Hintergrund und Zielstellung
Vor dem Hintergrund der Coronapandemie sind wir der Frage nachgegangen, inwiefern die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie im deutschen Gesundheitssystem sich auf die Diagnostik und Therapie uroonkologischer Erkrankungen niedergeschlagen haben und wollen dies anhand eines Vergleiches mit dem Vorjahreszeitraum beantworten.
Methoden
Patienten mit einem Karzinom der Prostata (PCa), der Harnblase (BCa) oder der Niere (NCa) wurden retrospektiv im Zeitraum von 01.2019 bis 12.2021 untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten, die die stationäre uroonkologische Anschlussrehabilitation (AR) bis 100 Tage postoperativ antraten. Für die einzelnen Entitäten wurden Fallzahlen, Patientenalter, Tumorstadium, Nodal- und Resektionsstatus sowie präoperative PSA-Werte verglichen.
Ergebnisse
Im Beobachtungszeitraum konnten 13.228 Patienten nach uroonkologischem Eingriff eingeschlossen werden. Diese Patienten verteilten sich zu 76,3% (10.094) auf das PCa, zu 15,8% (2.092) auf das BCa sowie zu 7,9% (1.042) auf das NCa.
Das Patientenalter zeigte in den einzelnen Tumorentitäten keine statistisch signifikanten Veränderungen zwischen den Beobachtungsjahren.
Beim PCa zeigte der präoperative PSA-Wert im Median eine signifikante Abnahme zwischen den Jahren 2019 (8,0 ng/ml; IQR 5,7-12,6) und 2021 (7,6 ng/ml; IQR 5,5-11,2), p = 0,001. Ebenso zeigte sich eine Abnahme des Gleason Score (GS) ≥ 8 im endgültigen histopathologischen Befund von 20,5% (2019) auf 17,6% (2021), p = 0,005. Der Anteil organüberschreitender Tumorstadien ( ≥ pT3) zeigte sich stabil im Beobachtungszeitraum (2019: 40,1% und 2021: 39,0%; p = 0,299). Die Lymphknotenmetastasierung zeigte sich signifikant rückläufig von 13,0% (2019) auf 10,9% (2021), p = 0,012. Zwar konnte im Beobachtungszeitraum eine Abnahme positiver Schnittränder beim pT2-Stadium von 8,2% (2019) auf 7,6% (2021) verzeichnet werden, jedoch ohne statistische Signifikanz zu erreichen.
Beim BCa zeigte sich eine signifikante Zunahme neoadjuvanter Chemotherapien von 10,4% (2019) auf 20,2% (2021), p < 0,001. Der Anteil organüberschreitender Tumorstadien ≥ pT3 (2019: 35,5% und 2021: 33,6%; p = 0,471) und der Lymphknotenmetastasierung (2019: 18,8% und 2021: 18,6%; p = 0,925) blieben über den Beobachtungszeitraum konstant.
Beim NCa zeigte sich im Beobachtungszeitraum ein stabiler Anteil von organerhaltenden Eingriffen (2019: 50,1% und 2021: 51,3%; p = 0,102).
Diskussion und Fazit
Bei den drei häufigsten hier beobachteten Tumorentitäten zeigten sich trotz der besonderen Herausforderungen bedingt durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie eine hohe Versorgungs- und Behandlungsqualität. Patienten mit einem uroonkologischen Tumor wurden offensichtlich weiterhin entsprechend den Leitlinien diagnostiziert, therapiert und betreut. Eine Stadienmigration, als Indikator für eine abnehmende Versorgungsqualität, hat im Beobachtungszeitraum nicht stattgefunden.
Take-Home-Message
Patienten mit einer uroonkologischen Diagnose wurden auch während der Jahre der Coronapandemie entsprechend den hohen Therapiestandards leitliniengerecht behandelt.
Literatur
Fallara, G., Sandin, F., Styrke, J., Carlsson, S., I.F., Lissbrant, Ahlgren, J., Bratt, O., Lambe, M., Stattin, P. (2021). Prostate cancer diagnosis, staging, and treatment in Sweden during the first phase of the COVID-19 pandemic. Scand J Urol, 55(3):184-191, doi: 10.1080/21681805.2021.1910341.
Maringe, C., Spicer, J., Morris, M., Purushotham, A., Nolte, E., Sullivan, R., Rachet, B., Aggarwal, A. (2020). The impact of the COVID-19 pandemic on cancer deaths due to delays in diagnosis in England, UK: a national, population-based, modelling study. Lancet Oncol., 21(8):1023-1034, doi: 10.1016/S1470-2045(20)30388-0.
Nossiter, J., Morris, M., Parry, M.G., Sujenthiran, A., Cathcart, P., der Meulen, J., Aggarwal, A., Payne, H., Clarke, N.W. (2022). Impact of the COVID-19 pandemic on the diagnosis and treatment of men with prostate cancer. BJU Int, 130(2):262-270. doi: 10.1111/bju.15699.
Hintergrund und Zielstellung
Das Urothelkarzinom der Harnblase liegt unter Einschluss auch nicht-invasiver Tumore mit nahezu 30.000 Neuerkrankungen pro Jahr an fünfter Stelle bösartiger Neubildungen in Deutschland (Robert-Koch-Institut, 2016). Für Patienten im erwerbsfähigen Alter ist die berufliche Reintegration oftmals von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung und eine möglichst umfassende Wiedereingliederung in das familiäre und soziale Umfeld. Es soll evaluiert werden, wie sich die Lebensqualität, die psychosoziale Belastung und die Berufstätigkeit 2 Jahre nach dem uroonkologischen Maximaleingriff, der radikalen Zystektomie (RZE) und Harnableitung in Form eines Ileum Conduits (IC) oder einer orthotopen Ileum Neoblase (NB) darstellen.
Methoden
Im Rahmen einer prospektiven Versorgungsforschungsstudie wurden 230 präoperativ berufstätige Patienten von 04/2018 bis 12/2019 nach RZE und IC- oder NB-Anlage aufgrund eines Urothelkarzinoms der Harnblase mit Beginn der Anschlussrehabilitation (AR) in die Studie eingeschlossen. Im letzten Follow up der Studie wurden nun 2 Jahre nach der RZE erneut die Lebensqualität (EORTC QLQ-C30 und QLQ-BLM30), die psychosoziale Belastung (Fragebogen zur Belastung Krebskranker FBK-R10) und die Rückkehr zur Arbeit evaluiert. Regressionsanalysen wurden durchgeführt, um unabhängige Prädiktoren zu identifizieren.
Ergebnisse
Zur Harnableitung erhielten von den präoperativ berufstätigen Studienteilnehmern 77,8% eine NB bzw. 22,2% ein IC. Patienten mit einer NB waren im Median etwas jünger als IC-Patienten (58 Jahre (IQR 55–61) versus 61 Jahre (IQR 57–62); p=0,099). Die IC-Patienten hatten im Vergleich zu Patienten mit einer Neoblase signifikant häufiger lokal fortgeschrittene Tumorstadien (≥pT3: 43,1% versus 22,9%; p < 0,001) und häufiger Lymphknotenmetastasen (23,5% versus 12,8%; p < 0,001). Am Ende der AR bestand bei 77,4% der Patienten eine subjektiv positive Erwerbsprognose (NB 82,1% versus IC 60,8%; p < 0,001). Insgesamt waren bis 2 Jahre nach der AR 37 Patienten (16,1%) verstorben. Die mediane postoperative Überlebenszeit betrug 302 Tage (IQR 204-482). Einen Rücklauf der postalischen Nachbefragung erhielten wir 2 Jahre nach der AR von 159 Patienten (69,1%). Angaben zur Erwerbstätigkeit machten 95,0% der Patienten. Berufstätig waren demnach zum Zeitpunkt 2 Jahre nach der AR 68,2% der Patienten. Zu 90,3% waren diese Patienten wieder in Vollzeit tätig. Dauerhaft berentet waren 18,5%. Die subjektive berufliche Leistungsfähigkeit, beurteilt auf einer visuellen Analogskala (0-10), war im Median bei den Patienten mit einer Neoblase etwas besser als bei den Conduit-Patienten (8 versus 7 Punkte; p=0,048).
Positive Prädiktoren für die Rückkehr zur Arbeit 2 Jahre nach der AR waren in der univariaten logistischen Regressionsanalyse ein Alter unter 60 Jahren (OR 7,212; 95% CI 3,337-15,583; p < 0,001) und die Harnableitung in Form einer Neoblase (OR 2,416; 95% CI 1,054-5,434; p=0,037). In der multivariaten Analyse konnte alleinig ein Alter unter 60 Jahren (OR 7,730; 95% CI 3,369-17,736; p < 0,001) als positiver Prädiktor für eine Rückkehr zur Arbeit 2 Jahre nach der AR identifiziert werden. Das Geschlecht, die OP-Technik (offen versus Roboter-assistiert laparoskopisch), das Tumorstadium und der sozioökonomische Status beeinflussten in der Regressionsanalyse die Rückkehr zur Arbeit nicht.
Diskussion und Fazit
Nach der radikal-chirurgischen Therapie eines Harnblasenkarzinoms soll gemäß der „S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms“ den Patienten eine AR empfohlen werden. Die Zielsetzung einer AR ist, eine rasche und nachhaltige Wiederbefähigung zur Teilhabe am normalen gesellschaftlichen, sozialen und beruflichen Leben zu ermöglichen (Deutsche Krebsgesellschaft, 2020).
Die aktuelle Versorgungsforschungsstudie zu Patienten nach einer radikalen Zystektomie aufgrund eines Harnblasenkarzinom stellt in ihrer Qualität und Quantität sowie Tiefe der inhaltlichen Betrachtung ein „Leuchtturm-Projekt“ dar. In einem kurzen und aktuellen Zeitsegment von 21 Monaten wurden prospektiv 842 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die Studienteilnehmer wurden zu 5 Evaluationszeitpunkten (Beginn und Ende der AR, sowie 6,12 und 24 Monate nach der AR) hinsichtlich ihres onkologischen, funktionellen und sozialmedizinischen Outcomes als auch in Bezug auf ihre Lebensqualität und psychosoziale Belastung analysiert. Die Ergebnisse unserer Studie informieren Kliniker, Patienten und politische Entscheidungsträger gleichermaßen über den weiteren postoperativen Verlauf nach diesem uroonkologischen Maximaleingriff.
Take-Home-Message
Während sich nach einer radikalen Zystektomie und Harnableitung in Form eines Conduits oder einer Neoblase aufgrund eines Harnblasenkarzinoms im Median sämtliche Funktionsskalen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der präoperativ berufstätigen Patienten auch nach der AR weiter verbesserten sowie 2 Jahre nach der AR auch knapp 70% der Patienten wieder erwerbstätig waren, zeigten insgesamt 46,5% der Patienten wieder eine höhere psychosoziale Belastung, weshalb die Patienten auf heimatnahe psychosoziale Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und die Option eines stationären Tumornachsorgeheilverfahrens hingewiesen werden sollten.
Literatur
Deutsche Krebsgesellschaft (2020) S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms, Langversion 2.0. AWMF-Registrierungsnummer 032/038OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/harnblasenkarzinom, Abruf: 22.10.2022
Robert-Koch-Institut (2016) Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016
Hintergrund und Zielstellung
Jährlich erkranken ca. 43.500 Menschen in der Schweiz an Krebs (NKRS, 2021). Durch moderne, zunehmend multimodale Krebstherapien können immer mehr von diesen Betroffenen geheilt oder langfristig „chronisch erkrankt“ weiterleben. Der Preis für diesen therapeutischen Fortschritt ist jedoch häufig eine Vielzahl somatischer Nebenwirkungen und teils chronische Toxizitäten (Dorey G et al., 2021). Dies und die onkologische Diagnose können zudem zu hohen psychischen Belastungen und einer reduzierten Lebensqualität führen (Hass HG et al., 2022). Ziele dieser prospektiven Datenanalyse war es, diese somatischen sowie psychischen Beschwerden der Patienten bei Aufnahme zu erheben sowie die therapeutischen Effekte der onkologischen Rehabilitation zur Verbesserung dieser Beschwerden zu beurteilen.
Methoden
Die Datenerhebung erfolgte, nach schriftlicher Einverständnis, zwischen 08/2020 und 06/2022 bei 340 Patienten (52,3% ♀), die zur stationären Rehabilitation in der Klinik Gais und in der Rehaklinik Walenstadtberg aufgenommen wurden. Zur Dokumentation der Beschweerden und Toxizitäten bei Reha-Beginn erfolgte ein Assessment mit standardisierten Fragebögen (ESAS, SIF, HADS, FIM, PROMIS-10, EQ-5D) und körperlichen Leistungstests (6-min-Gehtest, Time-up-and-go-Test und Handkraftmessung (Jamar)) zu Beginn (T1) und vor Austritt (T2) aus der stationären Rehabilitation.
Ergebnisse
Das Durchschnittsalter betrug 63,9 +/- 12,5 Jahre. Die meisten Patienten waren an einem kolorektalen Karzinom erkrankt (n = 60; 18,6 %), gefolgt von Malignomen der Bauchspeicheldrüse/der Gallenwege/der Leber (n=48; 14,9 %) und Brustkrebs (n=38; 11,8 %).
Im ESAS zeigte sich eine hohe Belastung durch somatische Beeinträchtigungen (durchschnittlich 27,3 ± 15,1), von denen am häufigsten (n=243) und stärksten (n=158 ≥ Score 5) Fatigue-artige Beschwerden angegeben wurden. Dies bestätigte sich auch im SIF (20,8 % ≥ 5). Als 2. und 3.häufigstes Symptom klagten die Patienten über Appetitlosigkeit (n=120 ≥ Score 5) und ein deutlich reduziertes Wohlbefinden (n=117 ≥ Score 5). Die subjektiv beklagte Kraftlosigkeit bestätigte sich auch in den Leistungs-Assessments (6-Minuten-Test, Time-up-and-Go-Test, reduzierte Handkraft). Im ESAS und HADS zeigten sich signifikant hohe Werte für Angst (n=65 ≥ Punktzahl 5; HADS 37,8 %) und Depression (n=62 ≥ Punktzahl 5; HADS 28,6 %) und der PROMIS-10 und EQ-5D eine signifikant reduzierte Lebensqualität (QoL; Mittelwert 48,6±19,8).
Bei 288 von 340 Patienten (84.7%) konnte vor der Entlassung eine Zweit-Evaluation durchgeführt werden. Nahezu alle Parameter zeigten eine hochsignifikante Verbesserung gegenüber den Ausgangswerten (Abb. 1). Sowohl der PROMIS-10 als auch der ESAS zeigten eine hochsignifikante Verbesserung der pathologischen Werte bzw. der hohen Symptombelastung bei Aufnahme (14,2 ± 2,5 vs. 11,7 ± 2,7, p < 0,001; ESAS 27,3 ± 15,1 vs. 19,7 ± 13,1, p < 0,001). Insbesondere die Fatigue und Kraftlosigkeit verbesserte sich signifikant im ESAS und SIF (4,7 ± 5,4 vs. 2,5 ± 1,7, p < 0,001) ebenso wie die funktionelle Unabhängig-/ bzw. Selbstständigkeit (FIM: 103,9 ± 20,9 vs. 111,2 ± 19,5; p < 0,001). ). Diese Ergebnisse wurden auch durch die körperlichen Funktionstests bestätigt (6-Minuten-Gehtest 373,1 ± 151,0 m vs. 467,4 ± 143,2 m; TUG 11,7 ± 9,7 s vs. 8,3 ± 5,6 s; Jamar reduziert: 29,4 vs. 20,2 %; jeweils p < 0,001). ).
Darüber hinaus zeigte sich auch am Ende der Rehabilitation eine hochsignifikante Verbesserung der QoL, die bei Aufnahme signifikant reduziert war (EQ-5D: 48,6 ± 19,8 66,9,4 ± 18,6; p < 0,001).
Diskussion und Fazit
Die hier vorgestellten Daten bestätigen den hohen Rehabilitationsbedarf onkologischer Patienten und die Notwendigkeit, spezifische Rehabilitationseinrichtungen und Versorgungsstrukturen in der Schweiz aufzubauen und weiter zu entwickeln. Zudem belegen die hier vorgestellten Ergebnisse die hohe Effizienz und Effektivität der onkologischen Rehabilitation sowohl bei der Linderung somatischer als auch psychischer Beeinträchtigungen und führen damit zu einer deutlichen Verbesserung der meist stark beeinträchtigten Lebensqualität der Betroffenen.
Take-Home-Message
Die multimodale, stationäre onkologische Rehabilitation hat - zumindest im kurzfristigen Verlauf - hochsignifikante therapeutische Effekte und sollte daher nach multimodaler Krebstherapie ein fester Bestandteil der interdisziplinären Patientenversorgung in der Onkologie sein.
Literatur
Nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS); c/o Stiftung Nationales Institut für Krebs-epidemiologie und -registrierung (NICER); Zürich, 2021.
National study for multidisciplinary outpatient oncological rehabilitation: online survey to support revised quality and performance criteria. Dorey G, Cabaset S, Richard A, Dehler A, Kudre D, Schneider-Mörsch B, Sperisen N, Schmid M, Rohrmann S.Support Care Cancer. 2021 Jul;29(7):3839-3847. doi: 10.1007/s00520-020-05913-z.
Psychological distress in breast cancer patients during oncological inpatient rehabilitation: incidence, triggering factors and correlation with treatment-induced side effects. Hass HG, Seywald M, Wöckel A, Muco B, Tanriverdi M, Stepien J.Arch Gynecol Obstet. 2022 Jun 22. doi: 10.1007/s00404-022-06657-
Hintergrund und Zielstellung
Eine Krebserkrankung und ihre Behandlung gehen mit zahlreichen physischen und psychosozialen Belastungen sowie einem breiten Spektrum an schwerwiegenden Folgen und Herausforderungen für die Betroffenen, ihr soziales Umfeld und die Gesellschaft einher. Bei der Bewältigung der Erkrankung kann eine onkologische Rehabilitation unterstützen (Bartsch, 2002). In Deutschland nehmen jedoch lediglich rund ein Drittel der Patienten eine onkologische Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch.
Bisher ist dabei wenig bekannt darüber, ob negative Auswirkungen auf die berufliche und soziale Teilhabe zu befürchten sind, wenn eine Rehabilitationsmaßnahme ausbleibt. Ziel war daher ein wissenschaftlicher Vergleich der Erwerbs- und Pflegeprognose zwischen Betroffenen, die eine onkologische Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt haben (Rehabilitanden), mit denjenigen, die keine onkologische Rehabilitationsleistung in Anspruch genommen haben (Nicht-Rehabilitanden).
Methoden
Die Effekte einer onkologischen Rehabilitation auf den Erwerbs- und Pflegestatus wurden mittels retrospektiver Analyse bereits vorhandener sektorenübergreifender Daten bestimmt (Kaluscha et al., 2016). Eingeschlossen wurden gemeinsame Versicherte der AOK und DRV BW bzw. DRV Bund, die im Jahr 2004 krebsfrei waren und bei denen zwischen 2005 und 2009 bösartige Neubildungen an Brustdrüse (Mamma), Prostata oder Dickdarm (Kolon) aufgetreten waren. Die Identifikation der Patienten/innen erfolgte anhand der Diagnose (ICD-10-Kodierungen: C50, C61, C18) sowie anhand des Vorliegens einer einschlägigen primärtherapeutischen Behandlung (Bestrahlung, Chemotherapie, Operation).
Bei der Bestimmung der Ergebnisse onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen wurden bei Betroffenen im erwerbsfähigen Alter die Arbeitsunfähigkeitstage im Folgejahr der Primärtherapie (lineare gemischte Regression) sowie der Rentenbezug im 12. und/oder 24. Monat nach der Primärtherapie (logistische Regression; EM-/BU-Rente: ja vs. nein) betrachtet. Weiterhin wurde sowohl bei Personen im erwerbsfähigen Alter als auch bei den nicht mehr erwerbstätigen Versicherten die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen im 12. und/oder 24. Monat nach der Primärtherapie (logistische Regression; Pflege: ja vs. nein) untersucht. Dabei wurden Variablen, die neben der Rehabilitation die Zielgrößen beeinflussen können und bei denen Unterschiede zwischen Rehabilitanden und Nicht-Rehabilitanden bestanden (Confounder), berücksichtigt.
Ergebnisse
Die gesamte Stichprobe umfasst 41.325 Versicherte. Davon wiesen 9.193 (22,25%) Patienten ein Kolonkarzinom (Darmkrebs), 16.044 (38,82%) Patientinnen ein Mammakarzinom (Brustkrebs) und 16.088 (38,93%) Patienten ein Prostatakarzinom auf.
Gegenüber den Krebs-Rehabilitanden wiesen Nicht-Rehabilitanden indikationsübergreifend im Folgejahr der Primärtherapie weniger AU-Tage auf (Darmkrebs: -36,4 Tage, Brustkrebs: -44,5 Tage, Prostatakrebs: -30,5 Tage). Auch unter Berücksichtigung, dass Rehabilitanden während der dreiwöchigen Rehabilitation üblicherweise krankgeschrieben sind, ist die AU-Dauer somit bei Krebs-Rehabilitanden länger als bei Nicht-Rehabilitanden. Über alle drei Indikationen hinweg war die Wahrscheinlichkeit für den Bezug einer EM-/BU-Rente bei Nicht-Rehabilitanden um rund 70% geringer als bei Krebs-Rehabilitanden (vgl. Abbildung 1).
Das Odds-Ratio für den Pflegestatus ist für die drei Indikationsgruppen in Abbildung 2 dargestellt. Die Wahrscheinlichkeit für Pflege war über alle drei Indikationsgruppen hinweg bei Nicht-Rehabilitanden auch unter Berücksichtigung einer vorbestehender Pflegestufe höher als bei Krebs-Rehabilitanden.
Diskussion und Fazit
Für die höhere AU-Dauer und den höheren Anteil an EM-Renten bei Krebs-Rehabilitanden mag es mehrere Gründe geben. So ist eine erhebliche gesundheitsbedingte Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ein wesentliches Zuweisungskriterium für eine Rehabilitationsleistung, so dass womöglich bereits im Vorfeld der Maßnahme erhebliche Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit mit einer schlechteren Erwerbsprognose vorlagen. Dies lässt sicher leider anhand der vorliegenden Daten nicht abschließend klären. Die EM-Renten sind zumeist befristet, hier bedarf es einer längeren Nachbeobachtung, ob später nach Rekonvaleszenz die Rückkehr in eine Beschäftigung gelingt.
Die geringere Pflegewahrscheinlichkeit bei Krebs-Rehabilitanden bedeutet nicht nur einen relevanten individuellen Zugewinn an Selbständigkeit und Lebensqualität, sondern angesichts des Pflegenotstands auch einen erheblichen Nutzen für die Solidargemeinschaft. Da vorbestehende Pflegestufen bei den Analysen berücksichtigt wurden, kann hier ein positiver Effekt der Rehabilitation vermutet werden.
Take-Home-Message
Eine onkologische Rehabilitation trägt zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei. Zur abschließenden Einschätzung der Effekte auf die Erwerbsprognose sind allerdings weitere Untersuchungen mit längerer Nachbeobachtungsdauer erforderlich.
Literatur
Bartsch, H.H. (2002): Was kann die Rehabilitation onkologischer Patienten nach kurativer und palliativer Therapie leisten? Onkologie, 25. 54-59.
Kaluscha R., Jankowiak S., Dannenmaier J., Ritter S., Schilf S., Krischak G. (2016): Identifizierung von potentiellen Reha-Unterinanspruchnehmern mittels sektorenübergreifender Analysen von Routinedaten. DRV-Schriften, Bd 109. 113-115.
Hintergrund und Zielstellung
The prognosis of gastric carcinoma and tumors of the esophagogastric junction remains poor. So, treatment of gastric and AEG cancers is intensive and multimodal leading often to different somatic disorders (e.g. weight loss, maldigestion, fatigue, polyneuropathy; Tully et al., 2020) and psychological distress (Kim GM et al., 2017). Despite these complex therapy-associated sequelae, little is known about the incidence of treatment-induced side effects and psychological distress or individual rehabilitation goals of this burdened group of patients during rehabilitation. Therefore, aim of this prospective study was to evaluate the goals of the patients at the beginning of oncological inpatient rehabilitation.
Methoden
In this prospective study, 305 patients were screened for psychological distress by the German version of the NCCN-distress thermometer and somatic, therapy-induced secondary disorders routinely after admission to inpatient oncological rehabilitation. Additionally, the individual rehabilitation goals were systematically collected using a standardized, evaluated questionnaire ("Scheidegger Reha-Ziel Assessment").
Ergebnisse
The mean age of the patients included was 62.4 ± 11.3 years (170♂; 135♀). Mean body weight in the collective was 66.8 ± 12.3 kg, presenting a mean BMI of 22.7 ± 4.0. 290 (95%) patients were treated surgically. Systemic chemotherapy was performed routinely in 76.4% (in 36.0% as intensive perioperative CTX).
The most documented treatment-induced disorder was fatigue and fatigue-like complaints (88%). Postoperativ weigt loss was seen in 253 cases (82.9%) and in 137 cases (44.9%) a typicall CTX-induced polyneuropathy was documented. Mean distress in the screened population was 5.7 ± 2.8 (range 0 – 10). A significant distress score ( ≥ 5) was detected in 68.8% and in 43.2% even high levels of distress ( ≥ 7) was observed.
Psychological distress was significantly correlated with younger age ( ≤ 60y; p=0.049), postoperative weight loss (p < 0.001) and polyneuropathy (p < 0.001) after (neo)adjuvant or palliative chemotherapy.
163 patients (53.4%) were employed / not retired.
The most documented rehab goal was “reduction of weakness / fatigue” (n=276; 90.5%), “restoration of work ability“ (n=82; 50.3% of all employed patients), “alleviate nutritial disorder / digestive problems” (n=134; 44%), “improve sleep disorders” (n=109; 35.7%), “relieve polyneuropathy “ (n=96; 31.5%), “reduce arthralgia” (n=93; 30.8%), and “reduce my fear” (n=77; 25.2%).
Diskussion und Fazit
The high incidence of different treatment-induced side effects and toxicities as well as the documented individual rehab goals underlines the importance of multimodal rehabilitation concepts with intensive gastroenterological and nutritional care in patients with gastric and AEG cancers (see also O´Neill L et al., 2020). Aditionally, the high incidence of distress underscores the importance of routinelly screening for distress and psycho-oncological therapy offers. Despite the difficult prognosis and often multiple side effects after multimodal therapy, the current data also demonstrate the great importance of professional promotion measures in patients with gastric and AEG carcinomas (2nd most frequently mentioned rehab goal).
Take-Home-Message
Patients with treatment for gastric or AEG cancers suffer from a varity of different somatic and psychological imparments and therefore require intensive multimodal rehabilitation.
Literatur
The effect of a pre- and post-operative exercise programme versus standard care on physical fitness of patients with oesophageal and gastric cancer undergoing neoadjuvant treatment prior to surgery (The PERIOP-OG Trial): Study protocol for a randomised controlled trial.
Tully R, Loughney L, Bolger J, Sorensen J, McAnena O, Collins CG, Carroll PA, Arumugasamy M, Murphy TJ, Robb WB; PERIOP OG Working Group. Trials. 2020 Jul 13;21(1):638.
Prevalence and prognostic implications of psychological distress in patients with gastric cancer.
Kim GM, Kim SJ, Song SK, Kim HR, Kang BD, Noh SH, Chung HC, Kim KR, Rha SY. BMC Cancer. 2017 Apr 20;17(1):283
Rehabilitation strategies following oesophagogastric and Hepatopancreaticobiliary cancer (ReStOre II): a protocol for a randomized controlled trial. O'Neill L, Guinan E, Doyle S, Connolly D, O'Sullivan J, Bennett A, Sheill G, Segurado R, Knapp P, Fairman C, Normand C, Geoghegan J, Conlon K, Reynolds JV, Hussey J. BMC Cancer. 2020 May 13;20(1):415