Hintergrund und Zielstellung
Digitalisierung gewinnt in allen Lebens- und Arbeitsbereichen immer stärker an Bedeutung. Megatrends, wie New Work, Arbeit 4.0. oder Industrie 4.0. halten Einzug in die Betriebspraxis. Die berufliche Rehabilitation kann häufig nicht mit diesen Entwicklungen Schritt halten (Johansson et al. 2021). Allerdings birgt die Digitalisierung auch Risiken für Menschen mit Behinderung (Engels 2016). Bisherige Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Behinderung überdurchschnittlich von digitaler Ausgrenzung betroffen sind (Scholz et al. 2017), wenn auch nicht in gleicher Intensität. Menschen mit Hör- oder Körperbehinderungen scheinen tendenziell eher in der Lage, das Internet zu nutzen und digital teilzuhaben. Als besonders von digitaler Ausgrenzung betroffen gelten Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung (Sube & Sonnenschein 2022 zum „digital disability divide“).
Um eine vollständige berufliche und soziale Teilhabe aller sicherzustellen, wird der Einsatz digitaler Technologien in der beruflichen Rehabilitation unverzichtbar (Borgstedt, Möller-Slawinski, 2020). Bislang liegen hierzu jedoch kaum Strategien vor. Hier setzt das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt digitaleTeilhaBe an. Im Ergebnis sollen v.a. Bedarfe und Möglichkeiten zur Stärkung digitaler Teilhabe in Bildungs- und Arbeitsprozessen sowie Lösungsansätze für Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik erarbeitet werden.
Methoden
Im Rahmen eines partizipativen Forschungsdesigns, das Menschen mit Behinderung sowie weitere relevante Akteure in der beruflichen Rehabilitation einbindet, werden klassische Erhebungsformate wie eine explorative Online-Befragung und leitfadengestützte Interviews mit einer Zukunftswerkstatt kombiniert. Struktur gibt das Konstrukt der digitalen Teilhabe, das „Teilhabe an (Zugänglichkeit und digitale Kompetenzen), Teilhabe durch (assistive Technologien und technische Hilfsmittel) und Teilhabe in (aktive Teilnahme in digitaler Welt) digitalen Technologien“ unterscheidet (Borgstedt, Möller-Slawinski, 2020).
Im Beitrag werden die Ergebnisse der Online-Befragung von Menschen mit Behinderung sowie Fachkräften fokussiert. Ziel war die explorative Erfassung des Status quo der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Dazu wurden u.a. Informationen zur Mediennutzung, digitalen Kompetenzen, Herausforderungen bei der Mediennutzung sowie Veränderungen durch die SARS-CoV-II-Pandemie erhoben. Die Online-Befragung war von Ende Mai bis August 2022 zugänglich und erreichte nach Abschluss eine Fallzahl von n=136.
Ergebnisse
Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse, dass es für gelingende, digitale Teilhabe nicht so sehr davon abhängt, ob eine Person eine Behinderung hat oder nicht, sondern eher welche Behinderung vorliegt und wie sich deren Symptome auswirken. Das Benachteiligungsgefälle innerhalb der Gruppe der Menschen mit Behinderung konnte auch anhand der vorliegenden explorativen Befragungsergebnisse beobachtet werden. Die Ergebnisse könnten auch darauf hindeuten, dass Betroffenen je nach Behinderungsart in unterschiedlichen Dimensionen ihrer digitalen Teilhabe eingeschränkt sind: Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen fühlen sich eher im Bereich Teilhabe durch digitale Technologien eingeschränkt und fordern dementsprechend digitale Technologien eher in Form technischer Assistenzsysteme, während Menschen mit psychischen und intellektuellen Einschränkungen vor allem im Bereich Teilhabe an digitalen Technologien eingeschränkt scheinen, was sich in ihrem Wunsch nach besseren Zugängen und Unterstützungsmöglichkeiten für die Nutzung von digitalen Technologien widerspiegelt.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse bieten einen aktuellen Einblick in den Status quo der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung und zeigen Unterschiede in der Teilhabe zwischen verschiedenen Behinderungsarten auf. Sie geben aufgrund geringer Fallzahlen und fehlender Repräsentativität nur Tendenzen wider. Außerdem trägt die digitale Erhebungsmethode zu einer ‚Positivselektion‘ der Befragten bei, da eher Menschen erreicht werden, die über die notwendigen Zugänge und digitalen Kompetenzen verfügen.
Take-Home-Message
Es liegt ein „digital disability gap“ im Bereich der digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderung vor. Daher müssen zukünftige Möglichkeiten zur Stärkung digitaler Teilhabe in Bildungs- und Arbeitsprozessen identifiziert werden, um eine vollständige berufliche und soziale Teilhabe aller sicherzustellen.
Literatur
Borgstedt, S., & Möller-Slawinski, H. (2020). Digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung (S. 81). Aktion Mensch e.V.
Engels, D. (2016). Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeitswelt für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. (Forschungsbericht / Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FB467). Köln: Bundesministerium für Arbeit und Soziales; ISG- Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH.
Johansson, S., Gulliksen, J., & Gustavsson, C. (2021). Disability digital divide: The use of the internet, smartphones, computers and tablets among people with disabilities in Sweden. Universal Access in the Information Society, 20(1), 105–120.
Scholz, F., Yalcin, B., & Priestley, M. (2017). Internet access for disabled people: Understanding socio-relational factors in Europe. Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research on Cyberspace, 11(1).
Sube, L., & Sonnenschein, N. (2022). Media@ Work: Berufliche Teilhabe durch digitale Medien stärken. ZDfm–Zeitschrift für Diversitätsforschung und-management, 7(1), 27-28.
Hintergrund und Zielstellung
Vor dem Hintergrund der omnipräsenten Digitalisierung stellen Health Apps einen attraktiven Ansatz zum Erhalt von Gesundheit und der Vermeidung von Krankheit dar (Rutz et al., 2016) und können eine wichtige Versorgungslücke schließen. Health Apps unterstützen dabei, Menschen in Bezug auf gesundheitsförderliche Verhaltensweisen zu sensibilisieren bzw. zu deren längerfristigen Umsetzung zu motivieren (z.B. mehr Bewegung, gesunde Ernährung, angemessenes Stressmanagement). Dabei nutzen Health Apps in Abhängigkeit ihrer Ausrichtung, Zielsetzung und technischen Möglichkeiten objektive Körperparameter (z.B. Herzfrequenz-Daten, Aktivitätsdaten) und/oder subjektive Parameter (z.B. Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes und des Stresslevels). Erweisen sich Health Apps für eine bestimmte Indikationsbereiche als empirisch wirksam bzw. evidenzbasiert, so ist eine Verschreibung der sog. Digitalen Gesundheitsanwendung als „App auf Rezept“ durch die Krankenkassen möglich.
Eine zentrale Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Health Apps stellt jedoch die Akzeptanz von potenziellen Nutzer:innen gegenüber entsprechenden Lösungen dar (vgl. Technologieakzeptanz-Modell). Um die Hintergründe der Akzeptanz von e-Health-Anwendungen besser verstehen zu können, rücken in der vorliegenden Studie persönliche Voraussetzungen in den Fokus. Untersucht wurden die Bezüge zwischen der Technikakzeptanz zur digitalen Gesundheitskompetenz sowie dem gesundheitsbezogenen Kontrollerleben als psychologische Hintergrundvariablen.
Methoden
356 Befragte beteiligten sich an der Online-Umfrage (57.9% weiblich, 41.6% männlich, 0.6% divers; Altersdurchschnitt: AM = 32.51 Jahre, SD = 15.23 Jahre). 99.2% der Befragten besaßen mindestens ein mobiles Endgerät (z.B. Handy).
Zur Erfassung der Technikakzeptanz kam die auf den Kontext von Gesundheitsanwendungen adaptierte Skala von Neyer et al. (2012) zur Technikbereitschaft zum Einsatz (10 Items, Beispielitem: ‚Hinsichtlich Gesundheits-Apps bin ich sehr neugierig‘; Skala von 1: ‚stimmt gar nicht‘ bis 5: ‚stimmt völlig‘). Zur Erfassung der persönlichen bzw. psychologischen Voraussetzungen kamen ebenfalls validierte Fragebögen zum Einsatz. Die digitale Gesundheitskompetenz wurde anhand der Skala von Soellner et al. (2014) erfasst (8 Items, Beispielitem: ‚Wenn ich gesundheitsbezogene Entscheidungen auf Basis von Informationen aus dem Internet treffe, fühle ich mich dabei sicher‘; Skala von 1: ‚völlige Ablehnung‘ bis 5: ‚völlige Zustimmung). Die gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugung wurde mit Hilfe des FEG-K von Ferring (2003) untersucht (5 Items zur externalen Kontrollüberzeugung, Beispielitem: ‚Meine Gesundheit ist hauptsächlich durch Zufälle bestimmt ‘; 5 Items zur internalen Kontrollüberzeugung, Beispielitem: ‚Wenn man auf sich achtet, bleibt man auch gesund‘; Skala von 1: ‚sehr falsch‘ bis 6: ‚sehr richtig‘).
Ergebnisse
Im Mittel war die Technikakzeptanz bzgl. Health Apps bzw. Digitalen Gesundheitsanwendungen recht hoch ausgeprägt. In Bezug auf die persönlichen Voraussetzungen lässt sich festhalten, dass die Technikakzeptanz umso höher war, je höher die digitalen Gesundheitskompetenz ausfiel. Bei hoher internaler gesundheitsbezogener Kontrollüberzeugung der Befragten zeigte sich darüber hinaus eine deutlicher ausgeprägte Technikakzeptanz. Demgegenüber berichteten Studienteilnehmer:innen mit einer externalen gesundheitsbezogenen Kontrollüberzeugung auch eine geringere Technikakzeptanz gegenüber Health Apps bzw. Digitalen Gesundheitsanwendungen (vgl. Tabelle 1).
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Technikakzeptanz von Health Apps insgesamt hoch ausgeprägt war. Die Technikakzeptanz im Sinne eines grundlegenden Commitments bzw. Compliance für die digitale Lösung in den Fokus zu rücken, erscheint vor dem Hintergrund der beabsichtigten Wirkung bzw. Wirksamkeit von Health Apps ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einem positiven Versorgungseffekt. Zu beachten gilt, dass die Technikakzeptanz ein rein subjektiver Parameter ist. Daher sollte bei der Evaluation entsprechender Lösungen zusätzlich das tatsächliche Nutzungsverhalten in den Fokus des Interesses rücken. Dass die Technikakzeptanz wiederum von persönlichen Voraussetzungen abhängig ist, stellt eine besondere Herausforderung bei dem Schließen von Versorgungslücken dar: Die Ergebnisse zeigen, dass vulnerablere Personen aus der Stichprobe eine geringe Technikakzeptanz zeigen. D.h. für die Praxis, dass im Vorfeld der Verschreibung hier möglicherweise besonders viel Überzeugungsarbeit für den Mehrwert der e-Health-Lösung geleistet werden muss.
Take-Home-Message
Die Technikakzeptanz von Health Apps werden durch persönliche Voraussetzungen beeinflusst. Insbesondere diejenigen Personenkreise, die besonders anfällig für gesundheitliche Probleme sind, bedürfen in diesem Rahmen besonderer Unterstützung, um eine grundlegende Compliance zur Nutzung entsprechender digitaler Lösungen zu schaffen.
Literatur
Ferring, D. (2003): Kurzbeschreibung und Forschungsbericht zum „Fragebogen zur Erfassung gesundheitsbezogener Kontrollüberzeugungen“ (FEGK). Luxembourg: University of Luxembourg.
Neyer, F. J., Felber, J., & Gebhardt, C. (2016): Kurzskala Technikbereitschaft Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis244
Rutz, M., Kühn, D., Dierks, M. L. (2016): Gesundheits-Apps und Prävention. Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA, Kapitel 5). Medizinische Hochschule Hannover, S, 116-135.
Soellner, R., Huber, S., Reder, M. (2014): The Concept of eHealth Literacy and Its Measurement - German Translation of the eHEALS. Journal of Media Psychology, 26(1). 29–38.
Hintergrund und Zielstellung
Aufgrund der Bevölkerungsalterung ist die geriatrische Rehabilitation ein zunehmend wichtiges Versorgungsfeld. Altersbedingte körperliche und psychische Veränderungen bei Senioren führen zu einer wachsenden Zahl von chronischen Erkrankungen (Han et al., 2019; Penninx et al., 2009). Daher haben Senioren einen hohen Behandlungsbedarf für Funktionserhalt oder -wiederherstellung, sowie Wohlbefinden und ihre Lebensqualität.
Virtual Reality (VR) wird bereits in vielen Indikationen zur Verbesserung psychischer Funktionen (z.B. Phobiebehandlung, Wahrnehmungs- und Reaktionstrainings) und Wohlbefinden eingesetzt. Die Anwendung von VR bei Senioren ist jedoch bislang begrenzt, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung von Stimmung und Wohlbefinden von Senioren in Altersheimen (Skurla et al., 2022). Im vorliegenden systematischen Review werden die Ergebnisse aktueller VR-basierter Interventionsstudien zur psychischen Gesundheit für Senioren berichtet.
Methoden
Die Literaturrecherche von peer-reviewed VR-Interventionsstudien wurde Januar bis März 2022 durchgeführt und basiert auf sechs Datenbanken (PubMed, Scopus, PsychNet, PsyJournals, PubPsych, Google Scholar). Es wurden diejenigen Artikel analysiert, die sich mit immersiven VR-Interventionen zur psychischen Gesundheit älterer Menschen beschäftigen.
Ergebnisse
Bei der Datenbanksuche wurden 2697 Ergebnisse gefunden, von denen 40 Interventionsstudien in die endgültige Analyse aufgenommen wurden. Die meisten Studien verwendeten kein experimentelles Design mit randomisierten, kontrollierten Studien und Follow-up-Sitzungen. Die untersuchten Studien wurden aufgrund ihrer Zielsetzung in zwei Kategorien eingeteilt: funktionsorientierte und unterhaltungsorientierte Intervention.
Die Zahl der Studien in diesem Bereich ist seit 2018 rapide angewachsen, insbesondere im Bereich der unterhaltungsorientierten VR-Interventionen, die das Wohlbefinden von Senioren steigern sollen. Die funktionsorientierten Interventionen (z.B. kognitive Trainings) nutzten meistens eine aktive Interaktionsform mit zahlreichen Geräten. Im Gegensatz dazu wurde die unterhaltungsorientierte Intervention als passive Interaktionsform genutzt und im Bedarfsfall nur die Handkonsole als Gerät. Im Allgemeinen verbesserten die VR-Interventionen die geistige Gesundheit älterer Erwachsener. Im Gegensatz zu unterhaltungsorientierten VR-Interventionen haben die meisten funktionsorientierten VR-Interventionen keinen signifikant positiven Einfluss auf Stimmung und Wohlbefinden. Fast alle untersuchten Studien zeigten, dass VR-basierte Interventionen einen signifikant positiven Effekt auf die psychische Gesundheit haben und damit ihr Interventionsziel erreichen.
Diskussion und Fazit
VR-basierte Interventionen sind wirksam und können eine erfolgversprechende Methode zur Erhaltung der mentalen/kognitiven Funktionen, sowie zur Aktivitätsförderung und Verbesserung der Lebensqualität in der geriatrischen Rehabilitation sein.
In Zukunft kann sich die Zielsetzung nicht nur auf die Verbesserung der Funktionen oder der passiven Unterhaltung beschränken, sondern auch Förderung der sozialen Interaktion. Beispielsweise kann die VR-Intervention im Pflegeheim für Senioren als Gruppenveranstaltung angeboten werden, bei der die Senioren an Aktivitäten teilnehmen, die sie nicht mehr ausführen können (z. B. Gartenarbeit, Pizzabacken, Einrichten eines Ferienhauses). Kognitive Funktionen können in unterhaltsamer Form geübt werden, und in der Gruppe können Ideen ausgetauscht und soziale Interaktion verbessert werden.
Take-Home-Message
Virtual Reality-basierte Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit sind ein innovativer und bereits wirksamkeitsgeprüfter Ansatz. Sie haben Potenzial für Förderung kognitiver Funktionen, Wohlbefinden und Aktivität von Menschen in der geriatrischen Rehabilitation und in Seniorenheimen.
Literatur
Han, L. K. M., Verhoeven, J. E., Tyrka, A. R., Penninx, B. W. J. H., Wolkowitz, O. M., Månsson, K. N. T., Lindqvist, D., Boks, M. P., Révész, D., Mellon, S. H. & Picard, M. (2019): Accelerating research on biological aging and mental health: Current challenges and future directions. Psychoneuroendocrinology, 106, 293–311. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2019.04.004
Penninx, B. W. J. H., Nicklas, B. J., Newman, A. B., Harris, T. B., Goodpaster, B. H., Satterfield, S., Rekeneire, N. de, Yaffe, K., Pahor, M. & Kritchevsky, S. B. (2009): Metabolic syndrome and physical decline in older persons: results from the Health, Aging And Body Composition Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences, 64(1), 96–102. https://doi.org/10.1093/gerona/gln005
Skurla, M. D., Rahman, A. T., Salcone, S., Mathias, L., Shah, B., Forester, B. P. & Vahia, I. V. (2022): Virtual reality and mental health in older adults: a systematic review. International Psychogeriatrics, 34(2), 143–155. https://doi.org/10.1017/s104161022100017x
Hintergrund und Zielstellung
Die berufliche Rehabilitation stand während der Corona-Pandemie vor besonderen Herausforderungen (vgl. Boehle et al., 2021). Die Rehabilitationsmaßnahmen mussten von einem Tag auf den anderen an die Corona-Bedingungen angepasst werden. In den 28 im Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke (BV BFW) zusammengeschlossenen Einrichtungen fand die berufliche Rehabilitation während der Corona-Pandemie zum großen Teil in digitalen Formaten statt. Unter den Bedingungen einer zunehmenden Digitalisierung, stellt sich für die Berufsförderungswerke (BFW) die Frage, wie die berufliche Rehabilitation zukünftig gestaltet werden kann, um Teilhabechancen in vollem Umfang zu nutzen. Vor diesem Hintergrund hat der BV BFW eine Befragung der Rehabilitand:innen zu Erfahrungen mit digitalem Lernen zuhause im Homeoffice durchgeführt.
Methoden
Im Zeitraum 17.05.-24.07.2022 wurden Rehabilitand:innen aus 28 BFW eingeladen, an einer anonymen Online-Befragung teilzunehmen. Hierzu wurde mit Hilfe des Befragungstools SoSci Survey ein teilstandardisierter Online-Fragebogen erstellt und die BFW-Mitarbeitenden gebeten, den Befragungslink unter Rehabilitand:innen in unterschiedlichen Phasen der Rehabilitation und in unterschiedlichen Qualifizierungsbereichen zu teilen. Insgesamt konnten 1.234 Online-Fragebögen aus 23 BFW in die Auswertung der Ergebnisse eingeschlossen werden. Es wurden mittels SPSS deskriptive Analysen der Daten durchgeführt.
Ergebnisse
841 Rehabilitand:innen gaben an, sowohl über Erfahrungen mit digitalen Angeboten als auch mit Phasen des Lernens im Homeoffice während der Corona-bedingten (Teil-)Schließung der BFW zu verfügen. Ihnen wurden vertiefende Fragen zu ihren Erfahrungen und erlebten Herausforderungen beim digitalen Lernen im Homeoffice gestellt. 44% der Befragten in dieser Gruppe zeigen sich mit der Reha-Maßnahme im Homeoffice weitestgehend bzw. sehr zufrieden, allerdings sind 38% auch leicht oder ziemlich unzufrieden. Im direkten Vergleich zwischen Präsenzunterricht und digitalem Lernen zuhause zeigt sich, dass Letzteres schlechter bewertet wird: 73% stimmten der Aussage (auf einer vierstufigen Skala von „stimme gar nicht zu“ bis „stimme voll zu“) gar nicht oder eher nicht zu, im Homeoffice mit Hilfe der digitalen Lernformate und Materialien besser als im Präsenzunterricht lernen zu können. Rund 60% stimmten voll oder eher zu, dass es ihnen beim digitalen Lernen zuhause schwerer fällt, sich auf das Ausbildungsgeschehen zu konzentrieren. Darüber hinaus werden von der Mehrheit der Befragten auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Rehabilitand:innen im Homeoffice schlechter bewertet. Zudem gaben die Befragten an, dass ihnen der persönliche Kontakt zu den Lehrkräften fehle (77%; stimme voll oder eher zu), ebenso wie zu anderen Rehabilitand:innen (75%) sowie Ansprechpersonen wie Reha- und Integrationsmanager:innen (RIM) oder Fachkräfte aus dem Bereich Besondere Hilfen (56%). Rund 80% der Rehabilitand:innen haben im Homeoffice Unterstützung gebraucht. Konkrete Unterstützungsbedarfe wurden vor allem bezüglich des digitalen Lernens formuliert: 43% wählten die Antwortoption „Bei der Lernmethodik“, 37% „Bei der Anleitung zum selbstständigen Arbeiten“ und 34% „Bei der Sortierung und Strukturierung von Lerninhalten“. Gleichzeitig sehen Rehabilitand:innen die Vorteile des Homeoffice und bewerten das digitale Lernen als fördernd im Hinblick auf den Erwerb digitaler Kompetenzen: Rund 70% stimmten voll oder eher der Aussage zu „Beim digitalen Lernen zuhause schule ich ‚ganz nebenbei‘ meine Fähigkeiten im Umgang mit dem PC und den digitalen Medien.“ 71% der Befragten können sich zukünftig digitale Lernangebote in Ergänzung des Präsenzunterrichts vorstellen.
Diskussion und Fazit
Die Befragungsergebnisse zeichnen kein eindeutig positives oder negatives Bild des digitalen Lernens im Homeoffice und stützen die von den BFW vertretene Position, wonach der Heterogenität und den unterschiedlichen Voraussetzungen der Rehabilitand:innen mit differenzierten Lösungen begegnet werden muss. Einigen Personen kommt das digitale Lernen entgegen, andere wiederum sehen sich vor neue Herausforderungen gestellt. Insbesondere sind es soziale Kontakte, die den Rehabilitand:innen fehlen. Ihr Ausbleiben kann auf Dauer zur Isolation und Vereinsamung führen. Digitale Lernangebote werden durchaus gewünscht, doch zeigt sich, dass das digitale Lernen noch gelernt werden muss. Hier sind die Berufsförderungswerke gefragt, den Rehabilitand:innen Unterstützung zu geben und die notwendigen Kompetenzen zu fördern. Digitales selbstgesteuertes Lernen stellt neue Anforderungen an Lernende und bedarf insbesondere methodischer, aber auch personaler und sozialer Kompetenzen (vgl. Dyrna et al., 2022).
Take-Home-Message
Die Corona-Pandemie hat die berufliche Rehabilitation vor neue Herausforderungen gestellt, die die BWF größtenteils gut gemeistert haben. Es bedarf jedoch in Zukunft differenzierter Blended-Learning-Konzepte sowie der Förderung digitaler (Lern-)Kompetenzen, damit alle Rehabilitand:innen gleichermaßen profitieren können.
Literatur
Boehle, M., Buschmann-Steinhage, R., Schmidt-Ohlemann, M., Seidel, M., Warnach, M. (2021): Sicherung der Teilhabe während und nach der Pandemie: Problemlagen, Herausforderungen, Handlungsoptionen. Abschlussbericht des Corona-Konsultationsprozess der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation „Teilhabe und Inklusion in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie – Auswirkungen und Herausforderungen“. Heidelberg: Deutsche Vereinigung für Rehabilitation. URL: https://www.dvfr.de/fileadmin/user_upload/DVfR/Downloads/Projektberichte/Konsultationsprozess-Berichte-6-2021/Abschlussbericht_bf.pdf, Abruf: 20.10.2022
Dyrna, J., Riedel, J., & Stark, L. (2022): Welche Kompetenzen benötigen Lernende für selbstgesteuertes, digital gestütztes Lernen? BWP – Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 51(2). 18–22.
Hintergrund und Zielstellung
Der Übergang Schule-Studium ist eine wesentliche Anforderung des frühen Erwachsenenalters. Durch mit der Corona-Pandemie verbundene Einschränkungen waren Menschen in diesem Lebensabschnitt besonders betroffen. Studierenden wurde durch online-Formate, Präsenzveranstaltungen unter Coronabedingungen und eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten zu Studienbeginn die Orientierung an den Hochschulen erschwert. Dadurch sind Belastungen entstanden, die aufgrund der Sensibilität des Lebensabschnitts langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben können. Dies betrifft nicht nur erkrankungsbedingte sondern auch psychosoziale Belastungen. Vor dem Hintergrund eines stress- und ressourcentheoretischen Ansatzes, der davon ausgeht, dass Belastungen durch Bewältigungsressourcen in ihrer Wirkung abgemildert werden können, wurde bei Studienanfänger:innen des BA Sonderpädagogik an der PH Heidelberg untersucht, wie sich deren Situation im Übergang darstellt. Die Fragestellungen lauten im Einzelnen:
1. Wie schätzen die Studierenden Belastungen, Ressourcen und ihre Selbstwirksamkeit ein?
2. Wie stellt sich die gesundheitliche Situation dar und lassen sich unterschiedliche Belastungscluster identifizieren?
3. Was erwarten die Studierenden für die Zukunft?
Methoden
Insgesamt wurden N=101 Studienanfänger:innen im Zeitraum 1.4.2022-15.5. 2022 über Soscisurvey zu Belastungen, Ressourcen und Zukunftserwartungen in den Bereichen Familie, Freundeskreis, Freizeit, Schule/Studium, Übergang Schule/Studium sowie zur Einschätzung ihrer Gesamtsituation und ihres allgemeinen Gesundheitszustandes befragt.
Außerdem kamen die allgemeine Selbstwirksamkeitsskala (Beierlein e.a. 2014), eine Belastetheitsskala (Hoffmeister e.a. 1988) und eine nicht-klinische Depressivitätsskala (Mohr e.a. 2014) zum Einsatz.
Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv und varianzanalytisch. Ergänzend wurde eine Clusterzentrenanalyse durchgeführt, um spezielle Belastetheits-Gruppen zu identifizieren.
Ergebnisse
Belastungen. Während Familie (2,5) und Freundeskreis (2,73) als weniger belastet erlebt wurden, wurden die Bereiche Freizeit (4,18), Schule/Studium (3,58) und Übergang Schule/Studium (3,27) als stärker belastet bewertet.
Ressourcen und Selbstwirksamkeit. Ressourcen nahmen die Befragten in den Bereichen Familie (4,22), Freundeskreis (4,31) und eingeschränkt auch Freizeit (3,1) wahr. Eine geringere Rolle spielten dagegen Schule oder Studium. (2,48). Ihre Selbstwirksamkeit schätzten die Befragten im mittleren Bereich ein (3,96).
Gesundheit. Insgesamt bewerteten die Untersuchungsteilnehmer:innen ihren Gesundheitszustand mit 3,75. Studierende, die erkrankt waren und Studierende mit Behinderung schätzten ihren Gesundheitszustand dagegen schlechter ein.
Die Belastetheit lag bei 3,12. Die Depressivität (1-7) war insgesamt eher geringer ausgeprägt (2,27).
Ca. 60% der Befragten gaben an, sich mit Corona infiziert zu haben. Der Durchschnittswert der wahrgenommenen Stärke der Beeinträchtigung war relativ gering und lag bei 2,36.
Cluster. Eine Clusterzentrenanalyse mit den Variablen Gesundheitszustand, Belastetheit, Depressivität und Selbstwirksamkeit ergab drei Cluster. Cluster 1 (N=39) ist geprägt durch mittlere Werte beim Gesundheitszustand, Depressivität, Belastetheit und einen etwas geringeren Wert bei Selbstwirksamkeit.
Cluster 2 (N= 39) ist geprägt durch hohe Werte beim Gesundheitszustand, geringe Werte bei Depressivität und Belastetheit sowie hohe Werte bei Selbstwirksamkeit. Insgesamt scheint diese Gruppe eher „resilient“ zu sein.
Cluster 3 (N=23) ist geprägt durch die geringsten Werte bei Gesundheit und Selbstwirksamkeit sowie durch die höchsten Werte bei Depressivität und Belastetheit. Diese Gruppe scheint insgesamt eher „vulnerabel“ zu sein.
Gesamtsituation und Zukunftserwartungen. Ihre Gesamtsituation schätzen die Untersuchungsteilnehmer:innen im mittleren Bereich (3,79) ein.
Die Zukunftserwartungen in Bezug auf Familie, Freundeskreis, Freizeit und Studium wurde mit einer sieben-stufigen Skala erhoben, wobei Werte unter vier für erwartete Verschlechterungen, der Wert vier für keine Veränderung und Werte über vier für erwartete Verbesserungen stehen. Die Mittelwerte zeigen erwartete Verbesserungen in allen Bereichen, wobei die Erwartungen in Bezug auf die Familie mit 4,77 am geringsten ausfielen.
Diskussion und Fazit
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Studierenden insgesamt zwar bisher relativ gut durch die Coronapandemie gekommen sind. Wie die vertiefte Analyse aber zeigt, gibt es aber eine vulnerable Gruppe von etwa 20%, die im gesundheitlichen Bereich und Selbstwirksamkeit deutlich schlechtere Werte erreicht und auch ihre Gesamtsituation deutlich schlechter bewertet. Für diese Gruppe scheinen stärkere Bewältigungshilfen erforderlich zu sein.
Take-Home-Message
Zur Vermeidung langfristig negativer Folgen benötigt eine mit 20% relativ große vulnerable Gruppe zur Vermeidung langfristiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen Bewältigungshilfen.
Literatur
Beierlein, C., Kovaleva, A., Kemper, C. J. & Rammstedt, B. (2014). Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala (ASKU). Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis35
Hoffmeister, H., Hoeltz, J., Schön, D., Schröder, E. & Güther, B. (1988). Nationaler Untersuchungs-Survey und regionale Untersuchungs-Surveys der DHP, Bd. I. DHP-Forum, Heft 1/88
Mohr, G. & Müller, A. (2014). Depressivität im nichtklinischen Kontext. Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis79