, damit alle Rehabilitand:innen gleichermaßen profitieren können.
Literatur
Boehle, M., Buschmann-Steinhage, R., Schmidt-Ohlemann, M., Seidel, M., Warnach, M. (2021): Sicherung der Teilhabe während und nach der Pandemie: Problemlagen, Herausforderungen, Handlungsoptionen. Abschlussbericht des Corona-Konsultationsprozess der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation „Teilhabe und Inklusion in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie – Auswirkungen und Herausforderungen“. Heidelberg: Deutsche Vereinigung für Rehabilitation. URL: https://www.dvfr.de/fileadmin/user_upload/DVfR/Downloads/Projektberichte/Konsultationsprozess-Berichte-6-2021/Abschlussbericht_bf.pdf, Abruf: 20.10.2022
Dyrna, J., Riedel, J., & Stark, L. (2022): Welche Kompetenzen benötigen Lernende für selbstgesteuertes, digital gestütztes Lernen? BWP – Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 51(2). 18–22.
Hintergrund und Zielstellung
Der Übergang Schule-Studium ist eine wesentliche Anforderung des frühen Erwachsenenalters. Durch mit der Corona-Pandemie verbundene Einschränkungen waren Menschen in diesem Lebensabschnitt besonders betroffen. Studierenden wurde durch online-Formate, Präsenzveranstaltungen unter Coronabedingungen und eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten zu Studienbeginn die Orientierung an den Hochschulen erschwert. Dadurch sind Belastungen entstanden, die aufgrund der Sensibilität des Lebensabschnitts langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben können. Dies betrifft nicht nur erkrankungsbedingte sondern auch psychosoziale Belastungen. Vor dem Hintergrund eines stress- und ressourcentheoretischen Ansatzes, der davon ausgeht, dass Belastungen durch Bewältigungsressourcen in ihrer Wirkung abgemildert werden können, wurde bei Studienanfänger:innen des BA Sonderpädagogik an der PH Heidelberg untersucht, wie sich deren Situation im Übergang darstellt. Die Fragestellungen lauten im Einzelnen:
1. Wie schätzen die Studierenden Belastungen, Ressourcen und ihre Selbstwirksamkeit ein?
2. Wie stellt sich die gesundheitliche Situation dar und lassen sich unterschiedliche Belastungscluster identifizieren?
3. Was erwarten die Studierenden für die Zukunft?
Methoden
Insgesamt wurden N=101 Studienanfänger:innen im Zeitraum 1.4.2022-15.5. 2022 über Soscisurvey zu Belastungen, Ressourcen und Zukunftserwartungen in den Bereichen Familie, Freundeskreis, Freizeit, Schule/Studium, Übergang Schule/Studium sowie zur Einschätzung ihrer Gesamtsituation und ihres allgemeinen Gesundheitszustandes befragt.
Außerdem kamen die allgemeine Selbstwirksamkeitsskala (Beierlein e.a. 2014), eine Belastetheitsskala (Hoffmeister e.a. 1988) und eine nicht-klinische Depressivitätsskala (Mohr e.a. 2014) zum Einsatz.
Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv und varianzanalytisch. Ergänzend wurde eine Clusterzentrenanalyse durchgeführt, um spezielle Belastetheits-Gruppen zu identifizieren.
Ergebnisse
Belastungen. Während Familie (2,5) und Freundeskreis (2,73) als weniger belastet erlebt wurden, wurden die Bereiche Freizeit (4,18), Schule/Studium (3,58) und Übergang Schule/Studium (3,27) als stärker belastet bewertet.
Ressourcen und Selbstwirksamkeit. Ressourcen nahmen die Befragten in den Bereichen Familie (4,22), Freundeskreis (4,31) und eingeschränkt auch Freizeit (3,1) wahr. Eine geringere Rolle spielten dagegen Schule oder Studium. (2,48). Ihre Selbstwirksamkeit schätzten die Befragten im mittleren Bereich ein (3,96).
Gesundheit. Insgesamt bewerteten die Untersuchungsteilnehmer:innen ihren Gesundheitszustand mit 3,75. Studierende, die erkrankt waren und Studierende mit Behinderung schätzten ihren Gesundheitszustand dagegen schlechter ein.
Die Belastetheit lag bei 3,12. Die Depressivität (1-7) war insgesamt eher geringer ausgeprägt (2,27).
Ca. 60% der Befragten gaben an, sich mit Corona infiziert zu haben. Der Durchschnittswert der wahrgenommenen Stärke der Beeinträchtigung war relativ gering und lag bei 2,36.
Cluster. Eine Clusterzentrenanalyse mit den Variablen Gesundheitszustand, Belastetheit, Depressivität und Selbstwirksamkeit ergab drei Cluster. Cluster 1 (N=39) ist geprägt durch mittlere Werte beim Gesundheitszustand, Depressivität, Belastetheit und einen etwas geringeren Wert bei Selbstwirksamkeit.
Cluster 2 (N= 39) ist geprägt durch hohe Werte beim Gesundheitszustand, geringe Werte bei Depressivität und Belastetheit sowie hohe Werte bei Selbstwirksamkeit. Insgesamt scheint diese Gruppe eher „resilient“ zu sein.
Cluster 3 (N=23) ist geprägt durch die geringsten Werte bei Gesundheit und Selbstwirksamkeit sowie durch die höchsten Werte bei Depressivität und Belastetheit. Diese Gruppe scheint insgesamt eher „vulnerabel“ zu sein.
Gesamtsituation und Zukunftserwartungen. Ihre Gesamtsituation schätzen die Untersuchungsteilnehmer:innen im mittleren Bereich (3,79) ein.
Die Zukunftserwartungen in Bezug auf Familie, Freundeskreis, Freizeit und Studium wurde mit einer sieben-stufigen Skala erhoben, wobei Werte unter vier für erwartete Verschlechterungen, der Wert vier für keine Veränderung und Werte über vier für erwartete Verbesserungen stehen. Die Mittelwerte zeigen erwartete Verbesserungen in allen Bereichen, wobei die Erwartungen in Bezug auf die Familie mit 4,77 am geringsten ausfielen.
Diskussion und Fazit
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Studierenden insgesamt zwar bisher relativ gut durch die Coronapandemie gekommen sind. Wie die vertiefte Analyse aber zeigt, gibt es aber eine vulnerable Gruppe von etwa 20%, die im gesundheitlichen Bereich und Selbstwirksamkeit deutlich schlechtere Werte erreicht und auch ihre Gesamtsituation deutlich schlechter bewertet. Für diese Gruppe scheinen stärkere Bewältigungshilfen erforderlich zu sein.
Take-Home-Message
Zur Vermeidung langfristig negativer Folgen benötigt eine mit 20% relativ große vulnerable Gruppe zur Vermeidung langfristiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen Bewältigungshilfen.
Literatur
Beierlein, C., Kovaleva, A., Kemper, C. J. & Rammstedt, B. (2014). Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala (ASKU). Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis35
Hoffmeister, H., Hoeltz, J., Schön, D., Schröder, E. & Güther, B. (1988). Nationaler Untersuchungs-Survey und regionale Untersuchungs-Surveys der DHP, Bd. I. DHP-Forum, Heft 1/88
Mohr, G. & Müller, A. (2014). Depressivität im nichtklinischen Kontext. Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis79
Hintergrund und Zielstellung
Psychische Erkrankungen stellen in der Allgemeinbevölkerung eine verbreitete Problematik dar (Jacobi et al., 2014). Die damit verbundenen Einschränkungen in der Lebensqualität und Teilhabe der betroffenen Personen weisen auf die große Krankheitslast psychischer Beeinträchtigungen hin. Die Behandlung psychischer Beeinträchtigungen geschieht jedoch zu spät (Kivelitz et al., 2015).
Das Modellprojekt SEMPRE der DRV Oldenburg-Bremen forciert mit einer innovativen, komplexen Intervention das Schnittstellenmanagement zur frühzeitigen Ermittlung eines psychosomatischen Rehabilitationsbedarfs und eine rechtzeitige Steuerung in die psychosomatische Rehabilitation. Dabei werden Betroffene durch geschulte Netzwerkpartner*innen identifiziert. Interessent*innen können eine Beratung durch Lots*innen der DRV und ein zweitägiges ambulantes Assessment (Rehakompass) in kooperierenden Kliniken in Anspruch nehmen.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung stellt sich die Frage, ob es bei Eintritt in die psychosomatische Rehabilitation Unterschiede in der Symptombelastung und der Reha-Motivation zwischen den regulären Rehabilitand*innen und den Rehabilitand*innen, welche am Rehakompass teilgenommen haben, gibt. Darüber hinaus werden die Veränderungen in der beruflichen und sozialen Teilhabe zwischen den Gruppen betrachtet.
Methoden
Es wurde eine kontrollierte Längsschnittstudie mit einer Interventionsgruppe (IG, Projektteilnehmende) und einer Kontrollgruppe (KG, reguläre Rehabilitand*innen) in zwei ambulanten psychosomatischen Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt. Die Erhebung fand zwischen 07/2021 und 07/2022 statt. Der auswertbare Datensatz umfasst zu T0 (Reha-Beginn) insgesamt 103 Personen (IG: n=29/ KG: n=74), zu T1 (Reha-Ende) insgesamt 72 Personen (IG: n=23/ KG: n=49). Zur Analyse der Gruppenunterschiede in der Symptombelastung werden Skalenwerte aus dem HEALTH49 (Modul A) mittels t-Test für unabhängige Stichproben ausgewertet. Zur Ermittlung von Gruppenunterschieden in der Reha-Motivation werden die sechs Skalen des PAREMO durch t-Tests für unabhängige Stichproben analysiert. Gruppenunterschiede über den Zeitverlauf (T0, T1) in der beruflichen und sozialen Teilhabe werden durch eine mixed ANOVA des IMET Summenscores analysiert.
Ergebnisse
Für die Auswertung des HEALTH49 (Modul A) liegen 94 auswertbare Fälle vor (IG: n=27/ KG: n=67). Der t-Test ergibt keinen signifikanten Mittelwert-Unterschied (p=0,913) zwischen den Gruppen. In die Auswertung des PAREMO werden je nach Skala 96-99 Fälle einbezogen (IG: n=27-29/ KG: n=68-70). Lediglich für die Skala Skepsis liegen signifikante Ergebnisse vor: die Interventionsgruppe (MW: 5,92) weist signifikant niedrigere Mittelwerte (p=0,002) als die Kontrollgruppe (MW: 7,46) auf, wobei niedrigere Werte auf eine höhere Behandlungsmotivation hinweisen. Es liegt ein mittelgradiger Effekt vor (Cohens d=0,723). Für die Auswertung des IMET-Summenscores liegen 61 auswertbare Fälle vor (IG: n=18/ KG: n=43). Die Berechnung der mixed ANOVA ergibt einen signifikanten Innersubjekteffekt (p < 0,001) für den Messzeitpunkt (T0, T1).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie weisen darauf hin, dass sich die Gruppen in Ihrer Ausprägung der psychischen und somatischen Beschwerden nicht unterscheiden. Verglichen mit den Normwerten für gesunde Menschen (Rabung et al., 2007) liegen sowohl in der Interventionsgruppe als auch in der Kontrollgruppe zu T0 hohe psychische und somatische Beschwerden vor. Es kann geschlussfolgert werden, dass beide Gruppen einen psychosomatischen Reha-Bedarf aufweisen.
In einer Ausprägung der Reha-Motivation (Skepsis) zeigt die Interventionsgruppe eine höhere Behandlungsmotivation . Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich die Lots*innen-Beratung sowie das Rehakompass-Assessment positiv auf die Reha-Motivation auswirkt.
Die Betrachtung der beruflichen und sozialen Teilhabe zwischen T0 und T1 weist auf eine positive Veränderung hin, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit der einbezogenen Rehabilitand*innen.
Parallel zu der hier vorgestellten Erhebung fand eine qualitative Begleitstudie statt. Der Rehakompass wurde im Sommer 2022 unter Berücksichtigung der Prozessevaluation angepasst und wird weiterhin angeboten und wissenschaftlich begleitet.
Take-Home-Message
Erste Auswertungen zum Modellprojekt SEMPRE zeigen, dass eine frühzeitige und begleitete Steuerung in die psychosomatische Rehabilitation die Rehaskepsis reduzieren kann. Gleichzeitig profitieren auch diese Rehabilitand*innen von der psychosomatischen Rehabilitation.
Literatur
Jacobi, F., Hofler, M., Strehle, J., Mack, S., Gerschler, A., Scholl, L., Busch, M.A., Maske, U., Hapke, U., Gaebel, W., Maier, W., Wagner, M., Zielasek, J., Wittchen, H.-U. (2014): Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt, 85. 77-87.
Kivelitz, L., Watzke, B., Schulz, H., Härter, M., Melchior, H. (2015): Versorgungsbarrieren auf den Behandlungswegen von Patienten mit Angst- und depressiven Erkrankungen – Eine qualitative Interviewstudie. Psychiatrische Praxis, 42. 424-429.
Rabung, S., Harfst, T., Koch, U., Wittchen, H.-U., Schulz, H. (2007): „Hamburger Module zur Erfassung allgemeiner Aspekte psychosozialer Gesundheit für die therapeutische Praxis (HEALTH)“ – psychometrische Überprüfung eines neuen Selbstbeurteilungsinstruments zur multidimensionalen Erfassung psychosozialer Gesundheit. Phys Med Rehab Kuror, 17. 133-140.
Hintergrund und Zielstellung
Psychisch belastete Erwachsene mit assoziierter Arbeitsplatzproblematik haben ein erhöhtes Risiko für Chronifizierung und Frühberentung (OECD, 2012). In Deutschland werden Betroffenen unterschiedliche Unterstützungs-/Behandlungsmaßnahmen angeboten, z.B. medizinische/berufliche Rehabilitation, ambulante Psychotherapie, Betriebliches Eingliederungsmanagement (u.a.m.), die jedoch oft nicht rechtzeitig oder gar nicht in Anspruch genommen werden und nicht allen Betroffenen bekannt sind. Und im Einzelfall ist es manchmal unklar, welches Angebot in einer aktuellen Lebenssituation zielführend ist. Daher wurde ein konzertiertes Versorgungsmanagement gefordert (BMAS, 2013).
Um dieser Forderung nachzukommen und eine „Vermittlungslücke“ zu schließen, wurde im durch das Bundeprogramm rehapro geförderten Projekt SEMpsych („Systemisches Eingliederungsmanagement bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen“) eine Fallmanagement-basierte Beratung („Blaufeuer“) entwickelt und in drei Projektstandorten (Berlin, Köln, Nürnberg) implementiert. Kernaufgabe ist die Beratung, Begleitung und gegebenenfalls Vermittlung Betroffener mit dem Ziel, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, psychosoziale Belastungen zu reduzieren und Lebensqualität zu steigern. Um Betroffene zu erreichen, wurden/werden Betriebe, Hausärzte, Psychotherapeuten sowie andere Gesundheitsanbieter (z.B. SPDI) in den Modellregionen über Blaufeuer informiert, Blaufeuer in Medien beworben und potenziell Betroffene durch kooperierende Krankenkassen identifiziert und über Blaufeuer informiert.
Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und untergliedert sich in die Phasen Konzeptentwicklung, Implementierung mit begleitender formativer Evaluation, Bewährung mit begleitender summativer Evaluation und Transfer. Gegenwärtig ist die Implementierungsphase beendet. In der formativen Evaluation wurde unter anderem geprüft, inwiefern während der Implementierung Teilnehmende aus der Zielpopulation erreicht wurden.
Methoden
Eingeschlossen wurden Teilnehmende, die zwischen 1.9.2020 und 30.6.2022 eine Blaufeuer-Beratung erhalten und bei Beratungsbeginn einen standardisierten Fragebogen ausgefüllt haben. Erfasst wurden neben sozidemografischen/sozialmedizinischen Angaben psychische Belastung (PHQ-9, GAD-2, MBI, SSS-8), subjektive Arbeitsfähigkeit (Perceived Work Ability incl. WAS, SPE-Skala), Einschätzungen der Arbeitssituation (REQ, KAFA, Eigenkonstruktion) und Lebensqualität (SF-12). Berichtet werden deskriptive Statistiken (Häufigkeiten, Mittelwerte, Standardabweichungen).
Ergebnisse
Die N=433 Teilnehmenden waren im Mittel 45,6 (SD=10,2) Jahre alt, 66,5% waren weiblich, 52,0% ohne festen Partner lebend, 87,5% arbeiteten mindestens halbtags bzw. ganztags, 83,8% waren im Angestelltenverhältnis, 7,0% Arbeiter:innen, 4,8% Beamte und 1,9% selbstständig. Jeweils ca. 50% waren aktuell krankgeschrieben (50,3%) bzw. waren im Jahr vor Kontaktaufnahme mehr als 6 Wochen krankgeschrieben (48,1%).
In Indikatoren der psychischen Belastung PHQ-9 (M=14,6; SD=5,4), GAD-2 (M=3,9, SD=1,6), SSS8 (M=14,0, SD=6,1), MBI-Skala Erschöpfung (M=35,6; SD=10,50) und MBI-Skala-Depersonalisierung (M=9,1; SD=6,9) gaben die Teilnehmenden im Mittel vergleichsweise hohe Belastungswerte an. Ergebnisse im WAS (M=3,2; SD=2,6), der SPE-Skala (M=1,2; SD=1,0) sowie der MBI-Skala Leistungseinschätzung (M=23,2, SD=8,6) weisen auf eine erheblich reduzierte subjektive Arbeitsfähigkeit hin. Besonders schwer fällt es Teilnehmenden, in der Freizeit von der Arbeit abzuschalten (REQ-Skala „Abschalten von Arbeit“: M=2,8, SD=0,9). Laut SF-12 sind die körperliche Lebensqualität deutlich (M=45,11; SD=10,14) und die psychische Lebensqualität erheblich (M=27,0; SD=8,3) eingeschränkt. Die meisten Teilnehmenden berichten, dass sie sich in der Arbeit überfordert fühlen (70,9%) und geben Konflikte/Unzufriedenheit mit Vorgesetzten (64,9%) an.
Diskussion und Fazit
Die hohen Werte in allen Indikatoren der psychischen Belastung, die gering eingeschätzte (subjektive) Arbeitsfähigkeit sowie der hohe Anteil an Personen mit aktueller AU bzw. längeren AU-Zeiten im letzten Jahr verdeutlichen, dass diese Personen der anvisierten Zielgruppe entsprechen. Die Ergebnisse zur psychischen Belastung sind mit denen von Patienten am Beginn einer psychosomatischen Rehabilitation vergleichbar (vgl. Kobel et al., 2020), was auf eine hohe Behandlungsbedürftigkeit hinweist. Damit ist ein Teilziel des Projekts SEMpsych erreicht, nämlich dass in Blaufeuer potenziell behandlungsbedürftige Personen beraten werden, die noch keine passende Behandlungsmaßnahme gefunden haben.
Unklar bleibt, ob das ganze Spektrum der Betroffenen erreicht wird. Im Vergleich zu allen Erwerbstätigen in der Allgemeinbevölkerung nehmen Angestellte übermäßig häufig Blaufeuer in Anspruch (65,1% Allgemeinbevölkerung vs. 83,8% Blaufeuer), im Gegensatz zu Arbeiter:innen (16,6% vs. 7,0%) und Selbständigen (9,9% vs. 1,9%). Möglicherweise müssen neue Zugangswege zu diesen Personengruppen entwickelt werden.
Take-Home-Message
Die Teilnehmenden an der Fallmanagement-basierte Beratung („Blaufeuer“) weisen hohe psychische Belastung und geringe (subjektive) Arbeitsfähigkeit auf und entsprechen damit der anvisierten Zielpopulation.
Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutscher Gewerkschaftsbund (2013). Gemeinsame Erklärung - Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Information, Publikation, Redaktion, Bonn (Hrsg.)
Kobel, F., Morawa. E. & Erim, Y. (2020). Effectiveness of Inpatient Psychtotherapy for Patients With and Without Migratory Backround: Do they benefit equally? Frontiers in Psychiatry, 11:542.
OECD (2012). Sick on the Job? Myths and Realities about Mental Health and Work, Mental Health and Work. OECD Publishing.
Hintergrund und Zielstellung
[…] psychische Erkrankungen [sind] häufig mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbssituation der Betroffenen verbunden. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass psychiatrische Diagnosen bei erwerbsfähigen SGB-II-Leistungsberechtigten deutlich häufiger vorkommen als bei Beschäftigten; darüber hinaus lässt sich im Verlauf der letzten Jahre ein merklicher Anstieg des Anteils an Personen mit psychischen Einschränkungen unter den Leistungsberechtigten feststellen. (Oschimansky et al. 2017, S. 6)
Die Relevanz der Verbesserung der Beratungssituation vonseiten des Jobcenters für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die arbeitslos sind, wird im einleitenden Zitat aufgezeigt. L.IGA adressiert diese Personengruppe und forciert eine Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeit und eine Stabilisierung ihrer psychosozialen Situation. Die Ziele des L.IGA-Konzeptes beinhalten, dass mindestens ein innerhalb der Clearingphase festgestellter Handlungsbedarf abgebaut wird, ca. 50% der Teilnehmenden soll eine medizinische/therapeutisch notwendige Behandlung erhalten, die bei 25% der Behandelten eine chronische Erkrankung vorbeugen oder eine dauerhafte Behinderung vermeidet – die Anträge auf Erwerbsminderungsrente sollen damit auf bis zu 25% gesenkt werden. Darüber hinaus soll mit 50% aller Teilnehmenden innerhalb der Projektlaufzeit ein Integrationsplan zur (Re-) Integration in eine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit auf dem allgemeinen oder zweiten Arbeitsmarkt oder zur Aufnahme einer Ausbildung/beruflichen Weiterbildung erarbeitet werden. 20% davon sollen erfolgreich in den ersten Arbeits- oder Ausbildungsmarkt integriert werden.
Methoden
2.1 Methodik des Modellprojektes
Um diese Ziele zu erreichen, setzt L.IGA vier innovative Kernelemente um:
1) Beratung durch Tandems
Die interdisziplinäre Kooperation in Form von Tandems bestehend aus Fachkräften des Jobcenters und Sozialarbeitenden aus freien Trägern bietet durch die verschiedenen Perspektiven eine bedarfsorientierte und adressat*innenzentrierte Beratung. Die Beratungspraxis des Projektes zeichnet sich durch einen standardisierten Ablauf ab, der wiederum an die Bedürfnisse und Bedarfe der Teilnehmenden angepasst wird. Die Arbeit der Fachkräfte in den Tandems beginnt mit der Überleitung der Klient*innen aus dem Jobcenter. Es folgen ein Informationsgespräch, eine Clearingphase, ein Screening und psycho-soziales Coaching.
2) Ex-In-Genesungsbegleiter
Ein Ex-In-Genesungsbegleiters organisiert eine hausinterne Selbsthilfegruppe initiierte und berät Peer-to-Peer. Dies gewährleistet einen niedrigschwelligen Zugang für Menschen mit psychischer Erkrankung, die eine Stigmatisierung wegen ihrer Erkrankung oder ihrer Arbeitslosigkeit fürchten. (Ex-In-Deutschland e.V. o. J.)
3) Die Rehabilitationsklinik (RPK)
In der RPK sind ein Psychiater, ein Psychologe und eine Sozialarbeiterin tätig. Hierbei soll eine Verkürzung von Wartezeiten auf einen Therapieplatz entstehen. Eine frühe Aufnahme von Therapie und Behandlung trägt zum Entgegenwirken einer Chronifizierung bei. Auch ist ein wöchentlicher Austausch und kollegiale Beratung zu psychologischen Fragestellungen durch die RPK geboten.
4) Netzwerkpartner*innen
Durch die Initiierung neuer Kooperationen sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. (vgl. Projektskizze, S. 5) Durch eine institutionelle Öffnung in Form der Initiierung einer Selbsthilfegruppe durch den Ex-In-Genesungsbegleiter sowie die Möglichkeit der aufsuchenden Arbeit und der Organisation von Freizeitangeboten, wird die Institution Jobcenter zu einem Ort psychosozialer Begleitung und Selbsthilfe, der für psychisch belastete Menschen neue soziale Teilhabemöglichkeiten bietet. (Giertz et al. 2022, S. 36)
2.2 Begleitforschung
Innerhalb unserer Begleitforschung werden drei methodische Schritte vollzogen. In einem ersten Schritt wird eine Netzwerkanalyse stattfinden. Hierzu nutzen wir qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung. In einem zweiten Schritt werden Einzelfallanalysen durchgeführt, der abschließende Aspekt der Begleitforschung stellt die Analyse der Selbsthilfe und Partizipation dar.
Ergebnisse
Zum Zeitpunkt des rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums wird die Netzwerkanalyse abgeschlossen und die Einzelfallanalyse in der Durchführung sein. Diese Ergebnisse werden wir gern nachreichen, sobald sie vorliegen.
Diskussion und Fazit
L.IGA bietet eine Beratungs- und Begleitungssetting, das auf Ergebnisse empirischer Forschung antwortet (Oschimansky et al. 2017, S. 192) und trägt damit zu einer optimierten Beratungspraxis für Menschen mit psychischer Erkrankung bei. Unterstützungsangebote werden unter einem Dach gebündelt, sodass Leistungen wie „aus einer Hand“ (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 42) erbracht werden können. Durch die Kooperation des freien Trägers mit dem öffentlichen Träger und die weiteren Netzwerkstrukturen werden Synergieeffekte freigesetzt und, wie es bereits in den eingangs geführten Interviews mit den Tandems gezeigt hat, können hier Sozialarbeitende und Integrationsfachkräfte ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen und synergetisch in der Beratung und Begleitung von psychisch erkrankten Klient*innen miteinander verbinden (ebd., S. 196).
Take-Home-Message
Der Heimatlosigkeit psychisch erkrankter Menschen wird mit dem L.IGA Projekt entgegengewirkt.
Literatur
Giertz, Karsten, Speck, Andreas, Steinhart, Ingmar (2022). Soziale Teilhabe schwer psychisch
kranker Menschen. In: Giertz, Karsten, Große, Lisa, Röh, Dieter (Hrsg.): Soziale Teilhabe professionell fördern Grundlagen und Methoden der qualifizierten Assistenz. Psychiatrie Verlag. Köln.
Oschmiansky, Frank; Popp, Sandra; Riedel-Heller, Steffi; Schwarzbach, Michaela; Gühne,
Uta; Kupka, Peter (2017). Psychisch Kranke im SGB II: Situation und Betreuung. IAB-Forschungsbericht, 14/2017, Nürnberg.
Ex-In Deutschland e. V. (Hrsg.). Experten durch Erfahrung in der Psychiatrie. URL: https://ex-
in.de/ (Stand: 27.10.2022).
Hintergrund und Zielstellung
In Deutschland hält sich die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen seit den Zweitausenderjahren stabil auf einem hohen Niveau. Insbesondere juvenile Adipositas führt im Erwachsenenalter häufig zu verschiedenen Komorbiditäten wie Typ-2-Diabetes und Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (Schienkiewitz et al., 2019). Zusätzliche Probleme können sich im psychosozialen Bereich ergeben, da mit Übergewicht und Adipositas verminderte Lebensqualität und Mobbingerfahrung assoziiert sind. Der gesellschaftliche und wissenschaftspolitische Diskurs über Adipositas führt außerdem zu einer steigenden Anzahl an Therapie- und Präventionsformen, in denen digitale Technologien zunehmend an Bedeutung gewinnen, was eine aktuelle Übersichtsstudie zeigt (Pawellek et al., 2022). Bei der Gestaltung von Adipositas- und Übergewichtsinterventionen für Kinder und Jugendliche richtet sich das Augenmerk in der Regel auf die Reduktion des Body Mass Index (BMI), daher schlossen Pawelek et al. Publikationen aus, die beispielsweise eine Veränderung des Lebensstils bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen untersuchen. Hierbei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Wahrnehmung von Übergewicht als Erkrankung – und nicht lediglich als eine mögliche Ausprägung der physischen Gestalt wie beispielsweise Körpergröße – auch gesellschaftlich konstruiert ist (Barlösius et al., 2011). Somit sollte der therapeutische Schwerpunkt nicht zwingend auf der Gewichtsreduktion liegen.
Ziel dieser systematischen Übersichtsstudie ist deshalb, den aktuellen Forschungsstand zu digitalen, rehabilitativen Adipositasinterventionen für Jugendliche zu ermitteln. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem BMI, sondern auf weiteren Indikatoren wie Lebensqualität, Stimmung, Selbstwirksamkeit, psychischen Komorbiditäten oder Körperselbstbild.
Methoden
Folgende Datenbanken wurden durchsucht: PubMed, Web of Science, Livivo und Embase. Die Suchstrategie bildete eine Kombination der Leitbegriffe „Digital“, „Rehabilitation“, „Adipositas“ sowie „Jugendliche“, deren Synonyme und MeSH-Terms bzw. Schlagwörter. Um die Publikationsgeschichte einerseits möglichst umfassend darzustellen und andererseits Studien mit vergleichbarem Technikstand einzuschließen, beschränkt sich die Publikationsauswahl in sowohl deutscher als auch englischer Sprache auf die Jahre 2012 bis heute. Nicht publizierte Formate sowie Metaanalysen und Reviews wurden ausgeschlossen. Weitere Einschlusskriterien umfassen Alter (12-17 Jahre), Gewicht (BMI>=25) und Interventionsform (Rehabilitation, Nachsorge, Kuration). Präventionsstudien wurden ausgeschossen.
Relevante Informationen zu den Publikationen sowie Analysekriterien wurden mit Hilfe von Excel extrahiert. Die Bewertung des Risikos von Verzerrungen erfolgte mit Hilfe des Cochrane Tools RoB 2. Über Einschluss und Ausschluss der Studien, Datenauswertung, und Risk of Bias Assessment entschieden die vier Gutachterinnen unabhängig voneinander. Unterschiede wurden besprochen und nach Abstimmung behoben. Bei der Erstellung des Reviews folgten die Gutachterinnen dem aktuellen PRISMA (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analysis) Statement.
Ergebnisse
Insgesamt ergaben sich 2332 Treffer nach Bereinigung der Dubletten blieben 1839 Publikationen.
Die schrittweise Eingrenzung der Suchstrategie verdeutlicht die geringe Trefferquote im Bereich der Rehabilitation, insbesondere der Nachsorge. Ursache hierfür könnte einerseits sein, dass die Rehabilitationsforschung im internationalen Kontext ein eher kleines Fachgebiet ist und andererseits der bisherige Schwerpunkt bei Adipositasinterventionen im Kinder- und Jugendbereich auf Präventionsmaßnahmen liegt. Die Analyse zeigt zudem, dass der Gewichtsverlust als primärer Outcome Parameter überwiegend im Fokus der Studien liegt. Ein Bias dieser Analyse ergibt sich aus der Tatsache, dass ein bestimmter BMI als obligatorisches Kriterium definiert wurde. Dennoch wäre es in den untersuchten Studien möglich gewesen, andere Primärparameter wie physische und psychische Indikatoren zu definieren und diese zu erheben.
Diskussion und Fazit
Zeitgemäße rehabilitative Maßnahmen dürfen nicht nur die Devianz – das von der Norm abweichende Gewicht – betrachten, sondern müssen insbesondere die psychische Konstitution, die Lebensqualität, das Selbstbewusstsein und Selbstbild in den Fokus nehmen. Primäres Ziel darf es nicht sein das Körpergewicht zu reduzieren, sondern einen gesundheitsbewussten Lebensstil zu entwickeln, das Selbstbewusstsein und die allgemeine Zufriedenheit zu stärken. Dementsprechend sind diese Parameter auch in den Fokus der interventionsbegleitenden Forschung zu stellen und als primäre Outcomeparameter zu definieren.
Take-Home-Message
Der zukünftige Fokus sollte verstärkt auf Parametern liegen, die einen gesundheitsbewussten, nachhaltigen Lebensstil und Stärkung mentaler Ressourcen abbilden können.
Literatur
Barlösius, E., Philipps, A. (2011): Die Gesellschaft und das Selbst der ‚Dicken‘. Wie Kinder und Jugendliche gesellschaftliche Haltungen und Erwartungen in ihre Selbstkonstitution hineinnehmen. In: Zwick, M., Deuschle, J., Renn, O. (Hrsg): Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 180–202.
Pawellek, S., Ziegeldorf, A., Wulff, H. (2022): Strategien und Effekte digitaler Interventionen bei der Übergewichts- und Adipositastherapie von Kindern und Jugendlichen. Ein systematischer Review. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 65. 624-634.
Schienkiewitz, A., Damerow, S., Schaffrath Rosario, A., Kurth, B.-M (2019): Body-Mass-Index von Kindern und Jugendlichen. Prävalenzen und Verteilung unter Berücksichtigung von Untergewicht und extremer Adipositas. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 62. 1225-1234.
Hintergrund und Zielstellung
Angesichts zunehmender Implantationen von Hüft- und Knie-Totalendoprothesen (TEP) bei Personen im erwerbstätigen Alter (EPRD, 2021) gewinnt die Versorgung dieser Zielgruppe an Bedeutung. Obwohl die Anschlussheilbehandlung (AHB) einen wesentlichen Beitrag zur Rückkehr in den (beruflichen) Alltag leisten soll, können viele Patient:innen anfangs die darin vorgesehenen Therapien infolge einer frühzeitigen Entlassung aus dem Akutkrankenhaus nicht wahrnehmen (von Eiff & Schüring, 2011; Dynybil, 2019). Als Reaktion auf diese Entwicklungen wird im rehapro-Modellprojekt „ProSEeG“ (§ 11 SGB IX) eine komplexe Intervention mit innovativen prä- und postoperativen Therapiemodulen konzipiert und in die Patient:innenversorgung implementiert. Die sektoren- und trägerübergreifende Prozesskette verbindet die akutmedizinische, rehabilitative und ambulante Versorgung von TEP-Patient:innen.
Zielstellung ist die frühzeitige Wiederherstellung und langfristige Sicherung der Erwerbsfähigkeit von TEP-Patient:innen.
Methoden
Studiendesign
In einem Mixed-Methods-Ansatz wird (1) eine summative Ergebnisevaluation (nicht-randomisiertes, kontrolliertes, zweiarmiges Studiendesign mit 12 Monaten Follow-up-Zeitraum) mit (2) einer quantitativ-formativen und (3) einer qualitativen Prozessevaluation kombiniert. Die Studie ist monozentrisch (Lahntalklinik Bad Ems) angelegt und im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00029630).
Stichprobe
Auswahlstichprobe sind erwerbstätige Patient:innen nach Erstimplantation einer Hüft- oder Knie-TEP aufgrund von chronisch-degenerativen Gelenkveränderungen (ICD-10: M16 & M17). Weitere Einschlusskriterien sind: Versicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland oder Rheinland-Pfalz (nur Kontrollgruppe), Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine AHB. Ausschlusskriterien sind: TEP-Wechsel, TEP nach Unfallereignis/ akutem Trauma. Die Patient:innen werden vom Sozialdienst ihres behandelnden Akutkrankenhauses oder die Patientenaufnahme der Rehabilitationsklinik über die Studie informiert und erklären ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme vor der TEP-OP. In einem konsekutiven Vorgehen wird zuerst die Kontrollgruppe (KG; n = 390; care as usual) und danach die Interventionsgruppe (IG; n = 455; innovative Prozesskette) in die Studie eingeschlossen.
Interventionsbeschreibung
Die Therapiemodule der innovativen Prozesskette werden in Abstimmung mit der wissenschaftlichen Begleitevaluation von therapeutischem Fachpersonal der Rehabilitationsklinik konzipiert, implementiert und durchgeführt. Die Patient:innen der IG nehmen an einem eintägigen prä-operativen Vorbereitungsseminar teil. Zwischen der TEP-Implementation und dem Beginn der AHB wird zudem eine einwöchige stationäre Früh-Rehabilitation durchlaufen. Diese orientiert sich am individuellen Heilungsverlauf der Teilnehmenden und dient dem Erreichen einer vollständigen Rehabilitationsfähigkeit.
Outcomes
Primäroutcome der (1) Ergebnisevaluation ist die Funktionsfähigkeit im Beruf (Skalen zur Erfassung von Funktionsfähigkeit im Beruf; Müller et al., 2014). Sekundäre Outcomes sind Aktivität und Teilhabe sowie Komplikationen. Die Messzeitpunkte finden präoperativ (T0), zu Beginn (T1) und Ende der stationären Rehabilitation (T2), sowie 3 (T3), 6 (T4) und 12 (T5) Monate nach Beginn der AHB statt. In der (2) quantitativ-formativen Prozessevaluation werden in Anlehnung an Meng et al. (2009) projektspezifische Fragebögen zur Akzeptanz, Zufriedenheit und Umsetzbarkeit der Prozesskette eingesetzt. (3) Qualitative Leitfaden-Interviews und Fokusgruppen mit Patient:innen und weiteren beteiligten Stakeholdern (von Akutkrankenhäusern, Rehabilitationsklinik und potentiellen Kostenträgern) beleuchten hemmende und fördernde Faktoren im Hinblick auf die Implementierung der Prozesskette aus unterschiedlichen Perspektiven.
Ergebnisse
Derzeit läuft die Durchführung der Kontrollgruppe, aus der im Herbst 2023 erste Zwischenergebnisse erwartet werden. Daran anschließend beginnt die Durchführungsphase der Interventionsgruppe, deren Follow-up Zeitraum bis Mitte 2026 angesetzt ist.
Diskussion und Fazit
Im Rahmen des Modellprojekts soll die Zusammenarbeit an Schnittstellen in der Prozesskette (prä-, peri-, postoperative Behandlung) verbessert werden, um Hüft- und Knie-TEP-Patient:innen die Rückkehr in den (beruflichen) Alltag zu erleichtern. Aus den Ergebnissen werden Möglichkeiten und Bedingungen für einen Transfer in andere Regionen und ggf. Indikationsbereiche abgeleitet.
Take-Home-Message
Die AHB wird im Modellprojekt in eine sektoren- und trägerübergreifende Prozesskette eingebettet, um einen Beitrag zur frühzeitigen und langfristigen Verbesserung der (beruflichen) Teilhabe von TEP-Patient:innen zu leisten.
Literatur
Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) (2021). Jahresbericht 2021. Mit Sicherheit mehr Qualität. Berlin: EPRD.
von Eiff, W., Schüring, S. (2011). Medizinische Rehabilitation: Kürzere Akut-Verweildauern erhöhen Aufwand in der Reha. Deutsches Ärzteblatt, 108(21), A 1164-1166.
Dynybil, C. (2019). Die Zusammenarbeit muss enger werden–Erfolgsfaktoren für die Hüft-und Knie-TEP-Versorgung. physiopraxis, 17(09), 52-55.
Meng, K., Seekatz, B., Rossband, H., Worringen, U., Faller, H., & Vogel, H. (2009). Entwicklung eines standardisierten Rückenschulungsprogramms für die orthopädische Rehabilitation. Die Rehabilitation, 48(6), 335-344.
Müller, E., Bengel, M. & Wirtz, M. (2014). Validität und Änderungssensitivität der Skalen zur Erfassung der Funktionsfähigkeit im Beruf (SE-FFB). Die Rehabilitation, 53(3), 176-183.
Hintergrund und Zielstellung
Rehabilitations- und Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen sind ein wichtiger Teil des gegliederten Sozialleistungssystems in Deutschland. Dafür zuständig – und somit Rehabilitationsträger – können öffentliche Körperschaften, Anstalten und Behörden sein, die jeweils einem von insgesamt sieben Trägerbereichen zugeordnet sind (vgl. § 6 Abs. 1 SGB IX). (Schaumberg 2020) Anhand dieser Zuordnung lässt sich die Anzahl der Rehabilitationsträger in Deutschland nur schätzen. Das statistische Berichtswesen des Teilhabeverfahrensberichts nach § 41 SGB IX verpflichtet alle Rehabilitationsträger zur jährlichen Übermittlung ihrer Antragsdaten auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe. (Ulrich 2021) Im Rahmen der Berichterstellung konnten die Rehabilitationsträger erstmalig pro Trägerbereich quantifiziert werden.
Methoden
Um ihrer gesetzlichen Berichtspflicht nachkommen zu können, müssen sich alle Rehabilitationsträger einmalig bei der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) registrieren. Jeder berichtspflichtige Träger erhält auf diese Weise ein Pseudonym (die Träger-ID), um z. B. Datenmeldungen eindeutig zuordnen oder fehlende Daten identifizieren zu können. (Schüring, Ulrich, 2021) Eine Träger-ID wird solange als aktiv geführt, bis ein zuvor registrierter Rehabilitationsträger wegfällt (z.B. durch Fusionen im Bereich der Krankenkassen oder durch Gebietsreformen auf kommunaler Ebene). Durch das Zuordnen und Auszählen der vergebenen, aktiven Träger-ID lässt sich die Gesamtzahl der Rehabilitationsträger, ihre Anzahl pro Trägerbereich und – zumindest für die steuerfinanzierten Träger – pro Bundesland jedes Jahr quantifizieren. Neben der Zuordnung nach Trägerbereichen erfolgt die Aufteilung auch unter regionalen Gesichtspunkten: z.B. nach Bundesländern, Regierungsbezirken, Städten oder Gemeinden.
Ergebnisse
Aktuell (Stichtag 01.07.2022) gibt es in Deutschland 1.268 Rehabilitationsträger. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl leicht um 0,8 % gestiegen. An der Anzahl gemessen bilden 551 Rehabilitationsträger der öffentlichen Jugendhilfe den größten Trägerbereich, gefolgt vom Trägerbereich Eingliederungshilfe mit 309 Rehabilitationsträgern. Die Sozialversicherungsträger machen zusammen anteilig 12 % aller Rehabilitationsträger aus. Aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeitsverortungen und Landesausführungsgesetze variiert die Anzahl der steuerfinanzierten Träger von Bundesland zu Bundesland. Durch die Registrierung für eine Datenmeldung zum Teilhabeverfahrensbericht konnte insbesondere bei kommunalen Trägern oftmals die Frage beantwortet werden, wie viele unterschiedliche Trägerschaften auf eine einzelne Körperschaft entfallen.
Diskussion und Fazit
Die Anzahl der Rehabilitationsträger ist innerhalb der Trägerbereiche, aber auch von Bundesland zu Bundesland sehr heterogen verteilt. Sie ist dynamisch und kann sich jährlich ändern. Die Änderungen sind durch Strukturänderungen oder durch gesetzliche Vorgaben induziert. In letzterem Fall zeichnen sich durch die Einführung des SGB XIV (Tabbara 2020) sowie des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (Boettcher 2022) zwei Gesetzesvorhaben ab, die unmittelbare Auswirkungen haben werden auf die Anzahl der Rehabilitationsträger insgesamt und die Verteilung ihrer Anteile in den jeweiligen Trägerbereichen.
Take-Home-Message
Im Rahmen der Erstellung des Teilhabeverfahrensberichts nach § 41 SGB IX lassen sich die Rehabilitationsträger in Deutschland erstmalig und für jedes Jahr neu quantifizieren. Aktuell sind 1.268 Träger für Rehabilitations- und Teilhabeleistungen zuständig.
Literatur
1. Schaumberg, T. (2020): Das gegliederte System des Rehabilitationsrechts; Beitrag A9-2020 unter www.reha-recht.de; 14.05.2020. URL: https://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Diskussionsforen/Forum_A/2020/A9-2020_Gegliedertes_System_Rehabilitationsrecht.pdf. (Datum des letzten Aufrufs: 24.10.2022)
2. Schüring, S., Ulrich, L. (2021): Der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX. Instrument zur Darstellung von Rehabilitation in Kennzahlen. Sozialrecht und Praxis, 31. 426–434.
3. Tabbara, A. (2020): Neues Sozialgesetzbuch XIV. Die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts. Neue Zeitschrift für Sozialrecht, Heft 6, 210–217.
4. Ulrich, L. (2021): Das Reha-System in Kennzahlen: der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX; Beitrag D12-2021 unter www.reha-recht.de; 23.03.2021. URL: https://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Diskussionsforen/Forum_D/2021/D12-2021_Teilhabeverfahrensbericht.pdf. (Datum des letzten Aufrufs: 24.10.2022)
5. Von Boettcher, A. (2022): Inklusion und Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe nach dem KJSG. In: Recht und Praxis der Rehabilitation, 9, Heft 2, 5–13.
Hintergrund und Zielstellung
Menschen mit Behinderungen sind erheblich von gesundheitlicher Ungleichheit betroffen: Gegenüber der Allgemeinbevölkerung haben sie einen schlechteren Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung und eine höhere Wahrscheinlichkeit der Multimorbidität sowie von chronischen, schweren oder psychischen Erkrankungen betroffen zu sein (BMAS, 2021; WHO and The World Bank, 2011). Dies kann zu einem erhöhten Bedarf und vermehrter Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten einschließlich gesundheitsbezogener Rehabilitationsleistungen führen. Bisher fehlen Hinweise auf eine zielgerichtete medizinische Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen und es mangelt an Informationen über ihre tatsächlichen Bedarfe und Bedürfnisse. Ziel des Scoping Reviews ist es, einen Überblick über die Evidenz zu Bedarf an, Zugang zu sowie Inanspruchnahme und Outcomes von gesundheitsbezogenen Rehabilitationsleistungen für Menschen mit Behinderungen zu erhalten. In diesem Beitrag werden Herausforderungen bei der Durchführung der Literaturrecherche diskutiert.
Methoden
Für das Scoping Review wurde basierend auf den Oberkategorien Behinderung und Medizinische Rehabilitation ein Suchterm mit Bool’schen Operatoren und MeSH-Terms konzipiert. Die Suche erfolgte in den elektronischen Datenbanken PubMed, Cochrane Library, PSYNDEX und CINAHL. Es wurde englisch- und deutschsprachige Literatur, die sich mit erwachsenen Menschen (ab 18 Jahren) mit langfristigen körperlichen, geistigen, intellektuellen oder sensorischen Beeinträchtigungen befasst, eingeschlossen. Der Fokus lag auf medizinischer Rehabilitation. Die Analyse der Literatur folgte der formulierten Zielstellung und bezog alle methodischen Ansätze sowie Formen von Literatur, einschließlich grauer Literatur und Promotionsarbeiten, ein. Drei Forscherinnen sichteten, bewerteten und diskutierten die Literatursuche.
Ergebnisse
Trotz eines zielgerichteten, in einem aufwendigen Prozess erstellten Suchterms, ergab die Suche in allen Datenbanken insgesamt 9.478 Treffer. Diese hohe Trefferanzahl deutet auf einige Herausforderungen bei der Durchführung eines Scoping Reviews zur medizinischen Rehabilitation von Menschen mit Behinderung hin. Sie zeigt, dass keine stichhaltigen Ergebnisse, sondern vielmehr themenverwandte Beiträge mit den Suchbegriffen verknüpft sind. Einige Treffer betrafen beispielsweise andere Rehabilitationsformen oder Rehabilitation bei Kindern mit Behinderungen. Ein grundlegendes Problem scheint dabei die Definition der Begriffe Rehabilitation und Behinderung zu sein, die weder im deutschsprachigen noch im internationalen Raum einheitlich ist. Das Verständnis von Rehabilitation und insbesondere von Behinderung variiert stark und ist abhängig vom Verwendungskontext. So werden Behinderungen im Kontext der Rehabilitation vor allem als vorübergehend verstanden (z. B. postoperativ oder nach einem Unfall) – Behinderungen, die nicht ursächlich verbessert werden können, sind hier in der Regel unterrepräsentiert. Ferner gibt es oftmals keine eindeutigen Übersetzungen der Begriffe, mehrere Übersetzungsmöglichkeiten sowie einige Interpretationsspielräume. Hinzu kommt, dass das deutsche Rehabilitationssystem nur bedingt im internationalen Kontext vergleichbar ist.
Diskussion und Fazit
Unser Review zeigt einmal mehr, dass Menschen mit Behinderungen und deren Gesundheitsversorgung in der Literatur nicht adäquat abgebildet sind. Informationen zur medizinischen Rehabilitation dieser Personengruppe sind nur schwer und mit hohem Zeitaufwand auffindbar. Die genannten Herausforderungen deuten auf einen hohen Handlungsbedarf hinsichtlich der Konkretisierung zentraler Begriffe hin. Auch zeigen sie, dass eine Weiterführung des bestehenden Behinderungsdiskurses sowie der Austausch zwischen Theorie und Praxis essenziell sind, um Forschung zielgerichtet zur Verbesserung der gesundheitlichen bzw. rehabilitativen Versorgung von Menschen mit Behinderungen einsetzen zu können – trotz vieler politischer Bestrebungen (z. B. durch die UN-Behindertenrechtskonvention oder das Bundesteilhabegesetz) besteht hier noch Verbesserungspotenzial. Wissenschaft und Forschung sind daher gefordert, die Definition des Behinderungsbegriffes im Austausch mit Betroffenen und anderen relevanten Akteur*innen zu präzisieren und ein einheitliches Verständnis anzustreben. Ziel sollte es sein, dieses bisher kaum evaluierte Forschungsfeld der medizinischen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen besser zu erschließen. Das Scoping Review wird einen Beitrag hierzu leisten. Darüber hinaus schafft es einen dringend benötigten Überblick über das Thema und die Systematisierung wichtiger angrenzender Themenbereiche.
Take-Home-Message
Menschen mit Behinderungen sind in der Gesundheitsversorgung zu wenig berücksichtigt, dies spiegelt sich auch in der Studienlage wider. Um das Forschungsfeld der Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen besser erschließen zu können, bedarf es einer einheitlichen Definition und eines gemeinsamen Verständnisses des Behinderungsbegriffes.
Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). (2021). Dritter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen: Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung.
World Health Organization (WHO) and The World Bank (Hrsg.). (2011). World report on disability. Geneva, Switzerland.
Hintergrund und Zielstellung
Rehabilitationspatienten mit chronischen Erkrankungen haben in der Regel verschiedenste Lebensprobleme zu bewältigen. Eine mehrdimensionale, komplexe Fähigkeit, die dabei hilft, Lebensprobleme zu bewältigen, ist Weisheit (Ardelt, 2000; Baltes, Smith, 1990; Bluck, Glück, 2005). Weisheitsförderung spielt auch in der medizinischen Rehabilitation eine wichtige Rolle und hat sich als Therapieansatz bewährt (Baumann, Linden, 2008). Zur Diagnostik von Weisheitsfähigkeiten können auch Selbstbeurteilungsfragebögen verwendet werden. Verschiedene Selbstauskunft-Fragebögen versuchen Weisheit zu erfassen, indem Items auf Likert-Skalen mehr oder weniger zugestimmt werden kann. Die Items dieser Fragebögen werden üblicherweise von Experten formuliert. Unklar bleibt dabei, was Menschen, die den Fragebogen ausfüllen, sich zum Inhalt der Items denken. In dieser qualitativen Studie werden daher die Assoziationen von Laien zu den Items einer Weisheitsskala untersucht (12-WD-S; Linden et al., 2019). Die Skala umfasst 12 Weisheitseinstellungen, die aus verschiedenen psychologischen Weisheitskonzepten abgeleitet sind (Baumann, Linden, 2008). Die 12 Items der Skala waren mittels Delphi-Methode durch Experten entwickelt worden.
Methoden
Insgesamt 38 Personen (Altersdurchschnitt 38.2 Jahre; Altersspanne 19 bis 89 Jahre) füllten die Weisheitsskala aus, indem sie für jedes Item auf einer 6-stufigen Likert-Skala von 1 (Stimmt überhaupt nicht) bis 6 (Stimmt genau) ankreuzten, inwieweit sie der Einstellung zustimmten. Anschließend wurden die Personen gefragt, woran sie beim Beantworten der einzelnen Items gedacht hatten. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Dazu wurde induktiv ein Kategoriensystem entwickelt. Zwei Raterinnen wiesen unabhängig voneinander die einzelnen Assoziationen den folgenden Kategorien zu: zustimmende Ausschmückungen, kritische Einschränkungen oder neutrale Assoziationen.
Ergebnisse
Zu allen Items gab es eine umfangreiche Bandbreite sowohl an ausschmückenden als auch an einschränkenden Assoziationen. Je mehr kritische Einschränkungen zu einem Item genannt wurden, desto niedriger die Zustimmungstendenz zu diesem Item. Den Weisheits-Items wurde tendenziell eher zugestimmt. Der Median liegt mit einer Ausnahme bei 5 (Stimmt weitgehend) bis 6 (Stimmt genau). Die geringste Zustimmung erhielt das Item zu Ungewissheitstoleranz (Median = 4, stimmt ein wenig). Die stärkste Zustimmung erhielten die Items zu Wertrelativismus sowie zu Problem- und Anspruchsrelativierung (Median = 6, stimmt genau).
Diskussion und Fazit
Die allgemeine Zustimmungstendenz zu den Items der Weisheitsskala stimmt überein mit dem Antwortverhalten in der Studie an Psychosomatik-Patienten von Linden et al. (2019). Darüber hinaus zeigten die befragten Personen eine große Bandbreite an Assoziationen zu jedem Item.
Die individuellen Assoziationen zu Item-Inhalten können das Antwortverhalten beeinflussen, sind im ausgefüllten Fragebogen aber nicht ersichtlich. Dies sollte bei der Interpretation von Selbstauskunft-Fragebögen generell und speziell bei der Weisheitsmessung berücksichtigt werden. Durch die retrospektive Befragung ist unklar, inwieweit die genannten Assoziationen beim Ausfüllen bereits präsent waren.
Take-Home-Message
In der Einzelfalldiagnostik ist bei Fragebögen eine direkte Rücksprache mit der ausfüllenden Person notwendig, um die Angaben im Fragebogen inhaltlich valide interpretieren zu können und ggf. individuelle Maßnahmen ableiten zu können.
Literatur
Ardelt, M. (2000): Intellectual versus wisdom-related knowledge: the case for a different kind of learning in the later years of life. Educational Gerontology, 26. 771–789.
Baltes, P. B., Smith, J. (1990): Weisheit und Weisheitsentwicklung: Prolegomena zu einer psychologischen Weisheitstheorie. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 22. 95–135.
Baumann, K., Linden, M. (2008): Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie: Die Bewältigung von Lebensbelastungen und Anpassungsstörungen. Lengerich: Pabst Science Publishers.
Bluck, S., Glück, J. (2005): From the Inside out: People’s implicit Theories of Wisdom. In: Sternberg, R. J., Jordan, J. (Eds.): A Handbook of Wisdom: Psychological Perspectives. Cambridge: Cambridge University Press. 84–109.
Linden, M., Lieberei, B., Noack, N. (2019). Weisheitseinstellungen und Lebensbewältigung bei psychosomatischen Patienten. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 69. 332–338.
Hintergrund und Zielstellung
Bei Maßnahmen zum Erhalt von Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbstätigen sollten nicht nur Belastungen und Beanspruchungen am Arbeitsplatz, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Einzelnen berücksichtigt werden. Zur Erfassung der Funktionsfähigkeit eignet sich der "Work Role Functioning Questionnaire". Das ursprünglich aus Kanada stammende Instrument (Amick et al. 2001) misst, wie ein bestimmter Gesundheitszustand die Fähigkeit beeinflusst, Arbeitsanforderungen zu erfüllen und liegt bereits in mehreren Sprachen vor. Eine Adaptation an den deutschsprachigen Raum fehlte bislang. Der Fragebogen wurde von unserer Arbeitsgruppe aus der niederländischen Version WRFQ 2.0 (Abma et al., 2012) interkulturell adaptiert und bei einer heterogenen Stichprobe abhängig Beschäftigter mit dem Ziel einer psychometrischen Validierung der Gesamtskala und der vier Subskalen (1. Work scheduling demands, 2. Physical demands, 3. Mental and social demands und 4. Flexibility demands) eingesetzt.
Methoden
Nach der interkulturellen Adaptation wurden Angehörige eines kommerziellen Online Access Panels mit unterschiedlichsten Berufen rekrutiert, die in den letzten vier Wochen vor Studienbeginn mehr als 12 Stunden gearbeitet hatten (T0: n = 653). Zur Beurteilung weiterer psychometrischer Eigenschaften erfolgten zwei Follow-ups (T1: n= 66, T2: n= 95). Bei den 27 Items des WRFQ (5-Punkt- Likertskaliert) wurden nach einer Imputation fehlender Werte folgende Messeigenschaften überprüft: 1) strukturelle, 2) konvergente und 3) diskriminante Validität mittels explorativer Faktorenanalyse, 4) Boden- und Deckeneffekte, 5) interne Konsistenz, 6) Reproduzierbarkeit und 7) Reaktionsfähigkeit.
Ergebnisse
Die Stichprobenzielgröße wurde mit einem Oversampling von 86% erreicht. Die Messeigenschaften erwiesen sich mit Ausnahme der strukturellen Validität und der Reaktionsfähigkeit als gut. Eine explorative Faktorenanalyse zeigte eine zufriedenstellende Replizierbarkeit der ersten drei Subskalen; Flexibility demands hingegen konnte nicht zufriedenstellend abgebildet werden (siehe Tabelle 1, Zusatzmaterial; Michaelis et al., 2022a, 2022b).
Diskussion und Fazit
Der WRFQ zielt auf die Erfassung der Passung zwischen Anforderungen und Person und damit auf die Teilhabefähigkeit. Mit dem der Entwicklung und Validierung eines deutschsprachigen Instruments kann die Skala neben der Forschung auf verschiedenen Praxisebenen eingesetzt werden, z.B. bei Interventionen, die sekundärpräventiv auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit zielen, die tertiärpräventiv eine erfolgreiche Rückkehr in den Arbeitsprozess unterstützen, aber auch zur Identifikation von Beschäftigten mit sinkender Funktionsfähigkeit. Die Limitationen der Studie (eingeschränkte Repräsentativität von Online Access Panels durch einen Mangel an Mitgliedern in Managementpositionen) und die geringe Replikation der vierten Subskala bedürfen weiterer Forschung.
Take-Home-Message
Mit dem deutschsprachigen Work Role Functioning Questionnaire (WRFQ) steht ein neues Instrument mit 27 Items zur Verfügung, das in der arbeitsbezogenen Sekundär- und Tertiärprävention und für Screenings eingesetzt werden kann.
Literatur
Abma FI, van der Klink JJL, Bültmann U (2013). The work role functioning questionnaire 2.0 (Dutch version): examination of its reliability, validity and responsiveness in the general working population. J Occup Rehabil. 23:135–47. DOI 10.1007/s10926-012-9379-8
Amick BC 3rd, Lerner D, Rogers WH, Rooney T, Katz JN (2000). A review of health-related work outcome measures and their uses, and recommended measures. Spine 25(24): 3152-60. doi 10.1097/00007632-200012150-00010.
Michaelis M, Rieger MA, Burgess, S, Töws V, Abma FI, Bültmann U, Amick BC, Rothermund, E. (2022a). Evaluation of measurement properties of the German Work Role Functioning Questionnaire. BMC Public Health, 22:1750. DOI 10.1186/s12889-022-13893-4.
Michaelis M, Rieger MA, Rothermund E. (2022b). Der deutsche Work Role Functioning Questionnaire – zur Evaluation seiner Messeigenschaften [The German Work Role Functioning Questionnaire – on the evaluation of its measurement properties]. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed (57), 787-791. DOI: 10.17147/asu-1-240599
Hintergrund und Zielstellung
Questionnaires reliability in rehabilitation trials is critical to assure the evaluation of significant outcomes. It is encouraged to test metric properties of Patient-reported outcome measures in any trial, the sponsor should ensure the accuracy and reliability of the measurements (European Medicines Agency, 2002). In rehabilitation trials it is even less known about the quality of outcomes measuring the influence of rehabilitation settings and care management structures.
Objective of this contribution is to determine the reliability of Pain perception and Beliefs, Work ability, Quality of life, Mental health, Stress and Physical activity selected standardized questionnaires, available in an online platform for different rehabilitation clinics and settings in a low back pain rehabilitation multicenter clinical trial (RENaBack).
Methoden
Test-retest analysis was performed in a convenient sample of healthy personal from six rehabilitation clinics, as an essential quality check for the clinical trial study RENaBack (Puerto Valencia et al., 2021), using the intraclass correlation coefficient (ICC) agreement model (complete case analysis). The difference between the two repeated measurements ranged from two days to one week.
Ergebnisse
Population at baseline (n=54) had a mean age of 36.2 (± 1.66) years and 57% were women. 43% had a higher university academic degree and 31% were professionals.
The test-retest reliability analysis showed 0.94 (95% CI 0.90-0.97), and 0.95 (95% CI 0.90-0.97) ICC for the Chronic Pain Grade Questionnaire (CPG) in the scales Pain Intensity and Disability. Reliability for the Brief Pain Inventory (BPI) were 0.90 (95% CI 0.82-0.94) and 0.86 (95% CI 0.76-0.92) for Pain Intensity and Pain Interference respectively. In Pain Beliefs, the Fear Avoidance Beliefs Questionnaire (FABQ) showed ICC of 0.77 (95% CI 0.59-0.87) for “beliefs about physical activity” and 0.79 (95% CI 0.62-0.89) for “beliefs regarding work as a cause” subscales.
In the area of Work ability, the Work ability Index (WAI) presented ICC of 0.96 (95% CI 0.91-0.98). Regarding Quality of life, the SF-12 showed ICC of 0,88 and 0,92 in the mental and physical health subscales. Moreover, concerning mental health, the Vital Exhaustion (VE), Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) and Profile of Mood States (POMS) were tested showing ICC scores from 0.82 to 0.96.
In the case of stress, the Chronic stress screening scale from the Trier Inventory for the Assessment of Chronic Stress (TICS) reported ICC of 0.96 (95% CI 0.92-0.97). Finally, the International Physical Activity Questionnaire total score showed ICC of 0.87 (95% CI 0.71-0.95).
Diskussion und Fazit
All subscales from the standardized questionnaires show an excellent ICC (over 0.75). Reliability of Pain Intensity and Disability from the CPG questionnaire; main outcomes of the RENaBack trial, were tested in more than 50 participants, which is recommended (Froud et al., 2018). The tested population were only healthy participants due to permission and resources boundaries, still, the measurement accuracy of the standardized questionnaires used in a registered clinical trial in rehabilitation area was reflected and adjusted in order to assure an accurate evaluation of significant Patient-reported outcomes.
Take-Home-Message
A reliability analysis of the instruments used in a multicenter rehabilitation clinical trial is a recommended practice, as clinical settings can influence procedures and outcomes. Reliability test results support the high quality of the expected results from the RENaBack clinic network to come.
Literatur
European Medicines Agency. (2002): ICH E6 (R1) Guideline for Good Clinical Practice - Step 5. Report, EMEA. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/ich-e6-r1-guideline-good-clinical-practice_en.pdf, Retrieval: 27.10.2022.
Froud, R., Fawkes, C., Foss, J., Underwood, M., & Carnes, D. (2018): Responsiveness, Reliability, and Minimally Important and Minimal Detectable Changes of 3 Electronic Patient-Reported Outcome Measures for Low Back Pain: Validation Study. J Med Internet Res, 20,10. e272.
Puerto Valencia, L., Arampatzis, D., Beck, H., Dreinhöfer, K., Drießlein, D., Mau, W., Zimmer, J.-M., Schäfer, M., Steinfeldt, F., & Wippert, P.-M. (2021): RENaBack: low back pain patients in rehabilitation—study protocol for a multicenter, randomized controlled trial. Trials, 22,1. 932.
Hintergrund und Zielstellung
Die Soziale Arbeit ist fester Bestandteil der medizinischen und beruflichen Rehabilitation in Deutschland. Das SWIMMER-Projekt (Knoop et al., 2022) hat sich vor dem Hintergrund einer variierenden Versorgungspraxis und inkonsistenter Evidenzlage mit der Praxis der Profession in der medizinischen Rehabilitation auseinandergesetzt und darauf aufbauend eine Programmtheorie entwickelt. Für die berufliche Rehabilitation sind für Deutschland keine Studien zu sozialarbeiterischen Leistungen bekannt. Es mangelt zudem an einer internationalen Übersicht über den Forschungsstand zur Sozialen Arbeit in der Rehabilitation. Im Zuge des SWIMMER-Projekts und eines Projekts zur Sozialen Arbeit in der beruflichen Rehabilitation (SABER-Projekt) sollte auf Grundlage eines Scoping Reviews dieser Überblick gegeben werden. Ziel des Reviews war es, die Ausgestaltung sowie die Outcomes der Leistungen zu ermitteln.
Methoden
Die Recherche fand in den Datenbanken PubMed und SocIndex statt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde eine manuelle Suche in den führenden, gelisteten rehabilitationswissenschaftlichen und sozialarbeitsspezifischen Fachzeitschriften sowie in den Tagungsbänden ausgewählter internationaler rehabilitationswissenschaftlicher Kongresse durchgeführt. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Suchbegriffe. Publikationen, die nach 2010 in englischer oder deutscher Sprache veröffentlicht wurden, wurden eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Studien, die als Zielgruppe unter 18-Jährige oder Personen mit Suchterkrankungen hatten. Das Titel-, Abstract- und Volltextscreening wurden unabhängig von zwei Reviewer*innen durchgeführt. Abweichungen wurden mit dem Ziel der Konsensfindung diskutiert. Die Ergebnisse wurden gemäß den Fokussen der Studie kategorisiert und narrativ zusammengefasst.
Ergebnisse
Mit den Suchstrategien ergaben sich 2.278 Treffer. In das Volltextscreening gingen insgesamt 193 Treffer ein. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die einzelnen Phasen der Recherche. Studientypen der eingeschlossenen Studien sind u.a. RCTs, Beobachtungsstudien, qualitative Studien und theoretisch-konzeptionelle Beiträge. Die Veröffentlichungen stammen u.a. aus den USA, Großbritannien, Australien, Skandinavien und Südafrika. Reha-Indikationen umfassen u.a. psychische, muskuloskelettale, kardiologische und neurologische Erkrankungen. Das Reha-Setting variiert von medizinisch geprägten stationären und ambulanten Einrichtungen, gemeindenaher Rehabilitation über berufliche Rehabilitation. Die Länge der Maßnahmen/Interventionen reicht von wenigen Wochen bis zu zwei Jahren. Die Publikationen variieren bei den Bezeichnungen der Professionellen und reichen von Sozialarbeiter*innen ohne Zusatz zu gesundheitsbezogenen, klinischen bis hin zu medizinischen Sozialarbeiter*innen. Zudem werden Sozialarbeiter*innen in einzelnen Publikationen zusammen mit Casemanager*innen genannt. Der Bericht über die Beteiligung der Sozialen Arbeit am Reha-Prozess umfasst die Nennung der Profession als Teil des interdisziplinären Teams sowie die Beschreibung einzelner Tätigkeiten bzw. konkreter Interventionen. Die Tätigkeiten/Interventionen umfassen beispielsweise (psychosoziale) Assessments, finanzielle und soziale Sicherung, Informationsweitergabe und Koordination weiterführender Leistungen, die Entlassplanung, unterstützende Beratung sowie Edukation. In einzelnen Veröffentlichungen wird die Beteiligung und Durchführung von Therapien wie der Acceptance-Commitment-Therapy und Cognitive Enhancement Therapy dargelegt. Abbildung 2 zeigt eine Zuordnung der berichteten Outcomes zu den Komponenten des ICF-Modells der Funktionsfähigkeit.
Diskussion und Fazit
Sozialarbeiter*innen sind auch international Teil des interprofessionellen Teams in der Rehabilitation. Sie sind in verschiedenen rehabilitativen Settings und über diverse Indikationsbereiche hinweg verortet. Es deutet sich an, dass die Praxis in Abhängigkeit nationaler Kontexte, Settings und Indikationen variiert. Dies kann u.a. mit internationalen Unterschieden in den Ausbildungssystemen der Profession und den Reha-Systemen zusammenhängen. So zeigt sich, dass speziell in den USA Sozialarbeiter*innen insbesondere im Bereich psychischer Gesundheit an Therapien beteiligt sind. Dies ist der Profession im deutschen System nicht mehr möglich. Den Veröffentlichungen gemein ist, dass im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit im Kontext von Rehabilitation eine Ausrichtung auf die (psycho-)sozialen Dimensionen von Krankheit und Behinderung beschrieben wird, was sich auch in den berichteten Outcomes wiederspiegelt. Methodisch hat sich das Vorgehen, wie zuvor bereits gezeigt (Knoop et al., 2019), bewährt, eine umfangreiche manuelle Suche über Fachzeitschriften durchzuführen. Unklar bleibt, wieso die manuelle Suche derart erfolgreicher ist als die Suche in den Datenbanken.
Take-Home-Message
Die Soziale Arbeit ist Gegenstand der internationalen Rehabilitationsforschung. Die Ergebnisse sollten bei einer Überarbeitung der Praxisempfehlungen und Reha-Therapiestandards berücksichtigt werden.
Literatur
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (Hrsg.): (2005). ICF: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Köln: DIMDI.
Knoop, T., Dettmers, S., Meyer, T. (2019): Soziale Arbeit in der medizinischen Rehabilitation – Eine Literaturübersicht über den aktuellen Stand der Forschung. Die Rehabilitation, 58, 2, 89–95.
Knoop, T., Scheiblich, N., Dettmers, S., Meyer, T. (2022): Sozialarbeiterische Wirkmechanismen in der medizinischen Rehabilitation: theoretische und konzeptuelle Einordnung des Reha-Forschungsprojekts SWIMMER. Soziale Passagen. doi: 10.1007/s12592-022-00427-3
Negrini, S., Selb, M., Kiekens, C., Todhunter-Brown, A., Arienti, C., Stucki, G., Meyer, T. (2022): Rehabilitation definition for research purposes. A global stakeholders’ initiative by Cochrane Rehabilitation. American Journal of Physical Medicine & Rehabilitation 101, 7, e100-e107. doi: 10.1097/PHM.0000000000002031.
Hintergrund und Zielstellung
Im Bereich der Rehabilitationsmedizin bestehen bei der Rekrutierung von ärztlichem Nachwuchs in zweifacher Hinsicht Schwierigkeiten: Einerseits spiegelt sich die zunehmende Bedeutung der Rehabilitation im Zuge des demografischen Wandels und der Zunahme chronischer Krankheiten (WHO, 2017) bislang zu wenig in der ärztlichen Ausbildung wider, zum anderen stellt die Lage zahlreicher Rehabilitationseinrichtungen in abgelegenen, wirtschaftlich benachteiligten Regionen eine Rekrutierungsbarriere dar. Aus diesen Gründen sind Rehabilitationseinrichtungen stärker als andere medizinische Einrichtungen vom Rekrutieren und Halten von Medizinerinnen und Medizinern mit ausländischem Abschluss (MaA) abhängig (Jansen et al., 2018). Dieses Poster zeigt Ergebnisse der Studie „Medizinerinnen und Mediziner mit ausländischem Abschluss in deutschen Rehabilitationseinrichtungen (MaA-quant)“, die eine Bestandsaufnahme zur Anzahl, Verteilung und spezifischen Merkmalen der MaA in den DRV Vertragseinrichtungen liefert.
Methoden
Im Frühjahr 2022 führten wir zwei quantitative Querschnittsbefragungen auf Fachabteilungs- (FA) und Individualebene (MaA) durch. Für die FA-Umfrage schrieben wir die Leitungen aller stationären und ambulanten Fachabteilungen aus der QS Datenbank der DRV (n=2.965) postalisch an und baten sie, wahlweise auf beiliegendem Papierfragebogen oder Online an der FA-Umfrage teilzunehmen und alle bei Ihnen tätigen MaA mit einer Postkarte zur zweiten Umfrage einzuladen. In beiden Umfragen wurden Daten zu Charakteristika der Fachabteilung, dem ärztlichen Personal und Merkmalen der MaA erhoben. Die Chancen wurden qualitativ als offene Frage thematisiert, während typische Schwierigkeiten bei der beruflichen Integration basierend auf den Ergebnissen der Vorstudien in 9 Items auf einer 5-stufigen Likert Skala abgefragt wurden. Die Auswertung erfolgt deskriptiv und anhand von Mittelwertvergleichen.
Ergebnisse
Insgesamt machten 581 Fachabteilungsleitungen aus 22,7% der angeschriebenen Fachabteilungen Angaben zu 605 von ihnen betreuten ärztlichen Teams. In diesen sind 36% der ärztlichen Stellen mit MaA besetzt (r=0-100), wobei auch 2 von 5 Fachabteilungen aktuell ausschließlich in Deutschland ausgebildete Ärztinnen und Ärzte beschäftigen. In den Fachabteilungen mit MaAs im Team (n=361) liegt der durch diese besetzte Stellenanteil bei 45%.
Für 934 MaA liegen Angaben zu weiteren Merkmalen vor: Diese sind zur Hälfte weiblich und jeweils ein Drittel ist unter 35 Jahre bzw. über 50 Jahre alt. Etwas über die Hälfte der MaA sind bereits länger als zwei Jahre in der Fachabteilung tätig, knapp 30% unter einem Jahr. 18% der MaA arbeiten mit einer vorläufigen Berufserlaubnis, 57% verfügen über eine Approbation und 24% über einen deutschen Facharzttitel. 60% der MaA haben ihr Medizinstudium in den folgenden zehn häufigsten Ausbildungsländern absolviert: Russland (n=141), Rumänien (n=80), Syrien (n=77), Ukraine (n=62), Serbien (n=43), Bulgarien (n=40), Türkei (n=34), Polen (n=32), Ägypten (n=24) und Aserbaidschan (n=23) (vgl. Abbildung 1).
Die Fachabteilungsleitungen sehen primär die Chance, den ärztlichen Personalmangel zu mindern. Weiterhin schätzen sie die Vorteile in der Betreuung von nicht deutsch-sprachigen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, die Erhöhung der Diversität in der Einrichtung und die hohe Motivation der MaA. Die MaA hingegen nannten als häufigsten Vorteil ihre im Ausland absolvierte, qualitativ hochwertige Ausbildung, gefolgt von interkulturellen (auch -medizinischen) Kompetenzen und der Fähigkeit zum empathischen Umgang mit Menschen. Dabei spielen Sprachkenntnisse eine herausragende Rolle.
Die Mittelwertvergleiche zu den Schwierigkeiten zeigen deutliche Unterschiede der Ratings durch die Fachabteilungsleitungen (n=282) und die MaA (n=151). Während die Fachabteilungsleitungen häufigere Schwierigkeiten – insbesondere im sprachlichen und fachlichen Bereich angaben, bewerteten die MaA die Items durchweg niedrig. Lediglich die Mittelwerte zu fehlenden Unterstützungsmaßnahmen und Diskriminierung sind nahezu identisch niedrig (vgl. Abbildung 2).
Diskussion und Fazit
Im Ausland ausgebildete Ärztinnen und Ärzte sind zahlenmäßig keine Randerscheinung in den DRV Vertragseinrichtungen. Die Auswertung der Chancen und Schwierigkeiten zeigt ein teilweise divergierendes Bild zwischen den Einschätzungen der Fachabteilungsleitungen und der MaAs. Einschränkend bleibt festzuhalten, dass insbesondere die Stichprobe der MaA durch Selbstselektion verzerrt sein könnte.
Take-Home-Message
Medizinerinnen und Mediziner mit ausländischem Abschluss leisten mit einer von drei ärztlichen Stellen einen substanziellen Beitrag zur rehabilitativen Versorgung in Deutschland – ihre professionelle Integration und hierbei auftretende Schwierigkeiten sind ein relevantes Thema, dem mehr Bedeutung beigemessen werden sollte.
Literatur
Jansen E, Hänel P and Klingler C (2018) Rehabilitation-specific challenges and advantages in the integration of migrant physicians in Germany: a multiperspective qualitative interview study in rehabilitative settings. Public Health. DOI: 10.1016/j.puhe.2018.03.017.
World Health Organization. (2017). Rehabilitation in health systems. World Health Organization.
Hintergrund und Zielstellung
Trotz der möglichen Versorgungsrelevanz ist die Einbindung rehabilitationsbezogener Themen und Kompetenzen in die Lehre der Berufsgruppen des multiprofessionellen Reha-Teams kaum wissenschaftlich untersucht. Vorliegende Studien und Übersichtsarbeiten zeigen, dass rehabilitationsbezogene Lehrinhalte in den Ausbildungs- und Lehrplänen der rehabilitationsnahen Gesundheitsberufe bisher noch eine eher untergeordnete Rolle spielen und sehr heterogen umgesetzt werden, obwohl bei Angehörigen der betroffenen Berufsgruppen ein hoher Bedarf an rehabilitationsbezogenen Kompetenzen besteht (Retznik & Mau 2022; Mau et al. 2017).
Die Arbeitsgruppe (AG) „Reha-Lehre“ des Rehabilitationswissenschaftlichen Verbundes Berlin, Brandenburg und Mitteldeutschland (BBMD) hat sich 2021 mit dem Ziel gegründet, fachübergreifend rehabilitationsbezogene Lehr- und Fortbildungsangebote in der BBMD-Region zusammenzutragen (Rehabilitationswissenschaftlicher Verbund 2022). Anschließend sollen mögliche Weiterentwicklungsbedarfe der rehabilitationsbezogenen Aus- und Fortbildungsangebote formuliert werden.
Vor diesem Hintergrund wurden folgende Fragestellungen untersucht: Welche rehabilitationsbezogenen Lehrveranstaltungen werden in welchen gesundheitsbezogenen Studiengängen der BBMD-Region (Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen) angeboten? Welche Rehabilitationsthemen und Lehrinnovationen lassen sich in diesen Lehrveranstaltungen verorten?
Methoden
Um eine Übersicht über die rehabilitationsbezogenen hochschulischen Lehrangebote der BBMD-Region zu erhalten, wurden die Hochschulen und betreffenden Studiengänge per Internetrecherche identifiziert. Berücksichtigt wurden Studiengänge, die Berufsgruppen des Teams der medizinischen Rehabilitation ausbilden (Sportwissenschaft, Humanmedizin, Physiotherapie, Psychologie, Soziale Arbeit, Ergotherapie, Pflege, Ernährungswissenschaft, Logopädie, Gesundheitsmanagement), aus allen Hochschulen in der BBMD-Region).
In der ersten Befragungswelle sollten Ansprechpartner*innen für die Lehrangebote identifiziert werden. Mittels einer Kontaktaufnahme via E-Mail wurden die jeweiligen Studiengangs-/ Institutsleiter*innen kontaktiert. Hier wurde über die AG und ihr Vorhaben informiert und eine Rückmeldung zu den Ansprechpartner*innen für rehabilitationsbezogene Lehre im Studiengang erbeten. Bei ausbleibender Rückmeldung erhielten die auf den Internetseiten benannten Lehrverantwortlichen ein allgemeineres Anschreiben mit der Bitte um Weiterleitung an die hochschulintern verantwortlichen Professor*innen der gesundheitsbezogenen Fächer.
Die in diesem vorbereitenden Schritt erfassten Ansprechpartner*innen wurde dann in einer zweiten Befragungswelle (Befragung: 07/2022, Erinnerung: 09/2022) ein Kurzfragebogen zum verantworteten Lehrangebot zugesandt. Der Fragebogen erfasste neben den Ansprechpartner*innen (Kontaktdaten, Berufsgruppe, Position an der Hochschule) Informationen zu den rehabilitationsbezogenen Lehrangeboten (Bachelor und Master getrennt), wobei relevante Lehrveranstaltungen und die jeweiligen rehabilitationsbezogenen Hauptthemen zu benennen waren. Außerdem wurden Lehrinnovationen mit Rehabilitationsbezug an der Hochschule abgefragt.
Ergebnisse
Die Befragung lief bis zum 14.10.2022. Es ließen sich 161 Studiengänge von 53 Hochschulen in der BBMD-Region identifizieren und daraus Kontaktinformationen zu insgesamt 51 Ansprechpartner*innen aus 31 Hochschulen gewinnen. Hierbei waren einige Personen für mehrere Studiengänge zuständig. Von diesen angeschriebenen Personen beantworteten 22 die schriftliche Kurzbefragung, die so Informationen zu 25 Studiengängen generiert hat. Die Verteilung über die Fachrichtungen sowie der Rücklauf sind in Tabelle 1 dargestellt.
Bezüglich des Lehrangebots deutet sich an, dass in den Studiengängen Sportwissenschaft und Medizin sowie Physiotherapie und Ergotherapie jeweils mehrere Veranstaltungen mit Rehabilitationsbezug stattfinden. Dabei gestalteten sich die benannten Rehabilitationsthemen sich fachspezifisch sehr heterogen. So werden u.a. Rehabilitation als Gesundheitsstrategie, gesetzliche Grundlagen, die ICF, Teilhabe und Behinderung sowie das Reha-System in Deutschland behandelt. In sechs der Fragebögen wurden keine Reha-Themen benannt.
In rund der Hälfte der angegebenen Studiengänge (n=11) wurden Lehrinnovationen oder Lernprojekte angegeben, die u.a. interprofessionelle Lehre, digitale Lehrmedien, Fachpraktika und Hospitationen, Studienprojekte, POL sowie Mobilitätstraining mit Hilfsmitteln beinhalteten. Lehrinnovationen wurde hauptsächlich in den Sportwissenschaften, der Humanmedizin sowie den Studiengängen im Gesundheitsmanagement zurückgemeldet.
Diskussion und Fazit
Angesichts der geringen Verfügbarkeit anderer Informationsquellen wie Websites der Hochschulen gibt die Befragung einen ersten fachübergreifenden Einblick über rehabilitationsbezogene hochschulische Lehrangebote für zahlreiche Berufsgruppen des multiprofessionellen Reha-Teams in der BBMD-Region. Ob die geringe Response als Indiz für mangelnde Lehrangebote zu dem Themenfeld zu werten ist, kann mit dem hier möglichen Ansatz nicht geklärt werden. Die Rückmeldungen bieten Hinweise, welche Schwerpunktthemen und Lehrinnovationen in den jeweiligen Fachgebieten eine Rolle spielen und wie Rehabilitation von den Lehrverantwortlichen interpretiert wird. Die Ergebnisse der Befragung bieten das Potential für tiefergehende inhaltliche Untersuchungen.
Take-Home-Message
Wenige Rückmeldungen vermitteln erste Hinweise zu rehabilitationsbezogener Lehre, die zu einem Vergleich zwischen Berufsgruppen des multiprofessionellen Reha-Teams und zur Identifizierung von Weiterentwicklungsbedarfen führen sollen.
Literatur
Mau, W., Bengel, J., Pfeifer, K. (2017): Rehabilitation in der Aus-, Fort- und Weiterbildung beteiligter Berufsgruppen. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 60 (4), 1-8k.
Rehabilitationswissenschaftlicher Verbund BBMD (2022): Arbeitsgemeinschaft "Reha-Lehre". URL: https://bbmd.charite.de/forschung_und_lehre/ag_reha_lehre, Abruf: 19.10.2022.
Retznik, L., Mau, W. (2022): Rehabilitationsbezogene Inhalte in der Ausbildung von Gesundheitsberufen – Eine Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse. Pädagogik der Gesundheitsberufe, 1-2022.
Hintergrund und Zielstellung
Der Schutz Mitarbeitender und Rehabilitand*innen vor Covid-19-Infektionen stellt Rehabilitationskliniken seit dem Pandemiebeginn vor immer neue Herausforderungen. Covid-19-Ausbrüche im stationären Setting können nicht nur direkt anwesende Rehabilitand*innen und Mitarbeitende gefährden, sondern indirekt – etwa durch Schließungen oder Aufnahmestopps – die rehabilitative Versorgung in größerem Maßstab.
Damit SARS-CoV-2 nicht in die Einrichtung eingetragen wird und um Ausbrüche zu vermeiden, haben Rehabilitationskliniken diverse Maßnahmen zum Infektionsschutz eingeführt. Kontaktbeschränkungen, restriktive Besuchsregelungen, Isolationen und ähnliche Maßnahmen sollen Mitarbeitende wie Rehabilitand*innen schützen (Leibbrand & Seifart, 2021). Gleichzeitig können Schutzmaßnahmen weitere Belastungen zusätzlich zu anderen Stressfaktoren während einer Pandemie mit sich bringen. Um negativen Effekten des notwendigen Infektionsschutzes vorzubeugen, bedarf es gezielter Ausgleichsstrategien.
Ziel der Erhebung war die Identifikation möglicher Strategien für die Rehabilitationskliniken, konkreten Belastungen für Rehabilitand*innen und Mitarbeitende vorzubeugen.
Methoden
Die Datenbasis für die Analyse bilden 14 qualitative Einzel- und Gruppeninterviews mit Klinikleitungen (n = 17) und Pflegefachkräften (n = 2), qualitative Einzelinterviews mit (ehemaligen) Rehabilitand*innen (n = 17) und eine quantitative Zusatzerhebung mit Klinikmitarbeitenden (vorrangig in Leitungsfunktionen, n = 12). Die Ergebnisse wurden nach der Synthese im Rahmen einer Lessons-Learned-Veranstaltung mit Vertreter*innen der stationären Rehabilitation, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Wissenschaft diskutiert und im Anschluss konkretisiert und ergänzt.
Ergebnisse
Die Einführung und Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen vermitteln Mitarbeitenden und Rehabilitand*innen insgesamt ein Sicherheitsgefühl. Gleichzeitig erleben beide Gruppen Belastungen. Rehabilitand*innen nehmen einzelne Einschränkungen des Therapieangebots als schwierig wahr, profitieren dafür aber von anderen (kleinere Gruppengrößen). Die deutlichste Belastung erwächst für die Gruppe aus Einsamkeit infolge der Kombination wegfallender oder eingeschränkter Freizeitangebote und notwendiger Schutzmaßnahmen in Bezug auf gemeinsam genutzte Räume. Positiv wirken sich hier von der Klinik explizit erlaubte oder organisierte Ausgleichsangebote wie Wanderungen oder vergleichbare Kleingruppenaktivitäten an. Rehabilitand*innen äußern den Bedarf nach zusätzlichen psychosozialen Angeboten, die vereinzelt auch von Kliniken angeboten werden.
Mitarbeitende sind teilweise von ähnlichen Belastungen in Bezug auf Sozialkontakte am Arbeitsplatz und in der Freizeit betroffen, die beispielsweise wegen des Wegfalls der gemeinsamen Nutzung von Pausenräumen und sozialer Isolation im privaten Umfeld bestehen. Neben dem arbeitsbezogen erhöhten Infektionsrisiko werden neue Aufgabenstellungen, Entscheidungszwang bei z.T. defizitärer Informationslage, Personalmangel und ein erhöhter Kommunikations- und Diskussionsaufwand als Belastungen wahrgenommen. Der Wunsch nach zusätzlichen, aktuell nicht angebotenen psychosozialen Unterstützungsangeboten wird deutlich. Von Mitarbeitenden wird teilweise die weniger formalisierte Ansprechbarkeit - auch bezüglich privater Belastungen - durch Vorgesetzte als Unterstützung genutzt. Positiv erlebt werden ein verstärkter Zusammenhalt durch die gemeinsame Bewältigung der Situation und ein besseres gegenseitiges Verständnis durch engere bzw. neue Formen der Zusammenarbeit. Zusätzliche Fortbildungen werden als hilfreich beschrieben. Die Einführung von ausgleichenden Maßnahmen ist maßgeblich abhängig von Leitungsentscheidungen.
Diskussion und Fazit
Mögliche Strategien zur Kompensation von Mehrbelastung können auf drei unterschiedlichen Ebenen identifiziert werden:
• Als Ausgleich für konkrete Einschränkungen durch Infektionsschutzmaßnahmen wie z.B. das Angebot neuer, sicherer Freizeitaktivitäten bei Wegfall des bisherigen Freizeitprogramms
• Als zusätzliches Angebot zum Umgang mit psychosozialen Mehrbelastungen durch die Pandemiesituation (z.B. zusätzliche Beratungsangebote unterschiedlicher Formalitätsgrade)
• Als Angebot zur Förderung von Kompetenzen und Ressourcen (z.B. Kommunikationsschulungen zu Konfliktsituationen, Fortbildungen zu psychischer Gesundheit im Berufsalltag)
Bei der Planung und Umsetzung einer Ausgleichsstrategie ausschlaggebend sind das Abfragen von Bedarfen und Vorschlägen vonseiten der Rehabilitand*innen und Mitarbeitenden. Die Berücksichtigung sämtlicher Statusgruppen ist dabei wichtig, da Mehrbelastungen bereichs- und statusgruppenabhängig nicht automatisch als potentielle Ziele von Ausgleichsmaßnahmen erkannt und Belastungsformen und Ausgleichsbedarfe in der heterogenen Organisation einer Klinik variieren.
Infektionsschutzmaßnahmen sind notwendig, um den Klinikalltag für Mitarbeitende und Rehabilitand*innen sicher gestalten zu können. Gleichzeitig müssen ihre „Nebenwirkungen“ und die allgemeinen Belastungen im Zuge der Pandemie in ihrer Relevanz für Rehabilitand*innen und Mitarbeitende stärker als bisher in der Pandemieplanung berücksichtigt werden. Rehabilitationskliniken haben durch den interdisziplinären Charakter der stationären Rehabilitation in der Regel bereits große Ressourcen (Fach- und Anwendungswissen und -gelegenheiten), um gesundheitlichen Belastungen auf Individualebene der Rehabilitand*innen zu begegnen. Diese Ressourcen sollten in die Pandemieplanung mit Blick auf die gesamte Organisation eingebracht werden.
Take-Home-Message
Ausgleichsstrategien für Belastungen, die im Zusammenhang mit der Pandemie und mit Infektionsschutzmaßnahmen entstehen, müssen in ihrer Relevanz für Rehabilitand*innen und Mitarbeitende stärker als bisher in der Pandemieplanung berücksichtigt werden.
Literatur
Leibbrand, B., Seifart, U. (2021). Onkologische Rehabilitation und Entwicklung von Strategien in Krisensituationen am Beispiel der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 unter Berücksichtigung einer Patienten- und Mitarbeiterbefragung. Rehabilitation, 60, 02. 142-151.
Hintergrund und Zielstellung
Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ist für die erwerbsbezogene Zukunft der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden von entscheidender Bedeutung. Um in der medizinischen Rehabilitation eine umfassende und stimmige Leistungsbeurteilung vornehmen zu können, bedarf es der Qualifikation der Mitarbeitenden und der Zusammenarbeit des gesamten Reha-Teams.
E-Learning hat den Vorzug Raum- und Zeitungebundenen Lernens, d.h. einer persönlichen, flexiblen Lernorganisation. Aktuelle Studien im Gesundheitswesen zeigen, dass E-Learning bzgl. Effektivität und Zufriedenheit mit anderen Lernformen ebenbürtig ist (Sinclair et al 2016; Liu et al 2016). Dabei ist die didaktische Methode ein wesentlicher Einflussfaktor für den Lernerfolg. Im Projekt WELLE wurde vor diesem Hintergrund ein E-Learning-Kurs zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung in der medizinischen Rehabilitation entwickelt und der praktische Einsatz evaluiert.
Methoden
Lernziele, Anforderungen, und mögliche didaktische Methoden an den E-Learning-Kurs wurden in einer Fokusgruppe mit Expertinnen und Experten der Deutschen Rentenversicherung und der Reha-Forschung erarbeitet. Darauf aufbauend wurden die Lerneinheiten und das didaktische Konzept entwickelt. Die Lerneinheiten wurden mit der Software Articulate, Lernvideos mit der Software Vyond erstellt. Als Lernplattform wird Ilias eingesetzt. Alle Lerneinheiten wurden von sozialmedizinischen Expertinnen und Experten sowie Angehörigen der Zielgruppe geprüft und kommentiert und darauf basierend optimiert. Das E-Learning wurde mittels E-Mail beworben. Die Evaluation erfolgte über eine in das E-Learning integrierten Evaluationsfragebogen sowie die Auswertung der Anmelde- und Abschlussdaten.
Ergebnisse
Das E-Learning-Kurs besteht aus einem Einführungskapitel, 10 Lektionen und einer Prüfungseinheit.
Zentrale didaktische Merkmale sind die Benennung der Lernziele, kurze Lerneinheiten, praktische Fallbeispiele, Videoelemente und Übungsfragen. Das E-Learning wurde durch die Ärztekammer Westfalen-Lippe zertifiziert.
Im Zeitraum 1. April bis 26. Juli 2022 wurden insgesamt 892 Registrierungscodes von Einzelpersonen und Reha-Teams angefragt. 407 Personen meldeten sich auf der Lernplattform an (=45,6 %). 214 Personen beendeten den Kurs in diesem Zeitraum erfolgreich. Der Evaluationsfragebogen wurde von 156 Personen beantwortet (=38 % der Kursteilnehmenden, 70% der erfolgreich Absolvierenden). Die an der Befragung Teilnehmenden waren zu 59 % weiblich und im Mittel 46,1 Jahre alt (Range 22 bis 74 Jahre). 61 % waren Ärztinnen und Ärzte, 17 % Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, 13 % Psychologinnen und Psychologen, 6 % Funktionstherapeutinnen und -therapeuten. Die Berufserfahrung der Antwortenden lag im Mittel bei 19,2 Jahren (Range: 0,5 bis 43 Jahre), die Reha-Erfahrung bei 11,1 Jahren (Range: 0,25 bis 39 Jahre). 81 % gaben an, den Kurs zur Auffrischung/Erweiterung des Wissens besucht zu haben, 19 % gaben an, bislang noch wenig Kontakt zur Leistungsbeurteilung gehabt zu haben.
Das Handling und die Navigation im Kurs wurden von 96 % der Antwortenden als eher einfach erlebt. Die Zielsetzung der Lektionen und die Darstellung beurteilten über 80% der Teilnehmenden als klar. Lediglich 1,9 % der Teilnehmenden beurteilten Präsentation und Aufbau des Kurses als eher nicht motivierend. 72 % der Antwortenden gaben an, dass die in den Kurslektionen eingebetteten Videos den Lernerfolg sehr unterstützt haben; bei den Quizfragen gaben dies 86 % der Antwortenden an. 82 % gaben an, der Kurs habe Relevanz für die praktische Tätigkeit. 86 % gaben an, dass Sie durch den Kurs nachhaltiges Wissen erwerben konnten. Insgesamt geben 98 % an, der Kurs habe sich gelohnt, alle Antwortenden würden den Kurs weiterempfehlen. Es gab Anregungen für weitere Kursinhalte, z.B. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungsbeurteilung bei speziellen Fallkonstellationen, Konsistenzprüfung.
Diskussion und Fazit
Das Lernformat „E-Learning“ schafft die Möglichkeit selbstbestimmt und ohne Reiseaufwand Wissen zu er-weitern und zu vertiefen. Das breite Spektrum von Teilnehmenden (Alter, Berufserfahrung, berufliche Stellung), zeigt, dass das Angebot für alle Mitarbeitenden in Reha-Einrichtungen relevant ist. Aus Reha-Einrichtungen wurden Registrierungscodes für das ganze Reha-Team angefragt und das E-Learning sogar manchmal zur Pflichtveranstaltung erklärt. Die Nachfrage ist auch 6 Monate nach Start noch hoch.
Take-Home-Message
Fallbasierte E-Learnings können eine effektive und ökonomische Methode zur Qualifizierung von Reha-Teams darstellen. Sie schaffen eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit.
Literatur
Liu, Q., Peng, W., Zhang, F., Hu, R., Li, Y., & Yan, W. (2016): The Effectiveness of Blended Learning in Health Professions: Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of Medical Internet Research, 18(1):e2
Sinclair, P. M., Kable, A., Levett-Jones, T., & Booth, D. (2016): The effectiveness of Internet-based e-learning on clinician behaviour and patient outcomes: A systematic review. International Journal of Nursing Studies, 57, 70–81.
Hintergrund und Zielstellung
Mütter in stationären Mutter-Kind-Vorsorge- bzw. Rehabilitationsmaßnahmen weisen bis zu 80 Prozent klinisch relevante psychische Belastungen auf (Herwig, Bengel, 2005). Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es einerseits, diese Zielgruppe detaillierter zu beschreiben und andererseits, Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit von Müttern zu identifizieren. Untersucht werden Prädiktoren in folgenden Themenbereichen: (1) partnerschaftliche Beziehung, (2) Elternrolle und (3) Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen. Damit sollen mögliche Ansatzpunkte gefunden werden, die für die Beratung und Therapie von psychisch belasteten Müttern von Bedeutung sein können.
Methoden
Die Analysen basieren auf den Daten der Befragungswelle 11 (2018/2019) des Beziehungs- und Familienpanels pairfam, Release 13.0 (Brüderl et al., 2022). Einbezogen wurden Mütter in Partnerschaft mit mindestens einem bei ihnen im Haushalt lebenden Kind unter 18 Jahren.
Für die Beschreibung der potenziellen Zielgruppe wurden zunächst die Frauen als psychisch belastet eingestuft, die auf der psychischen Summenskala des SF-12 einen Wert von < 40 (M=50 minus SD=10) aufwiesen. Mütter mit einem Wert ≥ 40 werden in dieser Untersuchung als psychisch nicht belastet bezeichnet. Mit Mittelwertvergleichen mittels t-Test für unabhängige Stichproben wurden die beiden Müttergruppen einander gegenübergestellt. Zu den Testvariablen gehörten Einschätzungen (1) zur Beziehung zum/zur Partner:in (2) zur Elternrolle und (3) zur eigenen Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen. Anschließend diente die multiple lineare Regression mit Bootstrapping (1000 Samples) zur Ermittlung von Prädiktoren für die psychische Gesundheit aller Mütter der untersuchten Stichprobe. Ins Modell aufgenommen wurden die Variablen, die sich in den bivariaten Tests als signifikant erwiesen hatten. Voraussetzungen wurden geprüft.
Ergebnisse
Untersucht wurden 1795 Mütter im Alter zwischen 24 und 48 Jahren (M=38; SD=6,2), davon 224 (12,5%), die als psychisch belastet eingestuft wurden. Das jüngste Kind ist im Durchschnitt 6,7 Jahre alt.
Die psychisch belasteten Mütter wiesen in allen untersuchten Zusammenhängen, d.h. in ihrer Partnerschaft, in ihrer Elternrolle sowie in ihrer Zufriedenheit mit unterschiedlichen Lebensbereichen schlechtere Werte im Vergleich zu den nicht belasteten Müttern auf (siehe Tabelle 1).
Sieben der acht untersuchten Prädiktoren konnten die psychische Gesundheit von Müttern vorhersagen. Dabei fielen das elterliche Kompetenzgefühl, die Zufriedenheit mit der Familie und die Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance am stärksten ins Gewicht. Beim elterlichen Kompetenzgefühl verbesserte sich mit jedem gewonnenen Punkt auf der Kompetenzskala die mütterliche Gesundheit um mehr als zwei Punkte auf der psychischen Summenskala des SF12, bei der Zufriedenheit mit der Familie sind es fast 0,8 Punkte Verbesserung. Bezogen auf die partnerschaftliche Beziehung ist bei destruktivem Konfliktverhalten der Mutter eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit um knapp 1,2 Punkte zu erwarten. Die Anstrengungen der Mütter, bspw. bedingt durch fehlende Autonomie (Abgrenzungsmöglichkeiten vom Kind) oder durch überfürsorgliches Verhalten haben geringere Vorhersagekraft, sind aber dennoch signifikant. Insgesamt erklären die hier anhand der psychischen Summenskala des SF-12 untersuchten Prädiktoren die psychische Belastung von Müttern (F(9, 1307)=40,97, p < 0,001) bei einer Varianzaufklärung von knapp 22 Prozent (korrigiertes R²=0,215). Diese erscheint niedrig, ist aber angesichts dessen, dass so viele andere Faktoren die Gesundheit beeinflussen, als beträchtlich einzustufen.
Diskussion und Fazit
Mütter mit psychischer Belastung sind vermehrt mit Schwierigkeiten in ihrer Elternrolle sowie Partnerschaft konfrontiert und zeigen sich mit manchen Lebensbereichen weniger zufrieden als Mütter, die in dieser Untersuchung als psychisch nicht belastet definiert wurden. Es erscheint sinnvoll, auf diese Zusammenhänge erhöhte Aufmerksamkeit zu richten. Aufgrund ihres interdisziplinären Behandlungsansatzes sind stationäre Mutter-Kind-Vorsorge- und Rehabilitationskliniken gut auf die hier genannten Belastungen von Müttern eingestellt.
Take-Home-Message
Elternrolle, Partnerschaft und Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen stehen in Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit von Müttern. Hier bestätigen sich mögliche Ansatzpunkte für eine gelingende Therapie während eines stationären Aufenthaltes in einer Mutter-Kind-Klinik.
Literatur
Brüderl, J., Drobnič, S., Hank, K., Neyer, F. J., Walper, S., Alt, P., Borschel, E., Bozoyan, C., Garrett, M., Geissler, S., Gonzalez Avilés, T., Gröpler, N., Hajek, K., Herzig, M., Lenke, R., Lorenz, R., Lutz, K., Peter, T., Preetz, R., Reim, J., Sawatzki, B., Schmiedeberg, C., Schütze, P., Schumann, N., Thönnissen, C., Timmermann, K., Wetzel, M. (2022). The German Family Panel (pairfam). GESIS Data Archive, Cologne. ZA5678 Data file Version 13.0.0, doi.org/10.4232/pairfam.5678.13.0.0
Herwig, J. E. & Bengel, J. (2005). Schweregrad und Störungswert der Belastungen von Frauen in Mutter-Kind-Maßnahmen. Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 53, 1-15.
Hintergrund und Zielstellung
Die Überlebensraten in der pädiatrischen Onkologie sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Dennoch leiden krebskranke Kinder und Jugendliche nach wie vor unter zahlreichen Symptomen und Behandlungsnebenwirkungen. Nach Beendigung der onkologischen Primärtherapie stellen Rehabilitationsmaßnahmen den Goldstandard zur Wiederherstellung des optimalen körperlichen, sensorischen, intellektuellen, psychologischen und sozialen Funktionsniveaus dar. Zur Evaluation der Wirksamkeit der Rehabilitationsmaßnahmen sind ‚Patient-Reported Outcomes‘ (PROs) das Mittel der Wahl. In der pädiatrischen Onkologie werden die PROs meist durch Fremdbeurteilungen der Eltern ergänzt (de Rojas et al., 2020). Dies führt jedoch zu dem Dilemma, dass diese Selbst- und Fremdbeurteilungen zum Teil deutlich auseinander liegen und es keine Guidelines gibt, wie mit der Diskrepanz am besten umgegangen werden soll. Ziel der Studie war es zu evaluieren, (a) inwiefern Kinder nach Krebserkrankung und ihre Eltern in der Einschätzung der Lebensqualität vor und nach Rehabilitation übereinstimmen und (b) ob mittels Anwendung des Performance Scores (T2D) (Grote et al., 2021) – einem Verfahren zur Korrektur von Ausgangswertunterschieden – mögliche Diskrepanzen verringert werden.
Methoden
In der Studie wurden die Daten des routinemäßig durchgeführten Lebensqualitäts- und Belastungsscreenings an der stationären pädiatrischen onkologischen Rehabilitationseinrichtung „Leuwaldhof“ analysiert. Alle Patient*innen > 5 Jahren sowie Begleitpersonen beantworteten vor (T1) und nach dem stationären Aufenthalt (T2) den PedsQL 4.0 Generic Core Scales sowie den PedsQL 3.0 Cancer Module. Die Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdrating wurden mittels Interklassen Correlation Coefficienten (rICC; 95% Konfidenzintervall [CI]) für alle PedsQL Skalen berechnet. Werte von rICC < 0.5 wurden als problematisch, 0.5-.75 als moderat, 0.75-.09 als gut und > 0.9 als ausgezeichnet eingestuft.
Um einen potentiellen Ausgangswertunterschied auszugleichen, wurde der „Performance Score (T2D)“ (Grote et al., 2021), der auf der einfachen Formel „T2+(T2-T1)“ beruht, berechnet und mittels Pearson Korrelationskoeffizienten (nach Fishers z-Transformation) mit dem Delta (mittlerer Unterschied; Formel: „T2-T1“) verglichen.
Ergebnisse
In die Studie konnten insgesamt n=149 Kinder nach Krebserkrankung und zugehörige Eltern eingeschlossen werden. Das durchschnittliche Alter der Kinder betrug 11.0 (± 4,3; Bereich 5-21) Jahre und 58.9% der Stichprobe waren männlich.
Es zeigten sich zu Beginn der Rehabilitation statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Selbstbeurteilung der Kinder und der Fremdbeurteilung der Eltern in 10 der 13 PedsQL Subskalen (p < 0.05), wobei die Eltern durchgehend eine schlechtere Lebensqualität und mehr Symptome wahrgenommen hatten als die Kinder selbst. Die deutlichsten Diskrepanzen fanden sich für die Subskalen Kommunikation (mit BehandlerInnen) (78.6 vs. 57.7 Punkte; p < 0.001; d=0.77) und der emotionalen Funktionsfähigkeit (76.2 vs. 64.7 Punkte; p < 0.001, d=0.59).
Die gemittelte Übereinstimmung zwischen Eltern und Kinder über beide Zeitpunkte hinweg war gut (rICC=0.81; 95% CI: 0.73–0.87). Eine separate Analyse der beiden Erhebungszeitpunkte zeigte jedoch, dass die Übereinstimmung vor Rehabilitation (rICC=0.72; 95% CI: 0.60–0.81) deutlich niedriger war als nach Rehabilitation (rICC=0.86; 95% CI: 0.79–0.91).
Die allgemeine Übereinstimmung hinsichtlich der Verbesserung der Lebensqualität während der Rehabilitation zwischen Eltern und Kinder war bei Verwendung des Delta (T2-T1) signifikant geringer als bei Adjustierung für Ausgangswertunterschiede mittels Performance Score (T2D) (r=0.34 vs. 0.50; z=−1.668; p=0.048). Vor allem im Bereich der Symptomverbesserung zeigte sich bei Verwendung des T2D eine deutliche besser Übereinstimmung zwischen Kindern und Eltern.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass bei der Evaluierung der Behandlung von onkologischen Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern nach Krebserkrankung mittels Selbst- und Fremdbeurteilung durch Kinder und ihre Eltern, Rücksicht auf die Ausgangswertunterschiede genommen werden muss. Wie auch für die akute onkologische Behandlung berichtet, zeigte sich eine deutlich bessere Übereinstimmung zwischen Kindern und Eltern nach der Rehabilitationsbehandlung als vor der Behandlung, was zum Teil auf die deutlich verbesserte Funktionsfähigkeit und Symptomreduktion zurückgeführt werden kann (Riedl et al., 2022). Der Performance Score (T2D) stellt eine einfach anwendbare Ausgangswertadjustierung dar und sollte bei der Evaluierung von Rehabilitationsmaßnahmen für Kinder mit Krebserkrankung berücksichtigt werden.
Take-Home-Message
Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Kindern nach Krebserkrankung und ihren Eltern hinsichtlich Erfolgen in der pädiatrischen onkologischen Rehabilitation können zum Teil durch den Performance Score (T2D) ausgeglichen werden.
Literatur
de Rojas, T., Neven, A., Towbin, A.J., Carceller, F., Bautista, F., Riedl, D., Sodergren, S., Darlington, A.S., Fernandez-Teijeiro, A., Moreno, L. (2020): Clinical research tools in pediatric oncology: challenges and opportunities. Cancer Metastasis Rev., 39(1):149-160.
Grote, V., Pirchl, M., Fischer, M.J. (2021): A new perspective on stratified outcome evaluation. J. Int. Soc. Phys. Rehabil. Med., 4, 118.
Riedl, D., Licht, T., Nickels, A., Rothmund, M., Rumpold, G., Holzner, B., Grote, V., Fischer, M.J., Fischmeister, G. (2022): Large Improvements in Health-Related Quality of Life and Physical Fitness during Multidisciplinary Inpatient Rehabilitation for Pediatric Cancer Survivors. Cancers, 4;14(19):4855.
Hintergrund und Zielstellung
Über ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland zwischen 7 und 17 Jahren zeigen schwere und chronische psychische Auffälligkeiten, weshalb eine geeignete Behandlung besonders wichtig ist (Ravens-Sieberer et al., 2007). Eine stationäre Rehabilitation kann als bedeutsame Maßnahme dienen, um den Gesundheitszustand sowie die Schul- oder Ausbildungsfähigkeit zu verbessern (Petermann et al., 2006).
In den Fachkliniken Wangen wurde ein neues Behandlungskonzept entwickelt, durch das eine zielführendere Rehabilitationsmaßnahme für Kinder und Jugendliche mit ausgewählten psychischen Erkrankungen wie affektiven, neurotischen und Entwicklungsstörungen und besonderen persönlichen Herausforderungen gestaltet werden soll (Leinberger et al., 2022).
Im vorliegenden Beitrag sollen die ersten Rehabilitationsergebnisse der Kinder und Jugendlichen nach dem neuen Behandlungskonzept direkt nach ihrer Rehabilitationsmaßnahme vorgestellt werden.
Methoden
In die vorliegenden Analysen wurden Befragungsdaten von Kindern/Jugendlichen sowie ggf. deren Bezugspersonen vor ihrer Rehabilitation (t1) sowie direkt nach der Maßnahme (t2) einbezogen, die zwischen August 2020 und August 2021 erhoben wurden. Erfasst wurden u.a. Lebensqualität, Gesundheitszustand und Krankheitsmanagement. Veränderungen der erfassten Parameter wurden mithilfe von Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests auf statistische Signifikanz untersucht.
Ergebnisse
Zu t1 nahmen 140 Kinder/Jugendliche bzw. deren Bezugspersonen an der Befragung teil. Zu t2 liegen 86 Fragebögen zur Analyse vor (61,1% männlich, MW(Alter) = 9,83 Jahre, SD(Alter) = 3,13).
Der derzeitige Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen hat sich zu Reha-Ende signifikant verbessert (V = 239, p < 0,001). Während zu Beginn der Reha 47,4 Prozent der befragten Bezugspersonen angaben, dass der Gesundheitszustand ihres Kindes mittelmäßig oder schlecht sei, waren es zum Ende der Reha nur noch 13,2 Prozent. Von den Jugendlichen selbst gaben 66,6 Prozent an, dass es ihnen zum Ende der Reha gut oder sehr gut gehe (t1: 25,0%).
Ein Vergleich der Einzelitems des KINDL-Fragebogens (Ravens-Sieberer & Bullinger, 1998) zur subjektiven Lebensqualität der Kinder/Jugendlichen zeigte zu Reha-Ende signifikante Verbesserungen. 88,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben gemäß der Fragebogenangaben zu Reha-Ende in der letzten Woche viel gelacht und Spaß gehabt (t1: 63,9%, V = 61, p = 0,028). Der Anteil an Kindern und Jugendlichen, der in der letzten Woche stolz auf sich war, hat ebenfalls signifikant zugenommen (V = 43, p < 0,01, t1: 28,6%, t2: 54,3% „oft“/„immer“). Signifikant verringert hat sich der Anteil an Kindern und Jugendlichen, der sich zu Reha-Ende in der letzten Woche ängstlich oder unsicher gefühlt hat (V = 174, p=0,037; t1: 61,1%, t2: 72,2% „nie“/„selten“).
Der KINDL-Skalenscore zum Selbstwertgefühl hat sich analog zu den oben beschriebenen Veränderungen von 53,8 auf 67,1 gebessert (V = 22, p < 0,001), wobei höhere Werte ein höheres Selbstwertgefühl bedeuten (Skala: 0-100). Zum Zeitpunkt „Reha-Ende“ gab es keinen signifikanten Unterschied zum Normwert von 65,5, der nach Alter und Geschlecht gewichtetet ist (t(68) = -0,24, p > 0,05).
Diskussion und Fazit
Direkt nach Beendigung der Rehabilitation in den Fachkliniken Wangen wurden Verbesserungen des subjektiven Gesundheitszustands der Kinder/Jugendlichen sowie auch in einigen Teilbereichen der subjektiven Lebensqualität beobachtet. Die Werte der Kinder/Jugendlichen gleichen sich beim Subskalenwert zum Selbstwertgefühl dem Normstichproben-Wert an. Zu Reha-Beginn lag der Stichprobenwert noch deutlich unter dem Normwert (Leinberger et al., 2022).
Von weiterem Interesse ist die längerfristige Veränderung von Gesundheitszustand, Lebensqualität und Teilhabe der psychisch erkrankten Kinder/Jugendlichen infolge ihrer Rehabilitationsmaßnahme. Die Nachbefragung diesbezüglich läuft derzeit noch, sodass ein Ergebnisbericht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann. Neben der kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands wird auch eine langfristige Verbesserung von Gesundheit und Teilhabe erwartet.
Take-Home-Message
Die kurzfristigen Behandlungsergebnisse der Rehabilitationsmaßnahme für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen zeigen eine signifikante Verbesserung des Gesundheitszustandes und der subjektiven Lebensqualität. Dies deutet auf eine positive Wirkung des neuen Rehabilitationskonzepts der Fachkliniken Wangen bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen hin.
Literatur
Leinberger, S.; Volmer-Berthele, N.; Kaluscha, R.; Koyutürk, B.; Emhart, S.; Tepohl, L. (2022): Evaluation eines neuen Rehabilitationskonzepts für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen: Ausgangslage bei Reha-Antritt. In: Hans-Günter Haaf, Marco Streibelt, Susanne Weinbrenner und Thorsten Meyer (Hg.): 31. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium, 07. bis 09. März. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Schriften, 126), S. 343–346.
Petermann, F.; Koch, U.; Hampel, P. (2006): Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen. In: Die Rehabilitation 45 (1), S. 1–8.
Ravens-Sieberer, U.; Bullinger, M. (1998): Assessing health related quality of life in chronically ill children with the German KINDL: first psychometric and content-analytical results. In: Quality of Life Research 7 (5), S. 399–407.
Ravens-Sieberer, U.; Wille, N.; Bettge, S.; Erhart, M. (2007): Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse aus der BELLA-Studie im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 50 (5-6), S. 871–878.
Hintergrund und Zielstellung
Zur ständigen Verbesserung ihrer Leistungen zur medizinischen Rehabilitation setzt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) seit vielen Jahren verschiedene Instrumente und Verfahren der Reha-Qualitätssicherung (Reha-QS) ein. Die DRV-eigenen sowie alle von der DRV federgeführten Reha-Fachabteilungen nehmen verpflichtend am Programm der externen Reha-QS der DRV teil (Weinbrenner et al., 2022; Keck & Brieke, 2021).
Die Rehabilitandenbefragung ist eines der ältesten Instrumente im Reha-QS-Programm der DRV. Sie wird durch den Einsatz standardisierter Fragebögen in Form einer kontinuierlichen monatlichen Stichprobenerhebung durchgeführt. Dabei werden insbesondere die Zufriedenheit und der subjektive Behandlungserfolg aus Sicht der Betroffenen erfasst. Die Befragung erfolgt sowohl in der Erwachsenen-Rehabilitation als auch im Bereich der Kinder- und Jugendrehabilitation (Klosterhuis, 2010). Im Bereich der Kinder- und Jugend-Reha gibt es zwei Fragebogenversionen: einen Fragebogen für unter 12-jährige Kinder und einen Fragebogen für 12- bis unter 18-jährige Jugendliche. Diese wurden in einem vorangegangenen Projekt umfassend überarbeitet und sind seit 2017 im Reha-QS-Programm implementiert.
Im Rahmen des Projekts „Entwicklung eines Bewertungskonzeptes für die Rehabilitandenbefragung im Bereich der Kinder- und Jugend-Reha“ stehen die Daten, die mit den neuen, überarbeiteten Fragebögen erhoben wurden, für Validierungs- und Auswertungszwecke zur Verfügung. Erste Projektergebnisse werden in diesem Beitrag dargestellt.
Methoden
Die Befragung von Kindern und Jugendlichen erfolgt im Rahmen einer kontinuierlichen Stichprobenerhebung acht bis zwölf Wochen nach Ende ihrer Rehabilitationsmaßnahme. Altersabhängig wird eine Selbst- oder Fremdbefragung durchgeführt. Erhoben werden u.a. Einschätzungen zur Einrichtungsqualität, zu Behandlungen und Schulungen und zum Reha-Nutzen.
Die Befragungsergebnisse wurden zunächst deskriptiv ausgewertet. Anschließend wurden die Daten mithilfe von Wilcoxon-Rangsummentests auf Unterschiede zwischen Subgruppen (z.B. Geschlecht) untersucht.
Ergebnisse
Insgesamt lagen Befragungsdaten von 8.177 Kindern unter 12 Jahren (Fremdbeurteilung durch ein Elternteil) und 5.736 Jugendlichen ab 12 Jahren vor. Das Durchschnittsalter der Kinder lag bei 7,0 Jahren (SD = 2,96) und das der Jugendlichen bei 14,6 Jahren (SD = 1,62). Insgesamt waren 53 Prozent der Rehabilitanden/-innen männlich.
Insgesamt gaben ca. 90 Prozent der Eltern an, dass die Rehabilitation ihrem Kind sehr oder eher gut gefallen habe. Die Jugendlichen gaben mit ca. 88 Prozent sehr/eher guten Bewertungen eine minimal niedrigere Gesamtbewertung ab. Über 85 Prozent der Eltern und Jugendlichen fanden zudem die erhaltenen Therapien, Behandlungen und Schulungen nützlich und hilfreich. Im Geschlechtervergleich zeigte sich, dass die Bewertung der Rehabilitationsmaßnahme bei den Jungen tendenziell etwas schlechter ausfiel als bei den Mädchen (Kinderfragebogen: V = 8.180.469, p < 0,01; Jugendfragebogen: V = 4.300.233, p < 0,001).
Über alle Gruppen hinweg gaben zwischen 13 und 20 Prozent der Befragten an, dass die Reha keine Verbesserung des Gesundheitszustands erzielt habe. Die männlichen Jugendlichen konnten eher eine Gesundheitsverbesserung im Zuge der Reha feststellen als die weiblichen Jugendlichen (V = 3.776.557, p < 0,001). Über 70 Prozent der Jugendlichen gaben an, das während der Reha Gelernte im Alltag anzuwenden. Die Eltern gaben zu über 60 Prozent die Einschätzung ab, dass ihr Kind das Gelernte im Alltag umsetze.
Ca. 75 Prozent der Eltern (bzw. 71% der Jugendlichen) würden zum Zeitpunkt der Befragung die besuchte Reha-Klinik weiterempfehlen. Mit nur 63 Prozent würde sich ein geringerer Anteil der Eltern bei einer weiteren Reha-Leistung ihres Kindes noch einmal für dieselbe Reha-Klinik entscheiden.
Diskussion und Fazit
Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen war mit der Rehabilitationsleistung insgesamt sowie mit den Behandlungen zufrieden. Über die Hälfte der Befragten gab an, dass sich die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen durch die Reha-Maßnahme verbessert habe.
Die hohe Zufriedenheit mit der Rehabilitation und die positive Einschätzung des Reha-Erfolgs zeigt die hohe wahrgenommene Qualität der Rehabilitationsleistungen in Trägerschaft der DRV im Kinder- und Jugendbereich. Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass durch Rehabilitationsleistungen bei Kindern und Jugendlichen der Gesundheitszustand der Betroffenen verbessert werden kann, was wiederum eine gute Grundlage für eine möglichst uneingeschränkte Teilhabe im Alltag und in der Schule schafft.
Take-Home-Message
Die Kinder und Jugendlichen bzw. deren Bezugspersonen bewerten die Rehabilitationsleistungen überwiegend positiv und schreiben ihnen einen gesundheitlichen Nutzen zu.
Literatur
Keck, T. & Brieke, J. (2021). Qualität und Qualitätssicherung aus der Perspektive der Deutschen Rentenversicherung. SuchtAktuell – Zeitschrift des Fachverbandes Sucht e.V., 10–16.
Klosterhuis, H. (2010). Reha-Qualitätssicherung der Rentenversicherung–eine kritische Bestandsaufnahme. RVaktuell, Jg, 57, 260–268.
Weinbrenner, S., Kayser, E. L., Moser, N.-T. & Siebert, T. (2022). Qualitätsorientierte Einrichtungsauswahl in der Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 65 (3), 319–326. https://doi.org/10.1007/s00103-022-03501-6
Hintergrund und Zielstellung
Nahrungsmittelallergien sind eine häufige Nebendiagnose bei Kindern und Jugendlichen, die wegen Atopischer Dermatitis (AD) oder Asthma bronchiale (AB) in stationären Rehabilitationskliniken behandelt werden. Daraus ergeben sich für die Klinken eine Vielzahl zusätzlicher Aufgaben und vielschichtiger Fragestellungen an die allergologische Ernährungstherapie. Eltern vermuten Zusammenhänge zwischen Nahrungsmitteln und der chronischen Erkrankung ihrer Kinder. Das belegen auch die Zahlen der KiGGS-Studie, wonach 20 % der Eltern Nahrungsmittelallergien bei ihren Kindern angeben, aber nur 4,2% lassen sich durch eine doppelblind Plazebo-kontrollierte Nahrungsmittelprovokation (DBPCFC) nachweisen (Thamm 2018). Es gilt abzuschätzen, ob Sensibilisierungen klinisch relevant sind, primäre von sekundären Nahrungsmittelallergien zu unterscheiden und darüber hinaus Nahrungsmittelunverträglichkeiten von Allergien abzugrenzen.
Methoden
Daten aus der Routine-Dokumentation zu durchgeführten Nahrungsmittelprovokationen der Fachklinik Satteldüne auf Amrum wurden hinsichtlich der Altersverteilung, der Reha-Diagnosen, der getesteten Nahrungsmittel und der Ergebnisse der Provokationen ausgewertet. Zur Darstellung wurden einfache Häufigkeitsstatistiken mittels Excel erstellt.
Ergebnisse
In den Jahren 2010-2021 wurden insgesamt 1788 Nahrungsmittelprovokationen durchgeführt, im Mittel 140 pro Jahr oder 2,7 pro Woche. Vermutete Nahrungsmittelallergien spielen nicht nur bei Patient*innen mit Neurodermitis sondern auch bei Patient*innen mit Asthma bronchiale eine große Rolle. 65% der Provokationen wurden bei Kindern unter 6 Jahren durchgeführt. Über alle Diagnosen waren 57,8% der Provokationen negativ, so dass die Nahrungsmittel, hauptsächlich Kuhmilch, Hühnerei, Weizen und Soja, wieder eingeführt werden konnten, 23 % waren positiv, so dass eine weitere Meidung empfohlen wurde. 20% der durchgeführten Provokationen wurden nicht vollständig dokumentiert. In den letzten Jahren kam es zu einem deutlichen Anstieg der Provokationen mit Erd- und Baumnüssen sowie Schalen- und Hülsenfrüchten.
Diskussion und Fazit
Die Provokations-Datenbank der Fachklinik Satteldüne gibt trotz nicht immer ganz vollständiger Dokumentation einen guten Überblick über die hohe Leistungsfähigkeit der allergologischen Ernährungstherapie in der pädiatrischen Rehabilitation. Die Verteilung der getesteten Nahrungsmittel spiegelt sehr exakt die Häufigkeit der Nahrungsmittelallergien im Kleinkind- und Vorschulalter wieder.
Schwächen der gezeigten Daten aus der Versorgungsdokumentation sind die mangelnde Angabe zur Schwere der Erkrankung (insbesondere bei AD) und zur Art der Allergien: primäre bzw. sekundäre Lebensmittelallergie oder Spättypreaktion. Auch wurde in unserer Datenbank keine Dokumentation über die Beurteilung der Ergebnisse durch die Patienten selbst oder die Begleitpersonen mitgeführt. Es fehlt eine Aussage zur Lebensqualität. Es ist jedoch anzunehmen, dass in jedem Fall, sowohl bei positivem, als auch bei negativem Befund, eine Nahrungsmittelprovokation die Lebensqualität der Familien verbessert (Kansen et al.2018).
Die allergologische Ernährungstherapie von der detaillierten Ernährungsanamnese über die (komponentenbasierte) allergologische Diagnostik bis hin zur Provokationstestung sowie der Patientenschulung zu Allergie und Anaphylaxie hat einen großen Stellenwert in der pädiatrischen Rehabilitation von Kindern mit Neurodermitis und Asthma bronchiale. Es geht um Steigerung von Lebensqualität und Teilhabe und beinhaltet damit viel mehr als die Herstellung allergenfreier Kost. Für die aufwändige allergologische Diagnostik und Therapie wird entsprechend geschultes Fachpersonal benötigt. Die Strukturanforderungen an die Ernährungstherapie in pädiatrischen Rehakliniken sollten daher überdacht und angepasst werden.
Take-Home-Message
Die allergologische Ernährungstherapie kann einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Kinder- und Jugend-Reha aus der Sicht der Patient*innen und Begleitpersonen leisten, so dass Aktivitäten und Teilhabe trotz chronischer Erkrankung gesteigert werden können.
Literatur
Thamm, R. et al.: Allergische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittsergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. In: Journal of Health Monitoring, 2018, 3 (3). DOI 10.17886/RKI-GBE-2018-075
Eisenmann A, Buhles N, Lantzsch H, Scheewe S, Tsianakas A, Wehrmann J. AWMF-S1-Leitlinie (013-083) Stationäre Dermatologische Rehabilitation. 2020
Worm M, Reese I et al. Update of the SK2 guideline on the management of IgE-mediated food allergies. Allergologie select. 2021; 5: 195-243. DOI 10.5414/ALX02257E.
Blumchen K et al. APPEAL-1: A pan-European survey of patient/caregiver perceptions of peanut allergy management. Allergy. 2020 Nov;75(11):2920-2935
Kansen H et al. The impact of oral food challenges for food allergy on quality of life: A systematic review. Pediatr Allergy Immunol 2018;29:527–37
Hintergrund und Zielstellung
Im Jahr 2021 gingen bei den verschiedenen Unfallversicherungsträgern mehr als 17.000 Verdachtsanzeigen zu berufsbedingten entzündlichen Hauterkrankungen ein (DGUV, 2022). Ein weit überwiegender Teil entfällt dabei auf Handekzeme. Zu den häufig betroffenen Berufsgruppen zählen u. a. Friseur*innen, Pflegekräfte und Metallarbeiter*innen. Patient*innen entwickeln häufig irritative Kontaktekzeme (z. B. infolge von Feuchtarbeit) oder allergische Kontaktekzeme. Zudem zeigen sich oftmals Mischdiagnosen (z. B. irritatives Kontaktekzem bei atopischer Disposition) (Skudlik et al., 2012). Für Patient*innen mit einem schweren berufsbedingten Handekzem gehört eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der Unfallversicherungsträger zur Regelversorgung. Wesentliche Ziele der Rehabilitationsmaßnahme sind die Optimierungen der Therapie und Hautschutzmaßnahmen sowie der Berufserhalt. Die Perspektive der Patient*innen und die subjektiven Krankheitstheorien können einen Einfluss auf Umsetzung der Therapie- und Schutzmaßnahmen haben. Ein in diesem Forschungsfeld weit verbreitetes Rahmenmodell ist das Common-Sense Modell (CSM) von Leventhal et al., (2016), das darauf abzielt, zu erklären, wie erkrankte Personen auf gesundheitliche Bedrohungen reagieren. Krankheitswahrnehmungen werden dabei in fünf Dimensionen (Identität, Verlauf, Konsequenzen, Kontrollierbarkeit und Ursache) erfasst und bisweilen um die Dimensionen Kohärenz und emotionale Repräsentationen erweitert (Moss-Morris et al., 2002). Die komplexen subjektiven Krankheitstheorien von Patient*innen mit berufsbedingten Hauterkrankungen wurden bislang in wenigen quantitativen und qualitativen Studien untersucht. Eine qualitative Untersuchung auf Basis des CSM-Modells wurde bisher nicht durchgeführt.
Methoden
Im Rahmen der durch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) geförderten Studie „SubjeKt“ wurden zwischen Mai und Oktober 2021 auf Basis der o. g. Dimensionen qualitative Leitfadeninterviews mit Patient*innen einer berufsdermatologischen Rehabilitationsmaßnahme geführt. Auf Grundlage eines qualitativen Stichprobenplans im Sinne des purposive sampling wurden u. a. unterschiedliche Alters- und Berufsgruppen akquiriert. Eine unterschriebe Einverständniserklärung aller Interviewten lag vor. Die Interviews wurden vollständig transkribiert und mittels inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz & Rädiker, 2022). Die o. g. Dimensionen bildeten die a-priori Kategorien (deduktiv). Subkategorien wurden am Material (induktiv) entwickelt.
Ergebnisse
Der Analyse lagen Transkripte von 35 Patient*innen zugrunde (Geschlecht: w=18, m=17, Alter: min: 22 Jahre, max: 63 Jahre). Überwiegend wurden Patient*innen aus zwei häufig betroffenen Berufsgruppen interviewt (Metall- und Pflegeberufe). Alle Dimensionen ließen sich in den Interviews abbilden. Zudem wurden jeder Hauptkategorie mehrere Subkategorien zugeordnet. Die Befragten nahmen überwiegend komplexe Ursachen ihres Handekzems wahr. Es wurden bspw. irritative Belastungen bei gleichzeitig vorliegender erblicher Hautempfindlichkeit genannt. Berufs- und Altersgruppenunterschiede hinsichtlich der Aussagen waren teilweise erkennbar. So ließen sich z. B. Aussagen in der Subkategorie „Finanzielle Konsequenzen“ ausschließlich bei männlichen Metallarbeitern finden.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass beruflich Hauterkrankte komplexe Vorstellungen über u. a. die Ursachen, Kontrollierbarkeit und Konsequenzen ihrer Erkrankung haben. Ferner sind Ambivalenzen erkennbar. So kann die Hauterkrankung einerseits als verstehbar und gleichzeitig die Ursache und der Verlauf als nicht oder nur teilweise nachvollziehbar wahrgenommen werden. Dies erscheint vor dem Hintergrund klinisch häufig vorkommender Mischdiagnosen plausibel. Die teilweise vorgefundenen Unterschiede zwischen den untersuchten Berufs- und Altersgruppen lassen darauf schließen, dass soziodemographische Merkmale eine Bedeutung bei der Ausprägung subjektiver Krankheitstheorien bei beruflich Hauterkrankten haben. Inwiefern weitere Merkmale wie z. B. der Bildungsgrad von Relevanz sind, sollte untersucht werden. Der gewählte qualitative Forschungsansatz ermöglichte den Befragten, ihre komplexen Vorstellungen detailliert zu verbalisieren.
Take-Home-Message
Mitarbeitende aller involvierter Berufsgruppen im Kontext der Rehabilitation (berufsdermatologischer) Patient*innen (z. B. Ärzt*innen, Psycholog*innen, Pädagog*innen und weitere Therapeut*innen) sollten die Krankheitsvorstellungen der Patient*innen in ihrer Tätigkeit berücksichtigen. Insbesondere wenn Herausforderungen bei der Kommunikation mit Patient*innen bestehen, sollte ergründet werden, ob subjektive Krankheitsvorstellungen hierbei eine Rolle spielen.
Literatur
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). DGUV-Statistiken für die Praxis 2021. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4588 [Abgerufen am: 21.10.2022).
Kuckartz, U. & Rädiker, S. (2022). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung (5. Auflage). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
Leventhal, H., Phillips, L.A. & Burns, E. (2016). The Common-Sense Model of Self-Regulation (CSM): a dynamic framework for understanding illness self-management. Journal of Behavioral Medicine, 39, 935-946.
Moss-Morris, R., Weinman, J., Petrie, K., Horne, R., Cameron, L. & Buick, D. (2002). The Revised Illness Perception Questionnaire (IPQ-R). Psychology & Health, 17, 1-16.
Skudlik, C., Weisshaar, E., Scheidt, R., Elsner, P., Wulfhorst, B., Schönfeld, M. & John, S. M. (2012). First results from the multicentre study Rehabilitation of Occupational Skin Diseases – Optimization and Quality Assurance of Inpatient Management (ROQ). Contact Dermatitis, 66, 140-147.
Hintergrund und Zielstellung
Die Behandlung lebensstilinduzierter Erkrankungen schließt häufig Veränderungen eines spezifischen Gesundheitsverhaltens der Betroffenen ein. Die langfristige Umsetzung solcher Verhaltensweisen stellt jedoch oft einen herausfordernden Prozess dar, in dem neue Routinen entwickelt werden und Barrieren auftreten können. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems hat in den vergangenen Jahren Möglichkeiten der Patientenversorgung maßgeblich erweitert und dabei auch neue Formate für die Reha-Nachsorge geschaffen, z.B. Smartphone-Apps, die indikationsabhängig bereits in die Nachsorge der Deutschen Rentenversicherung (DRV) implementiert sind.
Neben Vorteilen von Apps zur Änderung und langfristigen Umsetzung von Gesundheitsverhalten werden in der einschlägigen Literatur parallel dazu eine mangelnde Akzeptanz der App-Nutzung und hohe Dropout-Raten als Herausforderungen diskutiert. Dabei werden die Benutzerfreundlichkeit (Usability) und das Nutzungserlebnis (User Experience) als wesentliche Prädikatoren zur App-Nutzung benannt. Diese Faktoren sollten daher bei der Interventionsentwicklung berücksichtigt werden, u.a. durch eine partizipative Einbindung der Adressat*innen.
Ekzematöse Hauterkrankungen zählen mit zu den häufigsten, berufsbedingten Erkrankungen, die den Trägern der Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) gemeldet werden. Aus diesem Grund wurden gestufte Präventionsmaßnahmen entwickelt, die sich an der individuellen Erkrankungsschwere der Betroffenen orientieren. Hauterkrankte mit schweren Berufsdermatosen können in spezialisierten Kliniken an einer 3-wöchigen, stationären Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen. Teil dieser Maßnahme sind u.a. Angebote, die die Veränderung und Optimierung von Hautschutzverhalten unterstützen. Ein Angebot zur Nachbetreuung, das die Umsetzung von gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen und die Wiedereingliederung in den Beruf unterstützt, besteht in der berufsdermatologischen Rehabilitation jedoch bislang nicht. Aufgrund des großen geografischen Einzugsgebietes der Kliniken, der Möglichkeit einer individuellen Gestaltung in Abhängigkeit von den Bedürfnissen (z.B. Beruf, Diagnose, persönliche Ziele, Entfernung Klinik/ Wohnort) sowie aufgrund der Vorteile App-basierter Anwendungen zur Festigung von gesundheitsbezogenem Verhalten im Vergleich zu präsenzbasierten Formaten, wurde im Rahmen des Projektes „TecNaP“ (Technologiebasierte Nachbetreuung in der berufsdermatologischen Prävention der BK Nr. 5101) ein App-basiertes Angebot zur systematischen Nachbetreuung konzipiert.
Methoden
Das Logikmodell von O'Cathain et al. (2019) mit seinen elf Kernprinzipien bildete die Grundlage für die Interventionsentwicklung. Der Entwicklungsprozess wurde partizipativ im Austausch zwischen dem Forschungsteam, den relevanten Stakeholdern sowie der Zielgruppe gestaltet und war durch eine iterative Vorgehensweise gekennzeichnet. Dieser umfasste fünf Projektschritte mit verschiedenen methodischen Ansätzen (siehe Abbildung 1).
Ergebnisse
Für die Interventionsentwicklung wurden Ergebnisse der Literaturrecherche mit sieben eingeschlossenen Reviews, drei qualitativen Fokusgruppendiskussionen mit drei Dermatolog*innen, fünf Gesundheitspädagog*innen, zwei Psycholog*innen und drei Mitarbeiter*innen eines Unfallversicherungsträgers sowie einer quantitativen Bedarfsanalyse mit 72 Patient*innen eingeschlossen. Auf dieser Grundlage wurde ein Konzept für eine komplexe Intervention entwickelt und validiert. Das Nachsorgekonzept besteht aus einem face-to-face erfolgenden Zielgespräch während der Teilnahme an der stationären Rehabilitationsmaßnahme und aus einer App mit verschiedenen Funktionen zur poststationären Förderung des Selbstmanagements für die Zeit nach der Entlassung.
Diskussion und Fazit
Durch das Projekt „TecNaP“ wurde in der berufsdermatologischen Rehabilitation eine Forschungslücke geschlossen. Für die Interventionsentwicklung haben sich die Prozessschritte von O'Cathain et al. (2019) als geeignet erwiesen, um die verschiedenen Perspektiven der Stakeholder und der Adressat*innen einzuschließen und eine evidenzbasierte Nachsorge zu konzipieren. Dieser iterative und partizipative Charakter wird in den nächsten Prozessschritten der technischen Umsetzung und Pilotierung der App fortgeführt. Um eine langfristige App-Nutzung zu erzielen, werden hierbei technische Möglichkeiten, wie z.B. Erinnerungssysteme oder individuelle Feedbacknachrichten, Berücksichtigung finden.
Take-Home-Message
Die Prinzipien der Partizipation und Iteration sollten bei der Interventionsentwicklung von App-basierten Interventionen berücksichtigt werden, um mangelnder App-Nutzung und hohen Dropout-Raten zu begegnen.
Literatur
O’Cathain, A., Croot, L., Duncan, E., Rousseau, N., Sworn, K., Turner, K.M., Yardley, L., Hoddinott, P. (2019): Guidance on how to develop complex interventions to improve health and healthcare. BMJ Open, 9, 8. e029954.
Ristow, N., Wilke, A., John, S.M., Ludewig, M. (2022): Development of an app-based maintenance programme to promote skin protection behaviour for patients with work-related skin diseases. Health Education Journal, 81, 6. 731-744.
Skivington, K., Matthews, L., Simpson, S.A., Craig, P., Baird, J., Blazeby, J.M., Anne Boyd, K., Craig, N., French, D.P., McIntosh, E., Petticrew, M., Rycroft-Malone, J., White, M., Moore, L. (2021): A new framework for developing and evaluating complex interventions: Update of medical research council guidance. BMJ Clinical Research, 374. n2061.
Hintergrund und Zielstellung
Die Psoriasis vulgaris ist eine chronisch-entzündliche Hautkrankheit, welche mit einem deutlich gesteigerten kardiovaskulären Risiko einhergeht [Zutt et al., 2016]. Das Screening auf die kardiovaskulären Komorbiditäten sowie die leitliniengerechte Behandlung dieser Erkrankungen sind bereits heute Bestandteil des Managements von Psoriasispatienten [Gerdes et al., 2012]. Im Rahmen einer dermatologischen Rehabilitation wird neben dem Screening auf kardiovaskuläre Erkrankungen auch die Senkung des erhöhten kardiovaskulären Risikos aktiv angegangen, indem das Rehabilitationsprogramm u.a. ein individuell angepasstes Sportprogramm, eine Ernährungsberatung, die psychologische Betreuung, eine Lifestyle-Beratung sowie eine internistisch-medizinische Betreuung beinhaltet. Jedoch ist bis heute eine Evaluation eines solchen Rehabilitationsprogramms im Hinblick auf die Messung der tatsächlichen Reduktion des kardiovaskulären Risikos ausstehend.
Methoden
Im Rahmen einer prospektiven Studie führten wir ein Evaluationsprogramm zur Messung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit einer Psoriasis in einer dermatologisch-medizinischen Rehabilitation durch. Bei 100 Patienten mit einer gesicherten Psoriasis wurden neben der Abfrage der Lebensqualität (DLQI), der Krankheitsaktivität (PGA), die Nikotin- und Alkoholanamnese sowie die Sportanamnese in insgesamt vier Visiten ab Beginn der stationären Rehabilitation über einen Zeitraum von einem Jahr evaluiert. Die ersten zwei Visiten erfolgten zu Beginn und am Ende des rehabilitativen Aufenthaltes. Zu diesen Zeitpunkten wurden zudem die Vitalparameter wie Blutdruck, Puls, der BMI, der Bauchumfang sowie ein umfangreiches Laborprogramm einschließlich des Glucose- und Lipidprofils ausgewertet. Zusätzlich erfolgte ein monitorüberwachtes Ergometertraining jeweils zu Beginn und am Ende des Rehabilitationsaufenthalts (primäres Zielkriterium der Studie).
Ergebnisse
Es zeigte sich im Verlauf der Rehabilitationsmaßname bei den Psoriasispatienten eine signifikante Verbesserung der Leistungsfähigkeit beim Ergometertraining. Auch gab es signifikante Verbesserungen im Bereich der Vital- und Laborparameter sowie der Lebensqualität und Krankheitsaktivität über den Studienzeitraum.
Diskussion und Fazit
Die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in einem spezialisierten Zentrum, welches über sämtliche therapeutische Maßnahmen zur Behandlung der Psoriasis und ihrer bekannten (kardiovaskulären) Komorbiditäten verfügt, erscheint somit äußerst sinnvoll. Zur Bestätigung der Ergebnisse dieser Pilotstudie ist eine multizentrische Studie in Vorbereitung.
Take-Home-Message
Eine Rehabilitationsmaßnahme bei Psoriasis hat nicht nur das Potential, die Erkrankung der Psoriasis selbst, sondern auch ihrer kardiovaskulären Komorbiditäten zu verbessern.
Literatur
1. Zutt M, Rudolph H, Kaune KM, Wosniok W, Gärtner U et al. Myokardszintigraphie - eine Methode zur Erfassung der kardialen Komorbidität bei Psoriasis-Patienten? J Dtsch Dermatol Ges. 2016 Oct;14(10):1007-1015.
2. Gerdes S, Mrowietz U. Komorbiditäten und Psoriasis. Konsequenzen für die Praxis [Comorbidities and psoriasis. Impact on clinical practice]. Hautarzt. 2012 Mar;63(3):202-13.
Hintergrund und Zielstellung
Brandverletzungen haben häufig erhebliche Folgen auf die körperliche und psychische Lebensqualität, welche noch Jahre nach dem Trauma bestehen (Spronk et al., 2020). In der Rehabilitation werden daher sowohl die körperlichen Funktionen als auch die psychische Situation adressiert.
Methoden
In der Beobachtungsstudie wurden Patienten nach thermischen Verletzungen zu Beginn (T1) und am Ende der Rehabilitation (T2) sowie 3 Monaten (T3) und 12 Monaten (T4) nach Entlassung aus der Rehabilitation untersucht (Neubauer et al., 2019). Neben epidemiologischen Daten wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität mit dem Fragebogen Short Form Health Survey 36 (SF 36, deutsche Version, Morfeld et al., 2011) sowie psychische Beschwerden anhand der Symptomcheckliste (SCL-9, Sereda et al., 2016) und Impact of Event Scale-Revised (IES-R, Horowitz et al., 1979) erfasst. Die individuellen Fragebogenwerte werden anhand des Bezugs zur Normpopulation der Fragebögen kategorisiert und als prozentuale Verteilung dargestellt.
Ergebnisse
In die Studie wurden 103 Rehabilitanden eingeschlossen (99 m, 3 w) und zum Zeitpunkt T1 und T2 untersucht. Zu T3 wurden 97 und zu T4 98 Rehabilitanden nachuntersucht. Das Durchschnittsalter lag bei 44 Jahren (IQR 35-56) und die durchschnittlich verbrannte Körperoberfläche (vKOF) bei 14,55% (IQR 5,75-25).
Bei der Körperlichen Summenskala des SF 36 zeigte sich eine signifikante Verbesserung über die 4 Messzeitpunkte: zu T1 schätzten sich 31,2% unterdurchschnittlich und 25,8% weit unterdurchschnittlich ein, dies verbesserte sich zu T2 auf 30,4% und 14,1%. Im Nachuntersuchungszeitraum verbesserte sich die Körperliche Summenskala weiter zu T3 auf 20,2% und 8,5% und zu T4 auf 27,5% und 5,7%.
Die psychische gesundheitsbezogene Lebensqualität gemessen mit der Psychischen Summenskala des SF 36 veränderte sich nicht signifikant: zu T1 schätzten sich 9,7% unterdurchschnittlich und 6,5% weit unterdurchschnittlich ein. Nach der Rehabilitation (T2) schätzten sich 5,4% unterdurchschnittlich und 5,4% weit unterdurchschnittlich ein. Bei der Nachuntersuchung zu T3 waren dies 11,7% bzw. 5,3% und zu T4 10,2% bzw. 9,1%.
Die Beeinträchtigung durch psychische Symptome anhand der Symptomcheckliste SCL-9 ergab zu Beginn der Rehabilitation (T1) bei 28,7% eine deutlich messbare psychische Belastung, bei 5,9% eine sehr hohe psychische Belastung und bei 14,9% eine extrem hohe Belastung. Bei Entlassung aus der Rehabilitation (T2) ging dies auf 18,6%, 6,9% und 10,8% zurück. Im Nachuntersuchungszeitraum stieg die Belastung wieder an: zu T3 auf 23,2%, 7,4% bzw. 11,6% und zu T4 auf 23%, 5,7% bzw. 16,1%.
Die Belastung durch posttraumatische Symptome anhand des „Impact of Event Scale-Revised“ (IES-R) ergab den Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (nach Maerker et al, 1998) zu T1 bei 42,6%, zu T2 bei 29,4%, zu T3 bei 40% und zu T4 bei 43,2%.
Diskussion und Fazit
Die Rehabilitation nach thermischer Verletzung verbessert anhaltend die wahrgenommene gesundheitsbezogene körperliche Lebensqualität. Die wahrgenommene gesundheitsbezogene psychische Lebensqualität liegt überraschenderweise bereits zu Beginn bei einem großen Teil der Stichprobe im Normbereich und zeigt im Verlauf keine Veränderung. Im Unterschied dazu zeigt sich jedoch bei der Erhebung psychischer Beschwerden, dass ein erheblicher Teil der Betroffenen unter einer hohen Symptomlast leiden. Diese ist zwar nach der Rehabilitation reduziert, kehrt jedoch im Nachuntersuchungszeitraum wieder auf das Ausgangsniveau vor der Rehabilitation zurück.
Take-Home-Message
Rehabilitation nach Verbrennung verbessert nachhaltig die körperliche Funktion. Ein relevanter Anteil der Rehabilitanden war und blieb psychisch stark belastet. Dies sollte in der ambulanten Nachsorge beachtet werden.
Literatur
Maercker, A., Schützwohl, M. (1998). Erfassung von psychischen Belastungsfolgen: Die Impact of Event Skala-revidierte Version (IES-R). Diagnostica, 44(3):130-141.
Morfeld M, Kirchberger I, Bullinger M. (2011): SF-36 health survey: manual and interpretation guide. Göttingen: Hogrefe Verlag für Psychologie.
Neubauer H, Stolle A, Ripper, S., Klimitz F, Ziegenthaler H, Kneser U, Harhaus L (2019):. Evaluation of an International Classification of Functioning, Disability and Health-based rehabilitation for thermal burn injuries: a prospective non-randomized design. Trials 20, 752 - 760.
Sereda Y, Dembitskyi S. (2016): Validity assessment of the symptom checklist SCL-90-R and shortened versions for the general population in Ukraine. BMC Psychiatry, 16(1):300.
Spronk, I, Van Loey, NE, Sewalt, C, Nieboer D, Renneberg B, Moi, AL, Oster C, Orwelius, L., van Baar, M., Polinder, S. (2020): Recovery of health-related quality of life after burn injuries: An individual participant data meta-analysis. PLoS One 10;15(1)
*Eine Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Psychotherapie, Prävention und Psychosomatische Rehabilitation (DGPPR)
Hintergrund:
Seit rund 2 Jahren werden in Rehabilitationseinrichtungen zunehmend Patient:innen mit Post-COVID-Syndrom unterschiedlicher Ausprägung behandelt. Bestand anfänglich noch große Unsicherheit, welche rehabilitativen Behandlungsangebote für diese Patient:innen erfolgversprechend sind, hat sich auf Grundlage erster Evaluationsstudien ein Coreset von symptomorientierten Interventionen herauskristallisiert, welche aktuell in vielen Rehabilitationseinrichtungen in ähnlicher Weise durchgeführt werden. Dabei zeigte sich, dass es beim Post-COVID-Syndrom spezifische Symptomcluster gibt, die therapeutisch weniger gut zugänglich sind, was möglicherweise auf ätiopathogenetisch unterschiedliche Subgruppen von Post-COVID hinweist, welche spezieller auf sie zugeschnittene Therapiekonzepte erfordern. Beispielsweise gilt dies sehr wahrscheinlich für die Behandlung des Symptomclusters „kognitive Beeinträchtigungen“. Insgesamt stellt sich insbesondere bei symptomatisch schwerer betroffenen Patient:innen die Frage, wie für sie nach teilweiser Remission im Rahmen der stationären Rehabilitation die ambulante Weiterbehandlung zu gestalten ist bzw. inwiefern hier noch gravierende Versorgungsdefizite bzw. -lücken bestehen.
Ziel:
In dem Diskussionsforum sollen die bisherigen Erfahrungen der Rehabilitation bezüglich Post-COVID zur Sprache kommen, sowohl aus klinischer und gutachterlicher Perspektive als auch aus Sicht der Rentenversicherung, und zudem auch die Bewertungen von Betroffenen und Selbsthilfegruppen maßgeblich mit einbezogen werden.
Impulsreferate:
Prof. Dr. Volker Köllner (Teltow):
Welche rehabilitativen Behandlungsangebote haben sich bislang bei Patient:innen mit Post-COVID-Syndrom bewährt?
Prof. Dr. Martin Tegenthoff (Bochum): Diagnostik und Begutachtung von COVID-19 Fällen – wie stellt sich die Situation aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung dar?
Dr. Susanne Weinbrenner (Berlin):
Aktuelle Herausforderungen an eine bedarfsgerechte Rehabilitation von Post-COVID-Patient:innen – eine Zwischenbilanz aus Sicht der Rentenversicherung
Dr. Claudia Ellert (Wetzlar):
Wie erlebten Patient:innen mit Post-COVID-Syndrom ihre Behandlung in der Rehabilitation und ambulanter Nachsorge – was kann noch verbessert werden, wo bestehen Versorgungsdefizite?
Diskussionsleitende Fragen:
1.Welche Erfahrungen haben wir bisher mit der Rehabilitation von Patient:innen mit Post-COVID-Syndrom? Brauchen wir für ätiopathogenetisch unterschiedliche Subgruppen von Post-COVID spezifischer auf sie zugeschnittene Behandlungsangebote?
2.Welche Anforderungen stellen sich an eine differenzierte Diagnostik von Post-COVID, um spezifische Rehabilitationsbedarfe feststellen zu können?
3.Wie bewerten Post-COVID-Patient:innen die bisherigen Behandlungsangebote in der medizinischen Rehabilitation? Wie beurteilen sie die Weiterbehandlung im ambulanten Bereich - bestehen hier wesentliche Versorgungsdefizite bzw. Versorgungslücken?
Es diskutiert mit: Prof. Dr. Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Dermatologie, Leiterin des Psychoneuroimmunologie Labors des Universitätsklinikums Gießen und Leiterin der Arbeitsgruppe "Psychoneuroimmunologie der Haut" an der Charité Berlin.
Inhaber eines Präsenz- oder Live-Stream-Tickets können den Live-Stream zur Veranstaltung online mitverfolgen. Unter folgendem Link gelangen Sie zur Online-Kongressplattform:
https://reha-kolloquium.we-bcast.de/
Die Zugangsdaten wurden per E-Mail versandt.
Hintergrund
Eine zentrale Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung ist, ihren Versicherten eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und diese dauerhaft zu erhalten. Der Teilhabegedanke sollte sich daher zwingend auch im Zugang zu den Präventionsleistungen der Rentenversicherung widerspiegeln. Es stellt sich insofern die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Innovationen wie die Digitalisierung von Leistungsangeboten Teilhabe unterstützen oder ihr möglicherweise entgegenwirken.
Das Präventionsprogramm RV Fit erfuhr ab Mitte 2020 einen enormen pandemiebedingten Digitalisierungsschub. Der Kulturwandel weg vom ausschließlichen Präsenzsetting hin zur digitalen Ausgestaltung ermöglichte einerseits neuen Versichertengruppen wie Pflegekräften, Schichtarbeiter*innen oder Alleinerziehenden einen Zugang zu RV Fit. Gleichzeitig machten digitale Settings den Weg frei für ein bundesweites wohn- und arbeitsortnahes Angebot. Allerdings kann gerade in ländlichen oder strukturschwachen Regionen, in denen digitale Prävention oftmals die einzige Möglichkeit der Teilhabe an RV Fit darstellt, nach den zweijährigen Kontaktbeschränkungen, die mit einer gewissen zwangsweisen Digitalisierung einhergingen, die digitale Variante als Exklusion wahrgenommen werden. Die wichtigen sozialen und motivationalen Gruppeneffekte fallen weg. Der digitale Rückzug ins Private und die eigenen vier Wände mag – bewusst oder unbewusst – sogar individuelle Tendenzen zur Kontaktvermeidung befördern.
Anhand folgender Fragen sollen in der Veranstaltung das Pro und Contra des digitalen Kulturwandels in der Prävention der Rentenversicherung diskutiert werden:
Leitfragen zur Diskussion
Welche Chancen birgt die Digitalisierung von RV Fit für die Versicherten?
Welche Zielgruppen erreicht man mit digitalen Anwendungen und wer droht von der Teilhabe ausgeschlossen zu werden?
Welche möglichen Gefahren birgt der Einsatz digitaler Anwendungen in der Prävention?
Wie kann man mit den potenziellen Nachteilen umgehen und/oder sie positiv umleiten?
Impulsvorträge
Die Impulsvorträge erläutern ausgehend von der Prämisse der Inklusion und Teilhabe Chancen und Risiken digitaler Präventionsleistungen.
Dr. Lena Tepohl, Dr. Rainer Kaluscha, Markus Maier. Institut für Rehabilitationswissenschaften Ulm:
Digitale Angebote - Lesson Learned: erste wissenschaftliche Erkenntnisse
Lars Grimm. Rehaktiv Oberberg GmbH:
RV Fit und Digitalisierung im ambulanten Setting - Bringt ein innovatives Umsetzungskonzept den Erfolg?
Sabrina Rohde, Filippo Martino. GOREHA GmbH:
Mehr Teilhabe für alle? - Welche Zielgruppen erreicht das Kompaktprogramm Prävention Borkum?
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Hintergrund:
Erwerbsarbeit hat in Deutschland einen hohen Stellenwert, so dass die erfolgreiche Rückkehr in die Berufstätigkeit länger Erkrankter ein zentrales individuelles, betriebliches und sozialpolitisches Ziel darstellt. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit Betroffene und beteiligte Akteure vom Gesetzgeber etablierte Verfahren wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gemeinsam nutzenbringend anwenden. Aktuelle Studien erlauben einen differenzierten Blick auf ausgewählte Fragestellungen zur Rückkehr in den Betrieb in Deutschland.
Ziel:
Aus der Sicht verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen soll diskutiert werden, inwieweit die Wissenschaft dazu beitragen kann, die Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements zu fördern.
Impulsvorträge:
1. Kurzüberblick über die Forschung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement in Deutschland (Uta Wegewitz, BAuA, Berlin)
2. Häufigkeit und subjektive Bewertung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) bei älteren Beschäftigten in Deutschland (HM Hasselhorn, Bergische Universität Wuppertal)
3. Bitte BEM?! Absicht und Wirklichkeit beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement im Setting Schule. Ergebnisse einer qualitativen Studie (Merle Riechmann-Wolf et al., Universitätsmedizin Mainz)
4. Return to Work nach einer psychischen Krise: Zwischen individueller Selbstsorge und betrieblicher Fürsorge (Ute Schröder et al., BAuA, Berlin)
Diskussionsleitende Fragen:
1. Verständnis von „BEM“ und „Return to Work“ in der Wissenschaft und in anderen Bereichen
2. Welche Rolle spielt das betriebliche Umfeld (Team, Vorgesetzte, Unternehmensführung) und dabei ggfs. auftretende Zielkonflikte bei der Rückkehr Erkrankter in den Betrieb?
3. Wann ist BEM erfolgreich? Nutzen und Zielvorstellungen aus der Sicht verschiedener Akteure.
Referierende, Diskutierende und Moderierende:
Dr. Jean-Baptist du Prel, MPH, Fachgebiet Arbeitswissenschaft, Bergische Universität Wuppertal
Dr. Uta Wegewitz, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin
Ute B. Schröder, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin
Merle Riechmann-Wolf, Institut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin, Universitätsmedizin Mainz
Prof. Hans Martin Hasselhorn, Fachgebiet Arbeitswissenschaft, Bergische Universität Wuppertal
Hintergrund und Zielstellung
Während Haustechniker, Podologen und Bauzeichner im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahmen noch mit sehr vergleichbaren körperlichen Anforderungen konfrontiert werden, wandelt sich dies mit dem Übergang in Arbeit teils erheblich. Neben den Diskrepanzen in den Anforderungen an beispielsweise Lastenhandhabung und Fortbewegung, sind bei den beruflichen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zugleich auch Unterschiede im vorliegenden körperlichen Leistungsvermögen zu erwarten. Für ein anforderungsorientiertes (App-)Training, welches eine optimale Vorbereitung auf die Rückkehr in Arbeit intendiert – folglich eine Reduktion bzw. Beseitigung potenzieller körperlicher Überforderungen – ist eine Kenntnis beider Seiten notwendig: des erforderlichen sowie auch des vorliegenden Leistungsvermögens (Alles & Nellessen, 2015). Im Rahmen dieser Vorstudie des von der Deutschen Rentenversicherung Bund geförderten Projekts „WORKout“ (Förderschwerpunkt „Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation“) wurde überprüft, inwiefern mit Alltagsmaterialien und in Eigenregie durchgeführte Aktivitätstests eine valide Abbildung des arbeitsbezogenen körperlichen Leistungsvermögens ermöglichen.
Methoden
32 berufliche Rehabilitandinnen und Rehabilitanden absolvierten zunächst einen Online-Selbsttest in Eigenregie, der Tests zur Feinmotorik, Balance, Lastenhandhabung, physischen Ausdauer sowie zu statischen Rumpfhaltungen (Superman und Unterarmstütz) und Zwangshaltungen der oberen Extremitäten umfasste. Innerhalb der sich anschließenden drei Wochen fand eine weitere Testung statt, bei der die Außenkriterien erhoben wurden. Hierbei handelte es sich um ausgewählte Aktivitätstests (Balancieren, Heben Boden-Arbeitsfläche, Stehen geneigt, Arme in Zwangshaltung über Kopf) des Functional Capacity Evaluation-Verfahrens ELA (Bühne et al., 2020), den Purdue Pegboard-Test Assembly (Tiffin & Asher, 1948) sowie den Ruffier Dickson Test. Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum von Juni bis August 2022. Als Kriterium für die konvergente Validität wurde a priori r≥,5 definiert.
Ergebnisse
16 Rehabilitandinnen und 16 Rehabilitanden in einem mittleren Alter von 40,5 Jahren (SD=11,0) beteiligten sich an der Studie, darunter 17 Personen aus kaufmännischen Umschulungsberufen und neun Personen, die für Berufe aus Technik und Gewerbe qualifiziert wurden. Die Selbst-Tests zur Balance (r=,689) und zur Lastenhandhabung (r=,791) standen in einem starken Zusammenhang mit den jeweiligen Außenkriterien. Beim Test zu Zwangshaltungen der oberen Extremitäten lag das Zusammenhangsmaß etwas unterhalb des Richtwerts (r=,421). Dies galt ebenfalls für den Unterarmstütz (r=,438). In beiden Fällen wurde die Stärke des Zusammenhangs deutlich durch einzelne Ausreißer limitiert. Beim zweiten Test zur statischen Rumpfhaltung (Superman) sowie auch dem Feinmotorik-Test konnte kein Zusammenhang nachgewiesen werden. Aufgrund fehlender (n=6) bzw. inkonsistenter Pulsangaben (n=4) konnte der Test zur physischen Ausdauer nur bei 22 Personen ausgewertet werden (r=,502).
Diskussion und Fazit
Die vorliegenden Ergebnisse deuten auf die Validität der Tests zum Gleichgewichtsvermögens sowie der Lastenhandhabung hin. Beim Selbst-Test zur physischen Ausdauer scheint eine differenzierte Anleitung erforderlich zu sein, da Pulsangaben mehrfach fehlten bzw. teilweise enorm von denen der angeleiteten Testung abwichen. Ein im Vergleich dazu geringerer Zusammenhang war bei den drei Tests zu beobachten, welche mit Anforderungen an die statische Kraftausdauer einhergehen, was möglicherweise durch Unterschiede in der Motivation infolge der Anwesenheit einer den Test anleitenden Person bedingt war. In zwei Fällen werden die Tests dennoch als eigeschränkt geeignet beurteilt, da die Stärke des Zusammenhangs deutlich durch einzelne Ausreißer limitiert wurde. Als ungeeignet zur Erhebung der arbeitsbezogenen körperlichen Leistungsfähigkeit in Eigenregie erwies sich neben dem dritten statischen Test (Superman) zudem auch derjenige zur Feinmotorik. Hinsichtlich eines Transfers der Untersuchungsergebnisse ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Sample keine Einschränkung der Leistungsbereitschaft infolge von Interessenskonflikten zu erwarten war.
Take-Home-Message
Die in Eigenregie durchgeführten Tests ermöglichten im vorliegenden Sample beruflicher Rehabilitandinnen und Rehabilitanden aussagekräftige Rückschlüsse auf das Gleichgewichtsvermögen und die Fähigkeit zur Lastenhandhabung; mit leichten Einschränkungen galt dies ebenfalls für die Fähigkeit zur Beibehaltung von Zwangshaltungen des Rumpfes und der oberen Extremitäten.
Literatur
Alles, T., Nellessen, G. Arbeitsplatzbezogene Gestaltung von Training und medizinischer Rehabilitation. In: Froböse, I., Wilke, C. (Hrsg.): Training in der Therapie. Grundlagen. 4. Auflage 2015 München, S. 183–198.
Bühne, D.; Alles, T.; Hetzel, C; Streibelt, M.; Froböse, I.; Bethge, M. (2020). Predictive validity of a customized functional capacity evaluation in patients with musculoskeletal disorders. Int Arch Occup Environ Health, 93, 635–643.
Tiffin, J.; Asher, E.J. (1948). The Purdue Pegboard: norms and studies of reliability and validity. J Appl Psychol, 32, 234–247.
Hintergrund und Zielstellung
Neben Menschen mit psychischen Erkrankungen haben auch Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ein erhöhtes Suizidalitätsrisiko. Eine systematische Erfassung von Suizidalität bei Personen, die wegen kardiovaskulärer Erkrankungen oder Muskel-Skelett-Erkrankungen eine Rehabilitation erhalten, wird in Deutschland nicht durchgeführt. In der medizinischen Rehabilitation wird häufig das 9-Item-Depressionsmodul des Patient Health Questionnaire (PHQ-9) eingesetzt, um nach psychischen Beeinträchtigungen zu screenen (Deutsche Rentenversicherung Bund, 2014). Dessen neuntes Item fragt nach dem Wunsch, tot zu sein oder sich selbst Leid zufügen zu wollen (Spitzer et al., 1999). Die Befunde bisheriger Studien zur Eignung dieses Items für die Identifizierung von Suizidalität sind nicht konsistent und schließen vor allem Stichproben mit psychischen Erkrankungen ein (Na et al., 2018). Die Columbia Suicide Severity Rating Scale (C-SSRS) ist ein standardisiertes Interviewverfahren und gilt als Goldstandard zur Erfassung von Suizidalität (Posner et al., 2011). Unsere Studie erfasste die Häufigkeit von Suizidalität in der orthopädischen und kardiologischen Rehabilitation mithilfe der C-SSRS und des PHQ-9 und untersuchte die diagnostische Genauigkeit des neunten Items des PHQ-9 zur Identifizierung von Suizidalität.
Methoden
Die Studienteilnehmenden wurden mit dem PHQ-9 gescreent und anschließend ohne Kenntnis des Screeningergebnisses mittels C-SSRS interviewt. Ein positives Ergebnis in der C-SSRS wurde definiert als Suizidgedanken mit Handlungsintention oder zurückliegendes suizidales Verhalten innerhalb des vergangenen Monats. Grenzwert für eine mögliche, mit dem PHQ-9 erfasste Suizidalität, war mindestens ein Punkt auf dem neunten Item. Wir ermittelten die Prävalenz von Suizidalität mit der C-SSRS und dem PHQ-9 und prüften die diagnostische Genauigkeit (Sensitivität und Spezifität) des neunten Items des PHQ-9 für das Vorliegen einer mit der C-SSRS erfassten Suizidalität. In einer Sensitivitätsanalyse wurden unspezifische aktive Suizidgedanken (Gedanken, sich umbringen zu wollen, Item 2 der C-SSRS) als Referenzstandard überprüft.
Ergebnisse
Von 405 Studienteilnehmenden (48,9 % männlich, mittleres Alter 54,2 Jahre) hatten zwei Personen (0,5 %) ein positives Ergebnis in der C-SSRS und 16 Personen (4,0 %) berichteten in der C-SSRS unspezifische aktive Suizidgedanken. 42 Personen (10,4 %) gaben auf dem neunten Item des PHQ-9 wenigstens an einzelnen Tagen Suizidgedanken an. Bei Verwendung der C-SSRS als Referenzstandard lag die Sensitivität des neunten Items des PHQ-9 bei 50,0 % (95-%-KI: 1,3 bis 98,7), die Spezifität bei 89,8 % (95-%-KI: 86,5 bis 92,6). Mit der Referenz unspezifischer aktiver Suizidgedanken erreichte das neunte Item eine Sensitivität von 81,3 % (95-%-KI: 54,4 bis 96,0) und eine Spezifität von 92,5 % (95-%-KI: 89,5 bis 95,0). Die Vorhersagewerte betrugen lediglich 2,4 % für Suizidgedanken mit Handlungsintention, aber 30,9 % für unspezifische aktive Suizidgedanken.
Diskussion und Fazit
Unsere Studie zeigt eine sehr geringe Prävalenz von Suizidalität mit Handlungsintention oder zurückliegendem suizidalem Verhalten Jede zehnte Person äußerte aber im PHQ-9 den Wunsch, tot zu sein oder sich Leid zuzufügen. Der sehr geringe Vorhersagewert des neunten Items des PHQ-9 für Suizidgedanken mit Handlungsintention legt nahe, dass die unmittelbare Gefahr eines Suizids bei positiver Antwort gering ist. Allerdings bestätigten sich bei fast einem Drittel der Studienteilnehmenden unspezifische aktive Suizidgedanken. Ein auffälliger Wert im neunten Item des PHQ-9 sollte aus unserer Sicht psychodiagnostisch abgeklärt werden. Die Verwendung eines Screenings ersetzt nicht die Aufmerksamkeit für das Thema Suizidalität im klinischen Alltag.
Take-Home-Message
Suizidgedanken mit Handlungsintention sind in der orthopädischen und kardiologischen Rehabilitation selten. Unspezifische aktive Suizidgedanken erkannte das neunte Item in unserer Stichprobe gut, allerdings ist die Sensitivität aufgrund des großen Konfidenzintervalls mit einer deutlichen Unsicherheit behaftet.
Literatur
Deutsche Rentenversicherung Bund (2014): Psychische Komorbidität. Leitfaden zur Implementierung eines psychodiagnostischen Stufenplans in der medizinischen Rehabilitation. Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin.
Spitzer R, Kroenke K, Williams JB (1999): Validation and utility of a self-report version of PRIME-MD: The PHQ primary care study. Primary Care Evaluation of Mental Disorders. Patient Health Questionnaire. JAMA, 282(18): 1737–1744.
Na PJ, Yaramala SR, Kim JA, Kim H, Goes FS, Zandi PP, Vande Voort JL, Sutor B, Croarkin P, Bobo WV (2018): The PHQ-9 Item based screening for suicide risk: a validation study of the Patient Health Questionnaire (PHQ)-9 Item 9 with the Columbia Suicide Severity Rating Scale (C-SSRS). J Affect Disord, 232: 34-40.
Posner K, Brown GK, Stanley B, Brent DA, Yershova KV, Oquendo MA, Currier GW, Melvin GA, Greenhill L, Shen S, Mann JJ (2011): The Columbia-Suicide Severity Rating Scale: Initial validity and internal consistency findings from three multisite studies with adolescents and adults. The American Journal of Psychiatry, 168(12): 1266–1277.
Hintergrund und Zielstellung
Obwohl depressive Störungen gemeinsam mit Angststörungen die häufigsten psychischen Erkrankungen sind und eine besondere Bedeutung für Rehabilitation und Sozialmedizin haben (Köllner, 2016; Adem-Kessler, 2021), gibt es im deutschsprachigen Raum bislang nur wenige Fragebögen, um eines der wesentlichen Symptome der Depression - die Anhedonie - differenziert zu erfassen. Der Savoring Beliefs Inventory (SBI) erfragt mittels 24 Items die Ausprägung des Symptoms Anhedonie anhand von drei Zeitdimensionen: freudiges Zurückerinnern, gegenwärtiges Genießen und freudige Erwartung (Bryant, 2003). Anhedonie blockiert den Zugang zu wichtigen Ressourcen und Selbsthilfestrategien, die gerade zum Erhalt der Teilhabe am Erwerbsleben notwendig sind.
In dieser Studie soll die deutsche Version des SBI validiert und hinsichtlich der Korrelation zur Schwere einer Depression sowie zur prognostischen Aussagekraft bezogen auf den Therapieerfolg und die Arbeitsfähigkeit von Reha-Patienten untersucht werden.
Methoden
Der SBI wurde von Mai bis September 2022 von Patienten der Psychosomatik und Psychokardiologie des Reha-Zentrums Seehof im Rahmen der psychologischen Testdiagnostik am Anfang (n: 163) und Ende (n: 102) ihres Reha-Aufenthalts ausgefüllt. Zudem haben 43 Hausarztpatienten und 70 Medizinstudenten den SBI und den BDI-II in diesem Zeitraum ausgefüllt. Mithilfe von SPSS wurde eine konfirmatorische Faktorenanalyse durchgeführt sowie Reliabilität und Validität bestimmt. Zudem wurde eine lineare Regression mit dem SBI als Prädiktor für Therapieerfolg und eine logistische Regression mit dem SBI als Prädiktor für die Arbeitsfähigkeit bei Reha-Ende berechnet.
Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Reha-Patienten beschrieben. Die Ergebnisse für die Hausarztpatienten und Studenten sind in Klammern angegeben. Der SBI weist insgesamt ein Cronbachs alpha von 0.94 (Hausarztpatienten: 0.89; Studenten: 0.91) auf. Die konvergente Validität liegt bei -0.59 bis -0.65 (Hausarztpatienten: -0.44 bis -0.69; Studenten: -0.33 bis -0.50). Die diskriminante Validität liegt bei -0.29 bis -0.56 (Hausarztpatienten: -0.20 bis -0.41; Studenten: -0.20 bis -0.21). Die konfirmatorische Faktorenanalyse für eine 3-Faktorenstruktur ergibt einen comparison fit index (CFI) von 0.85 (Hausarztpatienten: 0.48; Studenten: 0.72). Für eine minimale bis leichte Depression ergibt sich eine Pearson-Korrelation von -0.25 (p = 0.113). Für eine mittelschwere bis schwere Depression ergibt sich eine Pearson-Korrelation von -0.51 (p = < 0.001). Die lineare Regression zum Therapieerfolg bei den Reha-Patienten mit der Veränderung des BDI-II-Summenwerts als abhängige Variable und dem SBI vor der Reha als Prädiktor ist nicht signifikant, F(1,121) = 0.228, p = .634. Die logistische Regression zur Arbeitsfähigkeit bei Reha-Ende ergibt eine Modellsignifikanz von p < 0.001 und ein Exp(β) von 0.974.
Diskussion und Fazit
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der SBI ein reliables Instrument zur Erfassung der Anhedonie mit einer guten konvergenten Validität ist. Die diskriminante Validität ist aufgrund des breiten Wertebereichs nicht eindeutig zu interpretieren. Hier bleibt abzuwarten, ob sich im weiteren Verlauf der Studie eindeutigere Ergebnisse abzeichnen. Die 3-Faktorenstruktur ist bezogen auf den CFI fragwürdig. Liegt eine mittelschwere bis schwere Depression vor, korreliert der SBI signifikant stark mit dem BDI-II. Dies ist bei Vorliegen einer minimalen bis leichten Depression nicht der Fall. Bezüglich des Therapieerfolgs zeigt der SBI keine ausreichende Vorhersagekraft. Bezüglich der Arbeitsfähigkeit bei Entlassung weist der SBI eine gute Vorhersagekraft auf. Patienten mit einem hohen SBI-Summenwert werden demnach mit einer Odds Ratio von 0.974 nicht arbeitsunfähig entlassen. Die Ergebnisse weisen somit darauf hin, dass die deutsche Version des SBI eine sinnvolle Ergänzung im klinischen Alltag sein könnte, um die Anhedonie differenzierter zu beurteilen und so die Psychotherapie individueller auf den Patienten abzustimmen. Der SBI scheint ein guter Prädiktor für die Arbeitsfähigkeit des Patienten am Ende der Reha zu sein.
Take-Home-Message
Die Zwischenrechnungen dieser Studie deuten darauf hin, dass die deutsche Version des SBI ein reliables und valides Instrument zur Beurteilung der Anhedonie ist.
Literatur
Adam-Kessler U. Affektive Störungen. In: Köllner V, Bassler M (Hrsg.): Praxishandbuch Psychosomatische Medizin in der Rehabilitation. München: Elsevier, 2021; S. 217 -216
Bryant F. Savoring Beliefs Inventory (SBI): A scale for measuring beliefs about savouring. Journal of Mental Health 2003;12:175-196
Köllner V. Rehabilitation bei depressiven Störungen. Die Rehabilitation 2016; 55: 395 - 410
Hintergrund und Zielstellung
Die Versorgung eines Kindes mit einer chronisch körperlichen Erkrankung oder einer psychischen Störung bedeutet für die Eltern oftmals einen Plus-Faktor in der Erziehung (Warschburger, 2015), welcher zu erhöhtem Elternstress führen kann. Belastete Eltern weisen vermehrt depressive und ängstliche Symptome und eine geringere Lebensqualität auf (Brannan et al., 1997). Dies wiederum bleibt nicht ohne Auswirkung auf Krankheitsmanagement und Erfolg der Psychotherapie der Kinder (Accurso, et al., 2015; Carcone et al., 2012). Ein frühzeitiges Erkennen einer hohen Belastung bei betroffenen Eltern erscheint unter diesem Aspekt notwendig. Ein ökonomisches Instrument, welches verschiedene Facetten der Elternbelastung erfasst, ist im deutschen Sprachraum aktuell nicht zu finden. Ziel der Studie ist es daher, eine deutsche Version des Caregiver Strain Questionnaires SF-11 (CGSQ SF-11; Brennan et al., 2021) psychometrisch zu prüfen.
Methoden
Die Daten von bisher 328 Eltern und Betreuungspersonen (T1; 159 zu T2) wurden in die Analyse eingeschlossen. Der Fragebogen zum ersten Messzeitpunkt enthielt neben dem CGSQ SF-11 weitere Instrumente zur Validierung: PSI-SF, FLQ, PSS-10, PHQ-9, GAD-7, SES-17. Zum zweiten Messzeitpunkt wurde lediglich der CGSQ SF-11 erneut durchgeführt. Im Rahmen der Analysen wurde zunächst eine exploratorische Faktorenanalyse durchgeführt und im Anschluss die theoretisch angenommene Faktorenstruktur anhand einer konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft.
Ergebnisse
Die dreifaktorielle Struktur (objektive, subjektiv-internalisierte und subjektiv-externalisierte Belastung) des CGSQ-SF11 konnte im Rahmen einer exploratorischen und einer konfirmatorischen Faktorenanalyse [Chi-Quadrat (41) = 54.90, p = .07; CFI = 0.98; RMSEA = 0.05 [.00; .08] / SRMR = 0.04] weitestgehend bestätigt werden. Bezüglich der internen Konsistenz zeigte sich ein Cronbach´s α zwischen .72 und .89 für die drei Subskalen. Die Messungen zeigten sich anhand der ICC über zwei Wochen stabil (.82 bis .94). Eltern von Kindern mit chronisch körperlicher Erkrankung oder psychischer Störung zeigten höhere Werte in der elterlichen Belastung als Eltern von Kindern ohne Erkrankung. Es wurden moderate bis große Zusammenhänge der objektiven und subjektiv-internalisierten Belastung mit Erziehungsstress, Stresserleben, der familienbezogenen Lebensqualität, der elterlichen Depressivität und Ängstlichkeit festgestellt. Für die subjektiv-externalisierte Belastung zeigten sich teilweise geringere Zusammenhänge. Keine oder lediglich kleine Zusammenhänge der Subskalen mit der sozialen Erwünschtheit deuteten auf divergente Validität hin.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der CGSQ SF-11 in seiner deutschen Übersetzung ein valides und reliables Instrument ist, um die elterliche Belastung zu erfassen. Ein Einsatz in der Praxis würde es ermöglichen, hoch belastete Eltern zu identifizieren und entsprechende Unterstützungsmaßnahmen in der Rehabilitation anzubieten.
Take-Home-Message
Aufgrund des Einflusses der elterlichen Belastung auf das Krankheitsmanagement und psychische Belastung bei Kindern mit körperlichen und psychischen Erkrankungen, ist es notwendig, eine hohe Belastung bei Eltern zu erkennen. Die deutsche Version des Caregiver Strain Questionnaires SF-11 erwies sich als valides und reliables Instrument.
Literatur
Accurso, E. C., Garland, A. F., Haine-Schlagel, R., Brookman-Frazee, L. & Baker-Ericzén, M. J. (2015). Factors contributing to reduced caregiver strain in a publicly funded child mental health system. Journal of Emotional and Behavioral Disorders, 23, 131-143. https://doi.org/10.1177/1063426614532948
Brannan, A. M., Heflinger, C. A. & Bickman, L. (1997). The Caregiver Strain Questionnaire: Measuring the impact on the family of living with a child with serious emotional disturbance. Journal of Emotional and Behavioral Disorders, 5, 212-222. https://doi.org/10.1177/106342669700500404
Brennan, G. M., Babinski, D. E. & Waschbusch, D. A. (2021). Caregiver Strain Questionnaire – Short Form 11 (CGSQ-SF11): A validation study. Assessment, 1- 20. https://doi.org/10.1177/10731911211015360
Carcone, A. I., Ellis, D. A. & Naar-King, S. (2012). Linking caregiver strain to diabetes illness management and health outcomes in a sample of adolescents in chronically poor metabolic control. Journal of Developmental and Behavioral Pediatrics, 33, 343-351. https://doi.org/10.1097/DBP.0b013e31824eaac8
Warschburger, P. (2015). Psychische Probleme chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. In G. Esser (Hrsg.), Klinische Psychologie und Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen (5., vollständig überarbeitete Auflage, S. 335-342). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
Hintergrund und Zielstellung
Asthma bronchiale zählt zu den häufigsten Atemwegerkrankungen und bei der Behandlung kommt der Stärkung von Gesundheitskompetenz eine wichtige Rolle zu (Global Initiative for Asthma, 2022). Den bereits existierenden Instrumenten zur Erfassung von Gesundheits-kompetenz fehlt häufig ein konzeptionelles Modell (Pleasant et al., 2011, Stock et al., 2022) bzw. es fehlt an krankheitsspezifischer Anpassung u.a. zur interventionsnahen und kontextspezifischen Effektevaluation von Interventionen (z.B. Patientenschulungen). Für Asthma bronchiale liegt bisher kein validiertes Erhebungsinstrument zur Erfassung der asthmaspezifischen Gesundheitskompetenz vor. Wir stellen hier die Entwicklung und psychometrische Prüfung des Fragebogen „Mein Asthma und Ich (MAuI)“ vor, der diese Lücke schließen soll.
Methoden
Die Fragebogenentwicklung umfasste mehrere Stufen: 1) Auswahl einer theoretischen Grundlage (Söllner 2010), 2) Systematische Literaturrecherche zu Anforderungen an patientenseitige Kompetenzen im Umgang mit Asthma bronchiale, 3) Überprüfung der Inhalt- und Augenscheinvalidität durch Expert*innen aus Pneumologie, pneumologischer Reha und Patientenschulung, 4) Überarbeitung der Items, 5) Kognitiver Pretest, 6) Pilotierung. Nach der Pilotierung lag ein Fragebogen mit insgesamt 41 Items zu acht Facetten vor: Grundlegende Fertigkeiten n=4, Gesundheitswissen n=7, Systemwissen n=4, Motivation und Verantwortungsübernahme n=7, Navigieren und Handeln im Gesundheitswesen n=4, Kommunikation und Kooperation n=5, Informationsbeschaffung und -verarbeitung n=4, Selbstwahrnehmung und -regulation n=6. Das Antwortformat umfasst vier Stufen („stimmt voll und ganz“ bis „stimmt überhaupt nicht“). Wir prüften die interne Konsistenz (Cronbachs alpha) und Konstruktvalidität (konfirmatorischer Faktorenanalyse, Parameterschätzung mittels WLSMV-Algorithmus (Rhemtulla et al., 2012)). Von einer akzeptablen bzw. guten Gesamtmodellgüte gingen wir bei CFI und TLI > 0,95 bzw. > 0,97, RMSEA und SRMR < 0,08 bzw. < 0,05 aus. Items mit Faktorladungen < 0,6 bzw. Indikatorreliabilität < 0,4 prüften wir kritisch auf ihren Verbleib. Als Datenbasis diente eine Online-Befragungen der Zielgruppe. Der Fragebögen wurde via Link über Selbsthilfeverbände, Informationsanbieter und soziale Netzwerke ins Feld gebracht.
Ergebnisse
Insgesamt umfasst die Stichprobe 249 Personen mit einem Anteil weiblicher Personen von 84 Prozent und einem durchschnittlichen Alter von 45 Jahren (19 bis 86 Jahre). Bei einem Großteil der Studienteilnehmenden (56%) lag nach Eigenauskunft eine Asthma- Mischform aus allergischem und nicht-allergischem Asthma vor (n=139). An einer Asthmaschulung haben bereits 47 Prozent (n= 115) der Befragten teilgenommen.
Nach Elimination von neun Items mit schwacher Indikatorreliabilität und der Aufteilung der Faktoren „Systemgesundheitswissen“ und „Motivation und Verantwortungsübernahme“ in je zwei Faktoren (System- vs. Notruf¬wissen bzw. allgemeine Motivation vs. Motivation das Peak-Flow-Protokoll ausfüllen) zeigte sich für das Gesamtmodell eine akzeptable Passung (CFI 0,95; TLI 0,95; RMSEA 0,063; SRMR 0,068). Dabei wies der Faktor „allgemeine Motivation“ (n=2) die geringste Faktorladung (,61) und Indikatorreliabilität (,37) auf. Bei allen anderen Items lag die Indikatorreliabilität bei > 0,4. Die interne Konsistenz lag für alle Skalen im guten bis gerade noch akzeptablen Bereich mit Werten für Cronbachs alpha von 0,5-0,9.
Diskussion und Fazit
Nach systematischer Entwicklung und psychometrischer Prüfung liegt der Fragebogen „Mein Asthma und Ich“ mit insgesamt 32 Items vor. Die konfirmatorische Faktorenanalyse zeigte die angenommen mehrdimensionale Struktur des Fragebogens „Mein Asthma und Ich“ und ergab größtenteils ein zufriedenstellendes Ergebnis, lediglich die Facette „Motivation und Verantwortungsübernahme“ erwies sich als schwierig abbildbar und sollte ggf. noch um weitere spezifische Items ergänzt werden.
Take-Home-Message
In dieser Arbeit wurde der Fragebogen „Mein Asthma und Ich“ anhand eines konzeptionellen Modelles für die chronische Erkrankung Asthma bronchiale operationalisiert und hinsichtlich der Konstruktvalidität geprüft. Es liegt nun ein Selbsteinschätzungsinstrument vor, welches die asthmaspezifische Gesundheitskompetenz multidimensional erfasst.
Literatur
Global Initiative for Asthma (2022). Global Strategy for Asthma Management and
Prevention 2022. URL: https://ginasthma.org/wp-content/uploads/2022/07/GINA-Main-Report-2022-FINAL-22-07-01-WMS.pdf, Abruf 28.10.2022
Pleasant, A., McKinney, J., & Rikard, R. V. (2011). Health literacy measurement: a proposed research agenda. Journal of health communication, 16(sup3), 11-21.
Rhemtulla, M., Brosseau-Liard, P. E. & Savalei, V. (2012). When can categorical variables be treated as continuous? A comparison of robust continuous and categorical SEM estimation methods under suboptimal conditions. Psychological Methods, 17, 354–373.
Soellner, R., Huber, S., Lenartz, N., & Rudinger, G. (2010). Facetten der Gesundheitskompetenz–eine Expertenbefragung. Projekt Gesundheitskompetenz. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft (56). 104-114.
Stock, S., Isselhardt, A., Jünger, S., Peters, S., Schneider, G., Haarig, F., Halbach, S., Okan, O., Fischer, F., Bollweg,T., Bauer, U., Schaeffer, D., Vogt, D., Berend, E.M,. Ernstmann, N. & Bitzer, E.M. (2022). DNVF Memorandum Gesundheitskompetenz (Teil II) – Operationalisierung und Messung von Gesundheitskompetenz aus Sicht der Versorgungsforschung. Das Gesundheitswesen. 84, e26-e41.
Hintergrund und Zielstellung
Elternseitige Annahmen über die Erkrankung und Behandlung ihres Kindes sind mit der Inanspruchnahme einer Behandlung, der Beteiligung der Eltern an dieser und deren Behandlungszufriedenheit assoziiert. Zudem zeigten sich Zusammenhänge mit der kindbezogenen Behandlungsadhärenz sowie dem Behandlungsergebnis (Drotar, Bonner, 2009; Morrissey-Kane, Prinz, 1999). Die elternseitigen Behandlungsannahmen im Kontext der Kinder- und Jugend-Reha wurden bislang nur selten untersucht. Vorangegangene Studien berichten von einer grundsätzlich positiven Einstellung der Eltern gegenüber der Reha (Jürgensen et al., 2017). Gleichzeitig benannten die Eltern aber auch Befürchtungen wie Heimweh oder Schulausfall (Berghem, 2015; Jürgensen et al., 2017). Häufig geäußerte Erwartungen betreffen eine umfangreiche Diagnostik, Schulungen, das Essens- und Freizeitangebot sowie die Zimmerausstattung (Berghem, 2015; Jürgensen et al., 2017). Vor allem durch die Erkrankung des Kindes belastete Familien berichteten den Wunsch nach Erholung (für die gesamte Familie) sowie Stärkung des Kindes (Jürgensen et al., 2017).
In der vorliegenden Studie wurde das subjektive Behandlungskonzept von Eltern zur Reha ihres Kindes über mehrere Dimensionen erfasst sowie Unterschiede zwischen geringer und stärker belasteten Familien analysiert.
Methoden
Die Eltern jugendlicher Rehabilitand*innen (12-17 Jahre) beantworteten einmalig vor Reha-Beginn einen Fragebogen zum subjektiven reha-bezogenen Behandlungskonzept, welcher die Dimensionen Notwendigkeit, Gefühle, Struktur-, Prozess- und Ergebniserwartungen sowie Befürchtungen umfasst. Mit dem Familien-Belastungs-Fragebogen (FaBel; Ravens-Sieberer et al., 2001) wurden die Auswirkungen der Erkrankung des Kindes auf die Familie erfragt.
Das elternseitige Behandlungskonzept wurde deskriptiv analysiert. Mittels Median-Split anhand des FaBel-Gesamtscores wurden zwei Gruppen geringer vs. stärker belasteter Familien gebildet. Gruppenunterschiede hinsichtlich des reha-bezogenen Behandlungskonzepts wurden mit Mann-Whitney-Tests berechnet.
Ergebnisse
Die Stichprobe umfasste N=162 Eltern (M=44,1 Jahre alt, 84% weiblich). Die Ergebnisse des FaBel zeigten eine geringe bis moderate Belastung der Familien (M=1,72, SD=0,40, Median=1,63).
Die Eltern berichteten eine hohe subjektive Notwendigkeit der Reha für ihr Kind (96,1% „stimmt größtenteils“ oder „stimmt voll und ganz“). Die überwiegende Mehrheit schaute zuversichtlich auf die Reha (84,8%), jeweils etwa zwei Drittel berichteten Erleichterung (62,0%) oder Aufregung (59,2%). Ängste (19,2%) oder Zweifel (13,5%) gegenüber der Reha kamen selten vor. Insgesamt hatten die Eltern hohe Erwartungen an die Reha. Die am häufigsten bejahten Struktur- und Prozesserwartungen (>95%) bezogen sich auf die Klinikmitarbeitenden, passgenaue Informationen und Behandlungsangebote für das Kind und seine Erkrankung sowie den Einbezug des Kindes in die Festlegung der Reha-Ziele und die Nachsorge. Verbesserungen der Beschwerden und des Wohlbefindens des Kindes waren die häufigsten Ergebniserwartungen (jeweils 99,4%). Befürchtungen bestanden nur wenige, wovon Heimweh am häufigsten (36,9%) benannt wurde.
Der Vergleich zwischen gering vs. moderat belasteten Familien verdeutlicht, dass sich die beiden Gruppen nach Bonferroni-Korrektur für multiples Testen nicht signifikant in ihrem reha-bezogenen Behandlungskonzept unterscheiden. Tendenziell berichteten moderat belastete Familien jedoch stärkere Gefühle von Angst und Zweifel, stärkere Befürchtungen (z.B. hinsichtlich der Themen Mobbing und Heimweh) sowie höhere Ergebniserwartungen (z.B., dass es der Familie durch die Reha bessergehe). Gering belastete Familien zeigten hingegen tendenziell etwas höhere Erwartungen an den Behandlungsprozess (z.B. freundliche und unterstützende Klinikmitarbeitende).
Diskussion und Fazit
Insgesamt haben die Eltern hohe Erwartungen und relativ geringe Befürchtungen gegenüber der Reha ihres Kindes. Gleichzeitig fanden vorgegangene Studien ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis der Eltern zur Reha für Kinder und Jugendliche (Berghem, 2015; Jürgensen et al., 2017). Vor diesem Hintergrund und Befunden aus dem psychotherapeutischen Kontext, dass unerfüllte elternseitige Erwartungen zu Unzufriedenheit und Abbruch der Behandlung führen können (Morrissey-Kane & Prinz, 1999), sind umfassende Informationsangebote für einen Abgleich der Erwartungen mit dem tatsächlichen Behandlungsangebot im Vorfeld zur Reha essentiell.
Take-Home-Message
Eltern berichten hohe Erwartungen an die Reha ihres Kindes. Da die Erwartungserfüllung einen wichtigen Faktor für die Behandlungszufriedenheit darstellt, sollte dieser Aspekt auch im Kontext der Kinder- und Jugend-Reha untersucht werden.
Literatur
Berghem, S. (2015): Was Eltern von der Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen erwarten. DRV-Schriften, Bd. 107. 389-391.
Drotar, D., Bonner, M.S. (2009): Influences on adherence to pediatric asthma treatment: a review of correlates and predictors. Journal of Developmental & Behavioral Pediatrics, 30,6. 574-582.
Jürgensen, M., Großmann, N., Thyen, U. (2017): „Das würde ich gar nicht erst beantragen!“ – Barrieren der Inanspruchnahme einer Kinder- und Jugend-Rehabilitations-Maßnahme aus Sicht der Familien. Rehabilitation, 56. 109-118.
Morrissey-Kane, E., Prinz, R.J. (1999): Engagement in child and adolescent treatment: the role of parental cognitions and attributions. Clinical Child and Family Psychology Review, 2, 3. 183-198.
Ravens-Sieberer, U., Morfeld, M., Stein, R.E.K., Jessop, D.J., Bullinger, M., Thyen, U. (2001): Der Familien-Belastungs-Fragebogen (FaBel-Fragebogen). Psychotherapie – Psychosomatik – Medizinische Psychologie, 51. 384-393.
Hintergrund und Zielstellung
Im Jahr 2020 hatten etwa 39 % der unter 18-Jährigen in Deutschland einen Migrationshintergrund (MH). In Großstädten wie Berlin (48,1 %) und Hamburg (46,3 %) war der Anteil noch höher (Statistisches Bundesamt, 2022). Kinder mit MH sind insgesamt ähnlich häufig von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen wie Gleichaltrige ohne MH (Santos-Hövener et al., 2019). Im Falle einer chronischen Erkrankung besteht die Möglichkeit, eine medizinische Rehabilitation über die gesetzliche Krankenversicherung oder die gesetzliche Rentenversicherung zu erhalten. Die Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation für Kinder und Jugendliche (KJR) durch Kinder mit MH ist bisher jedoch kaum untersucht. Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) belegen lediglich eine Unterinanspruchnahme durch Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit. So waren unter den Rehabilitand:innen der KJR im Jahr 2019 lediglich 0,1 % Ausländer:innen, während ihr Gesamtanteil an der Bevölkerung in der Altersgruppe bei 10 % lag (Deutsche Rentenversicherung, 2019). Bei Erwachsenen deuten Studien auf eine Unterinanspruchnahme durch Personen mit Migrationshintergrund hin (Fauser et al., 2022). Der vorliegende Beitrag adressiert diese Forschungslücke und berichtet auf Grundlage einer Querschnittbefragung die relative Häufigkeit von Kindern mit MH unter den Rehabilitand:innen aus Berlin und Hamburg.
Methoden
Im Rahmen des MiMi-Reha-Kids-Projekts erfolgte im 4. Quartal 2020 eine Querschnittbefragung aller Versicherten aus Berlin und Hamburg mit einem Kind im Alter bis 17 Jahre, das im Vorjahr eine Rehabilitation durch die DRV erhalten hatte. Die Identifikation der Versicherten erfolgte über die Versichertenkonten der DRV Berlin-Brandenburg, DRV Bund und DRV Nord. Fragebogendaten wurden mit Daten aus dem Versichertenkonto verknüpft. Erhoben wurden Angaben zum Migrationsstatus, zur Soziodemografie und zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Der MH wurde unter Berücksichtigung des Geburtslandes des Kindes und seiner Eltern sowie der Staatsangehörigkeit der Eltern gebildet und trennt zwischen Personen ohne MH, mit einseitigem MH oder mit beidseitigem MH (Koschollek et al., 2019). Ein einseitiger MH wurde angenommen, wenn ein Elternteil nicht in Deutschland geboren oder nicht deutscher Staatsangehörigkeit ist. Ein beidseitiger MH wurde angenommen, wenn das Kind selbst und mindestens ein Elternteil in einem anderen Land geboren sind sowie wenn beide Elternteile in einem anderen Land geboren oder nicht deutscher Staatsangehörigkeit sind.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 1061 Versicherte in Berlin und Hamburg postalisch angeschrieben. 273 Versicherte nahmen an der Befragung teil und willigten in die Nutzung administrativer Daten ein (Rücklaufquote: 25,7 %). Die Kinder der Versicherten waren zum Zeitpunkt ihrer Rehabilitation im Durchschnitt 9,9 Jahre (SD = 4,5) alt. 66,3 % lebten in Berlin und 33,7 % in Hamburg. 56,0 % waren Jungen und 44,0 % Mädchen. In 25,3 % der Fälle erfolgte die Rehabilitation aufgrund von psychischen Erkrankungen, gefolgt von Atemwegserkrankungen (24,5 %) und Stoffwechselerkrankungen (18,7 %). Lediglich 0,4 % der Kinder waren nicht-deutscher Staatsangehörigkeit. Insgesamt 27,8 % der Kinder hatten einen Migrationshintergrund. Bei 13,6 % lag ein einseitiger und bei 14,3 % ein beidseitiger Migrationshintergrund vor.
Diskussion und Fazit
Auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe handelte, ermöglichen die berichteten Ergebnisse erste Einschätzungen zur Inanspruchnahme der KJR durch Kinder und Jugendliche mit MH. Unter den Rehabilitand:innen aus Berlin oder Hamburg hatten knapp 28 % einen MH. Im Vergleich dazu ist der Anteil an Minderjährigen mit MH in den beiden Stadtstaaten deutlich höher (Statistisches Bundesamt, 2022). Unter Berücksichtigung, dass Kinder und Jugendliche mit MH ähnlich häufig von chronischen Erkrankungen betroffen sind, deuten diese Zahlen auf eine Unterinanspruchnahme hin.
Take-Home-Message
Kinder und Jugendliche mit MH sind in der KJR unterrepräsentiert. Dies deutet auf Inanspruchnahmebarrieren in dieser Bevölkerungsgruppe hin.
Literatur
Deutsche Rentenversicherung Bund (2019): Reha-Bericht 2019. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund.
Fauser, D., Banaschak, H., Zimmer, J.-M., Golla, A., Schmitt, N., Mau, W., & Bethge, M. (2022). Rehabilitation utilization of non-migrant and migrant persons with back pain: A cohort study using different definitions of migrant background. EClinicalMedicine, 46. 101351.
Koschollek, C., Bartig, S., Rommel, A., Santos-Hövener, C., & Lampert, T. (2019): Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2. Journal of Health Monitoring, 4. 7-29.
Santos-Hövener, C., Kuntz, B., Frank, L., Koschollek, C., Ellert, U., Hölling, H., Thamm, R., Schienkiewitz, A., & Lampert, T. (2019): Zur gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 62. 1253–1262.
Statistisches Bundesamt (2022): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund—Ergebnisse des Mikrozensus 2020. Statistisches Bundesamt.
Hintergrund und Zielstellung
Stationäre Mutter-/Vater-Kind-Vorsorge- und Reha-Maßnahmen nach §§ 24 und 41 SGB V dienen primär dem Erhalt und der Wiederherstellung der Gesundheit von Müttern und Vätern. Die Mitnahme des Kindes kann dann erfolgen, wenn die Mutter-/Vater-Kind-Beziehung gestärkt werden soll, eine maßnahmebedingte Trennung des Kindes von der Mutter/dem Vater unzumutbar erscheint oder zu psychischen Störungen des Kindes führen kann oder wenn das Kind eine eigene Behandlungsbedürftigkeit aufweist (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, 2012).
Mit Daten aus der Studie „Ressourcenaktivierung und Steigerung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch stationäre Mutter-/Vater-Kind-Maßnahmen“ (RessQu) soll erstmalig berichtet werden, welche Therapien behandlungsbedürftige Kinder in stationären Mutter-/Vater-Kind-Vorsorgemaßnahmen in welchem zeitlichen Umfang erhalten. Zudem wird im Hinblick auf die erhaltenen Therapien ein Vergleich von Kindern mit den Schwerpunktindikationen Atemwegserkrankungen und Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten als häufigste Indikationen vorgenommen.
Methoden
Die Anzahl und Dauer der durchgeführten Anwendungen wurden anhand einer KTL-Liste mit 55 Angebotsgruppen (Otto et al., 2019) im Rahmen der RessQu-Studie von März bis Dezember 2018 in fünf Kliniken erhoben. Für die Dauer einer kompletten Maßnahme (21 Tage) werden die Mittelwerte der Anzahl der Anwendungen sowie der Therapiedauer in Stunden pro KTL-Gruppe deskriptiv dargestellt.
Zu Beginn der Maßnahme konnten die Ärzt*innen der Einrichtungen maximal zwei Schwerpunktindikationen (SPI) auswählen, die laut Attest der einweisenden Ärzt*in behandelt werden sollten und nach Überprüfung durch den/die behandelnde/n Ärzt*in der Klinik vorlagen. Für die Analyse wurden Therapiedaten von Kindern einbezogen, bei denen:
1. ausschließlich eine Atemwegserkrankung oder zusätzlich eine weitere Indikation mit Ausnahme der SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten vorlag.
2. ausschließlich die SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten oder zusätzlich eine weitere Indikation mit Ausnahme der SPI Atemwegserkrankungen vorlag.
Für diese beiden Schwerpunktindikationen wurden mittels t-Test für unabhängige Stichproben Mittelwertvergleiche der erhaltenen Therapien durchgeführt.
Ergebnisse
Von 172 behandlungsbedürftigen Kindern (M=8,9 Jahre, SD=3,5; 51,2 % männlich) wurden die therapeutischen Anwendungen anhand der KTL-Liste erhoben.
Die Kinder erhielten im Mittel Leistungen aus 4,4 (SD=2,2) von 55 Angebotsgruppen aus der KTL-Liste. Die Therapiedichte lag im Mittel bei 16,6 Anwendungen (SD=8,8). Die meisten Anwendungen erhielten die Patientenkinder aus der KTL-Gruppe Rekreationstherapie, gefolgt von Anwendungen aus der KTL-Gruppe Klinische Sozialarbeit, Sozialtherapie. Die Therapiedauer betrug über alle dokumentierten Anwendungen im Mittel 15,0 Therapiestunden (SD=9,9). Die meisten Therapiestunden fielen bei der Rekreationstherapie sowie der Klinischen Sozialarbeit, Sozialtherapie an (Tab. 1).
Von den 172 behandlungsbedürftigen Kindern hatten 76 die SPI Atemwegserkrankungen und 53 die SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten. Kinder mit der SPI Atemwegserkrankungen erhielten während der gesamten Maßnahme im Mittel insgesamt 18,3 Anwendungen (SD=6,6) mit einer Therapiedauer von 17,4 Stunden (SD=9,5). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zu Kindern mit der SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten, welche im Mittel 15,3 Anwendungen (SD=10,8) mit einer Dauer von 14,4 Stunden (SD=11,1) erhielten. Auf der Ebene der einzelnen KTL-Gruppen zeigten sich hingegen vereinzelt signifikante Unterschiede. So erhielten Kinder mit der SPI Atemwegserkrankungen häufiger Rekreationstherapie (M=10,8 Anwendungen, SD=4,4) als Kinder mit der SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten (M=8,0 Anwendungen, SD=6,8). Sie hatten ebenfalls eine höhere Therapiedauer in den KTL-Gruppen Information, Motivation, Schulung und Klinische Psychologie.
Umgekehrt verhielt es sich bei der KTL-Gruppe Reha-Pflege und Pädagogik. Hier erhielten Kinder mit der SPI Psychische Störungen/ Verhaltensauffälligkeiten signifikant mehr Therapiestunden (M=4,9 Stunden, SD=1,5) als Kinder mit der SPI Atemwegserkrankungen (M=1,6 Stunden, SD=2,1).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder z.B. nicht nur aufgrund fehlender heimischer Betreuungsmöglichkeiten ihre Eltern begleiten, sondern behandlungsbedürftige Schwerpunktindikationen aufweisen können, für die durchaus zielgerichtete Therapien zur Anwendung kommen. Weiterführende Analysen, welche therapeutischen Maßnahmen maßgeblich zur Verbesserung der Beschwerden beitragen, wären von besonderem Interesse. Dafür bedarf es jedoch einer größeren Stichprobe.
Take-Home-Message
Angesichts der gesundheitsbezogenen Bedarfe und therapeutischen Möglichkeiten, die durch multiprofessionelle Teams in den Kliniken gegeben sind, sollten Kinder, die sich mit der Mutter bzw. dem Vater in eine stationäre Vorsorge- bzw. Rehabilitationsmaßnahme begeben, nicht nur als Begleit- sondern als behandlungsbedürftige Personen betrachtet werden.
Literatur
Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (2012). Umsetzungs-empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes, der Verbände der Krankenkassen auf Bundes-ebene und des MDS im Zusammenhang mit Anträgen auf Leistungen zur medizinischen Vor-sorge und Rehabilitation für Mütter und Väter nach §§ 24, 41 SGB V.
Otto, F., de Wall, S., Kirsch, C. & Barre, F. (2019). Anwendung der Delphi-Methode zur Entwicklung von indikationsspezifischen Behandlungskonzepten nach KTL. In: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.): Rehabilitation – Shaping healthcare for the future, Bd. 117. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund. 35–37.
Hintergrund und Zielstellung
Rehabilitationserfolge in der stationären Kinder- und Jugendlichenrehabilitation konnten lediglich bei höchstens 50% der Patient*innen aufrechterhalten werden (Holl et al., 2011). Um die Nachhaltigkeit der stationären Rehabilitation bei Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren mit Adipositas zu verbessern, wurde in dem Projekt „Motivationsfördernde Rehabilitation durch Modularisierung“ (MoReMo) bereits der Einfluss der Motivationslage auf die Gesundheitsverhaltensänderung berücksichtigt. Hierbei wurde zur Messung der Motivationsstadien ein Gesprächsleitfaden zur Ermittlung des Motivationsstadiums (GLF-MOS) entwickelt. Zudem wurde die Adipositasschulung modularisiert sowie für die Motivationsstadien „Intender“ und „Actor“ konzipiert und formativ evaluiert. Analysen von MoReMo-Daten zur Optimierung der Rückfallprophylaxe bei Jugendlichen mit Adipositas in der stationären Rehabilitation (Wilkens, 2017) und zur Verbesserung der beiden motivationsstadienbasierten, modularisierten Adipositasschulungskonzepte (Hagedorn, 2019) legten nahe, dass durch eine individuellere Begleitung in der Rehabilitation dort erlernte Verhaltensweisen noch besser in den Alltag zu Hause transferiert werden können.
Um die Nachhaltigkeit der Erfolgsquote bei jüngeren, begleiteten Patient*innen zu erhöhen, wird dementsprechend mit dem Projekt „Entwicklung eines Coaching-Leitfadens für die stationäre Rehabilitation für begleitete Kinder und Jugendliche mit Adipositas: individualisiertes Familien-Coaching zur Förderung der Verhaltensmodifikation“ (ReCoVer) eine individuelle Begleitung der Patient*innen zusammen mit einer Begleitperson bei der Verhaltensänderung in der Rehabilitation sowie eine Planung der Fortführung zu Hause erprobt und formativ evaluiert. So wurde zunächst ein Ansatz erprobt, bei der die Umsetzung der in der Gruppenschulung erlernten Grundsätze im Klinikalltag durch ein Familien-Coaching begleitet wird. Die Gespräche werden mit Methoden des motivatonal interviewing (MI; Miller, Rollnick, 2015) und unter Berücksichtigung des jeweiligen Motivationsstadiums geführt. Damit soll die intrinsische Motivation zur Verhaltensmodifikation innerhalb der Familie gestärkt und ein autoritativer Erziehungsstil der Begleitpersonen gefördert werden.
Methoden
Zur Entwicklung des Coaching-Leitfadens wurden im Rehabilitationsverlauf bei N=12 Familien je 3 Familien-Coachings vorgenommen (Alter: 10-14 Jahre; Alter der Begleitpersonen: 33-58 Jahre). Das Motivationsstadium der Patient*innen wurde durch den GLF-MOS in Einzelinterviews zum Zeitpunkt vor der Rehabilitation (t0) ermittelt. Des Weiteren wurden zum Zeitpunkt nach der Rehabilitation (t1) zwei Fokusgruppeninterviews mit Begleitpersonen durchgeführt. Zur Datenauswertung wurde die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) herangezogen.
Ergebnisse
Keine Familie hat auf Coaching-Termine verzichtet oder die Teilnahme abgebrochen. Die Befragten hätten lieber mehr individuelle Termine gehabt als eine allgemeine Schulung. Von den Begleitpersonen wurde das Familien-Coaching und die verwendeten Methoden als hilfreich und bereichernd empfunden, da es um die Bearbeitung ihrer individuellen Rehabilitationsziele ging und gemeinsam Lösungsansätze erarbeitet wurden. Die Begleitpersonen beschrieben eine höhere Handlungsfähigkeit und empfanden sich als konsequenter und weniger hilflos. Sie schätzten an dem Coaching, dass die Patient*innen ebenfalls zielgerichtet arbeiteten und ihr Verhalten selbst reflektierten. Auch die gemeinsame Zeit und schöne Gespräche mit dem Kind wurden als wertvoll beurteilt. Vor allem das Thema Rückfallprophylaxe empfanden die Begleitpersonen als sehr hilfreich, da das erfolgreich geänderte Ernährungs- und Bewegungsverhalten als nicht fortführbar im Alltag eingeschätzt wurde. Ein Aspekt für die Teilnahme war seitens der Begleitpersonen ein telefonisches Gespräch nach 6 Wochen (t2) mit der Beraterin.
Diskussion und Fazit
Das Familien-Coaching gefiel den Begleitpersonen und es war gut im Klinikalltag durchführbar. Die qualitativen Ergebnisse deuten auf eine höhere Selbstwirksamkeit der Begleitpersonen hin. Der GLF-MOS war auch bei den unter 12-jährigen Patient*innen anwendbar.
Insgesamt schienen 3 Termine á 60 Minuten aus der Sicht der Beraterin ausreichend; für 10-jährige Kinder ist eine Verkürzung auf 45 Minuten zu überlegen. In Phase 2 wird zukünftig das Familien-Coaching optimiert und an einer größeren Stichprobe mit umfangreicheren qualitativen und quantitativen Messmethoden formativ evaluiert.
Take-Home-Message
Erste Ergebnisse sprechen für die Akzeptanz und Durchführbarkeit des Familien-Coachings.
Literatur
Hagedorn, N. (2019): Motivationsfördernde Rehabilitation durch Modularisierung (MoReMo). Entwicklungs- und Machbarkeitsanalyse von motivationsstadienbasierten und modularisierten Adipositasschulungskonzepten für Jugendliche der Phase 2 des Forschungsprojekts MoReMo. Dissertation, Europa-Universität Flensburg.
Holl, R., Kiess, W., Wiegand, S., de Zwaan, M., deSzousa, M., Wiedhalm, K., Reinehr, T. (2011): BMI über zwei Jahre bei 272 Kindern/ Jugendlichen der APV-Datenbank: Prädiktoren für Weight-Maintenance (KKN Adipositas-LARGE). Obesitiy Facts, 4 (Suppl.2). 8-9.
Mayring, P. (2022): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (13., überarb. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Miller, R., Rollnick, S. (2015): Motivierende Gesprächsführung (3. Aufl.). Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.
Wilkens, C. (2017): Qualitative Analyse des Barrierenmanagements zur Optimierung der Rückfallprophylaxe bei Jugendlichen mit Übergewicht und Adipositas in einer stationären Rehabilitation unter Berücksichtigung unterschiedlicher Motivationsstadien. Unveröffentlichte Masterarbeit, Europa-Universität Flensburg.
Hintergrund und Zielstellung
Chronische Erkrankungen sind mit einer erhöhten Vulnerabilität für psychosoziale Belastungen während der Kindheit und Jugend verbunden (Pinquart & Shen, 2011a, 2011b) und können infolgedessen auch zu einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen im Erwachsenalter führen (Secinti et al., 2017). Meta-analytische Ergebnisse zeigen, dass Menschen, die positive Lebensveränderungen - wie persönliche Reifung, engere Beziehungen zu Familie und Freunden oder neue Prioritäten und Ziele im Leben - aus kritischen Lebensumständen ableiten (= „Benefit Finding and Growth“; BFG), weniger emotionalen Stress und mehr psychisches Wohlbefinden erleben (Helgeson et al., 2006). Trotz des wachsenden Forschungsinteresses gibt es noch keine belastbare empirische Basis für ein theoretisches Modell, das individuelle Unterschiede im BFG erklären kann. Das Jugendalter kann aufgrund hoher Entwicklungsanforderungen als eine besonders sensible Phase für psychosoziale Anpassungsprozesse betrachtet werden. Das Ziel der vorliegenden Studie war es, zu untersuchen wie gut BFG bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes (T1D), juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) und cystischer Fibrose (CF) durch ein theoretisch und empirisch fundiertes Modell erklärt werden kann (siehe Abbildung 1).
Methoden
Es wurden querschnittliche Daten aus einer prospektiven Onlinebefragung von N = 498 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren (M = 15.43, SD = 2.07; 58.2% weiblich; 0.2% divers) genutzt, die im Rahmen der Routineversorgung, deutschlandweit über an Patientenregistern teilnehmenden klinischen Zentren, rekrutiert wurden (Trial Registrierung: DRKS00025125; Studienprotokoll: Warschburger et al., 2022). Das Erklärungsmodell wurde mithilfe eines Strukturgleichungsmodells geschätzt (ML-Schätzer; Bootstrapping mit 10.000 Iterationen), um latente Zusammenhänge sowie Messfehler abbilden zu können.
Ergebnisse
Deskriptiv zeigte sich kein signifikanter Unterschied im BFG zwischen den Diagnosegruppen (T1D: n = 388; JIA: n = 82; CF: n = 28). Das finale Modell zeigte einen akzeptablen Fit zu den Daten (CFI = 0.92; RMSEA = 0.05; SRMR = 0.06) und erklärte insgesamt 32% Varianz des wahrgenommenen BFG. Unter Kontrolle von Alter, Geschlecht, sozialem Status und Krankheitsschwere, erklärten Optimismus und soziale Ressourcen das Akzeptieren der chronischen Erkrankung (40% aufgeklärte Varianz), die Neubewertung als Strategie zur Emotionsregulation (29% aufgeklärte Varianz), sowie das Suchen sozialer Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung (44% aufgeklärte Varianz).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung positiver Lebensveränderungen bei Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen von der Ausprägung des persönlichen Optimismus und der wahrgenommenen Qualität sozialer Ressourcen, indirekt über spezifische Bewältigungsstrategien, erklärt werden kann. Um Aussagen über die prädiktive Validität des Modells machen zu können, werden längsschnittliche Studien benötigt.
Take-Home-Message
Akzeptanz und kognitive Neubewertung von Stressoren, als auch das Suchen nach sozialer Unterstützung im Kontext chronischer Erkrankungen, spielen eine entscheidende Rolle bei der Erklärung individueller Unterschiede in der Wahrnehmung positiver Lebensveränderungen.
Literatur
Helgeson, V. S., Reynolds, K. A., & Tomich, P. L. (2006). A meta-analytic review of benefit finding and growth. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 74(5), 797–816. https://doi.org/10.1037/0022-006X.74.5.797
Pinquart, M., & Shen, Y. (2011a). Depressive Symptoms in children and adolescents with chronic physical illness: an updated meta-analysis. Journal of Pediatric Psychology, 36(4), 375–384. https://doi.org/10.1093/JPEPSY/JSQ104
Pinquart, M., & Shen, Y. (2011b). Behavior problems in children and adolescents with chronic physical illness: a meta-analysis. Journal of Pediatric Psychology, 36(9), 1003–1016. https://doi.org/10.1093/JPEPSY/JSR042
Secinti, E., Thompson, E. J., Richards, M., & Gaysina, D. (2017). Research review: childhood chronic physical illness and adult emotional health – a systematic review and meta-analysis. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 58(7), 753–769. https://doi.org/10.1111/JCPP.12727
Warschburger, P., Petersen, A.-C., von Rezori, R. E., Buchallik, F., Baumeister, H., Holl, R. W., Minden, K., Müller-Stierlin, A. S., Reinauer, C., & Staab, D. (2021). A prospective investigation of developmental trajectories of psychosocial adjustment in adolescents facing a chronic condition - study protocol of an observational, multi-center study. BMC Pediatrics, 21(1), 404. https://doi.org/10.1186/s12887-021-02869-9
Hintergrund und Zielstellung
Vor dem Hintergrund der Coronapandemie sind wir der Frage nachgegangen, inwiefern die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie im deutschen Gesundheitssystem sich auf die Diagnostik und Therapie uroonkologischer Erkrankungen niedergeschlagen haben und wollen dies anhand eines Vergleiches mit dem Vorjahreszeitraum beantworten.
Methoden
Patienten mit einem Karzinom der Prostata (PCa), der Harnblase (BCa) oder der Niere (NCa) wurden retrospektiv im Zeitraum von 01.2019 bis 12.2021 untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten, die die stationäre uroonkologische Anschlussrehabilitation (AR) bis 100 Tage postoperativ antraten. Für die einzelnen Entitäten wurden Fallzahlen, Patientenalter, Tumorstadium, Nodal- und Resektionsstatus sowie präoperative PSA-Werte verglichen.
Ergebnisse
Im Beobachtungszeitraum konnten 13.228 Patienten nach uroonkologischem Eingriff eingeschlossen werden. Diese Patienten verteilten sich zu 76,3% (10.094) auf das PCa, zu 15,8% (2.092) auf das BCa sowie zu 7,9% (1.042) auf das NCa.
Das Patientenalter zeigte in den einzelnen Tumorentitäten keine statistisch signifikanten Veränderungen zwischen den Beobachtungsjahren.
Beim PCa zeigte der präoperative PSA-Wert im Median eine signifikante Abnahme zwischen den Jahren 2019 (8,0 ng/ml; IQR 5,7-12,6) und 2021 (7,6 ng/ml; IQR 5,5-11,2), p = 0,001. Ebenso zeigte sich eine Abnahme des Gleason Score (GS) ≥ 8 im endgültigen histopathologischen Befund von 20,5% (2019) auf 17,6% (2021), p = 0,005. Der Anteil organüberschreitender Tumorstadien ( ≥ pT3) zeigte sich stabil im Beobachtungszeitraum (2019: 40,1% und 2021: 39,0%; p = 0,299). Die Lymphknotenmetastasierung zeigte sich signifikant rückläufig von 13,0% (2019) auf 10,9% (2021), p = 0,012. Zwar konnte im Beobachtungszeitraum eine Abnahme positiver Schnittränder beim pT2-Stadium von 8,2% (2019) auf 7,6% (2021) verzeichnet werden, jedoch ohne statistische Signifikanz zu erreichen.
Beim BCa zeigte sich eine signifikante Zunahme neoadjuvanter Chemotherapien von 10,4% (2019) auf 20,2% (2021), p < 0,001. Der Anteil organüberschreitender Tumorstadien ≥ pT3 (2019: 35,5% und 2021: 33,6%; p = 0,471) und der Lymphknotenmetastasierung (2019: 18,8% und 2021: 18,6%; p = 0,925) blieben über den Beobachtungszeitraum konstant.
Beim NCa zeigte sich im Beobachtungszeitraum ein stabiler Anteil von organerhaltenden Eingriffen (2019: 50,1% und 2021: 51,3%; p = 0,102).
Diskussion und Fazit
Bei den drei häufigsten hier beobachteten Tumorentitäten zeigten sich trotz der besonderen Herausforderungen bedingt durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie eine hohe Versorgungs- und Behandlungsqualität. Patienten mit einem uroonkologischen Tumor wurden offensichtlich weiterhin entsprechend den Leitlinien diagnostiziert, therapiert und betreut. Eine Stadienmigration, als Indikator für eine abnehmende Versorgungsqualität, hat im Beobachtungszeitraum nicht stattgefunden.
Take-Home-Message
Patienten mit einer uroonkologischen Diagnose wurden auch während der Jahre der Coronapandemie entsprechend den hohen Therapiestandards leitliniengerecht behandelt.
Literatur
Fallara, G., Sandin, F., Styrke, J., Carlsson, S., I.F., Lissbrant, Ahlgren, J., Bratt, O., Lambe, M., Stattin, P. (2021). Prostate cancer diagnosis, staging, and treatment in Sweden during the first phase of the COVID-19 pandemic. Scand J Urol, 55(3):184-191, doi: 10.1080/21681805.2021.1910341.
Maringe, C., Spicer, J., Morris, M., Purushotham, A., Nolte, E., Sullivan, R., Rachet, B., Aggarwal, A. (2020). The impact of the COVID-19 pandemic on cancer deaths due to delays in diagnosis in England, UK: a national, population-based, modelling study. Lancet Oncol., 21(8):1023-1034, doi: 10.1016/S1470-2045(20)30388-0.
Nossiter, J., Morris, M., Parry, M.G., Sujenthiran, A., Cathcart, P., der Meulen, J., Aggarwal, A., Payne, H., Clarke, N.W. (2022). Impact of the COVID-19 pandemic on the diagnosis and treatment of men with prostate cancer. BJU Int, 130(2):262-270. doi: 10.1111/bju.15699.
Hintergrund und Zielstellung
Das Urothelkarzinom der Harnblase liegt unter Einschluss auch nicht-invasiver Tumore mit nahezu 30.000 Neuerkrankungen pro Jahr an fünfter Stelle bösartiger Neubildungen in Deutschland (Robert-Koch-Institut, 2016). Für Patienten im erwerbsfähigen Alter ist die berufliche Reintegration oftmals von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung und eine möglichst umfassende Wiedereingliederung in das familiäre und soziale Umfeld. Es soll evaluiert werden, wie sich die Lebensqualität, die psychosoziale Belastung und die Berufstätigkeit 2 Jahre nach dem uroonkologischen Maximaleingriff, der radikalen Zystektomie (RZE) und Harnableitung in Form eines Ileum Conduits (IC) oder einer orthotopen Ileum Neoblase (NB) darstellen.
Methoden
Im Rahmen einer prospektiven Versorgungsforschungsstudie wurden 230 präoperativ berufstätige Patienten von 04/2018 bis 12/2019 nach RZE und IC- oder NB-Anlage aufgrund eines Urothelkarzinoms der Harnblase mit Beginn der Anschlussrehabilitation (AR) in die Studie eingeschlossen. Im letzten Follow up der Studie wurden nun 2 Jahre nach der RZE erneut die Lebensqualität (EORTC QLQ-C30 und QLQ-BLM30), die psychosoziale Belastung (Fragebogen zur Belastung Krebskranker FBK-R10) und die Rückkehr zur Arbeit evaluiert. Regressionsanalysen wurden durchgeführt, um unabhängige Prädiktoren zu identifizieren.
Ergebnisse
Zur Harnableitung erhielten von den präoperativ berufstätigen Studienteilnehmern 77,8% eine NB bzw. 22,2% ein IC. Patienten mit einer NB waren im Median etwas jünger als IC-Patienten (58 Jahre (IQR 55–61) versus 61 Jahre (IQR 57–62); p=0,099). Die IC-Patienten hatten im Vergleich zu Patienten mit einer Neoblase signifikant häufiger lokal fortgeschrittene Tumorstadien (≥pT3: 43,1% versus 22,9%; p < 0,001) und häufiger Lymphknotenmetastasen (23,5% versus 12,8%; p < 0,001). Am Ende der AR bestand bei 77,4% der Patienten eine subjektiv positive Erwerbsprognose (NB 82,1% versus IC 60,8%; p < 0,001). Insgesamt waren bis 2 Jahre nach der AR 37 Patienten (16,1%) verstorben. Die mediane postoperative Überlebenszeit betrug 302 Tage (IQR 204-482). Einen Rücklauf der postalischen Nachbefragung erhielten wir 2 Jahre nach der AR von 159 Patienten (69,1%). Angaben zur Erwerbstätigkeit machten 95,0% der Patienten. Berufstätig waren demnach zum Zeitpunkt 2 Jahre nach der AR 68,2% der Patienten. Zu 90,3% waren diese Patienten wieder in Vollzeit tätig. Dauerhaft berentet waren 18,5%. Die subjektive berufliche Leistungsfähigkeit, beurteilt auf einer visuellen Analogskala (0-10), war im Median bei den Patienten mit einer Neoblase etwas besser als bei den Conduit-Patienten (8 versus 7 Punkte; p=0,048).
Positive Prädiktoren für die Rückkehr zur Arbeit 2 Jahre nach der AR waren in der univariaten logistischen Regressionsanalyse ein Alter unter 60 Jahren (OR 7,212; 95% CI 3,337-15,583; p < 0,001) und die Harnableitung in Form einer Neoblase (OR 2,416; 95% CI 1,054-5,434; p=0,037). In der multivariaten Analyse konnte alleinig ein Alter unter 60 Jahren (OR 7,730; 95% CI 3,369-17,736; p < 0,001) als positiver Prädiktor für eine Rückkehr zur Arbeit 2 Jahre nach der AR identifiziert werden. Das Geschlecht, die OP-Technik (offen versus Roboter-assistiert laparoskopisch), das Tumorstadium und der sozioökonomische Status beeinflussten in der Regressionsanalyse die Rückkehr zur Arbeit nicht.
Diskussion und Fazit
Nach der radikal-chirurgischen Therapie eines Harnblasenkarzinoms soll gemäß der „S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms“ den Patienten eine AR empfohlen werden. Die Zielsetzung einer AR ist, eine rasche und nachhaltige Wiederbefähigung zur Teilhabe am normalen gesellschaftlichen, sozialen und beruflichen Leben zu ermöglichen (Deutsche Krebsgesellschaft, 2020).
Die aktuelle Versorgungsforschungsstudie zu Patienten nach einer radikalen Zystektomie aufgrund eines Harnblasenkarzinom stellt in ihrer Qualität und Quantität sowie Tiefe der inhaltlichen Betrachtung ein „Leuchtturm-Projekt“ dar. In einem kurzen und aktuellen Zeitsegment von 21 Monaten wurden prospektiv 842 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die Studienteilnehmer wurden zu 5 Evaluationszeitpunkten (Beginn und Ende der AR, sowie 6,12 und 24 Monate nach der AR) hinsichtlich ihres onkologischen, funktionellen und sozialmedizinischen Outcomes als auch in Bezug auf ihre Lebensqualität und psychosoziale Belastung analysiert. Die Ergebnisse unserer Studie informieren Kliniker, Patienten und politische Entscheidungsträger gleichermaßen über den weiteren postoperativen Verlauf nach diesem uroonkologischen Maximaleingriff.
Take-Home-Message
Während sich nach einer radikalen Zystektomie und Harnableitung in Form eines Conduits oder einer Neoblase aufgrund eines Harnblasenkarzinoms im Median sämtliche Funktionsskalen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der präoperativ berufstätigen Patienten auch nach der AR weiter verbesserten sowie 2 Jahre nach der AR auch knapp 70% der Patienten wieder erwerbstätig waren, zeigten insgesamt 46,5% der Patienten wieder eine höhere psychosoziale Belastung, weshalb die Patienten auf heimatnahe psychosoziale Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und die Option eines stationären Tumornachsorgeheilverfahrens hingewiesen werden sollten.
Literatur
Deutsche Krebsgesellschaft (2020) S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms, Langversion 2.0. AWMF-Registrierungsnummer 032/038OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/harnblasenkarzinom, Abruf: 22.10.2022
Robert-Koch-Institut (2016) Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016
Hintergrund und Zielstellung
Jährlich erkranken ca. 43.500 Menschen in der Schweiz an Krebs (NKRS, 2021). Durch moderne, zunehmend multimodale Krebstherapien können immer mehr von diesen Betroffenen geheilt oder langfristig „chronisch erkrankt“ weiterleben. Der Preis für diesen therapeutischen Fortschritt ist jedoch häufig eine Vielzahl somatischer Nebenwirkungen und teils chronische Toxizitäten (Dorey G et al., 2021). Dies und die onkologische Diagnose können zudem zu hohen psychischen Belastungen und einer reduzierten Lebensqualität führen (Hass HG et al., 2022). Ziele dieser prospektiven Datenanalyse war es, diese somatischen sowie psychischen Beschwerden der Patienten bei Aufnahme zu erheben sowie die therapeutischen Effekte der onkologischen Rehabilitation zur Verbesserung dieser Beschwerden zu beurteilen.
Methoden
Die Datenerhebung erfolgte, nach schriftlicher Einverständnis, zwischen 08/2020 und 06/2022 bei 340 Patienten (52,3% ♀), die zur stationären Rehabilitation in der Klinik Gais und in der Rehaklinik Walenstadtberg aufgenommen wurden. Zur Dokumentation der Beschweerden und Toxizitäten bei Reha-Beginn erfolgte ein Assessment mit standardisierten Fragebögen (ESAS, SIF, HADS, FIM, PROMIS-10, EQ-5D) und körperlichen Leistungstests (6-min-Gehtest, Time-up-and-go-Test und Handkraftmessung (Jamar)) zu Beginn (T1) und vor Austritt (T2) aus der stationären Rehabilitation.
Ergebnisse
Das Durchschnittsalter betrug 63,9 +/- 12,5 Jahre. Die meisten Patienten waren an einem kolorektalen Karzinom erkrankt (n = 60; 18,6 %), gefolgt von Malignomen der Bauchspeicheldrüse/der Gallenwege/der Leber (n=48; 14,9 %) und Brustkrebs (n=38; 11,8 %).
Im ESAS zeigte sich eine hohe Belastung durch somatische Beeinträchtigungen (durchschnittlich 27,3 ± 15,1), von denen am häufigsten (n=243) und stärksten (n=158 ≥ Score 5) Fatigue-artige Beschwerden angegeben wurden. Dies bestätigte sich auch im SIF (20,8 % ≥ 5). Als 2. und 3.häufigstes Symptom klagten die Patienten über Appetitlosigkeit (n=120 ≥ Score 5) und ein deutlich reduziertes Wohlbefinden (n=117 ≥ Score 5). Die subjektiv beklagte Kraftlosigkeit bestätigte sich auch in den Leistungs-Assessments (6-Minuten-Test, Time-up-and-Go-Test, reduzierte Handkraft). Im ESAS und HADS zeigten sich signifikant hohe Werte für Angst (n=65 ≥ Punktzahl 5; HADS 37,8 %) und Depression (n=62 ≥ Punktzahl 5; HADS 28,6 %) und der PROMIS-10 und EQ-5D eine signifikant reduzierte Lebensqualität (QoL; Mittelwert 48,6±19,8).
Bei 288 von 340 Patienten (84.7%) konnte vor der Entlassung eine Zweit-Evaluation durchgeführt werden. Nahezu alle Parameter zeigten eine hochsignifikante Verbesserung gegenüber den Ausgangswerten (Abb. 1). Sowohl der PROMIS-10 als auch der ESAS zeigten eine hochsignifikante Verbesserung der pathologischen Werte bzw. der hohen Symptombelastung bei Aufnahme (14,2 ± 2,5 vs. 11,7 ± 2,7, p < 0,001; ESAS 27,3 ± 15,1 vs. 19,7 ± 13,1, p < 0,001). Insbesondere die Fatigue und Kraftlosigkeit verbesserte sich signifikant im ESAS und SIF (4,7 ± 5,4 vs. 2,5 ± 1,7, p < 0,001) ebenso wie die funktionelle Unabhängig-/ bzw. Selbstständigkeit (FIM: 103,9 ± 20,9 vs. 111,2 ± 19,5; p < 0,001). ). Diese Ergebnisse wurden auch durch die körperlichen Funktionstests bestätigt (6-Minuten-Gehtest 373,1 ± 151,0 m vs. 467,4 ± 143,2 m; TUG 11,7 ± 9,7 s vs. 8,3 ± 5,6 s; Jamar reduziert: 29,4 vs. 20,2 %; jeweils p < 0,001). ).
Darüber hinaus zeigte sich auch am Ende der Rehabilitation eine hochsignifikante Verbesserung der QoL, die bei Aufnahme signifikant reduziert war (EQ-5D: 48,6 ± 19,8 66,9,4 ± 18,6; p < 0,001).
Diskussion und Fazit
Die hier vorgestellten Daten bestätigen den hohen Rehabilitationsbedarf onkologischer Patienten und die Notwendigkeit, spezifische Rehabilitationseinrichtungen und Versorgungsstrukturen in der Schweiz aufzubauen und weiter zu entwickeln. Zudem belegen die hier vorgestellten Ergebnisse die hohe Effizienz und Effektivität der onkologischen Rehabilitation sowohl bei der Linderung somatischer als auch psychischer Beeinträchtigungen und führen damit zu einer deutlichen Verbesserung der meist stark beeinträchtigten Lebensqualität der Betroffenen.
Take-Home-Message
Die multimodale, stationäre onkologische Rehabilitation hat - zumindest im kurzfristigen Verlauf - hochsignifikante therapeutische Effekte und sollte daher nach multimodaler Krebstherapie ein fester Bestandteil der interdisziplinären Patientenversorgung in der Onkologie sein.
Literatur
Nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS); c/o Stiftung Nationales Institut für Krebs-epidemiologie und -registrierung (NICER); Zürich, 2021.
National study for multidisciplinary outpatient oncological rehabilitation: online survey to support revised quality and performance criteria. Dorey G, Cabaset S, Richard A, Dehler A, Kudre D, Schneider-Mörsch B, Sperisen N, Schmid M, Rohrmann S.Support Care Cancer. 2021 Jul;29(7):3839-3847. doi: 10.1007/s00520-020-05913-z.
Psychological distress in breast cancer patients during oncological inpatient rehabilitation: incidence, triggering factors and correlation with treatment-induced side effects. Hass HG, Seywald M, Wöckel A, Muco B, Tanriverdi M, Stepien J.Arch Gynecol Obstet. 2022 Jun 22. doi: 10.1007/s00404-022-06657-
Hintergrund und Zielstellung
Eine Krebserkrankung und ihre Behandlung gehen mit zahlreichen physischen und psychosozialen Belastungen sowie einem breiten Spektrum an schwerwiegenden Folgen und Herausforderungen für die Betroffenen, ihr soziales Umfeld und die Gesellschaft einher. Bei der Bewältigung der Erkrankung kann eine onkologische Rehabilitation unterstützen (Bartsch, 2002). In Deutschland nehmen jedoch lediglich rund ein Drittel der Patienten eine onkologische Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch.
Bisher ist dabei wenig bekannt darüber, ob negative Auswirkungen auf die berufliche und soziale Teilhabe zu befürchten sind, wenn eine Rehabilitationsmaßnahme ausbleibt. Ziel war daher ein wissenschaftlicher Vergleich der Erwerbs- und Pflegeprognose zwischen Betroffenen, die eine onkologische Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt haben (Rehabilitanden), mit denjenigen, die keine onkologische Rehabilitationsleistung in Anspruch genommen haben (Nicht-Rehabilitanden).
Methoden
Die Effekte einer onkologischen Rehabilitation auf den Erwerbs- und Pflegestatus wurden mittels retrospektiver Analyse bereits vorhandener sektorenübergreifender Daten bestimmt (Kaluscha et al., 2016). Eingeschlossen wurden gemeinsame Versicherte der AOK und DRV BW bzw. DRV Bund, die im Jahr 2004 krebsfrei waren und bei denen zwischen 2005 und 2009 bösartige Neubildungen an Brustdrüse (Mamma), Prostata oder Dickdarm (Kolon) aufgetreten waren. Die Identifikation der Patienten/innen erfolgte anhand der Diagnose (ICD-10-Kodierungen: C50, C61, C18) sowie anhand des Vorliegens einer einschlägigen primärtherapeutischen Behandlung (Bestrahlung, Chemotherapie, Operation).
Bei der Bestimmung der Ergebnisse onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen wurden bei Betroffenen im erwerbsfähigen Alter die Arbeitsunfähigkeitstage im Folgejahr der Primärtherapie (lineare gemischte Regression) sowie der Rentenbezug im 12. und/oder 24. Monat nach der Primärtherapie (logistische Regression; EM-/BU-Rente: ja vs. nein) betrachtet. Weiterhin wurde sowohl bei Personen im erwerbsfähigen Alter als auch bei den nicht mehr erwerbstätigen Versicherten die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen im 12. und/oder 24. Monat nach der Primärtherapie (logistische Regression; Pflege: ja vs. nein) untersucht. Dabei wurden Variablen, die neben der Rehabilitation die Zielgrößen beeinflussen können und bei denen Unterschiede zwischen Rehabilitanden und Nicht-Rehabilitanden bestanden (Confounder), berücksichtigt.
Ergebnisse
Die gesamte Stichprobe umfasst 41.325 Versicherte. Davon wiesen 9.193 (22,25%) Patienten ein Kolonkarzinom (Darmkrebs), 16.044 (38,82%) Patientinnen ein Mammakarzinom (Brustkrebs) und 16.088 (38,93%) Patienten ein Prostatakarzinom auf.
Gegenüber den Krebs-Rehabilitanden wiesen Nicht-Rehabilitanden indikationsübergreifend im Folgejahr der Primärtherapie weniger AU-Tage auf (Darmkrebs: -36,4 Tage, Brustkrebs: -44,5 Tage, Prostatakrebs: -30,5 Tage). Auch unter Berücksichtigung, dass Rehabilitanden während der dreiwöchigen Rehabilitation üblicherweise krankgeschrieben sind, ist die AU-Dauer somit bei Krebs-Rehabilitanden länger als bei Nicht-Rehabilitanden. Über alle drei Indikationen hinweg war die Wahrscheinlichkeit für den Bezug einer EM-/BU-Rente bei Nicht-Rehabilitanden um rund 70% geringer als bei Krebs-Rehabilitanden (vgl. Abbildung 1).
Das Odds-Ratio für den Pflegestatus ist für die drei Indikationsgruppen in Abbildung 2 dargestellt. Die Wahrscheinlichkeit für Pflege war über alle drei Indikationsgruppen hinweg bei Nicht-Rehabilitanden auch unter Berücksichtigung einer vorbestehender Pflegestufe höher als bei Krebs-Rehabilitanden.
Diskussion und Fazit
Für die höhere AU-Dauer und den höheren Anteil an EM-Renten bei Krebs-Rehabilitanden mag es mehrere Gründe geben. So ist eine erhebliche gesundheitsbedingte Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ein wesentliches Zuweisungskriterium für eine Rehabilitationsleistung, so dass womöglich bereits im Vorfeld der Maßnahme erhebliche Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit mit einer schlechteren Erwerbsprognose vorlagen. Dies lässt sicher leider anhand der vorliegenden Daten nicht abschließend klären. Die EM-Renten sind zumeist befristet, hier bedarf es einer längeren Nachbeobachtung, ob später nach Rekonvaleszenz die Rückkehr in eine Beschäftigung gelingt.
Die geringere Pflegewahrscheinlichkeit bei Krebs-Rehabilitanden bedeutet nicht nur einen relevanten individuellen Zugewinn an Selbständigkeit und Lebensqualität, sondern angesichts des Pflegenotstands auch einen erheblichen Nutzen für die Solidargemeinschaft. Da vorbestehende Pflegestufen bei den Analysen berücksichtigt wurden, kann hier ein positiver Effekt der Rehabilitation vermutet werden.
Take-Home-Message
Eine onkologische Rehabilitation trägt zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei. Zur abschließenden Einschätzung der Effekte auf die Erwerbsprognose sind allerdings weitere Untersuchungen mit längerer Nachbeobachtungsdauer erforderlich.
Literatur
Bartsch, H.H. (2002): Was kann die Rehabilitation onkologischer Patienten nach kurativer und palliativer Therapie leisten? Onkologie, 25. 54-59.
Kaluscha R., Jankowiak S., Dannenmaier J., Ritter S., Schilf S., Krischak G. (2016): Identifizierung von potentiellen Reha-Unterinanspruchnehmern mittels sektorenübergreifender Analysen von Routinedaten. DRV-Schriften, Bd 109. 113-115.
Hintergrund und Zielstellung
The prognosis of gastric carcinoma and tumors of the esophagogastric junction remains poor. So, treatment of gastric and AEG cancers is intensive and multimodal leading often to different somatic disorders (e.g. weight loss, maldigestion, fatigue, polyneuropathy; Tully et al., 2020) and psychological distress (Kim GM et al., 2017). Despite these complex therapy-associated sequelae, little is known about the incidence of treatment-induced side effects and psychological distress or individual rehabilitation goals of this burdened group of patients during rehabilitation. Therefore, aim of this prospective study was to evaluate the goals of the patients at the beginning of oncological inpatient rehabilitation.
Methoden
In this prospective study, 305 patients were screened for psychological distress by the German version of the NCCN-distress thermometer and somatic, therapy-induced secondary disorders routinely after admission to inpatient oncological rehabilitation. Additionally, the individual rehabilitation goals were systematically collected using a standardized, evaluated questionnaire ("Scheidegger Reha-Ziel Assessment").
Ergebnisse
The mean age of the patients included was 62.4 ± 11.3 years (170♂; 135♀). Mean body weight in the collective was 66.8 ± 12.3 kg, presenting a mean BMI of 22.7 ± 4.0. 290 (95%) patients were treated surgically. Systemic chemotherapy was performed routinely in 76.4% (in 36.0% as intensive perioperative CTX).
The most documented treatment-induced disorder was fatigue and fatigue-like complaints (88%). Postoperativ weigt loss was seen in 253 cases (82.9%) and in 137 cases (44.9%) a typicall CTX-induced polyneuropathy was documented. Mean distress in the screened population was 5.7 ± 2.8 (range 0 – 10). A significant distress score ( ≥ 5) was detected in 68.8% and in 43.2% even high levels of distress ( ≥ 7) was observed.
Psychological distress was significantly correlated with younger age ( ≤ 60y; p=0.049), postoperative weight loss (p < 0.001) and polyneuropathy (p < 0.001) after (neo)adjuvant or palliative chemotherapy.
163 patients (53.4%) were employed / not retired.
The most documented rehab goal was “reduction of weakness / fatigue” (n=276; 90.5%), “restoration of work ability“ (n=82; 50.3% of all employed patients), “alleviate nutritial disorder / digestive problems” (n=134; 44%), “improve sleep disorders” (n=109; 35.7%), “relieve polyneuropathy “ (n=96; 31.5%), “reduce arthralgia” (n=93; 30.8%), and “reduce my fear” (n=77; 25.2%).
Diskussion und Fazit
The high incidence of different treatment-induced side effects and toxicities as well as the documented individual rehab goals underlines the importance of multimodal rehabilitation concepts with intensive gastroenterological and nutritional care in patients with gastric and AEG cancers (see also O´Neill L et al., 2020). Aditionally, the high incidence of distress underscores the importance of routinelly screening for distress and psycho-oncological therapy offers. Despite the difficult prognosis and often multiple side effects after multimodal therapy, the current data also demonstrate the great importance of professional promotion measures in patients with gastric and AEG carcinomas (2nd most frequently mentioned rehab goal).
Take-Home-Message
Patients with treatment for gastric or AEG cancers suffer from a varity of different somatic and psychological imparments and therefore require intensive multimodal rehabilitation.
Literatur
The effect of a pre- and post-operative exercise programme versus standard care on physical fitness of patients with oesophageal and gastric cancer undergoing neoadjuvant treatment prior to surgery (The PERIOP-OG Trial): Study protocol for a randomised controlled trial.
Tully R, Loughney L, Bolger J, Sorensen J, McAnena O, Collins CG, Carroll PA, Arumugasamy M, Murphy TJ, Robb WB; PERIOP OG Working Group. Trials. 2020 Jul 13;21(1):638.
Prevalence and prognostic implications of psychological distress in patients with gastric cancer.
Kim GM, Kim SJ, Song SK, Kim HR, Kang BD, Noh SH, Chung HC, Kim KR, Rha SY. BMC Cancer. 2017 Apr 20;17(1):283
Rehabilitation strategies following oesophagogastric and Hepatopancreaticobiliary cancer (ReStOre II): a protocol for a randomized controlled trial. O'Neill L, Guinan E, Doyle S, Connolly D, O'Sullivan J, Bennett A, Sheill G, Segurado R, Knapp P, Fairman C, Normand C, Geoghegan J, Conlon K, Reynolds JV, Hussey J. BMC Cancer. 2020 May 13;20(1):415
Hintergrund:
Soziale Arbeit ist Teil der interprofessionellen Rehabilitation. Es gibt jedoch Hinweise auf eine deutliche Variation der Praxis und bisher keine theoretisch anschlussfähige Beschreibung der Sozialen Arbeit in der Rehabilitation. Zwei Forschungsprojekte untersuchten unabhängig voneinander die Praxis der Sozialen Arbeit in der medizinischen Rehabilitation (ALIMEnt & SWIMMER) aus sozialarbeits- bzw. rehabilitationswissenschaftlicher Perspektive und entwickelten Hypothesen zu Wirkmechanismen der Sozialen Arbeit in der Rehabilitation. Ein weiteres Forschungsprojekt evaluiert ein mitunter von Fachkräften der Sozialen Arbeit durchgeführtes Fallmanagement bei Abhängigkeitserkrankungen formativ (BORA-TB).
Ziel der Veranstaltung:
Mit der Satellitenveranstaltung sollen die Ergebnisse der länderübergreifenden Projekte zusammengeführt und
gemeinsam mit dem Publikum eingeordnet werden. Dabei soll auch eine Qualitätssicherungsperspektive zur bisherigen und zukünftigen Abbildung sozialarbeiterischer Leistungen eingenommen werden.
Ablauf/ Themen und Referent*innen/Expert*innen:
Part I
Begrüßung (Tobias Knoop, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Die Abbildung der Klinischen Sozialarbeit in der Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) (Dr. Markus Thiede, DRV Bund)
Part II
Sozialarbeits- und rehabilitationswissenschaftliche Perspektiven auf die Praxis der Sozialen Arbeit in der Rehabilitation
1. ALIMEnt-Projekt: Arbeitsmodi der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit – Vorstellung des Arbeitsmodus Begleiten anhand eines Fallbeispiels (Simon Süsstrunk & Maria Solèr, Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten (CH)))
2. SWIMMER-Projekt: Arbeitsformen der Sozialen Arbeit in der medizinischen Rehabilitation (Tobias Knoop & Nadja Scheiblich, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
3. BORA-TB-Projekt: Fallverläufe berufsorientierter Teilhabebegleitung in der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen (Helen Ewertowski, Universität Bielefeld)
Part III
Zusammenführung und Diskussion
Hintergrund
Das Bundesprogramm rehapro ist das größte Förderprogramm im Bereich der Rehabilitation und Teilhabe, das in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht wurde. Das BMAS setzt mit rehapro einen Auftrag aus dem Bundesteilhabegesetz um, wonach Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation im Aufgabenbereich der Jobcenter und der Rentenversicherungs-träger gefördert werden sollen. Jobcenter und Rentenversicherungsträger erproben im Rah-men der Modellvorhaben innovative Konzepte, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen besser als bisher zu erhalten oder wiederherzustellen. Hintergrund ist die seit Jahren anhaltend hohe Zahl von Menschen mit gesundheitlichen Beein-trächtigungen, die trotz der sozialrechtlichen Prämissen „Prävention vor Rehabilitation“ und „Rehabilitation vor Rente“ Erwerbsminderungsrenten oder Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen.
Aktuell laufen im Bundesprogramm rehapro in zwei Förderaufrufen 102 Modellprojekte mit einem Gesamtfördervolumen von rund 500 Mio. Euro: 56 Projekte aus dem SGB II- und 46 Projekte aus dem SGB VI-Bereich. Mit dem Bundesprogramm rehapro wird erstmals auch die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit zwischen SGB II und SGB VI gefördert, um die Zu-sammenarbeit an den Schnittstellen zwischen beiden Leistungssystemen zu verbessern. Die Interventionsfelder der Sozialleistungsträger sollen sich durch rehapro besser ergänzen und entsprechende Unterstützungsangebote möglichst eng miteinander verzahnt werden. In der Praxis werden typische Schnittstellenprobleme wie Wartezeiten im Übergang zwischen Trä-gern und unterschiedlichen Leistungserbringern, zwischen Trägern divergierende Einschät-zungen zum Förderbedarf von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden und Probleme im Infor-mationsaustausch und in der Fallarbeit thematisiert.
Zielstellung
Im Diskussionsforum sollen innovative Ansätze zur Bearbeitung von Schnittstellen zwischen Jobcentern und Rentenversicherungsträgern anhand von konkreten Modellprojekten vorge-stellt und diskutiert werden.
Impulsreferate
Andreas Flegel (Bundesministerium für Arbeit und Soziales):
Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit im Bundesprogramm rehapro
Prof. Dr. Martin Brussig (Institut Arbeit und Qualifikation):
Zusammenarbeit zwischen Rentenversicherung und Jobcentern im Bundesprogramm rehapro aus der Perspektive der Programmevaluation rehapro
Björn Brenscheidt (Jobcenter team.arbeit.hamburg):
Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit im Modellprojekt „Haus für Gesundheit und Arbeit“
Sandra Naether (Deutsche Rentenversicherung Nordbayern):
Zusammenarbeit von Rentenversicherung und Jobcentern im Bereich der beruflichen Rehabili-tation im Modellprojekt „rEturn to LeArN“ (ELAN)
Diskussionsleitende Fragen
Welche Herausforderungen zeigen sich in der Praxis in der Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und RV-Trägern?
Welche Ansätze zur der Schnittstellenarbeit und besseren Verzahnung werden in den rehapro-Modellprojekten in der Praxis erprobt?
Wie werden diese Ansätze nach bisherigem Erfahrungsstand bewertet?
Inhaber eines Präsenz- oder Live-Stream-Tickets können den Live-Stream zur Veranstaltung online mitverfolgen. Unter folgendem Link gelangen Sie zur Online-Kongressplattform:
https://reha-kolloquium.we-bcast.de/
Die Zugangsdaten wurden per E-Mail versandt.
Hintergrund:
Der Klimawandel, seine Folgen und daraus resultierende gesellschaftliche Herausforderungen machen auch vor der Rehabilitation nicht halt und sind sehr komplex: 1. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind spürbar. Reha-Indikationen verändern sich (z. B. Corona) und therapeutische Konzepte müssen angepasst werden. Zu den direkten und indirekten Folgen des Klimawandels auf die physische, psychische und soziale Gesundheit wurde bereits 2022 beim Reha-Kolloquium in Münster ein Diskussionsforum ausgerichtet (zepg.de/diskussionsforum-klimawandel-und-gesundheit/). 2. Als Teil des medizinischen Versorgungssettings steht auch die Rehabilitation in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit der Entwicklung klimaneutraler Einrichtungen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Wie dies möglichst schnell gelingen kann, ist noch unklar. 3. Nicht zuletzt ist die Förderung eines gesunden und nachhaltigen Verhaltens sowohl bei den Beschäftigten als auch den Rehabilitand*innen eine wichtige Führungsaufgabe und therapeutische Verantwortung.
Thema:
Träger, Einrichtungsleitungen, Ärzt*innen und Therapeut*innen werden sich ihrer Verantwortung zunehmend bewusst. Sie engagieren sich in ihrer Vorbildfunktion aber auch als Treiber von notwendigen Anpassungen in Klinikabläufen und der Ressourcennutzung. In diesem Diskussionsforum geht es deshalb um notwendige Transformationsprozesse zur Förderung von Nachhaltigkeit in Reha-Einrichtungen – sowohl auf den Ebenen der Organisation als auch des individuellen Verhaltens.
Ablauf:
Mit vier Impulsvorträgen werden erste Ansätze aus den verschiedenen Perspektiven der Träger, Einrichtungen und therapeutischer Konzepte zur Diskussion gestellt:
Die Träger setzen ein Zeichen – Das Nachhaltigkeitskonzept der DRV.
Dr. Ulrike Worringen, DRV-Bund, Berlin
Nachhaltigkeit ist Neuland – Eine Klinikgruppe geht erste Schritte.
Lea Dohm, Klimawandel und Gesundheit, KLUG e. V. & Dr. Petra Becker, Dr. Becker Klinikgruppe
Den Wandel konkret gestalten – Beispiele aus der Fachklinik Gaißach.
Dr. Marlene Klauser, Fachklinik Gaißach (in Vertretung für Prof. Dr. Edda Weimann)
Das WinWin der nachhaltigen Ernährung – Die Speisenversorgung in der Reha.
Christine Reudelsterz, DRV Bund, Berlin
Nach jedem Impulsvortrag werden im Dialog mit Reha-Wissenschaftler*innen die relevanten Forschungs-fragen herausgearbeitet, um die Transformationsprozesse in Modelleinrichtungen systematisch wissenschaftlich zu begleiten, Förder- und Barrierefaktoren zu erfassen und Empfehlungen für geeignete Disseminationsstrategien abzuleiten. Die Diskussion soll dazu beitragen, Entwicklungsaufgaben und Forschungsbedarfe sichtbar zu machen.
Ausblick:
Um diese und weitere Implikationen für Forschung und Praxis zu systematisieren und zu verbreiten, wurde unter dem Dach der DGRW die neue Arbeitsgruppe „Klimawandel“ initiiert. Wer daran Interesse hat, ist eingeladen sich bei uns zu melden (reusch@zepg.de) oder im Rahmen des Reha-Kolloquiums an der konstituierenden Sitzung der AG am Dienstag, 21.02.2023, um 13:15 Uhr im "Raum 8 & 10" (Konferenzetage) teilzunehmen.
Inhaber eines Präsenz- oder Live-Stream-Tickets können den Live-Stream zur Veranstaltung online mitverfolgen. Unter folgendem Link gelangen Sie zur Online-Kongressplattform:
https://reha-kolloquium.we-bcast.de/
Die Zugangsdaten wurden per E-Mail versandt.
Hintergrund und Zielstellung
Health Literacy (HL) umfasst Verständnis, Bewertung und Anwendung von Wissen, Motivation und Kompetenzen im Bereich Gesundheit, um im Alltag Entscheidungen zur Gesundheitsfürsorge treffen zu können (Sørensen et al, 2012). Das persönliche Wissen über die eigene Krankheit und ihr Management hat erheblichen Einfluss auf das Outcome (Zheng et al., 2018). Studien aus der Orthopädie zeigten, dass niedrige HL in der Hüft-Endoprothetik (HTEP) zu einer geringen Erwartungshaltung bezüglich der Mobilisation führt, Entlassungsanweisungen schlechter verstanden werden und Patienten seltener mit dem Operationsergebnis zufrieden sind (Chang et al., 2020; Roy et al., 2019). Trotz ihrer Bedeutung ist HL bei orthopädischen Patienten noch wenig untersucht. Ziel dieser Studie war es festzustellen, ob das Wissen über Operation, Risiken und Nachbehandlung sowie die Zufriedenheit mit dem präoperativen Informationsstand einen Einfluss auf das Outcome nach HTEP hat.
Methoden
In einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden Patienten mit Koxarthrose (n=176; 68,3±10,3 Jahre, 60,8% weiblich) präoperativ, nach der Rehabilitationsmaßnahme sowie ein Jahr nach OP untersucht. Die primären Outcomes waren die physische und psychische gesundheitsbezogene Lebensqualität (LQ), erhoben mit dem SF-12. Zur Messung der HL wurde das Patientenwissen nach OP-Aufklärung mittels eines selbstkonstruierten Quiz-Scores erhoben, der sich an den Inhalten des standardisierten Aufklärungsablaufs orientierte. Ergänzend wurde die subjektive Zufriedenheit mit dem eigenen Informationsstand anhand einer etablierten Skala beurteilt (Faller et al., 2017). Das klinische Outcome wurde mittels des Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) erhoben. Neben soziodemographischen Variablen, zur Berechnung eines soziologischen Schichtindexes, wurden psychische Belastung mittels des Patient Health Questionnaire-4 (PHQ-4) sowie Schmerz mit einer visuelle Analogskala (VAS) gemessen. Multiple lineare Regressionsanalysen, ergänzt durch ANOVA und der Pearson Korrelation, wurden durchgeführt. Die Analysen untersuchten, ob HL, die Zufriedenheit mit dem Informationsstand, das Alter, soziale Schicht, der WOMAC, VAS und der PHQ-4 die LQ nach der Rehabilitationsmaßnahme und 12 Monate nach der Operation vorhersagen können.
Ergebnisse
Die erreichte Punktzahl im Quiz-Score betrug im Mittel 23±5,1 von möglichen 33 Punkten. Die soziale Schicht beeinflusste die Punktzahl signifikant (p < 0,001), wobei sich die Unterschicht (p < 0,001) und Mittelschicht (p=0,01) von der Oberschicht unterschieden. Nur schwache Korrelationen zwischen Quiz-Score und Alter (r=0,23, p=0,01) und keine Korrelation mit der psychischen Belastung (p=0,868) wurden festgestellt. Der Score zeigte keine Boden- oder Deckeneffekte. Einen Monat nach HTEP wurde die physische QL durch den WOMAC (p=0,031) und die subjektive Zufriedenheit mit den Informationen (p=0,022) vorhergesagt. Nach einem Jahr stellte nur noch der WOMAC ein signifikanter Prädiktor (p < 0,001) dar. Sowohl nach einem (p=0,001) als auch nach zwölf Monaten (p=0,001) war der PHQ-4, nicht aber HL oder die Zufriedenheit mit den Informationen, ein Prädiktor der psychischen QL.
Diskussion und Fazit
Die beobachteten Prädiktoren für die physische QL waren im Laufe der Zeit nicht konsistent und änderten sich bis zu 12 Monate nach HTEP. Obwohl die subjektive Zufriedenheit nach einem Monat einen signifikanten Einfluss auf das Outcome hatte, überlagerte 12 Monate nach der Operation der Einfluss des präoperativen funktionellen Gesundheitszustands diesen Effekt. HL hatte keinen direkten Einfluss auf die gesundheitsbezogene LQ. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht das Wissen, sondern die Zufriedenheit der Patienten ein signifikanter kurzfristiger Prädiktor für die QL ist.
Take-Home-Message
Die subjektive Zufriedenheit mit den präoperativ erhaltenen Informationen stellt einen signifikanten Einflussfaktor für die physikalische gesundheitsbezogene Lebensqualität dar. Im Rahmen des Rehabilitationsaufenthaltes stellt daher die Patientenschulung zur Verstetigung der Effekte einen zentralen Baustein der Nachsorge dar.
Literatur
Chang, M.E., Baker, S.J., Dos Santos Marques, I.C., Liwo, A.N., Chung, S.K., Richman, J.S., Knight, S.J., Fouad, M.N., Gakumo, C.A., Davis, T.C., Chu, D.I. (2020): Health Literacy in Surgery. Health Lit Res Pract, 11. e46-e65.
Faller, H., Strahl, A., Richard, M., Niehues, C., Meng, K. (2017): The prospective relationship between satisfaction with information and symptoms of depression and anxiety in breast cancer: A structural equation modeling analysis. Psychooncology, 26. 1741–1748.
Roy, M., Corkum, J.P., Urbach, D.R., Novak, C.B., von Schroeder, H.P., McCabe, S.J., Okrainec, K. (2019): Health Literacy Among Surgical Patients: A Systematic Review and Meta-analysis. World J Surg, 43. 96-106.
Sørensen, K., Van den Broucke, S., Fullam, J., Doyle, G., Pelikan, J., Slonska, Z., Brand, H., (HLS-EU) Consortium Health Literacy Project European (2012): Health literacy and public health: a systematic review and integration of definitions and models. BMC Public Health, 12. 80.
Zheng, M., Jin, H., Shi, N., Duan, C., Wang, D., Yu, X., Li, X. (2018): The relationship between health literacy and quality of life: a systematic review and meta-analysis. Health Qual Life Outcomes, 16. 201.
Hintergrund und Zielstellung
Die axiale Spondyloarthritis (axSpA) ist eine häufige entzündlich-rheumatische Systemerkrankung, bei der in den aktuellen deutschen S3-Leitlinien zur Behandlung sowohl physikalische Therapiemaßnahmen als auch Rehabilitationsmaßnahmen empfohlen werden (Kiltz U, et al., 2019). Daten aus der ATTENTUS-Studie konnten zeigen, dass die berufliche Teilhabe bei Patienten mit axSpA trotz verbesserter medikamentöser Therapieoptionen auch heute noch stark eingeschränkt ist (Kiltz U, et al., 2021). Die aktuelle Datenauswertung untersucht die Häufigkeit und Intensität von physikalischen und rehabilitationsmedizinischen Therapiemaßnahmen bei Patienten mit axSpA in Deutschland.
Methoden
Patienten mit gesicherter axSpA Diagnose (N=770) wurden in 17 deutschen Studienzentren von November 2019 bis Juli 2020 eingeschlossen. Zur Sicherung einer hohen Datenqualität erfolgte die Eingabe über Tablet und es erfolgte ein externes Monitoring zur Verifizierung der Diagnose. Die Erarbeitung des Studiendesigns, die Festlegung der Studieninhalte und der Fragestellungen, die Auswertung sowie die Interpretation der Daten erfolgten in Zusammenarbeit mit Patientenvertretern, um eine größtmögliche Partizipation aller Interessenvertreter sicherzustellen.
Ergebnisse
Es gaben 72% der Patienten (N=555) an, bereits auf die Möglichkeit einer Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen aufmerksam gemacht worden zu sein und 59% der Patienten (N=451) berichteten bereits eine Rehabilitationsmaßnahme erhalten zu haben (Abbildung 1A). Ein Großteil (80,3%, N=362) der Patienten nahm an stationären Rehabilitationsmaßnahmen teil, während 140 Patienten (31,0%) bisher an ambulanten Therapiemaßnahmen teilgenommen hatten. Dabei lag bei 30,7% der Patienten (N=43) die ambulante Rehabilitation (Abbildung 1B) und bei 36,5% der Patienten (N=132) die stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Abbildung 1C) mehr als fünf Jahre zurück.
Abbildung 2A listet die unterschiedlichen jemals durchgeführten physikalischen Therapiemaßnahmen auf. Von den 770 Patienten wurden insgesamt 2541 physikalische Therapiemaßnahmen angegeben. Es berichteten 76 Patienten (2,9%) noch keine physikalische Therapiemaßnahmen im bisherigen Krankheitsverlauf erhalten zu haben. Physiotherapie/Krankengymnastik hatte mit 25,0 % (N=654) als Einzeltherapiemaßnahme den höchsten Anteil. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass verschiedene bewegungstherapeutische Maßnahmen ähnlichen Inhalts, welche in Deutschland aufgrund verschiedener Vorgaben in unterschiedliche Bereiche untergliedert sind, in dieser Abbildung aufgeteilt aufgeführt werden (z. B. Rehabilitationssport, angeleitete Gruppentherapie zum Bewegungstraining, Funktionstraining). Führt man diese verschiedenen Maßnahmen mit bewegungstherapeutischen Schwerpunkt zusammen, stellen sie den größten Anteil der Anwendungen dar (Abbildung 2B). Abbildung 2B zeigt ebenfalls die Intensität der häufigsten angewendeten Maßnahmengruppen pro Woche. So werden bewegungstherapeutische Maßnahmen bei 53,9% der Patienten (N=473) weniger als einmal die Woche und bei 29,4% einmal pro Woche (N=258) durchgeführt.
Diskussion und Fazit
Trotz eindeutiger Leitlinienempfehlungen findet sich in unser aktuellen Untersuchung ein hoher Anteil von Patienten mit axSpA, welche bisher keinen Zugang zu rehabilitationsmedizinischen Therapiemaßnahmen gefunden haben. Zwar ist der Anteil von physikalischen Therapiemaßnahmen, insbesondere von bewegungstherapeutischen Maßnahmen hoch, diese werden aber von einem großen Teil der Patienten nur in geringer Intensität durchgeführt. Die Ergebnisse könnten einen Hinweis liefern, warum trotz deutlich verbesserter medikamentöser Therapiemaßnahmen weiterhin noch bei vielen Patienten mit axSpA eine deutliche Einschränkung der beruflichen Teilhabe besteht.
Take-Home-Message
Physikalische und rehabilitationsmedizinische Therapiemaßnahmen werden trotz eindeutiger Leitlinienempfehlungen bei Patienten mit axialer Spondyloarthritis in Deutschland selten oder nur in geringer Intensität umgesetzt.
Literatur
Kiltz U, et al., Langfassung zur S3-Leitlinie Axiale Spondyloarthritis, Update 2019, Z Rheumatol 2019; 78 (Suppl. 1) 3-64
Kiltz U, et al., Work Participation in Patients with axial Spondyloarthritis in Germany, Ann Rheum Dis 2021 (80) 758-759.
Hintergrund und Zielstellung
Rückenschmerzen sind global einer der führenden Gründe für die Anzahl der mit Behinderung gelebten Lebensjahre und bei etwa der Hälfte der Betroffenen scheinen wiederkehrende oder durchgängig chronische Phasen von Rückenschmerzen vorzuliegen (Hartvigsen et al., 2018). Chronifizierte Rückenschmerzen können die Teilhabe von Betroffenen langfristig einschränken. Die subjektive Erwerbsprognose (SPE) ist ein Indikator für Rehabilitationsbedarf und für eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsteilhabe bei Rückenschmerzen (Fauser et al., 2021). Daher untersucht die vorliegende Arbeit, welche Kontextfaktoren mit einem anhaltend schlechten Verlauf von Rückenschmerzen und Erwerbsprognose assoziiert sind und wie sich die berufliche Teilhabe dieser Personen entwickelt.
Methoden
Genutzt wurden Fragebogendaten einer DFG-geförderten prospektiven Kohortenstudie (REHAB-BP) mit erwerbstätigen Versicherten der Deutschen Rentenversicherung Nord und Mitteldeutschland im Alter von 45 bis 59 Jahren, die weder eine Rehabilitation in den letzten vier Jahren, noch jemals eine Erwerbsminderungsrente (EMR) beantragt haben. Aufbauend auf vorherigen Analysen (Zimmer et al., 2022) wurde eine zur Erstbefragung identifizierte Risikogruppe von Personen mit einschränkenden Rückenschmerzen (Chronic Pain Grade, CPG III und IV) und negativer SPE (SPE ≥ 2 Punkte) über 2 Jahre nachverfolgt (T1: 2017, T2: 2019).
Als Outcome wurde eine anhaltend ungünstige Prognose (Stagnation) definiert (CPG III/IV und negative SPE zu T1 und T2; Referenz: mind. CPG oder SPE zu T2 verbessert). Diese Gruppen wurden hinsichtlich Erwerbstätigkeit und der Beantragung von EMR verglichen (Chi2-Test). Die Auswahl potentiell relevanter Kontextfaktoren umfasste die folgenden Bereiche: soziales Umfeld, Arbeitsbedingungen, Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, schmerzbezogene Kognitionen sowie Gesundheit und Soziodemografie. Mit Hilfe von multivariablen logistischen Regressionen (Rückwärtsselektion pro Bereich) wurden in einem ersten Schritt relevante Kontextfaktoren identifiziert, die mit der Stagnation assoziiert sind. In einem finalen Modell (Rückwärtselektion) wurden aus den im ersten Schritt ermittelten Variablen die Faktoren bereichsübergreifend identifiziert, welche die ungünstige Prognose am besten erklären konnten.
Ergebnisse
Die Analysestichprobe mit Daten zu beiden Erhebungszeitpunkten umfasst 578 Personen mit selbstberichteten einschränkenden Rückenschmerzen sowie einer negativen Erwerbsprognose zu T1 (53 ±4 Jahre; 58 % Frauen). Nach 2 Jahren wiesen 17 % einen geringeren Beeinträchtigungsgrad durch Rückenschmerzen ( < CPG III), 11 % eine verbesserte Teilhabeprognose (SPE < 2 Punkte) und 25 % Verbesserungen in beiden Bereichen auf, während 47% stagnierten.
Diese stagnierende Gruppe war im Vergleich zur Referenzgruppe zu T2 häufiger nicht erwerbstätig (11 % vs. 6 %, p = 0,017) und hatte häufiger eine Erwerbsminderungsrente beantragt (12 % vs. 1 %, p < 0,001).
Bei den Regressionsmodellen aus dem ersten Schritt hatten die Variablen aus den Bereichen „schmerzbezogene Kognitionen“ (Nagelkerkes R2 = 0,337) und „Inanspruchnahme medizinischer Versorgung“ (R2 = 0,132) die höchste Modellaufklärung. Im finalen Modell (R2 = 0,404) verblieben die folgenden Variablen, die mit einem ungünstigen Verlauf (Stagnation) assoziiert waren: allgemeiner Gesundheitszustand zu T1, ambulante Behandlungen in den letzten 12 Monaten, schmerzbezogene Selbstwirksamkeit und arbeitsbezogene Angstvermeidungsüberzeugungen (s. Tabelle 1).
Diskussion und Fazit
Diese Analyse von Personen mit beeinträchtigenden Rückenschmerzen und einer schlechten Erwerbsprognose zeigt, dass fast die Hälfte nach zwei Jahren in diesem Zustand stagniert. Diese Stagnation war hauptsächlich mit ungünstigen schmerzbezogenen Kognitionen verbunden und führte zu einer höheren Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung personbezogener Faktoren für die Krankheitswahrnehmung und -entwicklung sowie die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit, diese zugrundeliegenden Kognitionen in Interventionen einzubeziehen, da sie veränderbare Kontextfaktoren darstellen (Ho et al., 2022).
Take-Home-Message
Personen mit überdauernden Rückenschmerzen und negativer Erwerbsprognose haben ein erhöhtes Risiko für ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und bilden eine Zielgruppe für Interventionsansätze, die auf veränderbare Kontextfaktoren einwirken (z.B. Selbstwirksamkeits- und Angstvermeidungsüberzeugungen).
Literatur
Hartvigsen, J., Hancock, M.J., Kongsted, A., Louw, Q., Ferreira, M.L., Genevay, S. (2018): What low back pain is and why we need to pay attention. The Lancet 391 (10137), S. 2356–2367.
Zimmer, J.-M., Fauser, D., Golla, A., Wienke, A., Schmitt, N., Bethge, M., Mau, W. (2022): Barriers to applying for medical rehabilitation: a time-to-event analysis of employees with severe back pain in Germany. Journal of Rehabilitation Medicine, 54.
Fauser, D., Zimmer, J.-M., Golla, A., Schmitt, N., Mau, W., Bethge, M. (2022): Self-reported prognosis of employability as an indicator of need for rehabilitation: a cohort study among people with back pain. Die Rehabilitation 61(2), 88-96.
Ho, E., Chen, L., Simic, M., Ashton-James, C.E., Comachio, J.; Wang, D.X.M., Hayden, J.A., Ferreira, M.L., Ferreira, P.H. (2022): Psychological interventions for chronic, non-specific low back pain: systematic review with network meta-analysis. BMJ 376, e067718.
Hintergrund und Zielstellung
Der Einfluss von psychologischen Risikofaktoren im Chronifizierungsprozess bei Rückenschmerzen wurde vielfach belegt. Insbesondere depressive Symptome gehen mit unspezifischen chronischen Rückenschmerzen (CRS) einher und erhöhen das Risiko von Frühberentungen. Bislang widersprüchliche Befunde zum Einfluss der Depressivität bei CRS könnten durch die Berücksichtigung der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit besser erklärt werden. So belegte eine Studie nicht nur den negativen Zusammenhang zwischen der Depressivität und der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit, sondern die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit kristallisierte sich auch als vermittelnder Schutzfaktor heraus: Sie mediierte die Beziehung zwischen hoher Depressivität zu Rehabilitationsbeginn und der erhöhten Schmerzintensität zu Rehabilitationsende (Skidmore et al., 2015). Zusammenhänge zu arbeitsbezogenen Kennwerten wurden eher weniger erforscht, jedoch scheinen erhöhte Selbstwirksamkeitserwartungen die Rückkehr zur Arbeit zu begünstigen (Allgeier, Bengel, 2018).
In diesem Beitrag wurde die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit als Mediator in der längsschnittlichen Beziehung zwischen der Depressivität und arbeitsbezogenen Faktoren bei Rehabilitand*innen in der stationären verhaltensmedizinisch orthopädischen Rehabilitation (VMO) untersucht.
Methoden
Im Rahmen einer Sekundäranalyse des Datensatzes des Forschungsprojekts Debora (Mohr et al., 2017) wurden einfache Mediationsanalysen durchgeführt. Hierbei wurde der vermittelnde Einfluss der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit zur 12-Monatskatamnese (MK) auf die Beziehung der Depressivität zu Rehabilitationsbeginn und arbeitsbezogenen Faktoren zur 24-MK überprüft. Als Kontrollvariablen wurden das Chronifizierungsstadium und die Zuordnung zur Kontrollgruppe/Interventionsgruppe (KG/IG) aufgenommen. Es konnten N=382 Rehabilitand*innen aus 4 stationären VMO-Kliniken in den per-protocol-(pp)-Analysen einbezogen werden (Frauen: 81,2%; Alter: MW=53,55 Jahre, SD=5,79). Zur Bestätigung der pp-Befunde wurden Analysen nach multipler Imputation (MI) mit Daten von N=1225 Rehabilitand*innen herangezogen.
Die Rehabilitand*innen nahmen entweder am Schmerzkompetenz- und Entspannungstraining (KG) oder an Debora (IG) teil. Die Depressivität wurde mit der Allgemeinen Depressionsskala und die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit mit dem Fragebogen zur Erfassung der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit gemessen. Als arbeitsbezogene Kennwerte wurden die subjektive Erwerbsprognose mit der Skala zur Messung der subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit sowie die subjektive physische und psychische Arbeitsfähigkeit anhand von 2 Einzelitems des Gesamtindex der Arbeitsfähigkeit erhoben.
Ergebnisse
Partielle Korrelationen belegten erwartungsgemäße, signifikante Zusammenhänge zwischen den Modellvariablen. Somit konnten drei einfache Mediationsanalysen berechnet werden, in denen die Depressivität zu Rehabilitationsbeginn als unabhängige Variable und die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit zur 12-MK als Mediatorvariable eingingen. Als abhängige Variable wurden die subjektive Erwerbsprognose (Modell 1), physische Arbeitsfähigkeit (Modell 2) bzw. psychische Arbeitsfähigkeit (Modell 3) zur 24-MK herangezogen.
In allen Modellen stellten sich in den pp-Analysen Mediationseffekte dar (Abb. 1), die durch die MI-Analysen bestätigt wurden. Durch die Hereinnahme der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit stieg die Varianzaufklärung der subjektiven Erwerbsprognose von 15% auf 38%, der subjektiven physischen Arbeitsfähigkeit von 18% auf 50% und der subjektiven psychischen Arbeitsfähigkeit von 20% auf 30%.
Diskussion und Fazit
Die vorliegende Analyse zu den längsschnittlichen Wirkzusammenhängen im Chronifizierungsprozess zeigte bei Rehabilitand*innen in der VMO, dass eine hohe Depressivität eine geringere schmerzspezifische Selbstwirksamkeit vorhersagt und diese wiederum ungünstige Ausprägungen in den arbeitsbezogenen Kennwerten vorhersagt. Schließlich konnten erste Mediationseffekte der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit auf die Beziehung zwischen der Depressivität und arbeitsbezogenen Kennwerten im 2-Jahresverlauf erweitert werden. Eine aktuelle Studie unterstreicht die hohe Relevanz arbeitsbezogener Faktoren für den Chronifizierungsprozess: Eine erhöhte subjektive Gefährdung der Erwerbsprognose hing mit einem erhöhten Risiko für eine Rehabilitation und eine Erwerbsminderungsrente bei Rehabilitand*innen mit Rückenschmerzen zusammen (Fauser et al., 2022).
Take-Home-Message
Die aufgezeigte Rolle der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit als Schutzfaktor legt nahe, die Selbstwirksamkeitserwartungen in der Rehabilitation durch eine noch bessere Verzahnung insbesondere bewegungs- und psychotherapeutischer Maßnahmen aufzubauen. Ferner scheint für die nachhaltige Verbesserung arbeitsbezogener Kennwerte eine Implementierung psychotherapeutischer Behandlungselemente im Rahmen von Nachsorgemaßnahmen nötig, die auf den Arbeitskontext angewandt werden.
Literatur
Allgeier, L., Bengel, J. (2018): Einflussfaktoren auf die Rückkehr zur Arbeit bei chronischen Rückenschmerzen. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 28. 103–113.
Fauser, D., Zimmer, J.‑M., Golla, A., Schmitt, N., Mau, W., Bethge, M. (2022): Subjektive Erwerbsprognose als Indikator für Rehabilitationsbedarf: Eine Kohortenstudie bei Versicherten mit Rückenschmerzen. Die Rehabilitation, 61. 88–96.
Hasenbring, M. I., Levenig, C., Hallner, D., Puschmann, A.‑K., Weiffen, A., Kleinert, J. et al. (2018): Psychosoziale Risikofaktoren für chronischen Rückenschmerz in der Allgemeingesellschaft und im Leistungssport: Von der Modellbildung zum klinischen Screening – ein Review aus dem MiSpEx-Netzwerk. Der Schmerz, 32. 259–273.
Mohr, B., Korsch, S., Roch, S., Hampel, P. (2017): Debora - Trainingsmanual Rückenschmerzkompetenz und Depressionsprävention. Berlin: Springer.
Skidmore, J. R., Koenig, A. L., Dyson, S. J., Kupper, A. E., Garner, M. J., Keller, C. J. (2015). Pain self-efficacy mediates the relationship between depressive symptoms and pain severity. The Clinical Journal of Pain, 31. 137–144.
Hintergrund und Zielstellung
Das Konzept des multimodalen agilitätsbasierten Trainings (MAT) wurde von Donath et al. (2016) zur Sturzprävention bei Senioren entwickelt und kürzlich zur Anwendung bei Personen mit Multiple Sklerose (PmMS) beschrieben (Wolf et al., in press). MAT bei PmMS basiert auf drei Hauptkomponenten: (1) Standgleichgewicht, (2) dynamisches Gleichgewicht (inklusive funktionelle Beinkraft), (3) Agilität.
In einer stationären Rehabilitationsklinik wurde MAT im Rahmen einer Machbarkeitsstudie mit „traditionellem“ Krafttraining an Geräten, sowie Ausdauertraining auf dem Fahrradergometer (KAT) verglichen (Wolf et al., 2022).
Der qualitative Teil der Machbarkeitsstudie hatte zum Ziel, Eindrücke der PmMS gegenüberzustellen. Im Folgenden wird auf Ergebnisse zu einer der qualitativen Forschungsfragen eingegangen: „Gibt es bestimmte Attribute der Interventionen, die als überwiegend positiv oder negativ wahrgenommen werden?“
Methoden
Die Machbarkeitsstudie beinhaltete 22 PmMS (11 pro Gruppe), die zu Beginn des Aufenthaltes (4-6 Wochen) zufällig einer Gruppe zugeteilt wurden. Da das Fatigue-Erleben der primäre Ergebnisparameter war, lag bei allen Personen mindestens eine moderate Fatigue vor (Fatigue Scale for Motor and Cognitive Functions).
Die MAT-Gruppe trainierte, orientiert an einem Manual, 5x/Woche in der Sporthalle und 3x/Woche im Wasser. Das Training in der KAT-Gruppe beinhaltete 5x/Woche Ausdauertraining (Fahrradergometer) und 3x/Woche Krafttraining.
Zum Aufenthaltsende wurde mit 6 Personen pro Gruppe ein leitfadengestütztes Einzelinterview durchgeführt. Die Audiotranskripte wurden mittels fokussierte Interviewanalyse und Softwareunterstützung (MAXQDA) ausgewertet. Der Leitfaden umfasste verschiedene Kategorien, wobei für die hier gestellte Forschungsfrage die Kategorie „Attribute der Interventionen“ im Vordergrund stand.
Ergebnisse
Die interviewten Personen zeigten folgende Charakteristika: Alter (MAT 26-53, KAT 31-64), Geschlecht (MAT 5 Frauen/1 Mann, KAT 4/2), Expanded Disability Status Scale (MAT 2.0-4.0, KAT 2.0-3.5).
MAT-Gruppe: Hier spielte das Training in der Gruppe eine wichtige Rolle. Dies wurde mehrheitlich als motivierend und angenehm empfunden: „Eine tolle Gruppe. Man hat sich gegenseitig motiviert. [...] Ja, und zu merken, dass es bei allen vorangeht, also nicht nur bei einem selber.“ Jedoch spielte teilweise der „soziale Vergleich“ auch eine negative Rolle, da die eigene Leistung als nicht zufriedenstellend erlebt wurde.
Im Subthema Abwechslung wurde von den Teilnehmer*innen zum Ausdruck gebracht, dass die Einheiten als abwechslungsreich erlebt wurden. Dies bezog sich v.a. auf den Wechsel der Trainingsinhalte. Es wurde außerdem hervorgehoben, dass vieles spielerisch war und so als angenehmer empfunden wurde.
Die Herausforderung war das meistbeschriebene Attribut, jedoch traten auch hier positive und negative Erscheinungen auf. Eine Teilnehmerin erlebte das Training in der Sporthalle teilweise als Überforderung, da sie mit Ihren Defiziten konfrontiert wurde. Diese Konfrontation wurde auch von weiteren Teilnehmer*innen beschrieben, wobei das Gefordertwerden in eingeschränkten Bereichen auch als positiv erlebt wurde.
KAT-Gruppe: Hier wurde von den männlichen Teilnehmern positiv bewertet, dass das Training auf dem Fahrradergometer ein hohes Maß an Kontrolle bot, z.B. da das Training „parameterüberwacht“ mit Herzfrequenz-Erfassung stattfand.
Auf der anderen Seite hoben die KAT-Teilnehmer*innen die Monotonie des Trainings auf dem Fahrradergometer hervor: „Was mir nicht gefällt, ist die Monotonie des Ergometers, dass eigentlich keine Einwirkungen, keine Reize auf mich eingehen, sondern ich eigentlich nur monoton vor mich hintrete.“
Diskussion und Fazit
Die qualitative Analyse spiegelt in den Antworten der Teilnehmer*innen die Charakteristika der beiden Interventionen wider. Hier kann hervorgehoben werden, dass das abwechslungsreiche, spielerische, aber auch herausfordernde Training in der Gruppe (MAT) mehr positive Beschreibungen auf sich vereinen konnte als das kontrollierte, aber monotone Einzeltraining in der KAT-Gruppe. Unter dem Aspekt der Motivation sprechen diese Ergebnisse dafür, dass sich MAT eher als langfristiges Training eignen könnte als KAT.
Der Einzelfall muss jedoch im Blick behalten werden: Männliche Personen und Personen mit Vorerfahrungen im Bereich Krafttraining äußerten sich positiver gegenüber KAT, wohingegen der soziale Vergleich in der MAT-Gruppe Überforderungserleben auslösen könnte.
Take-Home-Message
Multimodales agilitätsbasiertes Gruppentraining wird von Personen mit Multiple Sklerose als abwechslungsreich, spielerisch und herausfordernd wahrgenommen, wohingegen ein Programm aus Krafttraining an Geräten und Ausdauertraining auf dem Fahrradergometer ein hohes Maß an Kontrolle bietet, aber auch als monoton wahrgenommen wird.
Literatur
Donath, L., van Dieen, J., & Faude, O. (2016). Exercise-Based Fall Prevention in the Elderly: What About Agility? Sports Med, 46(2), 143-149.
Wolf, F., Nielsen, J., Saliger, J., Hennecken, E., Eschweiler, M., Folkerts, A.-K., Karbe, H., & Zimmer, P. (2022). Randomised controlled pilot and feasibility study of multimodal agility-based exercise training (MAT) versus strength and endurance training (SET) to improve multiple sclerosis-related fatigue and fatigability during inpatient rehabilitation (ReFEx): study protocol. BMJ Open, 12(9).
Wolf, F., Eschweiler, M., Rademacher, A., & Zimmer, P. (in press). Multimodal agility-based exercise training for persons with Multiple Sclerosis: a new framework. Neurorehabilitation and Neural Repair.
Hintergrund und Zielstellung
Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt in der Regel nicht unmittelbar nach einem kardialen Ereignis auf, sondern entsteht erst in der Zeit danach. Was die Frage möglicher Risikofaktoren für eine PTBS nach einem kardialen Ereignis betrifft, so sind die Ergebnisse widersprüchlich. Es gibt Hinweise, dass eine akute Belastungsreaktion oder depressive Symptome infolge des kardialen Ereignisses die Entwicklung einer PTBS begünstigen können (Jacquet-Smailovic et al., 2021). Einen weiteren möglichen Faktor, der bisher bei Herzpatient*innen nur wenig berücksichtigt wurde, stellt Rumination dar. Untersuchungen mit Nicht-Herzpatient*innen konnten zeigen, dass Rumination als eine Form des repetitiven negativen Denkens nach einem Trauma eine PTBS langfristig vorhersagen kann (Moulds et al., 2020).
Es sollte daher geprüft werden, ob die Ruminationswerte zu einer Verbesserung der Vorhersage der PTBS-Werte am AHB-Ende beitragen können und ob sich Patient*innen mit hohen Ruminationswerten im Vergleich zu Patient*innen mit geringen Ruminationswerten bei gleichzeitig hohen bzw. geringen PTBS-Werten zu Beginn in ihren PTBS-Werten im AHB-Verlauf unterscheiden.
Methoden
An der Studie nahmen 412 konsekutiv aufgenommene Herzpatient*innen (30.6% Frauen) mit einem Durchschnittsalter von 67.4 Jahren (SD = 10.1) teil, die eine AHB nach einem akuten Myokardinfarkt und/oder einer Herzoperation durchführten.
Die PTBS-Symptome nach ICD-11 wurden zu Beginn und am Ende der AHB mittels des International Trauma Questionnaire (ITQ) erhoben. Depressionssymptome wurden mittels des PHQ-9 sowie Rumination mittels der Ruminationsskala aus dem Screening-Instrument Rumination-Suppression (RS-8) nach Pjanic et al. (2013) erfragt. Die Skala erfasst Rumination störungsübergreifend in vier Items. Da das kardiale Ereignis zu Beginn mit durchschnittlich 21.2 Tagen (SD = 10.3) weniger als 4 Wochen zurücklag, wurden die PTBS-Symptome zu Beginn als akute Belastungsreaktion interpretiert.
Zur Erfassung des Zusammenhangs zwischen möglichen Prädiktoren und den PTBS-Werten am AHB-Ende wurde eine hierarchische Regressionsanalyse durchgeführt. Dazu wurde zunächst der Zusammenhang von demographischen Variablen (Alter, Geschlecht), Art des kardialen Ereignisses sowie psychologischen Variablen (Depressions-, Ruminations- und PTBS-Werte zu Beginn) mit den PTBS-Werten am AHB-Ende mittels Pearson-Korrelationen und Welch-Tests bestimmt. Die in den bivariaten Analysen signifikanten Variablen (Depressions-, Ruminations- und PTBS-Werte zu Beginn) gingen anschließend in die Regressionsanalyse ein. Zur Bestimmung hoher bzw. geringer Werte wurde eine Dichotomisierung am Median durchgeführt. Aufgrund mangelnder Varianzhomogenität erfolgten Gruppenvergleiche mittels des Welch-Tests.
Ergebnisse
In die hierarchische Regression mit den PTBS-Werten am Reha-Ende als abhängige Variable gingen in einem ersten Schritt die Depressionswerte und die PTBS-Werte zu AHB-Beginn sowie in einem zweiten Schritt die Ruminationswerte ein. Wie Tabelle 1 zeigt, führt die Hinzunahme der Ruminationswerte zu einer signifikanten Verbesserung der Vorhersage der PTBS-Werte. Das Gesamtmodell klärt 43.5% der Varianz auf (F(3,408) = 104.9, p < .001).
Abbildung 1 gibt die Veränderung der PTBS-Werte im AHB-Verlauf wieder, getrennt für Patient*innen mit hohen und geringen Ruminationswerten bei gleichzeig hohen bzw. geringen PTBS-Werten zu AHB-Beginn. Während bei Patient*innen mit hohen PTBS-Werten zu Beginn, unabhängig von den Ruminationswerten, die PTBS-Werte im gleichen Ausmaß abnehmen, weisen von den Patient*innen mit geringen PTBS-Werten diejenigen mit hohen Ruminationswerten eine signifikante Zunahme der PTBS-Werte im AHB-Verlauf auf im Vergleich zu denjenigen mit geringen Ruminationswerten (t(59.5) = -2.1, p < .05).
Diskussion und Fazit
Rumination scheint bei der Entwicklung einer PTBS nach einem kardialen Ereignis von Bedeutung zu sein. Daher wäre zu überlegen, während der AHB Interventionen einzusetzen, die auf die Veränderung von Rumination abzielen. Erste Hinweise liefert die Studie von Wells et al. (2021), die zeigen konnte, dass vier Monate nach einer metakognitiven Therapie zusätzlich zur Standardbehandlung sowohl die PTBS-Werte als auch das repetitive negative Denken signifikant reduziert waren.
Take-Home-Message
In dem routinemäßigen psychologischen Screening zu AHB-Beginn sollten neben PTBS-Symptomen auch ein ruminativer Verarbeitungsstil erfragt werden und bei Bedarf metakognitive Therapieelemente zum Einsatz kommen.
Literatur
Jacquet-Smailovic, M., Tarquinio, C., Alla, F., Denis, I., Kirche, A., Tarquinio, C., Brennstuhl, M.J. (2021). Posttraumatic stress disorder following myocardial infarction: a systematic review. Journal of Traumatic Stress, 34, 190-199.
Moulds, M.L., Bisby, M.A., Wild, J., Bryant, R.A. (2020). Rumination in posttraumatic stress disorder: a systematic review. Clinical Psychology Review, 82, 101910.
Pjanic, I., Bachmann, M.S., Znoj, H., Messerli-Bürgy, N. (2013). Entwicklung eines Screening-Instruments zu Rumination und Suppression RS-8. Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie, 63(11), 456-462.
Wells, A., Reeves, D., Capobianco, L., Heal, C., Davies, L., Heagerty, A., Doherty, P., Fisher, P. (2021). Improving the effectiveness of psychological interventions for depression and anxiety in cardiac rehabilitation: PATHWAY-A single-blind, parallel, randomized, controlled trial of group metacognitive therapy. Circulation, 144(1), 23-33.
Hintergrund und Zielstellung
Die psychosomatische Rehabilitation stellt eine zentrale Behandlungssäule für Menschen mit psychischen Belastungen und psychiatrischen Störungen dar. Trotz der guten Datenlagen zur Wirksamkeit psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlungen ist die Frage nach spezifischen Wirkfaktoren nicht vollständig beantwortet. In den letzten Jahren wurde die Mentalisierungsfähigkeit als ein potentiell zentraler schulenübergreifender Wirkfaktor (Critical Success Factor) in der Psychotherapie identifiziert.
Unter Mentalisierungsfähigkeit wird ein mentaler Prozess begriffen, der das Verständnis und die Repäsentation innerer mentaler Zustände bei sich selbst und anderen ermöglicht . Eingeschränkte Mentalisierungsfähigkeit zeigt sich durch das Fehlen eines emotionalen Bewusstseins, fehlende Selbstreflexion oder die Gleichsetzung innerer mentaler Zustände mit der äußeren Realität und die Mentalisierungsfähigkeit ist eng mit der Emotionsregulation verbunden (Taubner et al., 2019). Vor allem bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen stellt die Mentalisierungsfähigkeit einen signifikanten Mediator zwischen früherem Trauma und aktueller Symptomatik dar (Wagner-Skacel et al., 2022). Bisher liegen jedoch noch keine Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen der Mentalisierungsfähigkeit und der symptomatischen Verbesserung im Zuge psychosomatischer Rehabilitationsbehandlungen vor.
Methoden
In der vorliegenden Studie wurden die Daten des routinemäßig durchgeführten Assessments der Lebensqualität und der psychischen Belastung vor und nach einer multidisziplinären stationären Rehabilitationsbehandlung im psychosomatischen Rehabilitationszentrum Schruns (Österreich) ausgewertet. Alle PatientInnen im Rehabilitationszentrum beantworteten routinemäßig zu Beginn (T1) und zum Ende (T2) des stationären Aufenthalts Fragebögen zur psychischen Symptomatik (BSI-18), der Lebensqualität (WHODAS), sowie der Mentalisierungsfähigkeit (MZQ). Bei vorliegender Traumatisierung füllten die PatientInnen auch einen Fragebogen zur PTBS-Symptomatik aus (ITQ). Die elektronische Routinedatenerhebung wurden Computer-based Health Evaluation System (CHES) durchgeführt, wobei die PatientInnen die Fragebögen sowohl mittels PC, als auch Smartphone oder Tablet ausfüllen konnten.
Der Einfluss der Mentalisierungsfähigkeit auf die Veränderung der psychischen Belastung (BSI-18 Gesamtwert), der Lebensqualität (WHODAS Gesamtwert), sowie der PTBS-Symptomatik (ITQ Gesamtwert) wurde mittels Mediationsanalysen (SPSS PROCESS Macro) berechnet (5000 bootstrapped samples, 95% CI). Um einen potentiellen Ausgangswertunterschied beim MZQ auszugleichen, wurde der „Performance Score (T2D)“ (Grote et al., 2021) für den MZQ Gesamtwert berechnet und in den Modellen als Mediator verwendet.
Ergebnisse
In die Studie konnten n=249 PatientInnen mit vollständigen Datensätzen zu T1 und T2 eingeschlossen werden. Bei n=192 (77.4%) PatientInnen lag zu Beginn der Rehabilitationsbehandlung basierend auf dem BSI-18 der Verdacht auf eine Depression, bei n=204 (82.3%) auf eine Angsterkrankung und bei n=171 (69.0%) auf eine Somatisierungsstörung vor. Bei n=125 PatientInnen (50.2%) wurde aufgrund einer traumatischen Erfahrung auch der ITQ ausgewertet, wobei davon n=22 (17.6%) die Symptome einer PTBS und n=50 (40.0%) einer komplexen PTBS (kPTBS) erfüllten. Beim überwiegenden Anteil der PatientInnen zeigten sich auffällige Werte in mehr als einem der erhobenen Bereiche (n=199, 80.0%).
Höhere MZQ-Werte waren vor Rehabilitationsbeginn hochsignifikant mit Depressivität (r=0.60, p < 0.001), Ängstlichkeit (r=0.56, p < 0.001) und Somatisierung (r=0.39, p < 0.001), sowie mit der allgemeinen Lebensqualität (r=0.59, p < 0.001), PTBS (r=0.57, p < 0.001) und kPTBS (r=0.72, p < 0.001) assoziiert. Die psychische Belastung zu T1 war hochsignifikant mit der Varianz zu T2 assoziiert (β=0.68, p < 0.001) und klärte 46.1% der Varianz auf. Nach Hinzunahme der Veränderung in der Mentalisierungsfähigkeit wurde zum einen der direkte Zusammenhang der psychischen Belastung zu T1 und T2 reduziert (β=0.56, p < 0.001) und die aufgeklärte Varianz stieg auf 58.4% an. Die Mediationsanalyse zeigte einen signifikanten Mediationseffekt durch die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit auf den Zusammenhang zwischen psychischer Belastung zu T1 und T2 (95% CI: 0.650–0.155). Zusätzlich zeigten lineare Regressionsanalysen, dass die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit als singulärer Prädiktor 29.4% der Varianz des BSI-18 Scores (β=0.56), sowie 35.0% des PTBS Scores (β=0.59), 44.7% des kPTBS Scores (β=0.67) und 33.9% der Lebensqualität (β=0.58) aufklären konnte (alle p < 0.001).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Verbesserungen der Mentalisierungsfähigkeit in deutlichem Zusammenhang zu Reduktion psychischer Belastung sowie zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität stehen. Die Implementierung mentalisierungsfördernder Therapieelement in der psychosomatischen Rehabilitation können empfohlen werden. Der Performance Score (T2D) stellt eine einfach anwendbare Ausgangswertadjustierung dar und sollte bei der Evaluierung von Rehabilitationsmaßnahmen in der psychosomatischen Rehabilitation berücksichtigt werden. Das elektronische Routineassessment trägt zur Identifikation von „Critical Success Factors“ bei und sollte in die klinische Routine implementiert werden.
Take-Home-Message
Die Mentalisierungsfähigkeit konnte in unserer Studie als Mediator für den Rehabilitationserfolg im Sinne der Reduktion von psychischer Belastung identifiziert werden, was ein Hinweis auf einen möglichen Critical Success Factor in der psychosomatischen Rehabilitation darstellt.
Literatur
Taubner, S., Fonagy, P., Bateman, W. (2019): Mentalisierungsbasierte Therapie. Göttingen: Hogrefe.
Wagner-Skacel, J., Riedl, D., Kampling, H., Lampe, A. (2022): Mentalization and dissociation after adverse childhood experiences. Scientific reports, 12, 6809.
Hintergrund und Zielstellung
Menschen mit einer psychischen Erkrankung werden in der Gesellschaft häufig stigmatisiert, wodurch sie Gefahr laufen sich auch selbst zu stigmatisieren. Darunter wird verstanden, dass Stigmatisierungen von anderen über sich selbst bewusst, daraufhin akzeptiert und schlussendlich verinnerlicht werden (Corrigan et al., 2009; Rüsch et al., 2005). Folglich weisen psychisch erkrankte Menschen, welche Stigmatisierungen über ihre psychische Erkrankung übernommen haben eine niedrigere Selbstwirksamkeit und Lebenszufriedenheit auf (Corrigan et al., 2009). Demgegenüber steht die Akzeptanz der psychischen Erkrankung, welche mit einer positiven Haltung zu sich selbst assoziiert wird, wobei die Person ihren eigenen Wert und Fähigkeiten anerkennt, ohne in einem Konflikt mit der eigenen psychischen Erkrankung zu stehen (Li & Moore, 1998). Demzufolge könnte die Akzeptanz der psychischen Erkrankung in diesem Rahmen ein bedeutsamer Faktor sein, um eine Selbststigmatisierung zu vermeiden und im Sinne der Inklusion eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu fördern.
Mit der vorliegenden Studie wurde die Fragestellung aufgegriffen, inwiefern eine Akzeptanz der psychischen Erkrankung eine positive Wirkung auf einen konstruktiven Umgang mit der psychischen Erkrankung hat. Alternativ könnte die Akzeptanz der psychischen Erkrankung bei der Bewältigung dieser hinderlich sein, da das Ankämpfen und somit der Versuch die psychische Erkrankung zu überwinden, ausbleibt. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurde der Zusammenhang zwischen der Akzeptanz der psychischen Erkrankung und den folgenden inklusionsrelevanten Konstrukten untersucht: Selbstwirksamkeit, Teilhabestörung und Gesundheitskompetenz. Darüber hinaus wurde der Zusammenhang zwischen der Akzeptanz der psychischen Erkrankung und der persönlichen Identifikation mit der psychischen Erkrankung in Form der beigemessenen Bedeutung der Erkrankung für die eigene Person überprüft.
Methoden
Zur Datenerhebung wurde ein Online-Fragebogen erstellt, welcher zur Akquise der Proband/innen in sozialen Netzwerken (z.B. Facebook-Gruppen) verbreitet wurde. Grundlage der Auswertung waren 132 Menschen mit einer aktuell oder in der Vergangenheit diagnostizierten psychischen Erkrankungen (Alter: AM = 38.95 Jahre, SD = 11.98 Jahre, Spanne: 20-64 Jahre; 15% männliche, 84,8% weibliche Befragte). Zur Untersuchung der Forschungsfrage kamen validierte Messinstrumente zum Einsatz (vgl. Tabelle 1).
Ergebnisse
Je höher die Akzeptanz der psychischen Erkrankung war, desto höher waren auch die Gesundheitskompetenz und die Selbstwirksamkeit (vgl. Tabelle 1). Zudem ging eine niedrige Akzeptanz der eigenen psychischen Erkrankung mit einer höheren Teilhabestörung sowie persönlichen Identifikation mit der psychischen Erkrankung einher (vgl. Tabelle 1). Die Zusammenhänge zwischen der Akzeptanz der psychischen Erkrankung und der Teilhabestörung sowie der Selbstwirksamkeit waren als hoch einzuordnen, während die Zusammenhänge zur Gesundheitskompetenz und der persönlichen Identifikation mit der psychischen Erkrankung im moderaten Bereich lagen (vgl. Tabelle 1).
Diskussion und Fazit
Aus den Ergebnissen kann geschlussfolgert werden, dass eine Akzeptanz der psychischen Erkrankung einen positiven und konstruktiven Umgang mit der psychischen Erkrankung begünstigt, wodurch inklusionsdienliche Verhaltensweisen gefördert werden. Aus der negativen Korrelation zwischen der Akzeptanz der psychischen Erkrankung und der persönlichen Identifikation mit der psychischen Erkrankung kann abgeleitet werden, dass eine hohe persönliche Identifikation mit der psychischen Erkrankung eine Selbststigmatisierung nach sich ziehen kann. Gegebenenfalls könnte eine soziale Identifikation mit der psychischen Erkrankung förderlich sein, um eine Akzeptanz für die psychische Erkrankung zu entwickeln. Einige Befunde zeigten, dass Personen, die eine positive soziale Identität aufgebaut haben auch ein positiveres Selbstwertgefühl entwickelt haben (Corrigan et al., 2009). Folglich scheint zwischen der Selbstakzeptanz und Selbststigmatisierung ein schmaler Grat zu liegen, gleichzeitig sind die Auswirkungen auf den Umgang mit der psychischen Erkrankung jedoch sehr unterschiedlich. Dies spiegelt sich in dem Kontrast wider, dass sich die Akzeptanz für die psychische Erkrankung im Sinne der Teilhabe an der Gesellschaft als förderlich herausstellte, während die persönliche Identifikation mit der psychischen Erkrankung hinderlich war. Schlussendlich gilt es ein ausgewogenes Maß an Akzeptanz und Loslösung von der psychischen Erkrankung zu finden.
Take-Home-Message
Die Selbstakzeptanz fördert einen positiven und konstruktiven Umgang mit der psychischen Erkrankung, wobei eine zu hohe persönliche Identifikation mit der psychischen Erkrankung der Bewältigung dieser im Wege stehen kann. Somit gilt es, mit Betroffenen auf einen Mittelweg hinzuarbeiten.
Literatur
Corrigan, P. W., Larson, J. E. & Rüsch, N. (2009): Self-stigma and the "why try" effect: impact on life goals and evidence-based practices. World Psychiatry, 8(2), 75–81. https://doi.org/10.1002/j.2051-5545.2009.tb00218.x
Li, L. & Moore, D. (1998): Acceptance of disability and its correlates. The Journal of social psychology, 138(1), 13–25. https://doi.org/10.1080/00224549809600349
Rüsch, N., Angermeyer, M. C. & Corrigan, P. W. (2005): Das Stigma psychischer Erkrankung: Konzepte, Formen und Folgen. Psychiatrische Praxis, 32(5), 221–232. https://doi.org/10.1055/s-2004-834566
Hintergrund und Zielstellung
Angesichts der Zunahme von ICD-10 F3- und F4-Diagnosen, ihrer häufig langen Verläufe, langandauernder AU-Zeiten, von Chronifizierungsprozessen und der Gefahr vorzeitiger Berentung, haben wir Reha-Inanspruchnahmeketten, Versorgungsverläufe und den RTW dieser Personengruppe in quantitativ auf Basis von RSD-Files (iqpr) und Fragebogendaten (BWS, iqpr) sowie qualitativ auf Basis interviewbasierter Fallstudien (BWS) betrachtet. Dabei stand die Frage nach den Zeitpunkten, der Reihenfolge und der Nutzungsformen unterschiedlicher Versorgungsangebote im langfristigen Krankheits- und Berufsverlauf aus Sicht der Versicherten im Zentrum. Da in den Prozessdaten der DRV weder Informationen über vor- und nachgelagerte Versorgung (z.B. ambulante Psychotherapie, Psychiatrie, Selbsthilfe) noch über biografische Veränderungen und Wendepunkte vorliegen, ging es uns in der qualitativen Teilstudie um die Analyse der berichteten „Inanspruchnahmeketten“ im Kontext der gesamten Lebens- und Berufsbiografie. Aus der Rekonstruktion der subjektiven Bewältigungs- und „Reha-Strategien“ wurden Anhaltspunkte für personenzentrierte und situationsangemessene Behandlungsangebote gewonnen. Anhand exemplarischer und kontrastierender Fälle wurden wiederkehrende Problemkonstellationen als Herausforderungen für die Versorgung identifiziert.
Methoden
Ausgehend von der Reha-Statistik-Datenbasis (RSD) der Jahre 2010-2018, die vom iqpr Köln analysiert wurde (Hetzel 2022), wurden 6.000 Versicherte mit einem Fragebogen u.a. zur Inanspruchnahme von Leistungen vor und nach der Beantragung von medizinischen Reha- und/oder LTA-Maßnahmen angeschrieben (Rücklauf N = 1.176 = 19,6 %). Dabei wurden die Versichertenverläufe bis einschließlich 2021 nachverfolgt, so dass auf Basis aktueller Daten nicht nur langfristige Verlaufskurven, sondern auch Reihenfolge und die zeitlichen Abstände zwischen einzelnen Behandlungsformen und Lebenssituationen beobachtet werden konnten (Rückfälle, Mehrfachinanspruchnahme, Zeiten von ALO, Krankengeld, etc.). Auf der Grundlage einer Gruppierung der Versicherten nach der Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen RTW in Abhängigkeit von Generischen Daten, Inanspruchnahme-(häufigkeiten), vorhergehenden Behandlungen, LTA-Leistungen, EM-Rentenanträgen wurden aus dem Fragebogenrücklauf 70 Personen nach inhaltlichen Kriterien für episodisch-narrative Interviews ausgewählt. Mit der Rekonstruktion der subjektiven Krankheits-, Familien- und Berufsgeschichten konnte ein vertiefter Einblick in die Dynamik von Genesungs- und Rückkehrprozessen im Kontext von Betrieb, Lebenssituation und der Nutzung von Versorgungsangeboten (Reha, Psychotherapie, Selbsthilfe, etc.) erreicht werden. Die Auswertung orientierte sich an der Grounded Theory (Strauss 1994; Charmaz 2014) und der sequenziellen Narrationsanalyse (Schütze 2016).
Ergebnisse
Im betrachteten Zeitraum von 2010 – 2018 haben 29,2 % aller Befragten nur eine und 69,8 % mindestens zwei medizinische Reha-Leistungen in Anspruch genommen („Wiederholer“). Die Fallstudien aus der ersten Gruppe (N = 18) zeigen u.a., dass es sich überwiegend um Personen mit stabilen Berufsbiografien handelt, bei denen unterschiedliche Belastungen nach Zeiten von Präsentismus in der Arbeitsweltsicht auftauchen. Personen aus dieser Gruppe gelingt im Beobachtungszeitraum ein stabiler RTW nicht zuletzt aufgrund ihrer Bereitschaft zur Verhaltensänderung.
Der große Anteil von „Wiederholern“ verweist auf langfristige und instabile Verlaufskurven des RTW angesichts verbliebener psychischer Vulnerabilitäten. In den Fallstudien (N=9) mit überwiegend geradlinigen Berufsbiografien sind es vorwiegend starke und andauernde psychische Belastungen in der Arbeitswelt, vor allem aus den psychisch (und körperlich) besonders belastenden pflegerischen und sozialen Berufen, die in die Reha führen. Eine wiederholte Inanspruchnahme stellt sich aus Perspektive der Befragten als notwendige Regeneration und Stabilisierung dar, um bis zur Altersrente durchzuhalten.
Bei einer geringen Anzahl von N = 22 Personen erfolgte nach der Reha ein stationärer Klinikaufenthalt in der Psychiatrie – was sich bei einigen der N=7 Fallstudien retrospektiv als ein Hinweis auf mögliche Fehlzuweisungen darstellte.
Diskussion und Fazit
Bei allen Gruppen zeigt sich ein enges Zusammenspiel zwischen individueller, familiärer und beruflicher Situation mit biografischen Hypotheken und subjektiven Ursachenzuschreibungen, die bei Motivation, Behandlungs- und Rehabilitationsplanung situationsgerecht zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus zeigt sich eine große Variationsbreite in den subjektiven Nutzungsweisen der psychosomatischen Reha.
Take-Home-Message
Der relativ große Anteil von „Wiederholern“ in der Fragebogen-Stichprobe (mindestens 2 med. Reha-Leistungen) legt nahe, dass viele Versicherte dadurch ihre Beschäftigungsfähigkeit bis zum Regelaltersrenteneintritt aufrechterhalten können.
Die Leistungsketten ermöglichen nur wenige Rückschlüsse auf Art und Umfang des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs; Grund dafür ist die große Heterogenität der Zielgruppe und infolgedessen die Notwendigkeit von Unterstützungsangeboten, die den gesamten (berufs-)biografischen Zusammenhang berücksichtigen.
Notwendigkeit verstärkter Sensibilisierung betrieblicher Frühaufklärung zur Erkennung von Behandlungsbedarf und zur Motivation von Beratungsangeboten in Kooperation mit dem medizinischen System.
Literatur
Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. London.
Hetzel, Ch., Klaus, S., Meschnig, A. & von Kardorff, E. (2022): Versorgungsverläufe von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf Basis administrativer Paneldaten der Deutschen Rentenversicherung Bund. In: 31. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium. (210-212). Berlin.
Schütze, F. (2016): Biographieforschung und narratives Interview. In: Fiedler, & Krüger, H.-H. (Hrsg.) Fritz Schütze, Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse (55- 74). Opladen.
Strauss, A.L. (1994): Grundlagen qualitativer Sozialforschung. München.
Hintergrund und Zielstellung
Die Behandlung psychischer Erkrankungen beinhaltet nicht nur Symptomreduktion, sondern auch auf die Verbesserung der sozialen und beruflichen Teilhabe durch sozialmedizinische Behandlungen. Es mangelt an Daten zur Arbeitsfähigkeit bei Psychotherapiepatienten, über die Begleitcharakteristika von Arbeitsunfähigkeit, und über sozialmedizinisch orientierte Behandlungen. Kenntnis über solche Verteilungen sind jedoch für Bedarfsabschätzungen rehabilitationsorientierter Behandlungen psychisch Kranker von großer Bedeutung.
In der vorliegenden Studie wird daher untersucht, ob und warum es bei ambulanten Psychotherapiepatienten ohne oder mit kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zu solchen mit langfristiger Arbeitsunfähigkeit in den letzten 12 Monaten Unterschiede oder Gemeinsamkeiten gibt hinsichtlich:
(1) ihrem Krankheitsstatus in Bezug auf Leistungsfähigkeit und Teilhabeeinschränkungen; und
(2) die von ihnen in Anspruch genommenen Behandlungen, die das gesamte Spektrum krankheits- und kontextbezogener Interventionen umfassen: psychotherapeutische Verfahren, Koordination mit anderen Therapeuten, arbeitsorientierte Interventionen, Beratung und Interventionen zur Teilhabe am allgemeinen Leben.
Methoden
In dieser versorgungsepidemiologischen Beobachtungsstudie wurden insgesamt 131 Psychotherapeuten (psychodynamische Psychotherapeuten N=57, kognitive Verhaltenstherapeuten N=73, sowie ein doppelt qualifizierter Psychotherapeut) zu mindestens zweien ihrer Patienten befragt, die sie zuletzt gesehen hatten. Insgesamt wurden 296 Fallvignetten untersucht.
Die Behandler berichteten über die Art und den Grad der Fähigkeitsbeeinträchtigungen (Mini-ICF-APP, Linden et al., 2009) und Teilhabeeinschränkungen (IMEP, Linden et al., 2018a; Deck et al., 2007), die sie bei ihren Patienten beobachtet hatten. Zusätzlich wurden die Therapeuten nach sozialmedizinischen Interventionen gefragt, die sie bei ihren Patienten durchgeführt hatten oder für angezeigt hielten (Rehabilitationscheckliste, Linden et al., 2018b).
Ergebnisse
Die Fallberichte bezogen sich auf Patienten, die im Durchschnitt 42 Jahre alt waren (65 % Frauen).
Patienten mit längerer Arbeitsunfähigkeitsdauer innerhalb der letzten 12 Monate (7-52 Wochen, n=140) hatten schwerere Leistungs- und Teilhabebeeinträchtigungen als Patienten mit kurzer Arbeitsunfähigkeit (0-6 Wochen, n=156).
Patienten mit längerer Arbeitsunfähigkeit erhielten spezifischere, auf die Teilhabe am Arbeitsleben ausgerichtete Behandlungen. Dagegen wurden allgemeine salutotherapeutische Aktivitäten (Sportverein, Beratung, Unterstützung der Familie) bei Patienten mit kürzerer oder längerer Arbeitsunfähigkeit in gleicher Weise durchgeführt.
Hinsichtlich allgemeiner Behandlungsaspekte (Nebenwirkungen, therapeutisches Bündnis) gab es keine Unterschiede zwischen Patienten mit kurzer und Patienten mit längerer Arbeitsunfähigkeit. 40-67 % der Patienten hatten eine parallele Behandlung durch einen Primärarzt (neben der Psychotherapie mit kontingentierten, d.h. begrenzten Anzahl von Sitzungen).
Diskussion und Fazit
Die Therapeuten wählten die Interventionsmöglichkeiten je nach Indikation: Bei Patienten mit Problemen der Teilhabe am Arbeitsleben werden mehr arbeitsbezogene Behandlungen durchgeführt, während Interventionen zur Verbesserung der allgemeinen psychischen Gesundheit unabhängig von spezifischen Arbeitsproblemen verwendet werden.
Psychotherapeuten verstehen die chronische Beeinträchtigung durch psychische Erkrankungen und die Notwendigkeit sozialmedizinischer Interventionen, und - ähnlich wie Ärzte (Linden, 2018b) - handhaben sie diese Interventionen je nach den Bedürfnissen der Patienten. Dazu gehört auch die Integration einer kurzen Psychotherapie in die längerfristige allgemeinmedizinische Behandlung durch einen Hausarzt.
Take-Home-Message
Die Anwendung verschiedener Behandlungen sollte der Goldstandard sein, um den langfristigen bio-psycho-sozialen psychischen Gesundheitsstatus (WHO, 2001) von Patienten mit chronischen psychischen Erkrankungen zu verbessern. Dabei wird nicht nur die akute Krankheitsepisode betrachtet, sondern die Frage gestellt wird: Wie kann der Patient mit seiner Krankheit zurechtkommen und die nächsten 20, 30, 40 Jahre seines Lebens am Arbeits- und Sozialleben teilhaben?
Die Untersuchung wurde von der Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gefördert.
Literatur
Literatur
Deck, R., Mittag, O., Hüppe, A., Muche-Borowski, C., & Raspe, H. (2007): Index zur Messung von Einschränkungen der Teilhabe (IMET) - Erste Ergebnisse eines ICF-orientierten Assessmentinstruments. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 20, 113-120.
Linden, M., Deck, R., & Muschalla, B. (2018a): Rate and spectrum of participation impairment in patients with chronic mental disorders: Comparison of self- and expert ratings. Contemporary Behavioral Health Care, 3, 1-5. doi: 10.15761/CBHC.1000124
Linden, M., Muschalla, B., Noack, N., Heintze, C., & Döpfmer, S. (2018b): Treatment Changes in General Practice Patients with Chronic Mental Disorders following a Psychiatric-Psychosomatic Consultation. Health Services Research and Managerial Epidemiology, 5, 1-6.
Linden, M., Baron, S., & Muschalla, B. (2009): Mini-ICF-Rating für psychische Störungen (Mini-ICF-APP). Ein Kurzinstrument zur Beurteilung von Fähigkeits- bzw. Kapazitätsstörungen bei psychischen Störungen. Göttingen: Hans Huber.
WHO (2001): International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). WHO Press; 2001.
Hintergrund und Zielstellung
Das SGB IX wurde durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) umfassend reformiert. Ein Ziel der Reform war es, die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe zu stärken (BT-Drs. 18/9522, S. 3).
Der Begriff des Sozialraums findet sich im SGB IX an mehreren Stellen. Er bezieht sich dort auf Leistungen der sozialen Teilhabe (§ 76 Abs. 1 S. 2 SGB IX, § 113 Abs. 1 S. 2 SGB IX), Aufgaben der Länder (§ 94 Abs. 3 SGB IX), Fachkräfte bei den Trägern der EGH (§ 97 Nr. 2 SGB IX), Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls (§ 104 Abs. 1 SGB IX), Beratungspflichten der Träger der EGH (§ 106 Abs. 2 Nr. 5 und 6 SGB IX) und das Gesamtplanverfahren (§ 117 Abs. 1 Nr. 3 lit. g SGB IX). Bereits daran wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber ein großes Anliegen ist, allgemeine Rehabilitationsleistungen und die der EGH auf den Sozialraum zu beziehen (Beyerlein 2021, S. 31; Kahl und Gundlach 2021, S. 2). Auch die Bundesregierung betont in ihrem Teilhabebericht die Bedeutung der inklusiven Gestaltung von Sozialräumen für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Bundesregierung 2021, S. 333). Was genau der Begriff Sozialraum bedeuten soll, ist im SGB IX jedoch offen geblieben (von Boetticher 2020, S. 182).
Eine Konkretisierung der Regelungen des SGB IX Teil 2 findet in Verträgen zwischen den Trägern der EGH und Leistungserbringern auf Landesebene statt. Der Beitrag zeigt auf , wie das Konzept des Sozialraums in 15 Landesrahmenverträgen nach § 131 SGB IX und einer Übergangsvereinbarung aufgegriffen und konkretisiert wird.
Methoden
Die Landesrahmenverträge und alle Anhänge aus 16 Bundesländern wurden in einer inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Vgl. dazu Schreier 2014). Zur Interpretation kommt rechtswissenschaftliche Methodik zur Anwendung. Die Auswertung vertieft und ergänzt eine bereits bestehende Analyse des Autors (siehe Beyerlein 2021).
Ergebnisse
Eine rein zahlenmäßige Betrachtung der Landesrahmenverträge zeigt, dass Fragen der Sozialraumorientierung in den Bundesländern in sehr unterschiedlichem Ausmaß geregelt wurden. Der Begriff Sozialraum und damit im Zusammenhang stehende Begriffe werden in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin bis zu 100-mal verwendet. In Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hamburg kommen damit in Zusammenhang stehende Begriffe zwischen 10- und 20-mal vor, in den restlichen Landesregelungen weniger bis gar nicht.
Regelungen zur Sozialraumorientierung werden in 9 Vertragswerken als Ausdruck der Leistungserbringung nach der Besonderheit des Einzelfalls charakterisiert, die eine möglichst selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen sollen. Teilweise wird der Sicherstellungsauftrag der Leistungsträger, aber auch der kooperative Charakter der sozialen Dienstleistungsproduktion betont und die Schaffung eines inklusiven Sozialraums als Aufgabe aller staatlicher Ebenen beschrieben. In vier Dokumenten wird der Begriff definiert und die Doppelbedeutung als individuelles soziales Gebilde einerseits und geographisch definierbare Planungsgröße andererseits herausgestellt. Die Sozialraumorientierung der EGH-Leistung soll in den Ländern entsprechend durch Kooperation und Vernetzung in geographisch festgelegten Sozialräumen einerseits und Assistenz und Begleitung in individuellen Sozialräumen andererseits erreicht werden. Regelungen dazu finden sich in 12 Dokumenten. Das wird in 9 Dokumenten durch Vorgaben zur Qualität unterstützt, die Kooperation und Vernetzung sowie die Öffnung der Angebote in das Gemeinwesen als Teil der Struktur- und Prozessqualität festlegen. Die Einbindung der Leistungsberechtigten in den Sozialraum wird in drei Dokumenten als Indikator für Ergebnisqualität der Leistung beschrieben.
Diskussion und Fazit
Regelungen zur Sozialraumorientierung der EGH sind in den Ländern in unterschiedlicher Quantität und Qualität getroffen worden. Die unterschiedliche vertragliche Konkretisierung der Leistung lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Bundesländern gleichermaßen gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit zur Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen, wie es Art. 19 UN-BRK fordert.
Take-Home-Message
Regelungen zur Sozialraumorientierung der EGH sind in den Ländern in unterschiedlicher Quantität und Qualität getroffen worden.
Literatur
Beyerlein, Michael (2021): Kurzgutachten zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den Bundesländern. Bremen. Online verfügbar unter https://www.behindertenbeauftragter.bremen.de/sixcms/media.php/13/2021-08-17%20-%20Beyerlein_Kurzgutachten_final.pdf, zuletzt geprüft am 13.10.2022.
von Boetticher, Arne (2020): Das neue Teilhaberecht. 2., durchgesehene Auflage. Baden-Baden: Nomos (NomosPraxis).
Bundesregierung (Hg.) (2021): Dritter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Kahl, Yvonne; Gundlach, Miriam (2021): Mehr sozialraumorientierte Praxis dank BTHG? - Teil I. In: Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht (Beitrag D32-2021).
Schreier, Margit (2014): Varianten qualitativer Inhaltsanalyse: Ein Wegweiser im Dickicht der Begrifflichkeiten. In: Forum Qualitative Sozialforschung (15).
Hintergrund und Zielstellung
Bisher gab es keine umfassende Regelung zum Gewaltschutz bei der Erbringung von Teilhabeleistungen im SGB IX. Auch aufgrund der Empfehlungen in den abschließenden Bemerkungen des ersten Staatenberichts Deutschlands (CRPD/C/DEU/CO/1) sah sich die Bundesregierung zur Umsetzung von Art. 16 der UN-BRK verpflichtet, eine solche Regelung zum Gewaltschutz zu schaffen.
Methoden
Die Umsetzung von Gewaltschutz bei der Erbringung von Rehabilitationsleistungen wird anhand der Gesetzgebungsmaterialien und der veröffentlichten Forschungsberichte (Schröttle et al 2021; Expertenkommission 2021) sowie der Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis (Behindertenbeauftragter et.al. 2022) untersucht. Die Ergebnisse werden zur Auslegung von § 37a SGB IX genutzt und daraus wichtige Hinweise für die Praxis herausgearbeitet.
Ergebnisse
Die Regelung in § 37a SGB IX verpflichtet nur die Leistungserbringer – unabhängig davon, ob sie ambulant oder stationär Leistungen erbringen – geeignete Schutzmaßnahmen gegen Gewalt umzusetzen. Die Norm zielt darauf ab, Menschen mit (drohender) Behinderung, insbesondere Frauen und Kinder, vor physischer und psychischer Gewalt sowie sexuellen Übergriffen zu schützen.
Konkrete Vorgaben, in welcher Form Schutzmaßnahmen zu erfolgen haben, finden sich in der Regelung nicht. Insbesondere Mindeststandards werden nicht benannt; einzig und allein die Erstellung eines Gewaltschutzkonzeptes in Abs. 1 Satz 2 wird als geeignete Maßnahme definiert. In den Gesetzesunterlagen werden exemplarisch Maßnahmen und Verfahren zur Prävention und Intervention wie zum Beispiel Fortbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Mitarbeitende, Präventionskurse für Menschen mit Behinderungen, Vernetzung mit externen Partnern und feste interne Ansprechpersonen in Einrichtungen sowie Beschwerdestellen und andere geeignete Beteiligungsstrukturen benannt. Konkrete Vorgaben ergeben sich allerdings aus den neuen Gemeinsamen Empfehlungen zu §§ 51 und 55 SGB IX (Beetz 2022).
Rehabilitationsträger und Integrationsämter sind zur Überwachung verpflichtet, ihnen stehen allerdings keine unmittelbaren rechtlichen Kompetenzen zu, wie bei Nichterfüllung der gesetzlichen Aufgaben durch die Leistungserbringer vorzugehen ist. Daher sind Anforderungen im Rahmen der trägerübergreifenden Vereinbarungen von Empfehlungen nach §§ 26, 37, 38 Abs. 3 SGB IX oder in den Landesrahmenverträgen mit den Vereinigungen der Leistungserbringer nach § 131 SGB IX zu vereinbaren. Zudem können sie Leistungserbringer, die keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, bei der Auswahl nach §§ 36 Abs. 2, 185 SGB IX nicht berücksichtigen.
In der Gesetzesregelung nicht vorgesehen, aber in den abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses (CRPD/C/DEU/CO/1) ausdrücklich gefordert, ist die Einrichtung einer Beschwerdemöglichkeit. Diese sind extern einzurichten. Verpflichtet ist die Bundesrepublik, so dass die Einrichtung von Ansprechstellen ähnlich der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach §§ 25 ff. AGG als Vorbild dienen können.
Zudem fehlen – anders als in einigen Vorschriften zum Heimrecht - Regelungen der Selbst- und Mitbestimmung von Bewohner*innen und Beschäftigten. Bei der Durchsetzung der Rechte der Betroffenen kommt den Frauenbeauftragten eine wichtige Rolle zu, deren Rechte und Aufgaben klar definiert sein müssen.
Diskussion und Fazit
Gewaltschutz bei der Durchführung von Leistungen der Rehabilitation ist sicherzustellen. Empirische Befunde zeigen, dass insbesondere Frauen mit Behinderungen in wesentlich größerem Umfang als andere Frauen und erst recht als Männer mit Behinderungen Opfer insbesondere von sexualisierter Gewalt werden (Schröttle et.al 2021). Die neu eingefügte Regelung zum Gewaltschutz im SGB IX ist ein erster Schritt zur Sicherung von Menschen mit Behinderungen vor Gewalt im Rahmen der Behindertenhilfe. Sie ist jedoch zu unkonkret und überlässt einen weiten Handlungsspielraum; Mindeststandards oder eine Zertifizierung von Maßnahmen sowie Kontrollmechanismen sind nicht vorgeschrieben. Es fehlt zudem an Mitteln der Selbst- und Mitbestimmung von Bewohner*innen und Beschäftigten. Hier sind Normen aus den Heimgesetzen heranzuziehen, die aber nur einen Teil der Leistungserbringer erfassen, so dass eine weitere Klarstellung der Regelung zur besseren Wirksamkeit zu fordern ist.
Take-Home-Message
Der Schutz von Menschen mit (drohenden) Behinderung ist durch rechtliche Regelungen, die auch durchgesetzt werden können, sicherzustellen und zu verbessern.
Literatur
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Abschlussbericht der Expertenkommission „Herausforderndes Verhalten und Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe“, 2021 (Expertenkommission 2021)
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen/Deutsches Institut für Menschenrechte, Schutz vor Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen – Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis, Mai 2022 (Behindertenbeauftragter et.al. 2022)
Schröttle/Pucher/Aranis/Sarkissian/Lehmann/Zinsmeister/Paust/Pölzer, Forschungsbericht 584, Gewaltschutzstrukturen für Menschen mit Behinderungen – Bestandsaufnahme und Empfehlungen, 2021 (Schröttle et.al. 2021)
Vereinte Nationen – Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands, CRPD/C/DEU/CO/1
Beetz, Kommentierung zu § 37 a SGB IX in FKSB, SGB IX, 5. Aufl. 2022
Hintergrund und Zielstellung
Digitale Gesundheitsanwendungen für Menschen mit Behinderungen stellen nach § 47a SGB IX eine Leistung zur - trägerübergreifenden - medizinischen Rehabilitation dar, die erst mit dem Teilhabestärkungsgesetz mit Wirkung vom 10. Juni 2021 eingeführt wurde. Im Sozialgesetzbuch IX gibt es keine Vorläuferregelung, jedoch waren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift digitale Gesundheitsanwendungen bereits nach § 33a SGB V Teil des GKV-Regelleistungskataloges. Digitale Gesundheitsanwendungen nach § 47a Abs. 1 SGB IX müssen erforderlich sein, um entweder einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen. Erfasst werden solche Anwendungen, die im Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA-Verzeichnis) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geführt werden. § 47a Abs. 2 SGB IX enthält eine spezielle Regelung für dort nicht gelistete, jedoch vergleichbare Anwendungen, deren Mehrkosten der Leistungsberechtigte zu tragen hat. Eine Schnittstelle zur Erwerbsfähigkeit und damit zur Gesetzlichen Rentenversicherung stellt der auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales eingeführte Abs. 12 des § 139e SGB V dar. Er lässt zu, dass digitale Anwendungen ebenfalls in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden können, die als Leistungen zur Teilhabe von der Gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden. Ziel des Beitrages ist es, die im gegliederten Sozialsystem sich stellenden Fragen der Abgrenzung, insbesondere zu Hilfsmitteln, in der medizinischen Rehabilitation zu beantworten und ihre Bedeutung im Kontext der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Zuständigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung zu umreißen.
Methoden
Auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen werden die Literatur und – soweit vorhanden – Rechtsprechung zur Formulierung von Ergebnissen auf Basis der juristischen Methodenlehre ausgewertet. Es fließen Studien sowie eine eigene explorative Auswertung des DiGA-Verzeichnisses des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein. Sollten bis Februar 2023 einschlägige Studien vorliegen, werden diese ergänzend berücksichtigt.
Ergebnisse
§ 47a SGB IX selbst enthält keine Abgrenzungen. Generell ist die Vorschrift nicht konstitutiv für die Erbringung digitaler Gesundheitsanwendungen, sodass sich insbesondere Abgrenzungsfragen zu den Hilfsmitteln in der medizinischen Rehabilitation stellen. Digitale Gesundheitsanwendungen sollen nach dem Gesetz auch die Erwerbsfähigkeit erhalten können. In diesem Beitrag werden Leitlinien zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Gesetzlicher Krankenversicherung und Gesetzlicher Rentenversicherung entworfen. Eine in der Literatur zu beobachtenden zum Teil einschränkenden funktionalen Zweckbestimmung der digitalen Gesundheitsanwendungen ist in der formulierten Allgemeinheit nicht zu folgen. Damit verknüpft ist die Verortung der digitalen Gesundheitsanwendungen im System der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hier sind ebenfalls Hilfsmittel Gegenstand des Leistungskataloges sowie technische Arbeitshilfen.
Diskussion und Fazit
Dadurch, dass die digitalen Gesundheitsanwendungen in § 47a SGB IX neu sind, ist ihr Anwendungsbereich für Menschen mit Behinderungen zu diskutieren. Darin eingeschlossen ist die Zuständigkeit für die Entscheidung als Leistung der medizinischen Rehabilitation bzw. zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Erhalt der Erwerbsfähigkeit in der Zuständigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung und eine Verortung in ihrem Leistungssystem. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Behinderungen vielfach erst im Laufe des Erwerbslebens erworben werden. Digitale Technologien weisen ein bedeutsames Potenzial auf, um Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben zu unterstützen. In diesem Kontext ist ebenfalls der angesprochene § 47 Abs. 2 SGB IX einzubeziehen. Fazit ist, dass der Anwendungsbereich und die Zuständigkeiten für digitale Gesundheitsanwendungen in ihrer Bandbreite für die medizinische Rehabilitation und die Teilhabe am Arbeitsleben durch Leitlinien zu konkretisieren sind.
Take-Home-Message
Die digitalen Gesundheitsanwendungen nach § 47a SGB IX müssen rechtlich vor dem Hintergrund des tatsächlichen – zukünftigen - Potenzials in Zuständigkeit und Anwendungsbereich reflektiert und konkretisiert werden. Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen ist stets mitzudenken.
Literatur
Blatt, Digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen – wo stehen wir?, Reha-Info 06/2021
Kohte, Medizintechnikrecht – ein sensibler Bereich des Technikrechts, in Jahrbuch Umwelt-
und Technikrecht 2019, 31
Luik in Dau/Düwell/Joussen/Luik, Sozialgesetzbuch IX, Lehr- und Praxiskommentar, § 47a, 6. Auflage, 2022
Münkler, Health-Apps im gesundheitsrechtlichen Regulierungsgefüge, NZS 2021, 41
Nebe in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol (Hrsg.) SGB IX Sozialgesetzbuch Neuntes Buch; Praxiskommentar - zum SGB IX mit Wahlordnung, § 47a, 5. Aufl. 2022
Hintergrund und Zielstellung
Das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG) wurde 2002 eingeführt, um das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz in der Verwaltungspraxis der deutschen Bundesbehörden zu konkretisieren. 2014 wurde die Norm evaluiert (Welti et. al. 2014) und 2016 neu gefasst, um die Impulse der UN-Behindertenrechtskonvention (vgl. Welti 2021) aufzunehmen. Die ersten beiden Absätze der Norm lauten seitdem auszugsweise:
(1) Ein Träger öffentlicher Gewalt darf Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligen. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Menschen mit und ohne Behinderungen ohne zwingenden Grund unterschiedlich behandelt werden und dadurch Menschen mit Behinderungen in der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt werden. Eine Benachteiligung liegt auch bei einer Belästigung im Sinne des (…) Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (…) vor, (…). Bei einem Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit wird das Vorliegen einer Benachteiligung widerleglich vermutet.
(2) Die Versagung angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen ist eine Benachteiligung im Sinne dieses Gesetzes. Angemessene Vorkehrungen sind Maßnahmen, die im Einzelfall geeignet und erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass ein Mensch mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen alle Rechte genießen und ausüben kann, und sie die Träger öffentlicher Gewalt nicht unverhältnismäßig oder unbillig belasten.
Rechtswissenschaftliche und rechtstatsächliche Untersuchungen haben erhebliche Defizite der Barrierefreiheit im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen ergeben und rechtliche Lösungswege diskutiert (Hlava 2018). Das BGG ist 2021/2022 erneut evaluiert worden. Die Ergebnisse werden 2023 den Deutschen Bundestag und die Bundesbehörden beschäftigen, zu denen auch wichtige Rehabilitationsträger wie die DRV Bund, DRV KBS, BA, bundesweite Krankenkassen und Berufsgenossenschaften gehören.
Methoden
§ 7 BGG wird analysiert und es wird mit rechtswissenschaftlichen Methoden unter Einbeziehung von Literatur, Rechtsprechung und empirischen Evaluationsergebnissen untersucht, ob und wieweit die Rechtsnorm in der Rehabilitationspraxis anzuwenden ist und es werden hierfür Beispiele gegeben.
Ergebnisse
Die Rehabilitationsträger, soweit sie Bundesbehörden sind, sind unmittelbar an § 7 BGG gebunden. Die Regelung ist konkreter als das Benachteiligungsgebot des Grundgesetzes, weil sie
- klarstellt, dass mittelbare Benachteiligungen wie unmittelbare Benachteiligungen verboten sind (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BGG),
- die Versagung angemessener Vorkehrungen als Benachteiligung durch Unterlassen einer Benachteiligung durch Tun gleichsteht (§ 7 Abs. 2 BGG),
- eine Belästigung als Benachteiligung ausweist (§ 7 Abs. 1 Satz 3 BGG),
- einen Verstoß gegen Pflichten zur Herstellung von Barrierefreiheit als Indiz für eine verbotene Benachteiligung kennzeichnet (§ 7 Abs. 1 Satz 4 BGG).
Dienste und Einrichtungen der Rehabilitation (soweit sie keine Eigeneinrichtungen sind), sind nicht unmittelbar an § 7 BGG gebunden. Für sie gelten aber die gleichen Grundsätze. Dies ergibt sich aus einer verfassungs- und konventionskonformen Auslegung des für diese Rechtsbeziehung einschlägigen AGG. Weiterhin müssen die Rehabilitationsträger nach §§ 17, 33c SGB I eine barriere- und benachteiligungsfreie Leistungserbringung gewährleisten (Hlava 2018).
Diskussion und Fazit
Mittelbare Benachteiligungen können vorliegen, wenn scheinbar neutrale Kriterien benachteiligende Wirkung haben. Mittelbar benachteiligend ist z.B. ein Verbot, Tiere in eine Physiotherapiepraxis mitzunehmen, das auch Assistenzhunde einbezieht (vgl. BVerfG 30.1.2020, 2 BvR 1005/18).
Angemessene Vorkehrungen (Frankenstein/ Hlava/ Welti 2019) können in der Zulassung und Finanzierung einer Begleitperson als Assistenz in der Rehabilitation bestehen, die analog zur Assistenz im Krankenhaus zu akzeptieren oder leisten ist (vgl. Janßen 2021).
Belästigungen können vorliegen, wenn Menschen mit Behinderungen in Behörden oder Einrichtungen feindselig herabgesetzt werden.
Vorschriften zur Barrierefreiheit von Dienstgebäuden oder Internetseiten der Rehabilitationsträger oder der Dienste und Einrichtungen ergeben sich unter anderem aus §§ 8, 12a BGG, § 17 SGB I, den Landesbauordnungen und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Ihre Verletzung indiziert eine verbotene Benachteiligung. Diese Vermutung müsste widerlegt werden, etwa durch intensive Bemühungen zur Normerfüllung.
Take-Home-Message
Das Benachteiligungsverbot aus § 7 BGG hat praktische Folgen für Rehabilitationsträger und Leistungserbringer.
Literatur
Frankenstein, A./ Hlava, D./ Welti, F., Angemessene Vorkehrungen und Sozialrecht in: Die Sozialgerichtsbarkeit 6.2019, 317-325
Hlava, D., Barrierefreie Gesundheitsversorgung – Rechtliche Gewährleistung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsdurchsetzung, 2018
Janßen, C., Die Neuregelungen zur Assistenz im Krankenhaus, www.reha-recht.de, A41-2021
Welti, F., Die UN-BRK und ihre Umsetzung in Deutschland in: Ganner, M./ Rieder, E./ Voithofer, C./ Welti, F. (Hrsg.), Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland und Österreich, 2021, 27-56
Welti, F./ Groskreutz, H./ Hlava, D./ Rambausek, T./ Ramm, D/ Wenckebach, J., Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes – Abschlussbericht, 2014
Hintergrund und Zielstellung
Eine gelingende Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht es Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung, wieder eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen. Leistungen zur Teilhabe können allerdings erst dann als nachhaltig bezeichnet werden, wenn die Menschen nach Aufnahme der Beschäftigung in dieser möglichst langfristig verbleiben. Gerade für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung stellt sich die Frage, wie ihre Teilhabe am Arbeitsleben auch unter ökonomisch, gesundheitlich und sozial erschwerten Bedingungen nachhaltig gesichert und weiterentwickelt werden kann und muss. Denn selbst wenn die berufliche Rehabilitation bzw. die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgreich verläuft und die Rehabilitanden im Anschluss eine Beschäftigung aufnehmen, kann der einkehrende Berufsalltag insbesondere für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung zu erheblichen Hindernissen führen. Somit können auch nach erfolgreicher (Re-)Integration behinderungsbedingte Leistungen erforderlich sein, die in die Zuständigkeit der Rehabilitationsträger fallen. Dies folgt der Logik des § 4 Abs. 2 S.2 SGB IX, wonach jeder Träger im Rahmen seiner Zuständigkeit je nach Lage des Einzelfalles die erforderlichen Leistungen so vollständig zu erbringen hat, dass Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich werden. Ausgehend vom Inklusionsauftrag des Art. 27 UN-BRK sollte der Blick aller Beteiligten demnach nicht nur einseitig auf den Zugang, sondern ebenfalls auf fortdauernde Partizipation am Arbeitsmarkt, ggf. unterstützt durch notwendige Rehabilitationsmaßnahmen, gerichtet sein. Im Beitrag geht es darum, mit welchen Leistungsansprüchen die notwendige Unterstützung zum langfristigen Erhalt eines Arbeitsplatzes erbracht werden kann.
Methoden
Die Bearbeitung der aufgeworfenen Frage erfolgt mit rechtswissenschaftlichen Methoden unter Einbeziehung einschlägiger sozialrechtlicher Literatur und Judikatur.
Ergebnisse
Potentiale für nachhaltige berufsbegleitende Unterstützungsleistungen bestehen bereits auf Basis der geltenden Rechtsgrundlagen. Das gegliederte System des Rehabilitationsrechts hält ein ganzes Bündel an Leistungen für eine nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben bereit. So kommt aus dem Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung die Pflicht zur Nachsorge in Betracht. Im Teilhaberecht finden sich Ansprüche auf Arbeitsassistenz sowie auf psychosoziale Hilfen. Diese können sowohl gegenüber einem Rehabilitationsträger in Form von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als auch gegenüber dem Integrationsamt im Sinne der begleitenden Hilfen im Arbeitsleben bestehen. Die Zuständigkeit der Rehabilitationsträger endet nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften – gemessen an dem Leistungsziel der möglichst dauerhaften Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben – nicht schon mit dem Abschluss der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme/-leistung oder einer etwaigen Beschäftigungsaufnahme. Begleitende Hilfen im Arbeitsleben durch das Integrationsamt hingegen dürfen nur für schwerbehinderte Menschen geleistet werden, wenn diese für denselben Zweck nicht von einem Rehabilitationsträger zu erbringen sind. Die entsprechenden Leistungen zur Nachbetreuung der zuständigen Rehabilitationsträger werden zudem nur zeitlich limitiert erbracht.
Diskussion und Fazit
Doch insbesondere Menschen mit psychischer Beeinträchtigung benötigen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes nicht selten längerfristige personenzentrierte Hilfeleistungen. Die bestehenden Rechtsvorschriften (§ 17 SGB VI sowie §§ 49 ff. SGB IX) begrenzen weder automatisch noch zwingen sie zu einer pauschalen Begrenzung der Unterstützungsleistungen. Vielmehr müssen auch untergesetzliche Regelsetzer sowie Rehabilitationsträger auf langfristige Teilhabebedarfe angemessen reagieren. Um Rehabilitationserfolge nachhaltig zu sichern, bedarf es langfristiger Nachbetreuungsmodelle mit konstanten Beziehungen und vielschichtigen Hilfen, die von psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung, über sozialtherapeutische und sozialpädagogische Hilfen wie Kommunikationstrainings hin zu diagnosespezifischen Leistungen reichen. Eine derartige bedarfsgerechte intensive Nachbetreuung lässt sich aber nur realisieren, wenn diese Leistung rechtlich gut abgesichert, von gut ausgebildetem Personal erbracht und damit letztlich auch finanziell angemessen vergütet wird. Die Rehabilitationsträger stehen in der Verantwortung, die gesetzlichen Leistungsansprüche durch entsprechende Dienste und Einrichtungen, d.h. durch eine entsprechende Versorgungsstruktur auch faktisch zugänglich zu machen, vgl. § 36 Abs. 1 SGB IX. Gem. § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ist es überdies Aufgabe der Teilhabe am Arbeitsleben, die Erwerbsfähigkeit entsprechend den Neigungen (Wünschen, Vorstellungen sowie Erwartungen der Betroffenen) auf Basis der vorhandenen bzw. zu fördernden individuellen Fähigkeiten dauerhaft zu sichern. Damit wird vom Gesetzgeber unlängst verdeutlicht, dass bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, sofern erforderlich, zeitlich unbefristete Unterstützung miteingeschlossen ist.
Take-Home-Message
Potientiale für bedarfsgerechte, zeitlich unbefristete Nachbetreuung im Verantwortungsbereich der Rehabilitationsträger bestehen bereits auf Basis der geltenden Rechtsgrundlagen.
Literatur
Deusch, B. (2022), Kommentierung zu § 49 in Dau/Düwell/Joussen/Luik (Hrsg.), Lehr- und Praxiskommentar SGB IX, 6. Auflage, Baden-Baden.
Jahn, P. (2022), Nachhaltige Erwerbsteilhabe durch Nachsorge, Recht & Praxis der Rehabilitation (RP-Reha) Heft 3/2022, S. 33-38.
Nebe, K. (2020), Kommentierung Vorbemerkungen zu §§ 112 – 129 SGB III in Gagel/Knickrehm/Deinert (Hrsg.), SGB II/SGB III Kommentar, 80. EL, München.
Rs. Gröninger vom 04.04.2014, Aktenzeichen CRPD/C/D/2/2010.
*Eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin (AGORS)
Hintergrund
Die Sozialmedizinische Beurteilung im Hinblick auf Teilhabe am Erwerbsleben ist fundamentaler und originärer Bestandteil der Rehabilitation. Patientinnen und Patienten mit onkologischen Erkrankungen können eine Vielzahl dieser Funktionsstörungen aufweisen, je nach Tumorentität und durchgeführter Therapie. Oftmals werden Krebspatienten multimodal behandelt und erhalten neben einer Operation auch eine Strahlen- oder Chemotherapie. Hinzugekommen sind in den letzten Jahren neue Medikamente, die spezifische Funktionsdefizite auslösen. Trotz der Schwere der Erkrankung und der oftmals intensiven Therapie, kehren 2/3 bis 75% aller onkologischen Patienten, die noch im erwerbsfähigen Alter sind, in das Erwerbsleben zurück. Die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit geht allerdings nicht selten mit Veränderungen am Arbeitsplatz, des zeitlichen Umfangs und den Karrierechancen einher. Krebspatienten leiden
stärker unter diesen Veränderungen als Menschen ohne Krebserkrankung, was auch mit veränderten finanziellen Gegebenheiten für die Patienten einhergeht.
Die Veranstaltung widmet sich fünf häufigen Funktionsstörungen bei onkologischen Patientinnen und Patienten, die fundamentale Auswirkungen auf die Teilhabe am Erwerbsleben haben können. Der Arbeitskreis Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin (AGORS) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) hat sich diesem Thema besonders angenommen und entwickelt Standards zur sozialmedizinischen Beurteilung dieser Funktionsstörungen. Expertinnen und Experten stellen diese dar und treten in Diskussion mit dem Auditorium.
Ziel:
Im Rahmen dieses Formates sollen die Aspekte der sozialmedizinischen Beurteilung in die Fachgesellschaft transportiert werden, um somit eine standardisierte und qualitätsorientierte Beurteilung möglich zu machen.
Referentinnen und Referenten:
Die Bedeutung der zytostatikainduzierten Polyneuropathie (CIPN) für die Rückkehr ins Erwerbsleben (Frau Dr. Monika Steimann)
Wie ist die krebsbedingte kognitive Dysfunktion in Zusammenhang mit Erwerbsfähigkeit zu bewerten? ( Prof. Dr. Oliver Rick)
Die postoperative Harninkontinenz als Barriere für die Teilhabe am Erwerbsleben (Dr. Wilfried Hoffmann)
Sozialmedizinische Beurteilung nach abdominal-chirurgischen Eingriffen mit/ohne Stomaanlage (Dr. Jürgen Körber)
Cancer-Related-Fatigue-Syndrom: Eine Herausforderung in der sozialmedizinischen Beurteilung (PD Dr. Georgia Schilling)
In zwei jeweils 45 minütigen Dialogvorträgen zwischen Akut- und Rehamedizin sollen Möglichkeiten und Grenzen der Rehabilitation einerseits bei einer neuen Erkrankung, der kardialen Beteiligung bei COVID19 besprochen werden, andererseits bei Patienten, die sich den neuen Katheter-basierten interventionellen Behandlungsverfahren bei strukturellen Herzerkrankungen unterziehen. Beide Themen sind komplex und entwickeln sich aktuell sehr dynamisch. Bezüglich der Strategie einer Rehabehandlung liegt bisher wenig evidenzbasiertes Wissen vor.
1. Das erste Tandem wird auf der Basis der differenzierten Befunde der kardialen Bildgebung bei COVID 19 ein Risiko-adjustiertes Rehakonzept vorschlagen, um dem drohenden massiven Teilhabeverlust der oft jüngeren Patienten entgegenzuwirken.
Herzbeteiligung bei COVID 19: Beitrag der kardialen Bildgebung zur Risikostratifizierungeiner trainingsbasierten Rehabilitation
Prof. Dr. med. Eike Nagel, Direktor des Zentrums für kardiovaskuläre Bildgebung, Universitätsklinikum, Goethe Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. med. Martin Halle, Ordinarius für präventive Sportmedizin und Sportkardiologie, Universitätsklinikum rechts der Isar, TU München
2. Das zweite Tandem wird versuchen, bei sehr unterschiedlichen Pathophysiologien und Eingriffen bei überwiegend älteren Patienten einen roten Faden für die Rehastrategie zu skizzieren. Chancen und Risiken trainingsbasierter Rehabilitation nach interventionellen Eingriffen bei
strukturellen Herzerkrankungen
Prof. Dr. med. Michael Joner, stellvertretender Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen des Deutschen Herzzentrums der TU München
Prof. Dr. med. Christian Firschke, Chefarzt Innere Medizin/Kardiologie,
Medical Park Klinik St. Hubertus, Bad Wiessee
Zielgruppe:
Die Satellitenveranstaltung richtet sich in erster Linie an in der kardiologischen Rehabilitation tätige Ärztinnen und Ärzte, hat aber auch eine gesellschaftliche Dimension mit erheblichem Diskussionspotential